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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 29. Mai 2012; 23:28
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Debatten:

> "UMSTURZ!"

Zu Rosa Kaltmut, "Gewalt als Mittel des Protests?", akin 13/2012

Der Begriff der Revolution scheint aus der Mode gekommen, allerdings.
So moegen vielleicht die Zeichen auf Umsturz stehen - eine
Market-Umfrage im Auftrag der Tageszeitung "der Standard" hat gar
ergeben, dass 57% der Befragten das politische System fuer nicht
reformierbar halten und einen Umsturz bevorzugen wuerden. Aber so
richtig auseinandersetzen will sich offenbar auch niemand damit, warum
denn das politische System nicht reformierbar ist. Denn ebenfalls 57%
("zu etwa zwei Drittel dieselben Personen") erachten Oesterreichs
Politik als langweilig und uninteressant. 1)

Schoene neue Welt

Und auch in radikaleren Kreisen scheinen sich nicht sehr viele
Menschen dafuer zu interessieren, warum denn das politische System
nicht reformierbar ist. Eine Reform kommt aus linksradikaler
Perspektive wohl eh nicht in Frage, womit sich die Auseinandersetzung
mit der Unreformierbarkeit fuer die allermeisten eh schon eruebrigt
haben duerfte.

1996 soll Subcommandante Marco gesagt haben "Es ist nicht notwendig,
die Welt zu erobern, es reicht, sie neu zu schaffen". Vielleicht ist
es der Geist dieser Worte, der durch die linksradikalen Sub- und
Gegenkulturen bessergestellter Gesellschaften weht. Das existierende
System wird aus Prinzip abgelehnt, und anstatt es zu erobern, will man
ein neues System schaffen.

Ein System, in dem all die unangenehmen Missstaende und Widersprueche
einfach nicht mehr existieren. Es existiert (fuer viele) innerhalb
dieses neuen Systems keine Benachteiligung von Frauen, keine
Ausgrenzung von Menschen mit Migrationshintergrund und kein Eigentum
mehr. Autos und leerstehende Haeuser sind einfach "Sachen", ihre
Beschaedigung bzw. Aneignung richtet sich daher niemals gegen Menschen
und ist in Folge dessen auch nicht als Gewalttat zu bezeichnen.

Vielleicht ist auch das ein Grund, warum die die Gewaltfrage
(zumindest in Wien) auf der Strecke bleibt -- "Gewalt gegen Menschen"
wird grundsaetzlich abgelehnt (was auch heisst, dass kaum jemand
bereit ist, Leute aus "Freiraeumen" zu werfen, die dort ganz sicher
nix verloren haben) und "Gewalt gegen Sachen" wird nicht als Gewalt
betrachtet -- denn schliesslich hat eh ja kein Mensch das Recht,
Sachen zu besitzen.

Gewalt gegen Sachen?

Nicht dass ich mir selbst mehr Gewaltbereitschaft unter "den Linken"
wuenschte, aber ein bisschen Reflexion ueber Repression - nicht nur
auf Staatsseiten - schiene mir durchaus angebracht.

Wenn es ueber Gewalt als Mittel des Protests keinen Diskurs gibt,
stellt sich folgendes Problem:

Der gesellschaftliche Konsens droht sich in geplante oder gewuenschte
Aktionen einzuschleichen -- manche Dinge sind dann "okay" und andere
Dinge kommen ueberhaupt nicht in Frage.

Dabei entstuende. wie bereits angeschnitten, Diskussionsbedarf schon
bei der beliebten Frage "Gewalt gegen Menschen" oder "Gewalt gegen
Sachen"? Die meisten Menschen halten diese Frage fuer so relevant,
dass sich ein Diskussion ueber die Legitimitaet eines geuebten
Protestes gaenzlich auf diesem Niveau abspielen kann, waehrend die
Frage nach dem "Warum wird protestiert" von beiden Seiten unberuehrt
bleibt.

Da wird dann im Falle einer Demonstration argumentiert, dass es sich
hierbei doch um "Gewalt gegen Menschen" handle -- schliesslich werden
ja Autofahrer zum Warten gezwungen. Oder die schwere Verletzung von
Exekutivbeamten wird in Kauf genommen, wenn "Gewalt gegen Sachen" --
wie zum Beispiel gegen getragene Polizeihelme bzw. mehr oder wenige
flammhemmende Uniformen -- ausgeuebt werden soll.

Die Grenze zwischen Unten und Oben

Wenn es "Denen da Oben" an den Kragen geht, scheint es fuer
Gemaessigte wie Radikale jedenfalls in Ordnung zu sein; auch wenn seit
mehr als hundert Jahren immer weniger klar ist, wer denn "Die da Oben"
ueberhaupt sind.

Ich bin zwar eigentlich zu jung dafuer, aber ich behaupte, dass zu
Zeiten der RAF die Generaldirektoren und Vorstandsmitglieder genauso
(wenig) austauschbar waren wie heute. Eine Person bzw. Gruppe, die die
Liquidation von Menschen als Ausdruck des Protests in Erwaegung zieht,
und sich aus diesem Grund Gedanken ueber ihre (mangelnde) Symbolkraft
macht, verraet die die Idee einer humanistischen, linken Gesellschaft
nicht bloss auf der Ebene der Frage, von wem sie denn ein Mandat fuer
solches Handeln erhaelt.

Die Gruppe bzw. Person bewegt sich damit sowieso auf vollkommen
menschenunwuerdigem, unaufgeklaertem Terrain und disqualifiziert ihr
Handeln somit schon per definitionem von saemtlichen humanistischen
und emanzipatorischen (=linken) Anspruechen.

Solches Handeln wird auch nur unerheblich humaner, wenn die
angegriffenen Subjekte nicht anhand ihrer beruflichen Position
gewaehlt werden, sondern ob der "materiellen Statussymbole" die sie
ihr Eigen nennen.

Zu frueh

Als junger Linker regt sich in mir jedenfalls nicht der Eindruck, als
waere der Begriff der Revolution antiquiert bzw. veraltet. Im
Gegenteil. Sowohl in den breiten Gesellschaftsschichten, als auch in
der ach-so-progressiven Linken scheint die Zeit der Revolution noch
immer (oder schon wieder) nicht gekommen. Aktuelle politische
Einschaetzungen -- ob im Feuilleton oesterreichischer Tageszeitungen,
auf indymedia oder eben im Kommentar von Rosa Kaltmut wirken auf mich
eher reaktionaer als revolutionaer. Solange ein Kollektiv -- "das
Volk", "die 99%", usw. -- als revolutionaeres Subjekt betrachtet wird,
solange ist die ersehnte Revolution dazu verurteilt, an ihren eigenen
emanzipatorischen Anspruechen vorbeizulaufen bzw. ein System zu
reproduzieren, dass nicht freier ist, als die Verhaeltnisse, in denen
wir jetzt leben. Solange nicht Individuen -- egal, ob Vorstandschef
oder Obdachloser -- als revolutionaere Subjekte anerkannt werden,
solange ist es fuer eine Revolution noch zu frueh.
-postcore-

1) http://derstandard.at/1336697270712



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