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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 17. Oktober 2012; 04:08
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Glosse:
> Der Adel kriecht aus seinen Burgen
Fuenf Monate nach der Gruendung der Ersten Republik wurde im April 
1919 das heute in Oesterreich im Verfassungsrang stehende 
Adelaufhebungsgesetz beschlossen und in Kraft gesetzt. Nur im 
Burgenland, das erst 1922 zu Oesterreich kam, erfuhr die Gueltigkeit 
des Gesetzes erst 2008 eine endgueltige verfassungsrechtliche 
Klaerung.
Ebenfalls im April 1919 trat das Habsburgergesetz in Kraft, das ueber 
das Adelsaufhebungsgesetz hinausgeht, indem es auch den Gebrauch 
(nicht nur das Fuehren) von Titeln wie Erzherzog/in verbietet. Das 
staatliche, aber in der Verwaltung des kaiserlichen Hofes gestandene 
bewegliche und unbewegliche Vermoegen im Staatsgebiet der Republik 
Deutschoesterreich (heute Republik Oesterreich) wurde der 
Staatsverwaltung unterstellt. Die so genannten Privat- und 
Familienfonds des Hauses Habsburg und seiner Zweiglinien, meist vom 
jeweiligen Oberhaupt des Hauses verwaltetes gemeinsames 
Familienvermoegen, wurden enteignet und ins Staatseigentum 
uebergefuehrt. Persoenliches Privateigentum blieb erhalten.
Der uebrige Adel hingegen war nur symbolisch in die Schranken gewiesen 
worden: Er musste lediglich auf das "von" und diverse Insignien wie 
Wappen und adelige Standesbezeichnungen - Graf, Fuerst, Ritter, 
Herzog, aber auch Bezeichnungen anderer Laender, wie Conte, Marchese 
etc. - verzichten.
Wenngleich in Artikel 7 der Verfassung von 1920 festgestellt wird: 
"Alle Bundesbuerger sind vor dem Gesetz gleich. Vorrechte der Geburt, 
des Geschlechtes, des Standes, der Klasse und des Bekenntnisses sind 
ausgeschlossen", so war das doch nur ein formaler Akt, denn an die 
wahre Problematik ging es nicht heran. Wie Fanny Starhemberg 
gegenueber dem damaligen ersten Bundespraesidenten Hainisch ueber 
diesen Punkt sagte: "Uns macht die Aufhebung des Adels nichts, wir 
bleiben mit oder ohne den Titel immer die Starhembergs.'"
Und damit hatte sie leider Recht: Waehrend Ungarn den Adel wenigstens 
nach 1945 enteignete, bleibt der historisch bedingt zu einem guten 
Teil aus riesigen Laendereien bestehende Besitz ebenso wie sicher 
keine geringen, in Privatstiftungen steuerschonend geparkte 
Geldvermoegen in Oesterreich bis heute in den ehemaligen 
Adelsfamilien. Von den 10 groessten Grundbesitzern in Oesterreich sind 
fuenf dem Adel zuzurechnen - an vorderster Stelle die Familie 
Esterházy, die 440 km² Land besitzt, aber auch Mayr-Melnhof mit 320 
km² oder die Familie Schwarzenberg mit 200 km². Auch deutsche 
Adelshaeuser sind kraeftig am Grundbesitz in Oesterreich beteiligt. 
Dieses Geld und diese Laendereien wurden auf dem Ruecken der 
nichtadeligen Bevoelkerung, der Arbeiterklasse einschliesslich 
Lehenbauern, erworben, genutzt und vermehrt.
Und diese Familien sind nach wie vor maechtig, reich und organisiert - 
die 2005 gegruendete "Vereinigung der Edelleute in Oesterreich - 
V.E.Oe.", die sich als Nachfolger der kurz vor dem Ersten Weltkrieg 
gegruendeten, aber erst seit 1922 wirklich aktiven und von den 
Nationalsozialisten 1938 verbotenen Vereinigung katholischer Edelleute 
in Oesterreich betrachtet, wurde 2006 vom Innenministerium als 
zulaessig erkannt. Waehrend er ihren aus dem Fleisch des Volkes 
geschnittenen Reichtum weiter vermehren kann, kriecht der Adel auch 
politisch wieder aus den Loechern.
Der Kaerntner Forstwirt in eigenen Landen und Gruenpolitiker (!!!) 
Ulrich Habsburg wurde bereits im Jahr 2009 - im Hinblick auf die 
Bundespraesidentschaftswahl 2010 - aktiv und stellte einen 
Individualantrag beim Verfassungsgerichtshof zur Abschaffung des 
sogenannten "Habsburger-Paragrafen". Seine Ankuendigung, bei der 
Praesidentschaftswahl 2010 kandidieren zu wollen, fuehrte letztlich 
(nach der Wahl) tatsaechlich zur Aufhebung der entsprechenden 
Verfassungsbestimmung im Zuge einer Wahlrechtsreform. Und dann 
aeusserte Ulrich Habsburg am 25.9. bei den 21. Zeitgeschichte-Tagen in 
Braunau, die heuer bezeichnenderweise unter dem Titel "Adel 
verpflichtet" standen, die krude Idee, die Adelstitel in Oesterreich 
als Teil des Namens wieder einzufuehren, "um die Polarisierung 
zwischen Aristokraten und Nicht-Aristokraten lindern." Er glaubt, dass 
zum Jubilaeum "100 Jahre Republik" im Jahre 2018 der Zeitpunkt 
gekommen waere, um die Verfassung zu aendern, die das Fuehren von 
Adelstiteln in Oesterreich unter Strafe stellt. "Eine Gleichstellung 
der Adelstitel innerhalb der EU muss frueher oder spaeter sowieso 
kommen, da es bei international verzweigten Familien nicht haltbar 
ist, wenn ein Teil den Adelstitel fuehren darf und der andere Teil 
nicht", meint er.
Ich meine: Die Aristokratie existiert vordergruendig in Oesterreich 
per Verfassung seit fast 100 Jahren nicht mehr. Im Hintergrund aber 
wittert sie im Fahrwasser des noch immer weiter erstarkenden 
Neoliberalismus ihre Chance, den Status als "bessere" Klasse wieder 
offiziell zu zementieren. Das darf nicht als harmlose Spinnerei 
belaechelt werden, im Gegenteil ist zu fordern, dass der nicht fuer 
das persoenliche Wohnen genutzte Landbesitz endlich zum oeffentlichen 
Gut gemacht und auch die nur dem Erhalt des Herrschaftsanspruches 
ueber Generationen dienenden Privatstiftungen enteignet werden!
*Peter Gruendler*
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