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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 28. August 2012; 22:16
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  Debatten:
  
  > Gruene im Sommerloch
  
  Der Sommer war lang. Zeit genug fuer die Gruenen, ganz seltsame 
  Statements abzugeben.
  
  Im Juli kam das Sozialministerium heraus mit der geplanten neuen 
  Regelung, wonach die temporaere Invaliditaetspension abgeschafft 
  werden solle. Zuerst sollte das nur fuer Menschen unter 50 gelten, 
  dann stellte sich heraus, dass damit einfach nur ein Stichtag gemeint 
  sei, dass ab 2014 eben nur mehr Menschen, die vor 1964 geboren sind, 
  zeitweilige Invaliditaetspension bekommen sollen. Stattdessen soll ein 
  "Rehabilitationsgeld" eine Zeitlang gewaehrt werden, das aber 
  natuerlich an die Inanspruchnahme von Rehabmassnahmen geknuepft sein 
  soll. Sprich: 'Irgendwie werden wir diese Kranken schon wieder fuer 
  die Verwertung durch den Arbeitsmarkt fit bekommen. Und dann mit ihnen 
  ab ins AMS, wo sie Jobs zugewiesen bekommen, die fuer sie ungeeignet 
  sind, die sie dann aber nicht mehr ablehnen koennen. Waere ja noch 
  schoener, wenn wir denen vielleicht ansonsten sogar dauerhaft 
  Invaliditaetspension zahlen muessten.'
  
  Ein Protest des gruenen Sozialsprechers waere eigentlich zu erwarten 
  gewesen. Stattdessen kam Folgendes ueber APA-OTS: "'Der erste Eindruck 
  zur Reform der Invaliditaetspension ist positiv. Es ist etwa definitiv 
  ein grosser Fortschritt, dass kuenftig bei einer voruebergehenden 
  schweren Erkrankung oder Invaliditaet ein wirklicher Anspruch auf 
  Rehabilitationsleistungen besteht', sagt Birgit Schatz, 
  ArbeitnehmerInnensprecherin der Gruenen, bezueglich der Reform der 
  Invaliditaetspension."
  
  Nichtgenuegend, setzen! Es geht nicht um Ansprueche, es geht um 
  Verpflichtungen -- und das ist etwas ganz anderes. Ist die Schlange am 
  AMS noch nicht lang genug?
  
  
  Baerendienst fuer die Legalize-Bewegung
  
  Auch beim ORF-Sommergespraech am 20.August war heftiges 
  Fettnapfgestrampel angesagt. Und das obwohl Armin Wolf in 50 Minuten 
  ja nicht gerade viele konkrete Fragen zu inhaltlichen Themen an 
  Gruenen-Chefin Eva Glawischnig gehabt hatte -- eine der wenigen war 
  der Schwenk Glawischnigs in der Frage der Cannabis-Legalisierung. Da 
  war ploetzlich zu hoeren, es habe "sich einiges weiterentwickelt, vor 
  allem was die wissenschaftliche Bewertung der Substanzen betrifft" -- 
  und deswegen seien "die Gruenen" nur mehr fuer Entkriminalisierung und 
  nicht fuer Legalisierung. Wolf beharrt auf dem Parteiprogramm, wo 
  eindeutig die Legalisierung gefordert wurde -- Glawischnig meint, man 
  muesse das Programm nicht mehr so ernst nehmen, weil ja auch andere 
  dort festgeschriebene Positionen von den Gruenen nicht mehr vertreten 
  werden.
  
  Einmal abgesehen davon, dass man sich dann schon fragt, wozu 
  eigentlich ein Parteiprogramm nuetze ist, wenn dessen Inhalt eh 
  wurscht, haben sowohl Wolf als auch Glawischnig elegant eine Klippe 
  umschifft. Wortwoertlich steht im Parteiprogramm naemlich folgendes: 
  "Daher fordern die Gruenen eine Legalisierung von Cannabis, da das 
  Gefaehrdungspotenzial im Verhaeltnis zu den Auswirkungen des Verbots 
  gering ist. Jede Kriminalisierung von DrogenkonsumentInnen ist mit 
  Sicherheit kontraproduktiv, fuehrt zu sozialer Ausgrenzung und wird 
  von den Gruenen strikt abgelehnt." Es wird also nicht nur die 
  Legalisierung von Cannabis gefordert, sondern auch die 
  Entkriminalisierung aller illegaler Drogen, also auch Heroin, Kokain 
  und Co.
  
  Das ist aber schon eine ganz andere Ansage: Denn dass Menschen enorme 
  Schwierigkeiten bekommen, weil sie einmal wegen eines 
  Suchtgiftsdelikts angezeigt worden sind, betrifft ja nicht nur 
  Cannabis -- die Argumentation, man sei fuer Entkriminalisierung, um 
  Menschen nicht ihre Zukunft zu verbauen, gilt fuer alle illegale 
  Drogen. Und genau deswegen steht das auch so im Parteiprogramm -- 
  davon reden aber weder Interviewer noch Interviewte.
  
  Dass Glawischnig im Namen der Gruenen aber diese Position geaendert 
  hat, ist wahrscheinlich weder auf die von ihr einmal einfach so 
  behauptete "wissenschaftliche Bewertung" noch auf Patschertheit 
  zurueckzufuehren -- dazu ist Glawischnig zu schlau --, sondern beruht 
  auf einem messerscharfen Kalkuel: Wie spreche ich Jungwaehler und 
  Progressive an, ohne die Buergerlichen allzusehr zu verschrecken? 
  Genau so: Ich bringe das Thema wieder aufs Tapet, verbreite aber 
  Pragmatismus und erklaere das Joint-Rauchen zu einer laesslichen, aber 
  eben zu Recht verbotenen Jugendsuende.
  
  Dass sie damit aber der Legalize-Bewegung einen Baerendienst erbringt, 
  ist ihr wohl egal. Denn die Botschaft ist klar: Auch die Gruenen sind 
  mittlerweile draufgekommen, dass das Cannabis-Verbot aufrecht erhalten 
  werden muss. Die Reaktionen darauf waren absehbar, wie eine Aussendung 
  des Wiener FP-Gemeinderats Gerhard Haslinger am Tag nach dem Gespraech 
  klarmacht. Der meinte: "Auch die Einsicht von Gruenen-Chefin 
  Glawischnig, dass sie nicht mehr fuer die Legalisierung von Cannabis 
  und Marihuana eintritt, zeigt den Ernst der Lage. Sie rechtfertigte 
  den Meinungsschwenk damit, dass sich die wissenschaftliche Bewertung 
  veraendert haette. Richtig ist aber vielmehr, dass der Konsum von 
  Hanfprodukten eine hohe Empfaenglichkeit fuer eine Suchtentwicklung 
  unterstuetzt und diese daher als Einstiegsdroge gelten".
  
  Bravo, die Prohibitionisten haben wieder Aufwind -- nachdem 
  Glawischnig nicht vom Rest des Gruenen Nationalratsklubs oeffentlich 
  wiedersprochen wurde (was beim immer noch geltenden 
  Tuts-doch-nicht-streiten-Diktum van der Bellens auch kein Wunder ist), 
  heisst das, dass jetzt wieder nur Parteien im Nationalrat vertreten 
  sind, die das Verbot von Cannabis (und auch die Kriminalisierung der 
  Verbraucher von anderen illegalen Drogen) aufrechterhalten wollen.
  
  
  Spaete Einsicht in Wahlrechtsfragen
  
  Und zuletzt sei ein Statement der Wiener Gruenen erwaehnt, dass 
  verdaechtig spaet gekommen ist. Denn die Rathaus-SPOe wusste schon am 
  8.August zu berichten, was die Gruenen so denken. Denn SP-Klubchef 
  Schicker verkuendete Details der lange geplanten Wahlrechtsreform, 
  ueber die man sich mit dem gruenen Koalitionspartner schon geeinigt 
  habe. Unter anderem solle das Bezirkswahlrecht so geaendert werden, 
  dass wahlwerbende Listen nur mehr in die Bezirksvertretung einziehen 
  koennten, wenn sie eine 5%-Huerde ueberwinden. Bislang war es ja so, 
  dass auch relativ kleine Gruppierungen ohne maechtige 
  Bundesrepraesentanz Bezirksraete stellen konnten - vor allem waren das 
  lokale Initiativen und die KPOe. Derzeit besetzt letztere dank dem 
  gueltigen Wahlrecht in 3 Bezirken jeweils ein Mandat.
  
  Klar ist, dass eine solche Neuregelung vor allem den Gruenen zugute 
  kaeme, da Stimmen fuer diese Kleingruppierungen in Hinkunft als 
  "verloren" gelten wuerden und das naechstgeringer Uebel fuer diese 
  Waehlerschicht eben zumeist die Gruenen waeren. Daher waere also ein 
  Interesse der Gruenen daran wenig verwunderlich.
  
  Von selbst reagierten die Gruenen erst einmal gar nicht auf die 
  Erklaerungen Schickers. Erst nach massivem Nachbohren bei diversen 
  gruenen Stellen liess sich das "Dialogbuero" dazu herab, die 
  Akkordierung zu bestreiten -- das war es aber auch schon. Ein paar 
  Nachbohrversuche und Proteste auch von gruenen Basiswapplern spaeter 
  kam die Stellungnahme, man sei nicht fuer das Einfuehren einer 
  Huerde -- allerdings nur in einer sehr versteckten 
  Facebook-Diskussion. An den OTS-Ticker schafften sie es leider nicht.
  
  Erst eine Woche spaeter schaffte es Gruenen-Klubchef Ellensohn in 
  Interviews in "Standard" und "Presse" Flagge fuer ein liberales 
  Wahlrecht zu zeigen: "Die oesterreichische Tradition, dass viele 
  kleine Parteien und Listen auf kommunaler Ebene vertreten sind, finde 
  ich gut. Das will ich nicht unbedingt erschweren. In Wien waeren davon 
  derzeit sechs Bezirksraete von rund 1100 betroffen. Ich glaube nicht, 
  dass wir dafuer eine Wahlrechtsaenderung brauchen."
  
  Lieber David, das ist loeblich, war aber viel zu spaet. Moeglich, dass 
  das Sommerloch und die Unterbesetzung der Parteibueros an dieser 
  Verspaetung schuld waren. Dennoch: Wenn mein Koalitionspartner von mir 
  behauptet, ich haette mit ihm etwas abgesprochen, muss ich sofort 
  reagieren, wenn das nicht der Wahrheit entspricht. Und so bleibt der 
  Verdacht an den Wiener Gruenen kleben, dass das sehr wohl abgesprochen 
  gewesen sein koennte, aber erst nach den Protesten revidiert worden 
  war. Und man wird sich genau anschauen muessen, wie die Gruenen sich 
  verhalten, wenn es dann ernst wird mit der Wahlrechtsaenderung. Denn: 
  Nachtigall, ick hoer dir schon wieder trampeln!
  
  
  Resuemee
  
  Ja, ich weiss: Immer bin ich so kritisch gegenueber den Gruenen. Aber 
  sie sind nunmal jene Partei, die beim p.t. Publikum der akin besonders 
  praeferiert wird. Daher muessen wir sie uns eben genauer anschauen. 
  Schon jetzt sind sie in manchen Laendern und Gemeinden 
  Regierungspartei und sie wollen es auch im Bund werden. Da muss man 
  ihnen bei jedem Bloedsinn auf die Finger klopfen, aber auch wenn es 
  nur mit dem federleichten Rohrstaberl der akin ist. Und wenn halt im 
  Sommerloch vieles untergeht, ist es wohl angezeigt, das im Herbst 
  wieder in Erinnerung zu rufen.
  *Bernhard Redl*
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Update 31.8.2012: Siehe auch im akin-Newsfeed:
  http://akinmagazin.wordpress.com/2012/08/31/stellungnahme-david-ellensohns-zur-akin-kritik/ 
  
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