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 akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 18. September 2012; 23:31
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Glosse:
> Die Lebenslauffanatiker
Also ich bin ja kein wirklicher Fan von Werner Faymann. Und ich finde 
auch, dass man ueber einiges in seiner Vergangenheit reden muesste --  
zum Beispiel aus seiner Zeit als Wohnbaustadtrat. Aber das Nachbohren 
Armin Wolfs im Sommergespraech, was der Kanzler denn in der Zeit 
zwischen 1978 und 1981 wirklich gemacht habe, ausser wenig zu 
studieren und ein bisschen Taxi zu fahren, war unnoetig. Denn damals 
war Faymann gerade so ein bisschen erwachsen und hatte eben die Matura 
hinter sich gebracht -- was wird er da gross gemacht haben?
Nein, diese Befragung war nicht nur unnoetig, sondern auch ungut. Denn 
man stelle sich die Situation vor: Da ist ein junger Mann, der sowieso 
schon nicht allzuviel Zeit gehabt hat, ein richtiger Jugendlicher zu 
sein und das zu machen, was ein richtige Jugendlicher so eben macht, 
naemlich ordentlich viel Bloedsinn. Nein, denn als Gymnasiast wird man 
ja oft genug um diese Zeit betrogen -- man muss brav lernen und hat 
nicht viel Zeit fuer anderes. Man macht Matura. Und hinterher muss man 
vieles eben nachholen: Fuer viele Menschen ist diese kurze Spanne der 
Freiheit zwischen Schulabschluss und verantwortungsvollem 
Erwachsenendasein ueberhaupt die einzige Zeit in ihrem Leben, in der 
sie wirklich leben. Da studiert man vielleicht nicht so richtig und 
arbeitet nicht so richtig und wenn, dann sind das irgendwelche 
windigen Studentenjobs, prekaer und oft auch schwarz. Wenn es gutgeht 
und man nicht sofort in die Tretmuehle des Kapitalismus geraet, feiert 
man auch viel und macht politischen und unpolitischen Unsinn. Oder 
autostoppt wie Georg Danzer nach Griechenland und lebt dort monatelang 
von Spiegeleiern mit Pommes Frites. Auf alle Faelle will man endlich 
wissen, wer man ist, und probiert es einfach aus, dieses Leben als 
Erwachsener. Das sind alles Sachen, die sind wichtig fuer die 
Entwicklung eines Menschen, aber spaeter will man die vielleicht nicht 
so gerne in seinem curriculum vitae sehen. Und sie gehen auch wirklich 
niemanden etwas an.
Aber nein, drei Jahrzehnte spaeter wird darauf herumgeritten, zuerst 
im Sommergespraech, dann in den Blogs und Foren des Internets. Da 
fragt man sich, woher kommt das? Damals, um 1980, war Kreisky noch 
Kanzler. Wollte von dem jemand so genau wissen, wie er sich nach der 
Matura aufgefuehrt hat? Wahrscheinlich hat er sich mit 
Hahnenschwanzlern gepruegelt und sicher auch viel Unfug gemacht --  
aber wen interessierte das? Doch heute leben wir in einer ganz anderen 
Gesellschaft. Da wird den jungen Menschen klargemacht, dass sie jetzt 
schon an die Pension denken muessen, dass auch die Gehaelter ihrer 
ersten Jobs sehr wichtig sind fuer die Pensionsanrechnung und dass sie 
ueberhaupt jetzt schon eine zusaetzliche Rentenversicherung 
abschliessen sollten. Jugend? Gibts nicht! Was zaehlt, ist das 
Vorankommen im Kapitalismus und zwar ohne jede Atempause. Vorbilder 
sind diese Lauras und Nikos und Sebastians. Stromlinienfoermigkeit ist 
angesagt und ja keine "wilden Phasen" oder "dunklen Flecken" im 
Lebenslauf. Eine Technokratenlaufbahn vom Kindergarten mit 
Pisa-Zertifikat bis zum tadellos geschmueckten Sarg ist angesagt.
Genau deswegen werden heute solche Fragen mit einer derartigen 
Vehemenz gestellt. Denn der Kanzler muss ja wohl ein Vorbild sein fuer 
unsere heutige Jugend. Dass Werner Faymann keine vernuenftige Antwort 
auf diese Frage hatte, macht ihn richtig sympathisch, denn es heisst, 
er war tatsaechlich einmal jung. Dass er aber nicht sagte, dass er da 
halt irgendeinen Bloedsinn gemacht habe, ist schade. Aber in unseren 
gestrengen Zeiten kann er sich das als Spitzenpolitiker nicht leisten. 
Und das ist der eigentliche Skandal.
*Bernhard Redl*
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