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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. Juni 2012; 01:11
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> Wiener Rassistengedenken
Ueber die Politik der Strassenbenennungen
Viele sind achtsamer im Umgang mit Worten geworden. Es ist eben nicht 
egal, wenn ich in der Konditorei einen "Mohr im Hemd" verlange. Und 
jenen, die sich darueber lustig machen, wenn "Gutmenschen" 1) diese 
Bezeichnung einer Suessspeise ablehnen, sei Victor Klemperers Buch 
"LTI" empfohlen, der am Beispiel Deutschland 1933 und den Folgejahren 
genauestens beschrieb, wie sich die oeffentliche Sprache veraenderte 
und damit Denken und Handeln.
Ebenso ist es mit der Bezeichnung von Strassen, Gassen und Plaetzen 
einer Gemeinde. Im oeffentlichen Raum wird in den ueberwiegenden 
Faellen an Persoenlichkeiten aus Politik, Wirtschaft, Wissenschaft und 
Kunst erinnert. So wie die Architektur (oder auch Plakatwerbung...) 
unbewusst unser aller aesthetisches Wahrnehmungsvermoegen beeinflusst, 
praegen Strassennamen unbewusst unser historisches "Wissen".
Es ist ein Unterschied, ob eine Strasse nach einem Antisemiten wie 
Johann Ignaz Arnezhofer (1640-1679) benannt ist oder nach der 
Widerstandskaempferin Selma Steinmetz (1907-1979).
Unlaengst wurden in Wien-Donaustadt Strassen und Gassen eines ganzen 
Viertels nach Widerstandskaempferinnen benannt (ja, ausschliesslich 
nach Frauen im Widerstand. Stimmenthaltung -- ja, warum nur -- von den 
FP-Bezirksraeten; laut Eigendefinition gibt es nur BezirksRAeTE --  
Klemperer schau oba).
Der Historiker Univ-Prof. Oliver Rathkolb erhielt nun den Auftrag die 
Namen und Geschichte der ca. 5000 Wiener Strassen, Gassen und Plaetze 
zu untersuchen. Wie als "Auftakt" dazu, wurde jetzt der Dr.Karl- 
Lueger-Ring in Universitaets-Ring umbenannt (mit allen dazu erwarteten 
Protesten der Rechten).
Geschichte beginnt dort, wo ich wohne. Bisher tat sich die Gemeinde 
"schwer", Strassen und Plaetze nach WiderstandskaempferInnen zu 
benennen. Ende der 70er-Jahre gab es in einer Bezirkszeitung des 
15.Bezirks einen Aufruf: Der Vogelweidpark vor der Stadthalle sollte - 
mit Buergerbeteiligung - einen neuen Namen erhalten. Um 
Namensvorschlaege wurde gebeten. Eine Initiave von Jugendlichen 
sammelte binnen kurzer Zeit 500 Unterschriften, mit dem Vorschlag, den 
Platz nach Alfred Fenz aus Wien-Fuenfhaus (* 1920, als 
Widerstandskaempfer hingerichtet 1943) zu benennen. Was sich dann 
abspielte, ist eine eigene und unglaubliche Geschichte. Jedenfalls: 
Eine Namensaenderung gab es in der Folge nicht...
Es wird argumentiert, Namensaenderungen koennten aus Kosten- und 
anderen Gruenden nicht realisiert werden. Etwa als es den Vorschlag 
gab, den gesamten Platz vor der Votivkirche nach Sigmund Freud zu 
benennen. Peinlich waren die Diskussionen, als - urspruenglich -- ein 
neuer Park (Denzelgruende) an der Wienzeile nach dem Kabarettisten 
Fritz Gruenbaum (* 7.April 1880 in Bruenn; ermordet am 14.Januar 1941 
im KZ Dachau) benannt werden sollte. (1)
Im "heute" war zu lesen, dass sich Geschaeftsleute ueber die 
Umbenennung des Karl-Lueger-Rings beschweren, weil ihnen das Kosten 
verursache. In diesem Zusammenhang interessiert schon die Geschichte 
der arisierten Immobilien des Luegerrings bzw. die Frage, ob einige 
dieser (anonymen) Beschwerdefuehrer in einst arisierten Objekten 
residieren.
Warum wurde der Platz vor der Leopoldskirche nach dem Pfarrer 
Alexander Poch benannt (er uebernahm die Pfarre 1938)? Es gibt die 
Begruendung, er haette verfolgten juedischen Familien geholfen. 
Nachfragen um konkrete Belege bei der Pfarre, beim Erzbischof, an der 
Theologischen Fakultaet, Radio Stephansdom usw. blieben unbeantwortet. 
Im Stadtarchiv liegen die Antraege zur Platzbenennung nach Poch (der 
ja vielleicht durchaus ein netter Mensch gewesen ist). Urspruenglich 
wurde als Begruendung NUR sein Wirken als Pfarrer angegeben. Das war 
zu wenig. Dann kam eine neue Begruendung: Er haette waehrend "schwerer 
Zeiten" (???) die Pfarre vielen Verfolgten als Unterschlupf zur 
Verfuegung gestellt. Wem? Vielleicht 1945 den zahlreichen 
Naziverbrechern, die im 2. Bezirk lebten? Schliesslich wurde zwei 
Jahre spaeter nachgereicht, er haette verfolgten Juden geholfen. 
Welchen? Dann waere sein Namen ja ein Vorschlag fuer die posthume 
Auszeichnung als "Gerechter der Voelker"... Dafuer fehlen bisher 
Nachweise.
An wie viele "Gerechte der Voelker" aus Wien wird derzeit in Form von 
Strassenbenennungen erinnert? Ausser an Ella Lingens (1908 - 2002)? 
(1)
Bis 1938 gab es zahlreiche Strassen, die an die Leistungen von Juden 
erinnerten. Alle diese Strassennamen wurden damals geaendert. Nur 
wenige wurden nach 1945 wieder rueckbenannt. Weswegen die anderen 
nicht? (2)
*Gerald Grassl* (gek.)
*
Anm. akin:
1) Die ganze Geschichte um den Doch-nicht-Gruenbaum-Park ist in akin 
5/2002 nachzulesen, http://akin.mediaweb.at/2002/05/38get.html
2) Zumindest gibt es noch die Anton Schmid-Promenade in der 
Brigittenau schon seit mindestens 10 Jahren, nach ihm ist auch ein 
Gemeindebau benannt.
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