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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 27. November 2012; 21:23
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Debatten:
> Kein Wunder!
Graz 2012: Was normal sein sollte, 
ist in Oesterreich der grosse Aufreger
Die KPOe hat nun 20% im Grazer Gemeinderat. Helle Aufregung. 
Ueberraschung, Ueberraschung! Doch was soll das Trara? Vor 9 Jahren 
hatte die KPOe doch sogar noch mehr an Stimmen eingefahren. Okay, 
damals hatte die Stadtpartei noch das Aushaengeschild Ernest 
Kaltenegger. Nur: Vor 2003 gab es noch nicht diese massiven 
Sparpakete, keine autoritaer agierende OeVP -- und die Gruenen waren 
auch noch weit von jenem servilen Beiwagerldasein entfernt, das ihre 
letzte Amtsperiode gekennzeichnet hat. Natuerlich sucht sich jener 
Teil des angefressenen Waehlerresservoirs, der noch immer waehlen 
geht, jemanden, der Widerspruch ausdrueckt. Und warum die FPOe 
waehlen, wenn es doch die weitaus sympathischere und glaubwuerdigere 
KPOe gibt? Also gar nichts Besonderes, einfach nur das klassische Auf 
und Ab, wie wir es von allen waehlbaren Gremien kennen.
Warum spielt die KPOe in Graz aber ueberhaupt mit und beispielsweise 
in Wien nicht? Nunja, in Graz gibt es die KPOe nicht nur als 
theoretisch waehlbare Partei. Und warum das? Zum Teil haengt das 
sicher auch mit der Person Kalteneggers zusammen, der mithalf, die 
KPOe aus dem politischen Out zu holen. Aber wieso konnte er das? Weil 
die KPOe immer praesent in der Grazer Rathauspolitik war. Ueber die 
Jahrzehnte hinweg war immer zumindest ein Mandat vorhanden. Das haengt 
zwar sicher auch mit der Tatsache der besonderen steirischen Situation 
zusammen, aber auch mit dem Faktum, dass eine Stimme fuer die KPOe nie 
als "verlorene" galt. Denn in Graz reichten immer etwa 2% der Stimmen 
fuer ein Mandat -- der Grazer Gemeinderat ist bezueglich der 
Wahlbevoelkerung der groesste allgemeine Vertretungskoerper 
Oesterreichs, der weder eine Grundmandatsklausel noch eine 
Mindestprozentzahl fuer den Einzug kennt. Es gilt ein unverfaelschtes 
Verhaeltniswahlrecht.
Mit dem Gemeinderatsergebnis von 2003 war aber bei den steirischen 
Landtagswahlen 2005 auch klar: Sollte die KPOe in Graz bei den Wahlen 
auf Landesbene auch nur annaehernd so punkten, ist der Einzug in den 
Landtag sicher, da das Grundmandat im Wahlkreis Graz und Umgebung 
locker zu schaffen ist -- und ploetzlich waehlten diejenigen, die 
schon lange die KPOe waehlen wollten, das aber bislang als sinnlos 
ansahen, nun eben jene Partei. Aenderung der Stimmungslage, 
Kaltenegger-Effekt? Schnecken! Das kann man nur heranziehen fuer die 
Erklaerung von ein oder zwei Prozentpunkten mehr oder weniger, wie die 
darauffolgende Landtagswahl zeigte. Aber die Versechsfachung der 
Stimmen 2005 war nur zu erklaeren durch den Verlust des Labels 
"chancenlos".
Walter Mueller nannte am Montag im "Standard" Graz "das 
innenpolitische Labor Oesterreichs" -- das hat natuerlich seine 
Berechtigung, schliesslich erschien der Einzug der "Alternativen Liste 
Graz" 1983 als das zentrale Signal fuer die Etablierung der spaeteren 
Gruenen. Und dieses Mal erlangte ein "Pirat" ein Mandat im 
Gemeinderat -- nach Innsbruck erst der zweite Erfolg dieser jungen 
Partei.
Fuer die oesterreichische Innenpolitik heisst das aber genau gar 
nichts. Denn die Gruenen brauchten noch das nur mit Unterstuetzung der 
Kronen-Zeitung machbare zentrale Erlebnis Hainburg 1984 und auch die 
Darstellung als waehlbare Partei durch den ORF um 1986 auf Bundesebene 
die hohe Wahlhuerde von bundesweit 4% zu schaffen. Die KPOe hat aber 
nur wegen der jetzigen Grazer Ergebnisses 2013 keine besseren Chancen 
auf einen Einzug in den Nationalrat -- denn die 4% scheinen nicht 
moeglich und das Grazer Grundmandat ist viel teurer als bei der 
Landtagswahl. Und deswegen wird sie auch diesmal wieder kaum jemand 
waehlen -- weil: "Es ist halt eine verlorene Stimme". Und das Gleiche 
gilt fuer alle Landtage ausser der Steiermark.
Das autoritaere System
Das ganze Brimborium an Analysen bezueglich der spezifischen Situation 
in Graz und die Frage der Persoenlichkeiten usw. usf. kann man sich 
fuer die Frage der schieren Existenz der KPOe als politischen Faktor 
grossteils schenken. In den Kommunen (und ganz besonders in Graz mit 
seinem grossen Gemeinderat) ist nunmal der Zugang fuer kleine Parteien 
viel leichter als zu den gesetzgebenden Koerperschaften in Land und 
Bund. Es ist schlicht und ergreifend die strukturelle Gewalt eines 
autoritaeren Wahlrechts, warum sich bei uns trotz staerker werdenden 
Unmuts und nur noch wenig wahrnehmbarer Identifikation mit den 
althergebrachten "Gesinnungsgemeinschaften" auf den hoeheren Ebenen --  
ausser durch FPOe-Abspaltungen und Krone-Kampagnen -- keine neuen 
Parteien etablieren koennen.
Das Autoritaere zeigt sich dabei auch im Argument, eine leichter 
durchdringbare politische Landschaft wuerde zur "Unregierbarkeit" 
fuehren. Das waere naemlich ganz schlimm: Beispielsweise muesste sich 
eine Bundesregierung im Nationalrat wirklich eine Mehrheit suchen, um 
ein Gesetz zu beschliessen. Sodom und Gomorrha! Wo kaemen wir denn 
dahin? Tatsaechlich ist das Unregierbarkeitsargument zwar durchaus 
auch fuer diejenigen relevant, die es verwenden, aber in Wirklichkeit 
will keine Partei, die bereits in einem Gremium ist, zusaetzliche 
Konkurrenz. Und daher gibt es in diesen Gremien selbst von 
Oppositionsseite nie ein auch nur eine einzige Stimme, die sich ueber 
zu hohe Wahlhuerden beschwert. Im Gegenteil: Die Huerden werden heute 
von eben diesen Gremien eher weiter erhoeht -- aus Spargruenden, so 
die Argumentation, muesste es weniger Mandate geben. Waehrend die 
Verkleinerung des Nationalrats fuer den Moment vom Tisch ist, ist 
genau das letztes Jahr durch den steirischen Landtag sowohl fuer den 
Grazer Gemeinderat als auch den Landtag selbst beschlossen worden. In 
beiden Gremien heisst es jetzt, dass es nurmehr 48 statt 56 Mandate 
geben wird -- und damit der Einzug erschwert wurde. Nur bloed fuer die 
auf Bundesebene etablierten Parteien, dass das in Stadt und Land gegen 
die KPOe jetzt auch nichts mehr hilft.
Das Ergebnis der Grazer Gemeinderatswahl ist fuer 
repraesentativ-demokratische Bedingungen ganz verstaendlich. Manche 
Parteien tauchen auf, manche verschwinden. Und manchmal gewinnt eine 
bisherige Aussenseiterpartei ganz viel -- so waere das zu eigentlich 
zu erwarten in diesem System. Erstaunen und empoeren muesste uns aber, 
dass derlei sonst in Oesterreich ungewohnt und ungewollt ist.
*Bernhard Redl*
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