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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 7. November 2012; 04:47
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Debatten:
> Verpasste Debatten
Eigentlich war man sich ja einig in der Antimilitarismus- und 
Friedensbewegung, dass man das Bundesheer abschaffen moechte. Haette 
ich eigentlich geglaubt. Doch das war offensichtlich ein Irrtum. Und: 
So einfach ist das alles gar nicht. Denn die Volksbefragung am 
20.Jaenner 2013 ruft derzeit nicht nur die schon tot geglaubte 
Bewegung ins Leben zurueck, sondern sie offenbart extreme 
Widersprueche.
Da ist zum Einen eine Frage der Taktik. Ich will das Bundesheer 
abschaffen, werde aber fuer die Abschaffung der Wehrpflicht stimmen, 
da das schon bestehende Berufsheer aus Gruenden der EU-Kompatibilitaet 
so oder so ausgebaut wird und die Frage nach der Abschaffung des 
Heeres nunmal nicht am Stimmzettel stehen wird. Mein Motto: Besser die 
Wehrpflicht -- und damit die Militarisierung eines nicht 
unmassgeblichen Teils der Bevoelkerung -- wird abgeschafft als es wird 
die Wehrpflicht mit diesem Plebiszit fuer die naechsten 20 Jahre 
einzementiert. Eine aehnliche Position vertreten Teile der Wiener 
Landesgruenen.
Andere antimiltaristische GenossInnen meinen hingegen, man muesste 
ungueltig stimmen, da die Frage falsch sei und man sich nicht auf eine 
Wahl zwischen Pest und Cholera einlassen duerfe. Wiederum andere 
sagen: Auf keinen Fall ein reines Berufsheer, dann schon lieber 
Wehrpflicht, um das Bundesheer nicht zu einer Soeldnertruppe werden zu 
lassen, die leichter unabhaengig vom Volk agieren koenne.
Damit jedoch neutralisiert sich die Friedensbewegung bei dieser 
Volksbefragung selbst -- der Einfluss auf das Stimmverhalten wird kein 
messbarer sein.
Doch diese Debatten beruehren tatsaechlich nur die Frage, wie man sich 
bei der Volksbefragung verhalten solle, nicht aber den prinzipiellen 
Konsens, dass das Bundesheer abzuschaffen sei.
Zum anderen treibt aber die Fokussierung auf die Frage "Wehrpflicht 
oder Bundesheer" auch ganz seltsame Blueten in dieser prinzipiellen 
Frage. Denn waehrend der fruehere Bundesheergegner und 
"Friedenssprecher" Peter Pilz namens der Bundesgruenen schon seit 
laengerem die Meinung vertritt, mit der Abschaffung der Wehrpflicht 
und einer Umwandlung des Heeres in Battle Groups wuerde das Bundesheer 
de facto abgeschafft, duerfen wir jetzt ploetzlich von der 
Solidar-Werkstatt (frueher Friedenswerkstatt Linz, Friwe) auf einer 
Online-Petition die Forderung lesen: "NEIN zur geplanten Abschaffung 
der Wehrpflicht!" Nach laengerem Suchen findet man dann in einem 
anderen Friwe-Papier die relativierende Passage: "Allgemeine 
Wehrpflicht bedeutet aber nicht automatisch bewaffnete Verteidigung. 
Diese Frage muss immer wieder neu anhand der konkreten Situation 
diskutiert werden. Auch bedeutet die Zustimmung zur Allgemeinen 
Wehrpflicht keine Zustimmung zum bestehenden Bundesheer." Aaaaahja...! 
Einmal abgesehen davon, dass ich keine Ahnung habe, was das genau 
heissen soll, wird trotzdem klar: Hier geht es nicht mehr um die 
Taktik bei einer Volksbefragung, sondern sowohl bei Peter Pilz als 
auch bei der Friwe um die affirmative Haltung zu einem wie auch immer 
gearteten staatlichen Wehrinstituts -- und das ist etwas ganz anderes 
als Antimilitarismus.
Dem nicht genug, ist bei den antimilitaristischen Kraeften auch 
ueberhaupt kein Konsens vorhanden, was den Zivildienst angeht. Bislang 
dachte ich, es waere klar, dass der Zivildienst als Zwangsarbeit unter 
einem dem Wehrgesetz nachgebildeten Dienstrecht indiskutabel und auch 
aus gewerkschaftlicher Sicht als Billiglohnkonkurrenz im Sozial- und 
Krankenbereich abzulehnen sei. Noch so eine Naivitaet von mir. Denn 
ploetzlich gibt es Stimmen aus der Linken, dass man doch statt 
Wehrpflicht und Wehrersatzdienst einen verpflichtenden Nur-Zivildienst 
einfuehren sollte, um das Pflegesystem nicht zu gefaehrden.
Nunja und die prinzipielle Kritik am Militarismus, am Heer als 
Konstituente des Staates sowie auch am gewalttaetigen Staat an sich 
(den verteidigen zu wollen mir nicht im Traum einfiele) geht in einer 
Debatte von frisch entflammten Neutralitaetspatrioten voellig unter.
Anzeichen, dass es in der sehr heterogenen Antimilitarismus- und 
Friedensbewegung keinen Konsens in solchen Fragen gibt, hat es immer 
gegeben. Aber so wirklich diskutieren wollte darueber niemand. 
Wahrscheinlich waere auch mit ausfuehrlichen Diskussionen kein 
vollstaendiger Konsens erreichbar gewesen, aber vielleicht haetten sie 
so manches geklaert und wir koennten jetzt besser mit diesem Dissens 
umgehen.
Genau deswegen schreibe ich diese Glosse: Denn es gibt in der Linken 
viele fundamentale Fragen, die nicht ernsthaft, tiefgehend und 
solidarisch diskutiert werden, sondern nur durch wechselseitige 
Beschimpfungen oder durch konfliktscheues Ignorieren "behandelt" 
werden. Das Manko ungeklaerter Positionen, das erst in einem akuten 
Anlassfall wie etwa dieser Volksbefragung zum Problem wird, sollten 
wir uns aber in Hinkunft einfach nicht mehr leisten.
*Bernhard Redl*
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