**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 13. Juni 2012; 02:32
**********************************************************
Debatten/Termin/Blockupy:
> Fuer einen sozialeren und noch demokratischeren Kapitalismus?
Einige Einwaende gegen die Parolen der Frankfurter
Blockupy-Demonstrationen
Europa spart - am Lebensunterhalt seiner Buerger. Die demokratischen
europaeischen Regierungen machen den Lebensunterhalt ihrer Voelker
dafuer haftbar, dass ihre Wirtschaften zu wenig wachsen und die
Kreditwuerdigkeit ihrer Nationen teilweise dahin ist. Deswegen haben
die verantwortlichen Staatsfuehrer ihren Buergern ein gewaltiges
soziales Abbruchprogramm verordnet. Betroffene melden sich zu Wort und
protestieren. Aber wie!
"Widerstand tut not: Die Troika aus EU, EZB und Internationalem
Waehrungsfond nutzt ueberall in Europa die Staatsschulden als Hebel,
um radikale Kuerzungen zu verordnen. Diese sind undemokratisch und
unsozial." [Anm.: Alle Zitate aus dem zentralen Blockupy-Aufruf 1)]
Der Entschlossenheit, mit der Regierungen in Europa "gleich welchen
politischen Lagers" ihre Staatshaushalte von allen "unproduktiven"
Kosten entlasten, also am Lebensunterhalt ihrer Voelker sparen, laesst
sich entnehmen, was die aktuelle Lage ausmacht: Fuer diese Regierungen
sind Spardiktate zur drastischen Verarmung ihrer Bevoelkerung
"alternativlos". Das sollten die Protestierer endlich einmal ernst
nehmen.
Die Krise ist fuer die Regierungen kein "Hebel" oder Vorwand, um
endlich nach Lust und Laune "undemokratisch und unsozial" kuerzen zu
koennen. Fuer die Standortverwalter geht es wirklich ums Ganze: Die
Rettung des Euro, die Sanierung der Staatshaushalte und die Gesundung
der Marktwirtschaft, die den Insassen der Kapitalstandorte Europas als
unbezweifelbares "Lebensmittel" vorgesetzt wird - das ist
marktwirtschaftliche Staatsraeson, und die ist nur durch eine
durchgreifende Verschlechterung der Lage der Bevoelkerung
durchzusetzen. Nicht nur voruebergehend, sondern dauerhaft.
Blockupy-Anhaenger meinen, all dies muesste gar nicht sein, wenn es in
Europa wirklich demokratisch und sozial zuginge. Woher denn bloss die
Vorstellung, dass in der Demokratie gewissermassen ein Rechtsanspruch
gegen Verarmung existiert?!
Blockupy kennt ein anderes Verbrechen, das die von der Troika
verordneten "radikalen Kuerzungen" anrichten: "Sie verschaerfen die
Krise." Sie seien ausserdem "oekonomisch unsinnig" und wuerden "die
Konjunktur abwuergen"; besser solle man "in Schuldenaudits die
Rechtmaessigkeit der oeffentlichen Schulden bewerten".
Soll man den Finanz- und Wirtschaftspolitikern wirklich schlechtes
Management der Krise vorwerfen? Was fuer eines wuerde den Massen denn
besser bekommen? Soll man sich im Ernst auf den Standpunkt der
Verwalter von Kapitalstandorten stellen und mit den
Staatsschuldenverwaltern darum rechten, wie Staatshaushalte
einwandfrei zu sanieren und das Wachstum des Reichtums von
Kapitalisten menschenfreundlich anzukurbeln waeren? Wie Loehne so
festzulegen waeren, dass sie den Geschaeftemachern nicht nur als zu
minimierender Kostenfaktor, sondern auch noch als Kaufkraft zur
Versilberung ihrer Produkte dienen koennten? Soll man sich also den
kapitalistischen Laden mit seinen unversoehnlichen gegensaetzlichen
Interessen - auf die spielen die Parolen von Blockupy ja noch an! -
unbedingt als ein moegliches harmonisches Gemeinschaftswerk von
Krisenbewaeltigern einbilden, in dem alle auf ihre Kosten kommen
koennten?
Blockupy kennt noch andere Opfer der "Troika" als die geschaedigten
Leute. Mindestens so schlimm wie der "soziale Kahlschlag" soll am
"Spardiktat" sein, dass es ein Diktat ist, durch das andere hohe
Gueter unter die Raeder kommen! Da soll doch glatt "die Souveraenitaet
der nationalen Parlamente weiter eingeschraenkt" werden; manche im
Blockupy-Spektrum sorgen sich um eine Aushoehlung des "Koenigsrechts
des Parlaments", die Gelder fuer den Staatshaushalt zu bewilligen. Das
ist gut: Neulich noch, als die gewaehlten griechischen, spanischen
etc. Parlamente ihre Spardiktate zu Lasten ihrer Bevoelkerung
beschlossen haben, hiess es aus der Ecke der "Empoerten": "Diese
Politiker vertreten uns nicht!" Und jetzt, wo Merkel & Faymann & Co
die Parlamente der minderen Euro-Staaten auf die Linie der
kapitalistischen Konkurrenztuechtigkeit bringen wollen - da soll die
"Souveraenitaet der nationalen Parlamente" ein Schutz gegen Verarmung
sein?
Schon vergessen, dass diese feinen Institutionen zuallererst souveraen
gegen ihr Volk sind, das den Beschluessen der Gesetzesmacher
unterworfen ist? Die Sache mit dem "Souveraenitaetsverlust" ist
ausbaufaehig: "Ganze Voelker werden unter das Kuerzungsdiktat von EZB,
IWF unf EU gestellt: Der sog. 'Fiskalpakt' schraenkt die
demokratischen Selbstbestimmungsrechte der Staaten massiv ein.".
Welcher Staaten? Der Staaten, die diesen Pakt unterschreiben? Oder
was? Sagenhaft, welche Gleichungen da ganz unbefangen aufgestellt
werden: Geschaedigte Interessen der Bevoelkerung = Aushoehlung der
Rechte der Herrscherfiguren ueber die Bevoelkerung = Einschraenkung
der Rechte von Staaten gegenueber anderen Staaten!
Laut Blockupy steht die "Demokratisierung" vor allem der "Macht der
Banken" an: Die EZB ist "undemokratisch, weil 'unabhaengig', damit
nicht demokratisch kontrolliert. Was wollen wir? Demokratisierung und
Vergesellschaftung des Finanzsektors - Ueberwindung kapitalistischer
Verhaeltnisse!" Was soll das bedeuten? Wahl des EZB-Leitzinses durch
das Volk? Oder wenigstens Wahl der Finanzfachleute, die den
EZB-Leitzins festlegen, durch eine Europa-weite Asamblea? Wie hoch
waere denn bitteschoen ein Zinssatz, der dem Wohlergehen des Volkes
und den Beduerfnissen verschiedener Kapitalisten-Abteilungen
gleichermassen nuetzt? Es ist offenbar kinderleicht, sich das
Verleihen und Borgen von Geld gegen Zins, also den Gegensatz von
Glaeubiger und Schuldner, wieder als ein harmonisches
Gemeinschaftswerk vorzustellen. Jedenfalls nach ein paar Eingriffen:
"Die Profiteure der Krise muessen endlich angemessen an ihren Kosten
beteiligt werden. Die staatlichen Einnahmen muessen erhoeht und
Reichtum muss massiv umverteilt werden. Dazu brauchen wir eine
staerkere Besteuerung von hohen Einkommen und Vermoegen sowie eine
Finanztransaktionssteuer, deren Ertraege fuer Armutsbekaempfung,
Klimaschutz oder globale soziale Mindeststandards eingesetzt werden."
Unter der Losung "Ueberwindung kapitalistischer Verhaeltnisse!"
marschieren saemtliche Instanzen und Charaktere auf, die in der
schlechten alten Gesellschaft das Sagen haben und die all die
aufgezaehlten Uebel verursachen. Vermoegende z.B. muessen sein, damit
denen Vermoegenssteuern abgeknoepft werden koennen; oder "Profiteure
der Krise" muss es weiterhin geben, wenn sie an deren "Kosten
beteiligt werden" sollen. Auf der anderen Seite der
Klassengesellschaft werden dann folgerichtig die Armut und die
Sozialfaelle als bleibende Einrichtung verortet, wenn per Besteuerung
der Spekulanten (auch die sollen ihren Beruf behalten) Mittel zur
"Armutsbekaempfung" und fuer "globale soziale Mindest-standards"
gewonnen werden sollen. Nicht zuletzt gibt es auch fuer die
Staatsgewalt eine bleibende Verwendung: Die soll das "Raubtier" im
Kapitalismus, das statt des Kapitalismus fuer Krise und Volksverarmung
verantwortlich gemacht wird, an die Kette legen. Spaetestens mit
Blockupy-Aktivisten in einem eingebildeten Aufsichtsrat der Staaten
ueber den globalen Kapitalismus waere dann aus den national
gegeneinander aufgestellten, aus konkurrierenden Kapitalstandorten
eine schoene Klimaschutzzone mit Mindeststandards fuer Arme geworden.
"Wir widersetzen uns dem Versuch, mit nationalistischen Parolen die
Beschaeftigten, die Erwerbslosen, die Prekaeren in Deutschland und
Griechenland, in Italien und Frankreich oder in anderen Laendern
gegeneinander aufzuhetzen. Wir setzen dagegen ein Zeichen der
Solidaritaet mit allen Menschen und Bewegungen, die sich seit Monaten
schon in Europa gegen die Angriffe auf ihr Leben und ihre Zukunft
wehren."
Das ist nobel gedacht, angesichts der nationalistischen Hetze, die
jede demokratische Oeffentlichkeit zur Agitation der Krisenopfer
veranstaltet. Aber auch ein bisschen zu kurz: Die Voelker werden ja
nicht erst jetzt gegeneinander aufgehetzt; und sie werden nicht nur
ideologisch bearbeitet - sie sind laengst praktisch gegeneinander
aufgestellt, daheim und im Ausland. Die kapitalistischen Betriebe und
die politischen Standortvorsteher lassen ihr Arbeitsvolk zu einer
weltweit gefuehrten Konkurrenz antreten. Die von deutschen Unternehmen
benutzte billige Leistung der deutschen Arbeiterschaft ist es, die mit
deutschen Exporterfolgen den anderen nationalen Arbeitsmannschaften in
Europa Arbeitsplatz und Einkommen bestreitet. Gegen die Wirklichkeit
dieses tobenden Konkurrenzkampfes der nationalen Volkswirtschaften auf
Basis und auf Kosten der dafuer eingespannten Arbeiterklassen ein
demonstratives "Zeichen der Solidaritaet" mit allen Betroffenen in
Europa zu setzen: Ist das nicht ein bisschen weltfremd?!
"Von den Milliardenbetraegen der 'Eurorettung' bekommen die Menschen
in den betroffenen Laendern keinen Cent, der Hauptteil fliesst direkt
an die Banken zurueck." Ja, klar! Der Rettungsschirm heisst auch nicht
"Rettungsschirm fuer die kleinen Leute!" Natuerlich kriegen die
gewoehnlichen Menschen nicht die Milliarden aus den Rettungsfonds fuer
die Banken und ueberschuldeten Staatshaushalte, sie haben ja auch
nicht die frueher von diesen Staaten aufgenommenen Kredite ausbezahlt
bekommen, fuer deren Bonitaet sie jetzt hergenommen werden! Aber statt
die Krisenpolitiker wieder der Luege zu ueberfuehren, waere dem schon
wieder ein Hinweis zu entnehmen: Die Milliarden dienen der Rettung des
Euro, des Allerheiligsten des kapitalistischen Europa-Blocks. Fuer die
Regierungen, die bei jedem Cent fuers Soziale sparen, sind die
Milliardensummen zur Rettung des Finanzkapitals und zum Management des
Bankrotts ganzer Mitgliedsstaaten sehr zweckgemaess verausgabt. Der
private Geldreichtum und seine Vermehrung, um den sich der ganze Laden
dreht, genauso wie die Finanzmacht der Staaten, mit der sie ihren
Standort bewirtschaften - das alles steht in Frage, wenn Banken
krachen und Nationen von der Pleite bedroht sind; und damit auch die
Existenz jedes einzelnen, der mit Arbeitsplatz und Einkommen abhaengig
ist vom Geld- und Finanzwesen. Die Herrschaften vom Schlage der
"Troika" lassen keinen Zweifel daran, welche Interessen in ihrem
System "systemische" Qualitaet haben!
Die Krisenpolitiker stellen in Griechenland den Leuten eine in
Vergessenheit geratene Systemfrage, mit Tendenz zur Ausdehnung auf
ganz Suedeuropa: Sozialismus - oder demokratisch-europaeisch gemanagte
Barbarei. Dagegen stellen sich die Blockupy-Parolen - Krisenpolitik
und Bankenrettung ginge doch auch anders, das alles muesste doch nicht
sein - einigermassen ignorant.
(Gruppe GegenStandpunkt)
Fussnote:
1) http://blockupy-frankfurt.org/de/aufruf/blockpyfrankfurt
*
Diskussion: Krise und Krisenpolitik in der EU: Europa soll gesunden -
durch mehr Armut ueberall! Donnerstag, 14.6.2012, 19h, Uni-Campus im
alten AKH, Hof 10.2., Hoersaal D (Pathologie-Hoersaal), Spitalgasse 2,
1090 Wien
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.redaktion{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin