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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 23. Jaenner 2013; 03:37
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Letzte Worte:

> Wenn man 144 waehlt...

Wichtiger als das Ueberleben ist die eCard -- ein Erfahrungsbericht
aus dem oesterreichischen Medizinwesen

In der Nacht vom 30. auf den 31.Dezember letzten Jahres breche ich mit
schweren Schwindelgefuehlen zusammen und rette mich gerade noch auf
mein Bett. Der Anfall geht nicht vorueber, ich fuehle mich
ausserstande, auch nur minimal den Kopf zu heben. Als ich es dennoch
versuche, erbreche ich meinen gesamten Mageninhalt. Alles dreht sich.
Mit knapper Not schaffe ich es, mir das Telefon zu angeln, "144" zu
waehlen und einen Notruf zu stammeln. Nur gibt es ein Problem: Ich
weiss, dass die Haustuere versperrt ist und niemand ausser mir im
Haus, den ich alarmieren koennte, sie aufzusperren. Ich muss es also
irgendwie mit einem Schluessel bis zur Haustuere schaffen, damit mich
die Rettung auch wirklich ins Krankenhaus bringen kann. Da ich
Todesaengste habe -- mein Zustand ist mir unerklaerlich und der
Kontrollverlust fast total, ich denke an einen Schlaganfall oder
Aehnliches -- braucht es alle meine Kraft, um mir auf allen Vieren den
Schluessel zu krallen und durch den Hof bis zur Haustuere zu kriechen.
Mit knapper Not schaffe ich es den Schluessel ins Schloss zu stecken
und umzudrehen. Ich denke, jetzt koenne ich mich fallen lassen, denn
die Rettung habe ich schon gehoert, die Sanitaeter, die ja bereits von
der Zentrale ueber meinen Zustand informiert sein muessen, wuerden
mich auf die Trage heben und ein Notarzt sich sofort um mein
Ueberleben kuemmern.

Die Hoffnung stirbt zuletzt

Keine Trage. Kein Notarzt. Ueber mir stehen zwei Sanitaeter (spaeter
konnte ich rekonstruieren, dass es sich dabei wahrscheinlich um ein
Team vom "Gruenen Kreuz" gehandelt haben duerfte) und schauen
abschaetzig auf mich herab. "Wos isn mit Ihna los?" So die erste Frage
der Maenner, von denen ich mir die Lebensrettung erwarte. Auf mein
natuerlich nicht sehr entspannt vorgebrachtes Begehren, ins
Krankenhaus gebracht zu werden, kam die allerdings sehr routinierte
Frage: "Hams ihre eCard bei Ihna?" Als ich, in Schlafrock und Pyjama
auf dem Pflaster liegend, bei etwa 5 Grad Aussentemperatur, vorbringe,
dass das jetzt doch eigentlich egal sein muesste, weil ich befuerchte,
hier und jetzt zu krepieren, meint der potentielle Retter, dass dies
keineswegs egal sei. Ob ich denn wuesste, wo in meiner Wohnung die
eCard sei, will er wissen, und ich muss in meinem eigentlich wohl
erbarmungswuerdigen Zustand genau erklaeren, wo meine Wohnung und dort
meine eCard zu finden sei -- gluecklicherweise weiss ich genau, in
welcher Tasche sie ist und wo diese Tasche steht. Der andere
Sanitaeter geht darauf gemaechlichen Schrittes in Richtung meiner
Wohnung, um meine Tasche zu holen. Der erste Sanitaeter zeigt indes
auch weiterhin keinerlei Ambitionen mir zu helfen. "Bleims ruhig
liegen!" sagt er zu mir. In meiner Panik reisse ich mich nochmal hoch
und versuche an ihm vorbei alleine wenigstens ins Rettungsauto zu
kommen. "Wollens in den Rettungswagen?" fragt der unwillige Helfer
beinahe verbluefft ueber mein fuer ihn offensichtlich
unverstaendliches Anliegen. Ich taumle und tatsaechlich, ich kann es
fast nicht glauben, stuetzt mich der Sanitaeter wenigstens auf dem Weg
zum Wagen. Ich werfe mich dort ueber den Sitz, weil die Trage mir
unerreichbar weit erscheint. "Was soll denn des? Setzens Ihna hin!"
Auf meine Erklaerung, dass ich liegen muesse, weil der Schwindel
unertraeglich sei, kommt die grosszuegige Meldung: "Na, dann legen Sie
sich auf die Trage!" Allerdings ist die Liegeflaeche ueber einen Meter
hoch positioniert -- mir dort raufzuhelfen sieht der Sanitaeter
natuerlich schon nicht mehr als seine Aufgabe an. Irgendwie schaffe
ich es da hinauf. Ihm passt aber nicht, wie ich draufliege, ich solle
mich umdrehen. Mir ist alles egal, ich ignoriere ihn, bleibe einfach
liegen und verliere kurzfristig das Bewusstsein. Als endlich der
andere Sanitaeter mit meiner Tasche auftaucht, wache ich wieder auf.
Nun aber geht es wohl flott ins Krankenhaus, denke ich mir.

Nein, natuerlich nicht. Der zweite Sanitaeter protestiert ebenfalls,
ich muesste mich umdrehen, so ginge das nicht. Selbstverstaendlich
wieder ohne jede Hilfe, in der Hoffnung, das Nachkommen dieses
Ansinnens wuerde meine Rettung beschleunigen, waelze ich mich mit
aller Kraft herum. Doch die Sanis haben Zeit. Man gibt mir meine
Tasche, damit ich meine eCard herausholen soll. Dann werden meine
Daten aufgenommen, ich werde gefragt, ob ich rauche, Alkohol trinke
oder Drogen naehme. Mein Glueck ist, dass mein Herz wie wild rast,
weil ich mich ja voellig ueberanstrengt habe, und wenigstens das von
den Sanitaetern abgecheckt wird. Endlich werde ich wenigstens ein
bisschen ernstgenommen und man kann einmal bei der Zentrale anfragen,
in welches Krankenhaus man mich denn bringen koenne. Es dauert dann
zwar noch ein wenig, aber schliesslich geht es doch endlich ab ins
Spital. Dorten angelangt, steigt ein Sanitaeter aus, geht ins Haus
hinein und kommt wenig spaeter zurueck, um mir fast erstaunt
mitzuteilen: "Die wollen Sie dabehalten."

Spitalsroutine

Soweit des Kranken Rettung. Im Krankenhaus dann die sattsam bekannte
Art der Routine. Es folgen zwar noch ein paar abschaetzige Bemerkungen
der Aerzte ueber diesen Patienten -- man wundert sich darueber, dass
man mich aus einer Wohnung gebracht habe und nicht aus einem Heim,
oder man schreibt, ohne jegliche weitere Kenntnis, "Alk- und
Nikotinabusus" in meine Krankenakte, wie ich viel spaeter nachlesen
durfte --, aber immerhin sieht man mich wegen meiner
Herzrhythmusstoerungen doch als behandelnswert an. Ich soll
irgendetwas unterschreiben -- ich kritzle etwas Aehnliches wie meine
Unterschrift, ohne zu wissen, was mir da vorgehalten wird. In einer
solchen Situation unterschreibt man alles. In mich werden diverse
Nadeln an verschiedene Stellen meines Koerpers gestochen. Danach
Filmriss und ich finde mich in einem Krankenbett wieder.

Waehrend meines viertaegigen Aufenthalts habe ich zweimal Kontakt mit
dem angeblich mich behandelnden Arzt -- sehen kann ich ihn nie
richtig, da ich bei zwei Visiten immer noch nicht in der Lage bin,
woanders hin als auf die Decke zu starren und der Arzt es nicht der
Muehe wert findet, doch ans Kopfende meines Bettes zu treten. Da er es
immer recht eilig hat, komme ich in meinem hilflosen Zustand nie dazu,
ein ernsthaftes Gespraech einzufordern -- es reicht gerade dazu, mir
mitzuteilen, dass bei mir Vorhofflimmern diagnostiziert worden sei und
ich wahrscheinlich eine Entzuendung am Gleichgewichtsnerv habe. Das
war es auch schon. Bei den weiteren Visiten, als es mir bereits besser
geht, sehe ich den Arzt gar nicht, weil ich da beide Male gerade
wieder zu irgendwelchen Untersuchungen anderswo im Krankenhaus
verbracht werde. Fuer diese Untersuchungen muss ich auch noch so
einiges unterschreiben -- allerdings werden mir diese Unterschriften
immer von den Schwestern abverlangt, die mir natuerlich auch kaum
Details ueber Sinn und Gefahren dieser Untersuchungsmethoden geben
koennen. Also unterschreibe ich auch das blind. Und fresse die
vorgeschriebenen Pulver in mich hinein -- sieben verschiedene
Tabletten, wo ich keine Ahnung habe, worum es sich dabei handelt.

Ein ganz wichtiger Arzt, wahrscheinlich ein Primar, dessen Visite so
aussieht, dass er eigentlich nur schaut, welche Patienten in welchen
Betten liegen, sonst sich aber weiter nicht um sie kuemmert, ist etwas
indigniert, dass ich ihn anspreche. Nein, er koenne mir keine
Auskuenfte geben, ich muesse den behandelnden Arzt fragen. Da dies
aber nie moeglich war, verlange ich wenigstens meine Patientenakte zu
sehen. Diese koenne ich natuerlich jederzeit sehen, sagt der wichtige
Mann, und ist schon wieder bei der Tuer draussen. Die Patientenakte
kriege ich natuerlich nicht. Nachdem ich sie zum xten Mal bei der
Schwester urgiere, meint diese, dies habe fuer sie "keine Prioritaet".

Eine Neurologin kommt zu mir -- endlich jemand mit ein wenig
psychologischen Feingefuehl, denn sie setzt sich zum Kopfende meines
Bettes, so dass ich wenigstens annaehernd in einer menschenwuerdigen
Gespraechssituation bin. Sie teilt mir schonend mit, dass man mittels
MRT sicherheitshalber abklaeren wolle, ob es sich nicht vielleicht
doch um einen Hirntumor handeln koenne. Ich muss wieder unterschreiben
und das MRT wird gemacht. Und ich denke mir, sobald das Ergebnis da
ist, wird es mir wohl ein Arzt gleich mitteilen. Schliesslich ist ein
Verdacht auf Hirntumor etwas, wo man einen Patienten nicht lange im
Ungewissen lassen wird. Wieder falsch gedacht. Niemand kommt. Ich muss
einen voellig ueberforderten Stationsarzt noetigen, doch bitte sich
mal den Bericht anzusehen und mir das Ergebnis mitzuteilen. Allerdings
ist dieser Arzt, als erkennt, dass man mich da in meinen Aengsten
allerin gelassen hat, wirklich sehr freundlich und nimmt sich sehr
schnell der Sache an -- ob es etwas damit zu tun hat, dass er noch
recht jung ist und noch nicht soweit oben in der Hierarchie?
Erleichtert hoere ich, dass es sich nicht um einen Tumor handelt.

Facharztlose Ambulanz

Schliesslich bringt man mich am letzten Tag meines Aufenthalts in die
HNO-Ambulanz. Und siehe da, meine Krankenakte taucht auf.
Offensichtlich nicht deswegen weil ich sie verlangt habe, sondern
damit ich sie auf diese Krankenhausabteilung mitnehmen kann -- aber
immerhin, ich habe sie in Haenden. Da ich mittlerweile selbst gehen
kann, wenn auch mit staendig verdrehtem Kopf, sagt man mir in der
Ambulanz, ich solle mich hinsetzen und warten, bis ich aufgerufen
werde. Das kann ich aber nicht, weil mir mittlerweile bei meiner
unnatuerlichen Kopfhaltung schier das Kreuz abzureissen scheint. Eine
Liege habe man aber jetzt nicht zur Verfuegung, man koenne mir nur
einen zurueckgeklappten Rollstuhl anbieten. Ich kauere mich auf das
Ding, verbringe dann aber in einer auch nicht gerade schmerzfreien
Haltung -- und mit dem Studium meiner Krankenakte, wo ich erstmals im
Detail erfahre, was denn so alles in mich reingepumpt worden ist --
gut zwei Stunden. Denn: Auf der HNO-Abteilung gibt es keinen Facharzt.
Den hat die Krankenhausverwaltung den ganzen Vormittag lang woanders
hingeschickt -- in der Abteilung gibt es nur turnusaerztliches und
pflegerisches Personal, das nichts weiter tun kann, als in die Luft zu
schauen. Als der Spezialist -- schimpfend wie ein Rohrspatz, dass er
nicht in seiner Abteilung hatte sein koennen -- endlich kommt, fragt
er, empoert angesichts meines Zustandes: "Warum hat man Sie nicht auf
ein Bett gelegt?" Er entschuldigt sich hunderttausendmal, untersucht
mich und ist ehrlich voller Empathie. Ich bin mittlerweile nur mehr
erstaunt, dass es solch Menschen auch unter dem gehobenen aerztlichen
Personal in diesem Krankenhaus gibt.

Resuemee

Damit dieser Bericht nicht zu lang wird, erspare ich dem p.t. Publikum
weitere Details. Ich habe auch den Namen des Wiener Krankenhauses
nicht erwaehnt, da mir diese Missstaende grossteils systemisch bedingt
erscheinen und kaum auf ein einzelnes Spital beschraenkt. Ich empfinde
es nicht als einen Skandal, was mir passiert ist, sondern, dass das
ganz normal zu sein scheint. In einer Zeit, wo Krankenhaeuser zwar
personell unterbesetzt sind, das pflegerische Personal zumeist zwar
sehr freundlich und bemueht ist, aber ziemlich ueberfordert, und das
fachaerztliche Personal entweder auch ueberlastet oder zuviel in
seinen jeweiligen eigenen Arztpraxen beschaeftigt, staendig davon zu
reden, dass unsere Krankenhaeuser ueberteuert seien und Einsparungen
dringend notwendig, kann mir nach solchen Erlebnissen niemand mehr
erzaehlen.

Am meisten aber regen mich diese Sanitaeter auf. Offensichtlich
hielten sie mich fuer einen Alkoholiker oder "Junkie", der einfach nur
im Rausch ist. Einmal abgesehen davon, dass diese Retter die Ursache
fuer meine Zustand natuerlich nicht abschaetzen konnten, sich dennoch
aber anmassten, zu urteilen, kann ich mir schon vorstellen, welche
Haltung sie gegenueber Menschen haben, die in einer Notsituation sind,
weil sie wirklich eine Ueberdosis einer legalen oder illegalen
Substanz intus haben. Dass ein Mensch auch in einer solchen Situation
in Lebensgefahr sein kann und das Recht hat, gerettet zu werden,
scheint solchen Leuten beinahe ein abwegiger Gedanke zu sein. Gnade
jenem vielleicht alkoholkranken Obdachlosen ohne eCard, zu dem solches
Personal gerufen wird -- lassen die den dann vielleicht am Pflaster
krepieren?

Von den Aerzten wird ja immer wieder betont, dass bei Herzinfarkten
oder Schlaganfaellen oft jede Minute ohne fachgerechte Versorgung
ueber Leben oder Tod eines Patienten entscheiden kann. Ja und ich habe
auch schon vorbildliches Verhalten von Rettungswagenteams erlebt, die
diese Mahnung beherzigen -- beileibe sind nicht alle so wie diese
beiden Herren. Aber ich kann mir ja nicht aussuchen, welche Leute da
zu meiner Rettung ausgeschickt werden. Wenn ich also das naechste Mal
irgendwo lese, dass ein Patient "noch auf dem Weg ins Krankenhaus
verstorben" sei, werde ich den dringenden Verdacht haben, dass der
arme Mensch, "fuer den leider jede Hilfe zu spaet gekommen" sei,
solchen Rettungssanitaetern zum Transport ins Krankenhaus
ueberantwortet gewesen und damit zum Opfer gefallen sein duerfte. Und
wenn ich selbst wieder in eine solche Situation gerate, rufe ich mir
ein Taxi -- vielleicht komme ich dann schneller zu einem Arzt!
*Bernhard Redl*

Radiobeitrag: http://cba.fro.at/68595



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