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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. September 2012; 23:18
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Wien:
> Bezirkspolitik und grosse Visionen
Eine Debatte zwischen SPOe und KPOe ueber Demokratie
Beim Volksstimmefest gab es auch heuer wieder eine Reihe von 
Diskussionsveranstaltungen. Eine davon war, anlaesslich der 
Rathausplaene fuer ein neues Wiener Bezirkswahlrecht, eben dieser 
speziellen Frage gewidmet, aber auch generell der Frage, was 
Demokratie ueberhaupt sein kann. Unter der Moderation von Bezirksrat 
Wolf-Goetz Jurjans diskutierten (in Vertretung des eingeladen 
gewesenen Klubchefs Rudi Schicker) der SPOe-Gemeinderat Peko Baxant 
und Didi Zach, KPOe-Landessprecher.
In seinem Einleitungsstatement erlaeutert Jurjans ("Ich bin ja ein 
Betroffener dieser Massnahme"), was die geplante Erhoehung der Huerde 
fuer den Einzug in die Bezirksvertretung bedeuten wuerde. Denn bislang 
waere es ja so gewesen, dass abhaengig von der Bezirksgroesse 2 bis 
2,5% der gueltigen Stimmen ausgereicht haetten, um Bezirksrat zu 
werden. Mit der angedachten Erhoehung der Huerde auf 5% waere das ja 
etwa eine Verdoppelung. "Mich persoenlich aergert das auf der einen 
Seite, weil ich muss dann doppelt soviel Waehler ueberzeugen; auf der 
anderen Seite denke ich mir, die Arbeit kann nicht so schlecht gewesen 
sein, wenn die SPOe sagt, du kommst nur mehr mit 5% rein. Das kann man 
so oder so sehen. Meine Frage ist: Was will man erreichen, wenn man 
den Zugang zur untersten demokratischen Ebene erschwert?"
Der SPOeler Baxant will gleich einmal klarstellen, dass er bei diesen 
Verhandlung ueberhaupt nicht beteiligt sei. "Aber ich bilde mir ein, 
einschaetzen zu koennen, was sich meine Genossinnen und Genossen davon 
erwarten: Es ist eine gerechtfertigte Position, wenn man sagt, man 
will keine italienischen Verhaeltnisse, sondern man will eine 
ueberschaubare Anzahl an Fraktionen im Bezirksparlament haben."
Aber auch wenn er schon eher gegen eine Erhoehung der Huerde sei, so 
sei er generell der Meinung, dass diese Frage gar nicht so wichtig 
sei: "Ob wir innerhalb des absteigenden repraesentativen Systems mehr 
oder weniger politische Parteien haben, spielt eine geringe Rolle!" 
Wichtiger sei etwas anderes: "Das repraesentative System kann nur die 
Haelfte der Demokratie sein, weil die andere, die plebiszitaere Saeule 
ueberhaupt noch nicht ausgestaltet ist." Und "der 
Willensbildungsprozess darf nicht nur in der parlamentarischen 
Demokratie stattfinden".
Aber Jurjans will ihn natuerlich so leicht nicht auskommen lassen: "Es 
gibt in Wien 1112 Bezirksraete und zur Zeit wirkt sich diese 
Veraenderung auf sechs davon aus. Das sind eine Verkehrsinitiative, 
der letzte Rest vom BZOe und die anderen drei sind Kommunisten -- das 
ist mal meine unmittelbare Betroffenheit. Und bevor wir jetzt zu den 
Visionen kommen, haben wir genau da ein Problem!"
Dann kommt auch Didi Zach zu Wort: "Plebiszitaere Elemente spielen in 
Oesterreich wenig bis gar keine Rolle. Volksinitiativen werden 
generell schubladisiert." Da sei man sich am Podium ja eh einig, das 
es da viel zu tun gaebe. Und es ginge ja nicht nur um diese sechs 
Leute in den Bezirksvertretungen, sondern man muesse sich das 
Wahlrecht generell anschauen. "Man braucht in Wien als Partei, die 
nicht im Gemeinderat sitzt, 3000 Unterschriften zur Kandidatur mit 
einem unheimlich komplizierten Procedere, waehrend die Parteien, die 
schon drinnen sitzen, die koennen es sich richten. Da unterschreiben 
drei Abgeordnete und die Sache ist getan. Da muss man schon sagen: 
Gleiches Recht fuer alle! Und die SPOe wuerde sich ja kaum schwer tun, 
die 3000 Unterschriften zu sammeln!"
Von der de facto gueltigen 5%-Huerde fuer den Gemeinderat, wie sie ja 
schon laengst besteht, "will ich da gar nicht erst reden!". Zach redet 
dann doch kurz davon, aber meint generell, dass nicht nur in der KPOe 
schon viele meinten, dass diese Wahlhuerden auf allen Ebenen 
wegmuessten. "Dann koennte man reden von der eklatanten 
Benachteiligung von kleinen und neuen Parteien durch den ORF. Und man 
koennte auch ueber private Zeitungen reden, die Pressefoerderung 
bekommen, ob die nicht auch verpflichtet werden koennten, ueber 
kleinere Gruppierungen zu berichten, die noch nicht im Gemeinderat 
oder Nationalrat sitzen. Man kann auch reden ueber die 
Parteienfinanzierung, da ist ja vor Kurzem eine Aenderung auf 
Bundesebene vollzogen worden, wo sich alle Parteien, die im Parlament 
sitzen, summa summarum eine weitere Erhoehung der Parteienfoerderung 
zugesprochen haben", aber die kleineren wuerden weiter "angeschissen". 
An Baxant gerichtet: "Es wuerde mich interessieren, was du dazu sagst, 
dass es eine Initiative gibt, die vorschlaegt, dass alle Parteien, die 
es schaffen, auf einen Wahlzettel zu kommen, die sollten auf alle 
Faelle einen kleinen Sockelbetrag von den Wahlkampfkosten, die der 
Staat uebernimmt, vorweg zur Verfuegung bekommen?"
Der Sozialdemokrat gesteht daraufhin zwar zu, dass man einiges 
diesbezueglich ueberdenken sollte, besteht aber dann doch darauf, dass 
man hier nicht ueber gleiches Recht sprechen koenne, denn zum Beispiel 
SPOe und KPOe seien nunmal nicht gleich: "Das kann man nicht 
vergleichen, die eine ist gesellschaftlich legitimiert, die andere 
nicht." Und was die geplante Bezirkshuerde angehe, so halte er diese 
Frage zwar nicht fuer "welt- oder stadtentscheidend", dennoch 
versichert er, er werde nochmal ernsthaft mit Schicker und Vassilakou 
reden, ob das wirklich notwendig sei -- wobei er meint, man koenne ihn 
darauf ruhig festnageln, denn schliesslich gaebe es hier ja ein 
Mikrofon, mit dem das alles dokumentiert werde.
Wobei Jurjans dann noch dazubrummt, dass es ihn doch wirklich 
interessieren wuerde, wer denn diese Idee mit der Huerdenerhoehung 
eigentlich gehabt haette: "Alle SPler, die ich gefragt habe, waren das 
nicht, auch der Schicker nicht, also wer wars?"
Zach, der nun ans Wort gekommen waere, gibt, da ja ein Heimspiel, sein 
Stimme an die zuhoerende Runde ab. So bringt es dann auch ein erstes 
Statement aus dem Publikum auf den Punkt: Nachdem es so schwer sei, 
eine neue Partei zu etablieren, stelle sich die Sache so dar: 
"Zumindest ein Drittel derjenigen, die ueberhaupt zu Wahl gehen, 
waehlt nur das kleinere Uebel." Wenn man dann noch bedenke, dass immer 
weniger Leute waehlen gingen, dann stelle sich die Frage -- vom 
Sprecher an Baxant gerichtet: "Wen repraesentiert ihr dann 
eigentlich?"
Der Sozialdemokrat meint darauf, niemand koenne jemals eine Partei 
finden, die in allem seiner Meinung sei. Und "Niemand hat den 
Nichtwaehler aufgefordert, nicht zu waehlen!" Worauf die Stimme aus 
den Publikum mit dem Vergleich eines Supermarkts kontert: "Aber wenn 
nichts im Regal steht, was man will? Man muss dann irgendwas nehmen 
oder gar nix." Dies sei doch auch so etwas wie eine Diktatur. Baxant: 
"Oesterreich ist keine Diktatur, sie koennen ja selbst eine Bewegung 
gruenden". "Die sie dann mit ihren Regeln unterbinden", zeigt sich der 
Sprecher aus dem Publikum wenig beeindruckt.
Eine Sprecherin der Gruen-Abspaltung "Echt gruen" aus der Josefstadt 
(die bei der letzten Wahl von der 5%-Huerde nicht betroffen gewesen 
waere) kommt nochmal zurueck auf das Bezirkethema und Baxants 
Vorstellungen von mehr direkter Demokratie. Denn dafuer muesse man ja 
die Leute auch politisieren. Und derzeit sei nunmal ein erster 
Einstieg in die Politik gerade diese Bezirksebene. Ihre Frage daher: 
"Wenn man die Huerde erhoeht, wie soll man da die Leute fuer Politik 
interessieren?"
Baxant versichert daraufhin zum xten Mal an diesem Abend, dass er eh 
gegen diese Huerde sei, auch deswegen, weil die kleinen Fraktionen 
aufgrund ihrer Unabhaengigkeit auch wichtige "Kreativitaetsgeber" 
seien. Doch er glaube eben nicht, dass man "das Volk 
demokratiepolitisch belebt, wenn man 2 oder 3 neue Parteien" in den 
Gremien habe.
Aber: "Ich moechte in einer Gesellschaft leben, in der sich der 
einzelne Mensch fuer das Gesamtwohl verantwortlich fuehlt." Dies sei 
aber heute nicht der Fall. Und diese politische Apathie im Volk spiele 
eben dem Grosskapital in die Haende. Ausnahmen von der Apathie gaebe 
es leider nur wenige. Bei dieser Gelegenheit lobt der SPOe-Vertreter 
die Gastgeber, dass das Volksstimmefest "eine Sternstunde" 
diesbezueglich sei.
Zuletzt schwaermt Baxant von der "komplementaere Demokratie". Er 
moechte sich eben vermehrt fuer ein dreistufiges 
Volksgesetzgebungsverfahren stark machen, bei dem in Zusammenarbeit 
mit den Parlamenten ab einer gewissen Huerde an 
Unterstuetzungserklaerungen ein Volksentscheid erzwungen werden kann. 
Denn er moechte schon feststellen: "Ich selbst bin als Abgeordneter 
demokratisch legitimiert, aber meine Entscheidungen sind es nicht." 
Und diese Legitimation koennte es eben nur geben durch eine Staerkung 
der plebiszitaeren Demokratieelemente.
Damit ist die Veranstaltung vorbei. Der Berichterstatter packt sein 
Aufnahmegeraet ein und fragt sich, wie es Sozialdemokraten doch immer 
wieder schaffen, sich und andere mit vagen Visionen ueber ihre reale 
Politik hinwegzutroesten.
*Bernhard Redl*
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> Ellensohns Klarstellung
In der Frage der geplanten Bezirkshuerde war in akin 17/2012 auch eine 
harsche Kritik an den Wiener Gruenen zu lesen, diese haetten sich 
bedenklich viel Zeit gelassen, ihr Dementi zu formulieren, dass sie 
keineswegs fuer die Erhoehung waeren, wie das die SPOe behauptet.
Gruenen-Klubchef David Ellensohn hat prompt reagiert: Er will die 
Kritik nicht auf sich sitzen lassen und schreibt in einem Mail an uns, 
dass schon am Tag des Erscheinens der Schicker-Stellungnahme in der 
Online-Ausgabe der "Wiener Zeitung" Klarstellungen seinerseits 
erschienen waeren und tags darauf in der Papierausgabe. Sonst, so 
Ellensohn, habe sich kein Medium interessiert und er waere auf Urlaub 
gewesen. "Interviews mit Kurier, Standard, Presse habe ich am ersten 
vollen Arbeitstag, am 13.August eingehaengt. Wegen Feiertag am 
15.August erschien alles erst am 16.August. Und zur Klarstellung: ich 
bin persoenlich ein Fan des hollaendischen Wahlsystems." Im Bund gelte 
dort, dass ein 150tel der Stimmen eines von 150 Mandaten ergaebe.
Falsch sei jedenfalls dass er eine Woche zur Reaktion gebraucht habe 
und damit widerlege sich der Verdacht "wird schon was dran sein" von 
selbst, so Ellensohn abschliessend.
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Tatsaechlich ist uns das Statement in der Wiener Zeitung entgangen. 
Dennoch bleibt die Frage, wie Schicker dann dazu kommt, gegenueber der 
APA zu behaupten, dass sich die SPOe mit den Gruenen darueber bereits 
einig geworden sei. Hat er vielleicht nicht mit Ellensohn geredet 
sondern mit anderen Gruenen?
Ein Leser unseres Blogs (ein Vertreter von "Echt Gruen" Mariahilf) 
meint dazu: "Der Herr Ellensohn war als Klubobmann direkter 
Verhandlungspartner seines Gegenparts Schicker. Dass er jetzt hoechst 
ueberrascht den Ahnungslosen spielt, ist nicht nur voellig 
unglaubwuerdig, sondern eher schon laecherlich."
Der Verfasser der kritisierten Glosse hingegen meint: Wenn Schicker 
das frei erfunden haben sollte, muessen sich die Gruenen schon fragen, 
was sie sonst noch alles in dieser Koalition zu gewaertigen haben 
werden.
-br-
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