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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 31. Oktober 2012; 16:35
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Debatten:
> Jedem sein Nazi?
Am Nationalfeiertag marschierte auch ein Trupp, angefuehrt von der 
"EU-Austrittspartei", auf dem Wiener Stephansplatz auf, um unter 
anderem den Austritt aus dem ESM, der Eurozone und der EU insgesamt zu 
fordern. Das Ganze war ekelhaft patriotisch. Da wuselte alles 
Moegliche herum in Rot-Weiss-Rot, ein spiess- und wutbuergerlicher 
Haufen ohne klarem ideologischen Zusammenhalt, sodass da Monarchisten, 
Reaktionaere, Verschwoerungstheoretiker und natuerlich auch ein paar 
Antisemiten und andere Spinner gemeinsam mit eher wenig politisierten 
Gentechnikgegnern sowie Tier- und Umweltschuetzern zu einer 
gemeinsamen Aktion zusammentrafen -- die EU-Kritik ist in Oesterreich 
leider nicht mehrheitlich von fortschrittlichen Kraeften getragen.
Zu dieser Kundgebung gab es einen Gegenaufruf. Die "Linkswende" 
schreibt: "70 Antifaschistinnen und Antifaschisten demonstrierten ... 
gegen den versuchten Aufmarsch eines braunen Haufens aus 
FPOe-Vorfeldorganisationen am Stephansplatz."
Und das stimmt so einfach nicht. Einmal abgesehen davon, dass einige 
dieser Organisationen (z.B. "Rettet Oesterreich") schon fuer 
politische Gremien kandidiert haben und damit auch der FPOe Stimmen 
abgenommen haben, ist die taxfreie Behauptung, die ganze Kundgebung 
waere "braun" oder von "Nazis" getragen, Unfug.
Ich verstehe schon, dass es einfacher zu mobilisieren ist, wenn man 
sagt, man demonstriere gegen Nazis, aber das ist eine politische 
Vereinfachung, die auch fuer ein inhaltlich notwendigerweise 
verknapptes Transparent oder einen Demospruch unzulaessig ist. Nicht 
jeder Faschist ist ein Nazi, nicht jeder Reaktionaer ist ein Faschist 
und nicht jeder Wutbuerger oder EU-Gegner mit allzu marginaler 
politischer Bildung ist ein Reaktionaer.
Ja, es ist sinnvoll, dumben Patriotismus zu kritisieren. Aber bei 
dieser Kritik muss man differenzieren -- schon allein deswegen, weil 
die Reaktion in Oesterreich eben nicht nur braun ist, sondern auch von 
Vertretern des Oesterreich-Patriotismus, des Monarchismus und des 
politischen Katholizismus vertreten wird. Immerhin hatte Oesterreich 
im 20.Jahrhundert auch eine klerikale Diktatur, die eben nicht braun 
sondern schwarz war.
Wenn man aber alle, die in Oesterreich ueber die EU empoert sind --  
und nicht eine perfekte marxistische Analyse dazuliefern koennen --, 
gleich als Nazis oder auch nur Faschisten abtut, stilisiert man nicht 
nur die Europa-Fans generell zu Antifaschisten, sondern treibt 
jegliche auch notwendige EU-Kritik ins rechte Eck.
Wenn alle, die nur irgendwie an Patriotismus anstreifen, als Nazis 
tituliert werden, dann wuerde selbst die KPOe davon betroffen sein, 
denn die hat leider lange Zeit auch darauf gepocht, die einzig 
wirkliche Oesterreich-Partei zu sein. Von den im Parlament vertretenen 
Parteien brauchen wir da gar nicht mehr zu reden, die sind ja alle 
mehr oder weniger patriotisch. Und die Linzer Solidar-Werkstatt mit 
ihrer EU-Kritik? Auch Nazis? Wo faengt das an, wo hoert das auf?
Dass umgekehrt buergerliche und reaktionaere EU-Kritiker behaupten, 
die EU waere von Nazis gegruendet worden und es bestuende 
diesbezueglich eine Kontinuitaet Deutschlands seit 1933, macht klar, 
wie belanglos der Vorwurf des Nationalsozialismus schon geworden ist. 
Doch das ist eben nicht ungefaehrlich.
Nein, wir brauchen eine differenzierte Betrachtung politischer 
Stroemungen -- auch wenn das eben auf einem Transparent mitunter 
schwierig rueberzubringen ist. Ansonsten verlieren wir vor lauter 
Hysterie unsere Analysefaehigkeit. Widerstand aber ohne diese laeuft 
sehr schnell Gefahr, von anderen missbraucht zu werden.
*Bernhard Redl*
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