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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 19. Dezember 2012; 03:34
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Buecher (alt):

> Von Novalis bis Hitler

Ruediger Safranski
Romantik. Eine deutsche Affaere
Carl Hanser Verlag, Muenchen 2007. 415 Seiten

Der Film "Vermessung der Welt" und die Ausstellung ueber "Die Nacht im
Zwielicht. Kunst von der Romantik bis heute" im Unteren Belvedere in
Wien haben mich dazu bewogen, mich erneut eingehend mit der Romantik
auseinanderzusetzen. Ruediger Safranskis Standard-Werk bietet dafuer
eine ausgezeichnete Grundlage.

Der extreme Subjektivismus, der Kult der (buergerlichen) Vernunft und
nicht zuletzt der Schrecken ueber den terreur der franzoesischen
Revolution rief eine Gegenreaktion hervor. Was bis jetzt von der
Aufklaerung abgetan, ins Eck gestellt wurde, wird von den Romantikern
"wiederentdeckt", aufgewertet und emotional aufgeladen.

Herder hatte bereits "Vorarbeit" geleistet, auch Schiller mit seiner
"Aesthetischen Erziehung des Menschen". Der homo ludens, der Mensch,
der eine spielerisches und nicht bloss "nuetzliches" Verhaeltnis zur
Welt entwickelt, rueckt ins Zentrum der Betrachtungen: "Der Mensch
spielt nur, wo er in voller Bedeutung des Worts Mensch ist, und er ist
nur da ganz Mensch, wo er spielt" (S.43).

Den -- philosophischen -- Hirngeburten Fichtes ("Das Ich das alles
setzt"/ also schafft), dem politische Groessenwahn Napoleons, der
kuehl berechnenden Vernunft -- all dem wird nun gegenuebergestellt:
Gefuehl, Empfindsamkeit, Naehe, Natur -- die "mondbeglaenzte
Zaubernacht" (Tieck).

Erinnert sei nur an die wunderschoenen Gedichte Eichendorffs, die von
einem tiefen Naturempfinden getragen sind.

Novalis gibt folgende Definition: "Indem ich dem Gemeinen einen hohen
Sinn, dem Gewoehnlichen ein Geheimnisvolles Ansehn, dem Bekannten die
Wuerde des Unbekannten, dem Endlichen einen unendlichen Schein gebe,
so romantisire ich es"(S.13).

Festzuhalten ist, dass anfangs die (literarische) Romantik
revolutionaere Zuege oder zumindest stark gesellschaftskritische
Seiten hatte: gegen das ancien regime, die Monarchen, fuer die
Gleichberechtigung -- auch der Frauen. Neue Formen des Zusammenlebens,
alternative Formen der Sexualitaet wurden entwickelt.

Mit der Zeit ist jedoch bei vielen Romantikern ein immer
konservativerer Zug, ein politischer Rechtstrend zu verzeichnen --
nicht zuletzt durch die negative Entwicklung der franzoesischen
Revolution: Jakobinerterror, Directoire und schliesslich Napoleon, der
sich zum Kaiser kroent! Die Romantiker entdecken nicht nur das --
idealisierte -- Mittelalter und die Religion: einige konvertieren zum
Katholizismus( wie Friedrich Schlegel); sie machen sich auch zum
Werkzeug der politischen Reaktion. Etliche stellen sich in den Dienst
Preussens bzw. der oesterreichischen Monarchie (Metternich!).

Das Buch von Safranski schildert in hervorragender Weise diesen
Wandlungsprozess. Es bietet eine Fuelle von ueberraschenden Beispielen
und Zitaten, auch fuer Nicht-Fachleute von grossem Interesse.

Seinen Analysen kann man/frau auf breiten Strecken folgen. Er zieht
einen weiten Bogen von den (Frueh)romantikern ueber Wagner, Nietzsche,
Thomas Mann, Heidegger und den Nationalsozialismus bis hin zur
Gegenwart. Zum Schluss geht ihm m.E. die Luft aus -- wenn er etwa
versucht, die 68er-Bewegung zu bewerten (S.384 ff).

Warum lohnt es sich mit all dem zu beschaeftigen? Warum geht es NICHT
um fade, abgestande (Literatur)theorie?

Die Romantik ist geradzu ein Paradefall fuer AMBIVALENZ! Man/frau kann
sehen, wie Dinge unter bestimmten Umstaenden umschlagen koennen. Ein
aehnliches Phaenomen konnte auch im 20.Jh. registriert werden:
Rebellen von 1918 wurden Monarchisten wie Joseph Roth oder zumindest
katholisch-konservativ wieFranz Werfel.

Und auch heute kann Aehnliches sich ereignen! Denken wir etwa an die
widerspruechliche Entwicklung des "arabischen Fruehlings".
*Hermann Dworczak*



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