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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. Juni 2012; 01:37
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Paraguay:

> Stroessners Erben

Am Freitag wurde in Asunción der bisherige Praesident, ein
Befreiungstheologe und ehemaliger Bischof, vom Parlament gestuerzt. Er
war seit 1954 der erste Regierungschef gewesen, der nicht von der
Colorado-Partei gestellt worden war. Die Umstaende legen nahe, dass er
gehen musste, weil er den Familien, die unter Diktator Stroessner zu
Reichtum und Einfluss gekommen waren, ein Dorn im Auge war. Der Sturz
des Praesidenten koennte auch beachtliche Folgen fuer die
Integrationsbestrebungen der suedamerikanischen Staaten haben.

Die Hintergruende beleuchtet ein Bericht der
*Rosa-Luxemburg-Stiftung*:
*

Am Abend des 22. Juni 2012 hat der paraguayische Senat den gewaehlten
Praesidenten Fernando Lugo, im Rahmen eines "politischen
Gerichtsverfahrens" als unfaehig zur Amtsausuebung verurteilt, nur
wenig spaeter wurde Vizepraesident Frederico Franco vereidigt.
Innerhalb von nur 24 Stunden wurde das seit langem befuerchtete
Verfahren umgesetzt -- Praesident Lugo selbst bezeichnete es als
"Express-Staatsstreich".

Ausloeser der aktuellen Krise waren die Vorkommnisse am 15.6.2012 um
die Besetzung des Landgutes Nr. 9 des Colorado-Politikers Blas N.
Riquelme in Curuguaty. Unter bis heute nicht

geklaerten Umstaenden kam es zu bewaffneten Auseinandersetzungen, die
18 Todesopfer und Dutzende Verletzte zur Folge hatten. Unter den Toten
waren 12 Bauern und 6 Polizisten. Nach Angaben von
Bauernorganisationen eroeffneten private Sicherheitskraefte der Finca
das Feuer, die rechte Opposition macht die Besetzer selbst
verantwortlich. Die Toten wurden zunaechst von BewohnerInnen der
Region gefunden, nach Aussagen von NachbarInnen befanden sich unter
den Opfern auch Menschen aus der Region, die nichts mit der
Landbesetzung zu tun hatten.

Praesident Lugo erklaerte sein Bedauern und versprach moeglichst
rasche Aufklaerung. Neun Personen wurden verhaftet und der Verletzung
privaten Eigentums sowie des Mordes angeklagt. Das Massaker loeste
Proteste im ganzen Land aus. Menschenrechtsorganisationen und soziale
Bewegungen reagierten mit Stellungnahmen, in denen sie die lueckenlose
Aufklaerung der Vorkommnisse, die Unterstuetzung der Familien der
Todesopfer, die kostenfreie Behandlung der Verletzten und die
Bestrafung der Schuldigen forderten und Gewalt als Mittel politischer
und sozialer Auseinandersetzungen entschieden zurueckwiesen. Sie
verwiesen jedoch auch darauf, dass die Tragoedie von Curuguaty nicht
als Einzelfall zu sehen sei, sondern eine Folge der ungeloesten
Landkonflikte darstellt. "Die Landkonzentration in den Haenden einer
privilegierten Minderheit, die Ausbreitung des Sojaanbaus und des
Agrobusiness sind die Ursachen der gravierenden sozialen Konflikte",
so Abel Irala von der Menschenrechtsorganisation SERPAJ. Seit Ende der
Diktatur wurden nach Angaben der Nationalen Menschenrechtskoordination
CODEHUPY 124 Bauern im Rahmen von Landkonflikten getoetet.

Nachweislich gehoert die Finca Nr. 9 zu den sogenannten "tierras mal
habitadas" -- Laendereien, die unter juristisch zweifelhaften oder
ungesetzlichen Vorgaengen waehrend der Stroessner-Diktatur zwischen
1963 und 2003 an Anhaenger des Regimes vergeben wurden1. Im Fall der
Finca wurden 2004 und 2010 Untersuchungen angestellt, die zum Ergebnis
hatten, dass das Land rechtmaessig dem paraguayischen Staat gehoert
und fuer die Agrarreform genutzt werden muss. Die Besetzer waren also
tatsaechlich nicht die landlosen Bauern, sondern Blas N. Riquelme.
Praesident Lugo hatte 2011 angekuendigt, gemeinsam mit der fuer die
Agrarreform zustaendigen Behoerde INDERT die Frage der "tierras mal
habitadas" in Angriff zu nehmen. Dies wurde von der Landoligarchie,
dem Agrobusiness und der rechten Opposition als Kampfansage
verstanden -- denn es geht hier um 19,3% des paraguayischen
Territoriums -- die umstrittenen 7.851.295 Hektar entsprechen mehr als
einem Drittel der landwirtschaftlichen Nutzflaeche.

Als unmittelbare Folge der Tragoedie von Curuguaty entliess Praesident
Lugo den Innenminister Filizzola und ersetzte ihn durch den ehemaligen
Generalstaatsanwalt Rubén Candia Amarilla. Ob diese Entscheidung ein
Versuch war, die politische Krise zu entschaerfen und die rechte
Opposition zu besaenftigen, ist schwer zu sagen. Candia Amarilla gilt
als Vertreter der "harten Linie" gegenueber sozialen Protesten und als
einer der Protagonisten der Kriminalisierung der sozialen Bewegungen.
CODEHUPY wies seine Ernennung entschieden zurueck. Am 21.6.
verkuendete die Koalitionspartei Lugos, die PLRA (Partido Liberal
Radical Auténtico)ihren Austritt aus der Koalition und schloss sich
der Forderung der rechten Opposition nach einem politischen Gericht
ueber die Amtsfuehrung des Praesidenten Lugos an.

Das in der paraguayischen Verfassung vorgesehene Instrument des
"politischen Gerichts" kann nur eingesetzt werden, wenn dem zwei
Drittel der beiden Kammern -- Abgeordnetenhaus und Senat -- zustimmen.
Angesichts der Kraefteverhaeltnisse im paraguayischen Parlament
bestand daran nach der Entscheidung der PLRA allerdings kein
Zweifel -- Lugos eigene Basis verfuegt lediglich ueber einen
Abgeordneten (von 80) und drei Senatoren (von 45). Bereits waehrend
der Abstimmung im Abgeordnetenhaus am 21.6. versammelten sich Tausende
vor dem Parlament zu einer friedlichen Demonstration zur Verteidigung
des demokratischen Prozesses und des rechtmaessig gewaehlten
Praesidenten.

Eine Delegation der Aussenminister der UNASUR (1) reiste noch am 21.6.
nach Asunción, um den Konflikt zu entschaerfen. In einer am 22.6.
veroeffentlichten Erklaerung mussten sie jedoch zu dem bitteren
Schluss kommen, dass "weder die Gespraeche mit Federico Franco und
weiteren Oppositionspolitikern positive Antworten bezueglich der
Einhaltung von demokratischen Regeln und der Garantie eines
rechtmaessigen Prozesses" erbrachten. Folgerichtig sieht die UNASUR
die Vorgaenge als Verletzung des Zusatzprotokolls zum Statut der
UNASUR ueber die Verpflichtung zu Demokratie an und kuendigt eine
Pruefung weiterer Schritte an. "Die Mission der Aussenminister
bekraeftigt seine umfassende Solidaritaet mit dem paraguayischen Volk
und seinen Rueckhalt gegenueber dem verfassungsmaessigen Praesidenten
Fernando Lugo."

Seltsames Eilverfahren

Tatsaechlich ist die aus fuenf Punkten bestehende Anklage des
Praesidenten ein Dokument, das nicht nur persoenliche Beleidigungen
und unbewiesene Vorwuerfe enthaelt, sondern auch klar gegen
lateinamerikanische Integrationsbestrebungen gerichtet ist -- sowohl
UNASUR las auch CELAM sind der paraguayischen Rechten seit langem
verhasst. So heisst es in der Anklage: "Eindeutig hat die Amtsfuehrung
des Praesidenten Lugo die hoechsten Interessen der Nation in enormer
Weise geschaedigt, und wenn sie weitergefuehrt wird, ist das
friedliche Zusammenleben des paraguayischen Volkes und die Geltung der
verfassungsmaessig garantierten Rechte aufs Aeusserste gefaehrdet. Es
ist daher ueberfaellig, den Praesidenten der schlechten Amtsfuehrung
anzuklagen". Konkretisiert wurde die Anklage in fuenf Punkten:

1. Genehmigung und Beteiligung von Regierungsvertretern bei einem
Treffen sozialistischer Jugendlicher in einer Kaserne im Jahr 2009,
bei dem "zum Klassenkampf aufgerufen" wurde.

2. Fehlende Unterstuetzung der Polizeikraefte bei Einsaetzen gegen den
"Angriff von Landlosen auf das Privateigentum in Grenzregionen", wobei
Lugo vorgeworfen wird, sich zum "Komplizen der Verbrecher" gemacht zu
haben

3. Absolute Unfaehigkeit, eine Politik der staatsbuergerlichen
Sicherheit durchzusetzen. Unter diesem Anklagepunkt wird Lugo die
direkte Verbindung mit der mutmasslichen Guerrilla "Ejercito Paraguayo
del Pueblo" vorgeworfen.

4. Unterzeichnung des Zusatzprotokolls des Statuts der UNASUR, mit dem
sich nach Auffassung der Anklage "die Praesidenten (der
UNASUR-Staaten) gegenseitig schuetzen".

5. Verantwortung fuer das Massaker von Curuguaty. Dem Praesidenten
wird nicht nur Unfaehigkeit, sondern vorsaetzliches Handeln
unterstellt: "Es handelte um eine Falle fuer die Sicherheitskraefte,
Ergebnis eines sorgfaeltig durchgefuehrten Planes. Aufgrund ihrer
Komplizenschaft und Handlungsunfaehigkeit ist die Regierung Lugo
direkt fuer die Krise verantwortlich, die unser geliebtes Vaterland
heute durchlebt"

Nach Auffassung der ehrenwerten Herren Senatoren ist die Anklage nicht
nur ueberfaellig, sondern bedarf auch keiner Beweise; in Punkt 3 der
Anklageschrift heisst es: "Alle genannten Gruende sind oeffentlich
bekannt, daher muessen sie unserer juristischen Ordnung nach nicht
bewiesen werden." Am Abend des 22.6.2012 wurde Lugo aller angeklagten
Punkte schuldig gesprochen und als Praesident abgesetzt. Die
Vereidigung des bisherigen Vizepraesidenten Frederico Franco folgte
wenig spaeter. Franco lehnte die Anklage, es handele sich um einen
Staatsstreich, ab, und erklaerte das Verfahren des "politischen
Gerichts" als verfassungsgemaess, auch wenn die Situation
international zu "einigen Unannehmlichkeiten" gefuehrt haette. Dies
sieht die paraguayische Linke anders: Die Frente Guasú, das Buendnis
von 29 linken Parteien und sozialen Bewegungen, erklaerte darauf, die
neue Regierung nicht anzuerkennen und bat um internationale
Unterstuetzung.

Internationale Kritik

Geteilt wird diese Haltung von den Regierungen Argentiniens,
Boliviens, Ecuadors, der Dominicanischen Republik, Nikaraguas und
Venezuelas, die den Staatsstreich verurteilen und die Anerkennung der
neuen Regierung ablehnen. Die brasilianische Regierung vermied in
ihrer Stellungnahme den Begriff "Staatsstreich" und nannte den Vorgang
Impeachment, verurteilt das Verfahren jedoch ebenfalls aufgrund
fehlender Transparenz und Rechtstaatlichkeit. Auch die
Interamerikanische Menschenrechtskommission lehnt den Staatsstreich
als "Gefaehrdung der Demokratie" ab. Lediglich die kolumbianische
Regierung sah in dem Verfahren keine "Unterbrechung des demokratischen
Prozesses", Praesident Santos mahnte aber immerhin, dass "die legalen
Verfahren nicht missbraeuchlich benutzt" werden duerften.

Sowohl die UNASUR als auch der suedamerikanische Staatenbund Mercosur
erwaegen Sanktionen, die von einer zeitweiligen Suspendierung der
Mitgliedschaft Paraguays bis hin zu Ueberlegungen eines formellen
Ausschlusses Paraguays reichen. Die Mercosur-Staaten werden darueber
beraten. Die Teilnahme des neuen Praesidenten scheint fraglich, dafuer
wird von den Mitgliedsstaaten erwogen, Fernando Lugo einzuladen und
damit dessen rechtmaessige Praesidentschaft zu unterstuetzen.

Sowohl in der Hauptstadt Asunción als auch in vielen anderen Staedten
Paraguays kam es zu Protesten, die von der Polizei mit Wasserwerfern
und Traenengas aufgeloest wurden. Fernando Lugo rief zu friedlichen
Protesten auf: "Hier haben sie nicht Lugo gestuerzt, sie haben die
Demokratie gestuerzt." erklaerte er auf einer Kundgebung. Er
akzeptiere das Urteil jedoch, um Gewalt -- wie sie 1999 bei Sturz von
Praesident Raúl Cubas Grau ausbrach -- zu verhindern.

Bereits am naechsten Tag wurde die Bildung einer Frente por la Defensa
de la Democracia verkuendet, der neben den in der Frente Guasú
vereinigten Parteien und Bewegungen weitere soziale und politische
Organisationen sowie Bauernbewegungen angehoeren.

Der weitere Fortgang der Ereignisse ist ungewiss -- klar ist, dass der
2008 eingeleitete demokratische Prozess in hoechster Gefahr ist und
die demokratischen Kraefte Paraguays internationale Unterstuetzung
brauchen.
(Kathrin Buhl, Rosa-Luxemburg-Stiftung im Regionalbuero Brasilien,
Argentinien, Chile, Paraguay und Uruguay, 24.6.2011 /bearb.)


(1) Anm. akin: UNASUR ist die Union Suedamerikanischer Nationen,
Mitglieder sind alle Staaten des Kontinents. UNASUR strebt eine
politische Union analog der EU an.


Quelle:
http://www.rosalux.de/fileadmin/rls_uploads/pdfs/sonst_publikationen/Buhl_Staatsstreich-Paraguay.pdf



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