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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 27. Juni 2012; 01:01
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Fiskalpakt:

> OeGB deutscher als die Deutschen?

Was in Oesterreich fehlt: Ein klares NEIN der Gewerkschaften zum
Fiskalpakt. Was in Deutschland geht: genau das.
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Der OeGB wird gegen den Fiskalpaktbeschluss im Oesterreichischen
Parlament, der mit Anfang Juli droht, nichts unternehmen. Das ist nach
dem OeGB Vorstand vom 21. Juni 2012 klar. Und das, obwohl es eine
Beschlusslage in der AK gibt, wonach der "... Fiskalpakt nicht als
taugliches Instrument, mit dem die richtigen Konsequenzen aus der
Krise gezogen wuerde ..." gesehen wird und "anstelle einer uebereilten
Ratifikation" eine "breit gefuehrte Auseinandersetzung im Rahmen der
parlamentarischen Behandlung" mit dem Ziel, "die moeglichen
Auswirkungen des Fiskalpakts auf die ArbeitnehmerInnen umfassend zu
bewerten" gefordert wird. Eine Position bzw. Sichtweise, der sich
einige Vorstandssitzungen zuvor auch der OeGB angeschlossen hat. Nicht
nur, dass diese Beschlusslage weitgehend ignoriert wird. Nein,
vielmehr gibt es auch ein gewisses Verstaendnis fuer das deutsche
Beharren auf einen rigiden Sparkurs, wuerde doch Deutschland auch den
Grossteil der Kosten fuer die Eurorettung zahlen.

Schon in einer gemeinsamen Pressekonferenz von OeGB und AK wurde
seitens des OeGB-Praesidenten jede Aufforderung an
Nationalratsabgeordnete - auch an solche, die aus den Gewerkschaften
kommen - ein bestimmtes Abstimmungsverhalten an den Tag zu legen,
abgelehnt. Das habe keine Tradition in Oesterreich hiess es. Was
natuerlich dahingehend absurd ist, stellt doch jeder zweite
beschlossene AK Antrag eine Aufforderung gegenueber "der Politik" dar,
bestimmte Massnahmen bzw. Handlungen zu setzen. Es ist ja schliesslich
eine zentrale Aufgabe der AK und der entsprechenden AK-RaetInnen,
Forderungen an die Politik zu formulieren. Und wer ist die Politik?
Richtig, Abgeordnete und Regierende auf Bundes, Laender,
Gemeindeebene.

Blick nach Deutschland. Wie halten es dort die Gewerkschften mit dem
Fiskalpakt, und der Rolle der Abgeordneten in dieser Causa?
Interessant: Das Verstaendnis der deutschen GewerkschaftskollegInnen
mit dem rigiden Merkelschen Sparvorgaben, die ihren Ausdruck im
Fiskalpakt finden, ist doch tatsaechlich deutlich schwaecher
ausgepraegt als in Oesterreich. Um nicht zu sagen: ueberhaupt nicht
gegeben. Und hinsichtlich der Einflussnahme auf den parlamentarischen
Entscheidungsprozess zeigen sich die deutschen Gewerkschaften deutlich
weniger zurueckhaltend als die oesterreichischen. Gerade auch
gegenueber den Abgeordneten.

Verdi: "Wir fordern Sie auf, dem Fiskalpakt nicht zuzustimmen ..."

In einem Schreiben vom 11. Juni 2012 wendet sich die deutsche
Dienstleistungsgewerkschaft Verdi - die groesste Einzelgewerkschaft
Europas - an die Abgeordneten zum deutschen Bundestag. Thema: die
kommende Abstimmung zum Fiskalpakt. Die eindeutige Botschaft an die
VolksvertreterInnen: "Wir fordern Sie auf, dem Fiskalpakt nicht
zuzustimmen", weil dieser ein Instrument sei, "... das die Demokratie
schwaecht, oekonomisch schaedlich und sozial unvertraeglich ist."
Unterzeichnet vom Verdi-Vorsitzenden Frank Bsirske.

Verdi-Vorsitzender Bsirke hat sich uebrigens - wie Verdi als Ganzes -
schon zuvor kritisch und ablehnend gegenueber dem Fiskalpakt
geaeussert. Im Anhang an den Brief findet sich eine gut
durchargumentierte, kurzgefasste Stellungnahmen von Verdi zum
Fiskalpakt (eine des OeGB in diesem Umfang wird frau/mann uebrigens
vergeblich suchen). In dieser heisst es unter anderem: "Der Fiskalpakt
sieht keine Kuendigungsklausel vor. Einzelnen Mitgliedsstaaten ist
nicht moeglich, den Vertrag einseitig zu kuendigen ... Somit erhaelt
der Fiskalpakt eine Ewigkeitsgarantie, die die Souveraenitaet der
Staaten unterhoehlt." und "Der Fiskalpakt schraenkt das 'Koenigsrecht'
der Parlamente - das Recht, den eigenen Haushalt zu gestalten - massiv
ein und uebertraegt staatliche Rechte auf die nicht gewaehlte
EU-Kommission."

Unter dem Kapitel "Der Fiskalpakt ist oekonomisch schaedlich" fuehrt
Verdi unter vielen andern Punkten an: "Der Fiskalpakt zielt darauf ab,
oeffentliche Aufgaben ohne Neuverschuldung zu finanzieren ... In einer
robust wachsenden Volkswirtschaft mit sprudelnden Steuereinnahmen kann
dieses Ziel erreicht werden. Ein solcher Zustand ist aber nicht die
Regel. Wenn die Wirtschaft schrumpft und der Staat versucht, den
sinkenden Steuereinnahmen hinterher zu sparen, dann beschleunigt sich
die wirtschaftliche Talfahrt. Der Fiskalpakt ignoriert den engen
Zusammenhang von Staatsausgaben und Konjunktur". Und: "Darueber hinaus
beschneidet der Fiskalpakt die oeffentlichen Investitionen. Europas
Finanzminister duerfen nicht mehr in Bildung, Gesundheit,
Infrastruktur oder Umwelt investieren, wenn dadurch Schuldengrenzen
verletzt werden". Schliesslich: "Der Fiskalpakt wird das
selbstgesetzte Ziel, die Staatsverschuldung nachhaltig abzubauen,
nicht erreichen. Er fuehrt am Ende sogar zu einer hoeheren
Staatsverschuldung."

DGB: Der Fiskalpakt kann "verhindert oder zumindest verzoegert" werden

Am 20. Juni 2016 hat der DGB, der Deutsche Gewerkschaftsbund, das
Pendant des OeGB in der BRD ein Positionspapier zum Fiskalpakt
veroeffentlicht, das an Klarheit auch nur wenig offen laesst. In der
Einleitung zum Papier heisst es etwa, angesichts des Drucks, den die
deutschen Bundesregierung fuer eine moeglichst rasche Beschlussfassung
macht: "Eine Ablehnung des Fiskalpakts wird als 'antieuropaeisch' und
als Gefahr fuer den Euro bezeichnet, Fiskalpakt-Kritiker werden als
'Schuldenmacher' gebrandmarkt. Mit dem vorliegenden Text wollen wir
anhand von zehn Fragen und Antworten Klarheit in die Debatte bringen.
Fuer uns steht fest: Der Fiskalpakt loest die Probleme Europas nicht,
er verschlimmert sie."

Und an die Abgeordneten im Deutschen Bundestag gerichtet: "Der
Fiskalpakt braucht in Bundestag und Bundesrat eine
Zwei-Drittel-Mehrheit. Sein europaweites Inkrafttreten kann also
verhindert oder zumindest verzoegert werden, wenn die
Oppositionsparteien gegen den Kurs der Bundesregierung und den
Fiskalvertrag stimmen."

In dem 14-seitigen Positionspapier finden sich - neben bereits oben im
Verdi-Schreiben erwaehnten - einige weitere Kritikpunkte, die
besonders erwaehnenswert sind.

Die Fragestellung, ob der Fiskalpakt nicht auch "sozial gerecht" -
ohne Kuerzungen - umgesetzt werden koennte, etwa ueber hoehere, faire
Steuern, wird etwa so beantwortet: "Es waere zu begruessen, wenn die
Staatsverschuldung in Europa durch hoehere Steuereinnahmen und ohne
Kuerzungen abgebaut wuerde. Der Fiskalvertrag, wie er jetzt zur
Abstimmung steht, verhindert das aber! In Artikel 3, Absatz 1,
Buchstabe b des Fiskalvertrags ist explizit festgeschrieben, dass die
Fortschritte bei der Haushaltskonsolidierung anhand einer 'Analyse der
Ausgaben' erfolgen soll, nicht der Einnahmen.

... Insgesamt wird im Fiskalvertrag hinsichtlich der konkreten
Verfahren auf die neuen Regeln des Stabilitaets- und Wachstumspakts
verwiesen. Diese enthalten explizite Vorgaben zur Entwicklung der
Staatsausgaben - nicht der Einnahmen."

Auch der vielfach vorgebrachten Behauptung, wonach der Fiskalpakt
ohnehin nichts Neues enthalte, sondern nur bereits auf EU-Ebene
beschlossenes konkretisiere, wird widersprochen: "Wenn der Fiskalpakt
keine neuen Regeln enthalten wuerde, gaebe es ihn nicht ...
Insbesondere die Pflicht fuer alle Staaten, ein radikales
Schuldenverbot ('Schuldenbremse') in die Verfassung zu schreiben,
existierte noch nie. Auch dass bei Verstoessen gegen diese Pflicht
automatisch eine Ahndung durch den Europaeischen Gerichtshof erfolgt,
ist neu. Die Verpflichtung, ein zu genehmigendes
'Wirtschaftspartnerprogramm' aufzulegen, und einige andere Regelungen
sind neu. ... In keinem Fall sollten sie (diese und andere Regelungen,
Anm.) durch die Verankerung im Voelkerrechtlichen Fiskalvertrag
zusaetzlich und fuer alle Ewigkeit festgeschrieben werden."

Besonders interessant die Positionierung des DGB hinsichtlich einer -
wie etwa vom OeGB praeferierten und staendig geforderten - Ergaenzung
des Fiskalpakts um ein Wachstumsprogramm: "Es braucht dringend
Initiativen fuer mehr Investitionen in Europa ... Wachstumsprogramm
als 'Ergaenzung' des Sparkurses kann aber nicht funktionieren. Der
herrschende Sparzwang wuergt die Konjunktur europaweit ab und
verhindert ein 'Herauswachsen' aus den Schulden. Ein aehnliche Wirkung
haette der Fiskalpakt. ... Keinesfalls darf der Fehler gemacht werden,
angebotsorientierte 'Strukturreformen' als Wachstumspolitik zu
akzeptieren. Solche Massnahmen laufen in der Regel darauf hinaus,
Privatisierungen zu erzwingen und den Druck auf Loehne zu erhoehen.
Damit wuergen sie die Kaufkraft und Binnennachfrage ab und sind alles
andere als wachstumsfoerdernd."

Und abschliessend zu diesem Thema: "Wir brauchen Investitionsprogramme
und eine wirksame und ertragreiche Finanztransaktionssteuer - aber
nicht zusaetzlich, sondern anstelle des Fiskalpakts. Der Fiskalpakt
muss in seiner jetzigen Form schon aufgrund seines anti-demokratischen
Charakters und der Beschraenkung der Parlamentsrechte abgelehnt
werden."

Deutscher als die Deutschen?

Warum kann der DGB, was der OeGB nicht kann? Warum findet der DGB eine
Position, die an Eindeutigkeit nichts uebrig laesst, waehrend der OeGB
versucht, sich den Fiskalpakt schoenzureden? Warum opponiert der OeGB
gegen das EU-Six-Pack, allerdings nicht gegen den Fiskalpakt? Es kann
eigentlich nur eine Erklaerung liegen: Bedingungslose Loyalitaet zur
Regierung und Partei(en). Wenn Gewerkschaftsvorsitzende und andere
SpitzengewerkschafterInnen fuer SPOe und OeVP im Parlament sitzen,
sollen sich durch Beschluesse nicht in "unnoetige" Gewissenskonflikte
gebracht werden. Also werden diese erst gar nicht gefaellt. Und wenn
diese Parteien auch noch an der Regierung sind, dann noch viel
weniger. Europa ist fern. Da kann agitiert werden. Die Regierung, der
"eigene" Bundeskanzler ist nahe. Das huellt frau/mann sich besser in
Schweigen. Wider besseren Wissens. Weil: warum jene richtige Kritik,
die seitens des OeGB am Six-Pack geuebt wurde nun im Falle des noch
verschaerften Fiskalpakt ploetzlich falsch sein sollte kann niemand
erklaeren.

Dabei koennte auch hier von den deutschen Gewerkschaften gelernt
werden: Gruene und SPD werden in Deutschland der Regierung ihre
Zustimmung zum Fiskalpakt geben. Es war zu befuerchten. Es ist nun
Realitaet geworden. Ihnen ist nicht zu helfen. Das hindert dennoch
Bsirske - er ist selber Gruener - nicht, gegen den Fiskalpakt
aufzutreten. Weil er Gewerkschafter ist. Mag in der BRD die Opposition
sich auch noch "deutscher" als die deutscher Regierung geben. Die
Deutschen Gewerkschaften tun es nicht. Sie geben sich deutlich
europaeischer, deutlich vernuenftiger, deutlich weitblickender als die
Parteien der rot-gruenen Opposition. Die Deutschen Gewerkschaften
geben sich tatsaechlich deutlich weniger "deutsch" als die
Oesterreichischen. Ob das den oesterreichischen Gewerkschaften so
bewusst ist?

(Markus Koza, Auge / gek.)

Volltext
http://diealternative.org/belvederegasse/2012/06/ogb-und-fiskalpakt-deutscher-als-die-deutschen/



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