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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 7. November 2012; 04:33
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Religion:

> Beschneidung: Zweierlei Mass gerechtfertigt?

Am 24.Oktober 2012 veranstalteten VertreterInnen des Volksbegehrens
gegen Kirchenprivilegien zum Thema genitale Beschneidung. Dabei ging
es vor allem darum, darzulegen, warum sowohl die weiblichen als auch
die maennlichen Formen der Beschneidung zu aechten seien.

Der Gynaekologe Christian Fiala kann Beschneidung weder als harmlos
noch als generell gesundheitsfoerdernd ansehen: "Sowohl die
Beschneidung von Buben als auch von Maedchen ist in erster Linie ein
massiver Eingriff und eine Beschneidung der Sexualitaet im
uebertragenen und im ganzen realen Sinne." Mittlerweile spraeche man
ja bei Maedchen von einer Genitalverstuemmelung "und ganz analog muss
man das bei Buben auch sehen". Bei dieser Diskussion muesse man ja
betonen, dass es nicht darum ginge, die Beschneidung an sich zu
verbieten, sondern es ginge nur darum, ob das bei nicht
einwilligungsfaehigen Kindern gemacht werden solle, "ohne dass ein
medizinischer Grund gegeben ist". Ein Erwachsener koenne natuerlich
frei ueber seinen Koerper entscheiden.

Ein ebenfalls bei der Pressekonferenz anwesender Urologe ergaenzte,
dass bei vielen Erkrankungen tatsaechlich eine maennliche Beschneidung
die einzig moegliche Therapieform sei. Doch bei der religioes
bedingten Form wuerden moegliche negative Folgen, die man bei einer
medizinischen Indikation hinnehmen muesste, "voellig ignoriert und oft
genug werden sogar medizinische Vorteile in die Diskussion
eingebracht". Doch tatsaechlich werde mit der Vorhaut das sensibelste
Gewebe entfernt und die Schleimhaut der nun ungeschuetzten Eichel
verhorne. Und das koenne spaeter zu sexuellen Problemen fuehren.

Gewuenschte Sexualdaempfung

Christine Mueller vom deutschen Verein (I)NTACT engagiert sich
vornehmlich gegen weibliche Genitalverstuemmelung, beschaeftigt sich
nun aber auch mit der maennlichen Variante, da sie da doch mehr
Gemeinsamkeiten sieht als bisher allgemein angenommen wuerde. Mueller
stellte sich die Frage, woher denn diese Traditionen ueberhaupt
kommen. Denn zum einen gaebe es ethnologische Vermutungen, dass sich
die Beschneidung beider Geschlechter eine Art aus eine symbolischen
Menschenopfer entwickelt habe, zum anderen aber auch seit jeher zur
Daempfung des Sexualtriebs diente. Und das habe sich fortgesetzt: "Es
gab ja auch in der neueren Zeit in den USA oder im viktorianischen
England auch die Maedchenbeschneidung. Damit wollte man vor allem
Masturbation eingrenzen." Mueller vermutet, dass eben in den USA noch
so um die 50% der Maenner beschnitten werden, weil viele religioese
Gruppen, die dorthin ausgewandert waren, dieses Gedankengut
mitgebracht haetten: "Da gab es sicher den Grund die Sexualitaet der
jungen Maenner einzuschraenken; auch der jungen Frauen -- es gab ja so
etwa um 1936 den letzten Fall der weiblichen Genitalverstuemmelung".

Gleichheitsgrundsatz

Eine andere Parallele sieht Mueller in der Tatsache, dass weibliche
Beschneidung ja nicht nur die bekannt besonders grausamen Formen
umfasst, sondern auch mildere Formen. Jedoch sei die sunnitische Form
der Maedchenbeschneidung der Bubenbeschneidung sehr aehnlich. Diese
Form sei im Normalfall "fast geringfuegiger als die maennliche
Beschneidung". Und damit ergaeben sich massive rechtliche Probleme in
Deutschland, wenn man nun die maennliche Beschneidung entgegen dem
bekannten Koelner Urteil legalisiere. Denn in diesem Gesetz stuende
drinnen, dass die Beschneidung erlaubt werde, "wenn es dem Kindeswohl
diene und darueber entscheiden die Eltern". Doch auch die weibliche
Bescheidung "entspraeche dem Kindeswohl, das kann man auch so
hinstellen." Denn Eltern fuerchten, dass sie ihre unbeschnittene
Tochter nicht verheiraten koennten. "Und wenn man jetzt sagt, dass
Jungen beschnitten werden duerften, dann waere das ja bei Maedchen
auch der Fall, und da diese Beschneidung genauso geringfuegig ist,
muesste die ja dann in Deutschland erlaubt werden." Denn das wuerde
die gleichen Rechte fuer die Geschlechter verlangen und ein
entsprechender Fall von Eltern eines Maedchens muesste vom
Bundesverfassungsgericht so entschieden werden. "Und das waere dann
die Erlaubnis zur Kindesmisshandlung, die man sowohl auf die Jungen
als auch auf die Maedchen geben koennte." "Und das kann ja wohl nicht
wahr sein", so Mueller. Schliesslich habe ja Deutschland (Anm. wie
Oesterreich) sich mit der Unterschrift unter der
UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet, alle wirksamen und geeigneten
Massnahmen zu treffen, um gesundheitsschaedliche Braeuche abzuschaffen
(Artikel 24,3).

Und sie koenne eigentlich nicht das Argument der Religionsfreiheit
akzeptieren, da sich ja auch Religionen veraendern "und schlechte
Traditionen aufgeben koennen". Schliesslich habe ja auch die
katholische Kirche so einiges aufgegeben und sie selbst sei trotzdem
immer noch "eine gute Katholikin".

Traumatisierungen

Edwin Reichert betreibt die eine Internetsite, auf der er versucht,
ueber die medizinischen und psychologischen Fakten der maennlichen
Beschneidung aufzuklaeren: "Die Betroffenen, die uns kontaktieren,
sind massivem Leidensdruck infolge ihrer Beschneidung ausgesetzt.
Viele fuehlen sich vergewaltigt. Die Beschneidung wurde gegen ihren
Willen durchgefuehrt, die koerperliche Versehrtheit dauert ein Leben
lang. Ebenso wie bei anderen Traumatisierungen brauchen Opfer oft 20
und mehr Jahre, bis sie in der Lage sind, ihre Probleme zu benennen.
Manche koennen sich mit dem entstellten Aussehen ihres Genitales nicht
anfreunden. Oft ist die sexuelle Empfindungsfaehigkeit durch die
Narben und Verwachsungen eingeschraenkt. Narben gibt es immer,
Verwachsungen treten bei 50% der Beschneidungen auf."
(akin)

Quellen:
PK-Mitschnitt und Interviews (trotz allem, radio orange):
http://cba.fro.at/65456
Pressemappe:
http://www.kirchen-privilegien.at/wp-content/uploads/2011/02/Pressemappe-24-20-2012.pdf
Reicherts Site: http://beschneidung-von-jungen.de



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