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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. September 2012; 23:34
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  Kommentar:
  
  > Griechenland heute: Eine Warnung fuer die Bevoelkerung Europas
  
  Ein einmonatiger Aufenthalt in Griechenland -- ich unternahm eine 
  Rundreise am Peloponnes und war auch drei Tage in Athen -- 
  demonstrierte mir die Auswirkungen neoliberaler Politik auf Kosten der 
  Mehrheit der Menschen. Die Sparpolitik, die man den Griechen als 
  Gegenleistung fuer die Geldhilfe aufgezwungen hat und die in erster 
  Linie durch Lohn- und Pensionskuerzungen sowie den verschaerften Abbau 
  von Sozialleistungen die Mehrheit der Lohnabhaengigen und 
  Pensionsbezieher trifft, fuehrt zur spuerbaren Verarmung grosser Teile 
  der Bevoelkerung. Waehrend ein Grossteil der vermoegenden Griechen das 
  Land entweder bereits verlassen haben oder zumindest ihr Vermoegen, 
  welches bisher kaum versteuert wurde, ins Ausland geschafft hat, wird 
  nun ein betraechtlicher Teil der Bevoelkerung an den Rand ihrer 
  materiellen Existenz gedraengt.
  
  Der Tourismus am Peloponnes, eine bedeutsame Einnahmequelle fuer 
  zahlreiche Griechen am Land, ist nahezu vollkommen zusammengebrochen. 
  Dass ich in frueher von zahlreichen Touristen aufgesuchten Orten der 
  einzige Auslaender war, entsprach der Regel. Aber auch die 
  griechischen Touristen -- vor allem aus den grossen Staedten reisten 
  die Griechen bisher gerne die ein oder andere Woche ans Meer oder 
  verbrachten zumindest ein Wochenende dort -- blieben aus. Allzu viele 
  koennen sich solche Erholungsphasen nicht mehr leisten. Die 
  Verkehrsfrequenz auf den Strassen ist spuerbar geringer geworden. 
  Viele Menschen, die in den Bergen wohnen, beziehen eine Pension von 
  EUR 270.- Bei Lebensmittelpreisen wie bei uns wissen sie nicht mehr, 
  wie sie die Ausgaben des taeglichen Lebens bestreiten sollen. Auch die 
  fuer diese Leute bisher getaetigte Hilfestellung seitens ihrer Kinder, 
  die in den Staedten arbeiteten, bleibt vermehrt aus, weil diese selbst 
  arbeitslos sind.
  
  In Athen spuert man die um sich greifende Armut hautnah. Bettler, 
  wohin man sieht, zahlreiche Menschen, die auf den Strassen oder in 
  Haeuserruinen schlafen, Geschaefte, die geschlossen haben bzw. 
  schliessen. Ein weiteres Problem stellt die zunehmende Kriminalitaet 
  dar. Ueberfaelle auf Passanten am helllichten Tag, Einbrueche in 
  Geschaefte, Zunahme der organisierten Kriminalitaet.
  
  In dieser kurz beschriebenen Situation macht die EU und die 
  griechische Regierung weiterhin Druck auf all jene Buerger, die noch 
  nicht ganz verarmt sind. Waehrend man die Obdachlosen und Mittellosen 
  laengst ihrem Schicksal ueberlaesst, fordert man von den 
  Erwerbstaetigen noch mehr Opfer. Dazu bediente man sich den ganzen 
  Juli ueber des Damoklesschwertes der vollkommenen Staatspleite und des 
  Austritts aus dem Euro-Raum. Weitere Einschnitte fuer die 
  Bevoelkerung, ein weiteres Belastungspaket im Umfang von EUR 11,5 Mrd. 
  fuer die naechsten zwei Jahre wurde am 2.8. von der Regierung 
  angekuendigt. Und die neoliberalen Akteure der EU und des IWF zeigen 
  sich zufrieden.
  
  In dieser Situation reagiert der griechische Durchschnittsbuerger -- 
  wie auch die Mehrheit der Buerger in allen EU-Staaten -- nicht 
  solidarisch, nicht im Sinne eines funktionierenden Gemeinwesens, aber 
  auch nicht politisch. Nein, sein Denken und Handeln kreist einzig und 
  allein um die Frage, wie er selbst in dieser Situation dem drohenden 
  Schicksal der Verarmung entrinnen kann. Statt sich gegen die 
  alltaeglich wirksame Korruption von Politik- und Wirtschaftsbossen, 
  aber auch der Beamtenschaft im Land zu stemmen, wird er selbst korrupt 
  bzw. betruegt er den Staat, wo er nur kann. Je mehr der 
  Durchschnittsgrieche von der Steuerlast bedroht wird, umso mehr, vor 
  allem wenn es um das materielle Ueberleben geht, ist er zur 
  Steuerhinterziehung bereit. Und auf den ersten Blick ist seine 
  Argumentation auch noch verstaendlich: Einem Staat, in welchem die 
  Steuergelder zu einem grossen Teil nicht den Buergern in Form einer 
  funktionierenden Infrastruktur, einer guten Gesundheits- und 
  Altersversorgung, einem guten staatlichen Bildungssystem zugute 
  kommen, sondern in dunklen Kanaelen verschwinden und zur Bereicherung 
  einiger weniger dienen, muss man betruegen. Auf den zweiten Blick 
  jedoch ist diese Sichtweise kontraproduktiv, fuehrt sie doch ueber 
  kurz oder lang weder zur Veraenderung der Strukturen im Staatsgebilde 
  noch zur langfristigen Absicherung bzw. Verbesserung der eigenen 
  Situation. Im Gegenteil: der Einfluss des Staates wird dadurch noch 
  mehr zurueckgedraengt, die Stunde der Privaten hat geschlagen.
  
  Die Vereinfachung der Lizenzvergabe fuer auslaendische Unternehmen ist 
  Bestandteil des neuen "Reformpaketes" der Regierung, die 
  Privatisierung der nationalen Eisenbahnorganisation TRAINOSE sowie 
  deren Instandhaltungsbereichs ROSCO ist bereits auf Schiene gebracht. 
  Nach der Schliessung von nahezu allen Eisenbahnstrecken am Peloponnes 
  kann nun der Ausverkauf lukrativer Strecken beginnen. Im Bereich der 
  privaten Liegenschaften entlang der Kueste tut sich fuer das 
  internationale Finanzkapital ein wahres Eldorado an Moeglichkeiten 
  auf. Bereits jetzt koennen viele Griechen, die in den letzten Jahren 
  in den Tourismus investiert haben -- sei es in Form des Baus von 
  Appartements, Hotels oder Gruenden in Strandnaehe -- ihre Kredite 
  nicht mehr bedienen. Ein Ausverkauf von gut gelegenen Liegenschaften 
  ist nur noch eine Frage der Zeit. Dann werden auch sicherlich 
  Baugenehmigungen, die den Einheimischen bisher teilweise verwehrt 
  wurden, an internationale Konzerne vergeben werden. Die ansaessige 
  Bevoelkerung darf dann in diesen "Wohlfuehloasen" zu Dumpingloehnen 
  ihren Lebensunterhalt verdienen.
  
  Nach einer aktuellen Studie eines ehemaligen McKinsey-Managers liegen 
  mehr als 20 Billionen Dollar in Steueroasen (Kurier, 4.8.2012). 20 000 
  000 000 000 Dollar -- zusammen mit den in den letzten Jahren 
  angehaeuften Vermoegenswerten von wenigen Prozent der Bevoelkerung -- 
  Geld genug, um die Krise in den Staaten zu beenden. Was wir dafuer 
  brauchen, ist nichts anderes als eine andere Steuerpolitik. Die 
  Staaten muessen sich die Gelder dort holen, wo sie sind, dort, wo sie 
  ueber aberwitzige, durch die Politik ermoeglichte Machenschaften und 
  Gesetze angehaeuft werden konnten.
  
  Ob dies mit diesen Politikern machbar ist, welche die Weichen fuer 
  diese Vorherrschaft des internationalen Finanzkapitals gestellt haben, 
  machbar ist, darf bezweifelt werden. Genau so muss jedoch auch in 
  Frage gestellt werden, ob der individuelle Ueberlebenskampf des 
  Einzelnen in der Gesellschaft (egal ob in Griechenland oder in anderen 
  westlichen Staaten) ihn vor der Auslieferung seiner Lebensbedingungen 
  an die Interessen dieses Kapitals bewahren kann.
  
  Griechenland ist somit -- nach zahlreichen anderen Staaten dieser 
  Welt -- nicht mehr als ein weiteres Beispiel fuer die Vorherrschaft 
  neoliberalen Besitzstrebens im Sinne der Theorie Friedmans ueber die 
  Interessen der Bevoelkerung hinweg. In dieser Situation ist 
  Solidaritaet mit den Griechen letztlich Solidaritaet mit uns selbst, 
  denn die Griechen von heute werden die Europaeer von morgen sein.
  (Gerhard Kohlmaier, Steuerinitiative im OeGB)
  
  
  Quelle:
  http://www.steuerini.at/index.php?option=com_content&view=category&layout=blog&id=3&Itemid=17
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