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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 29. Mai 2012; 23:35
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Afrika:
> Azawad, der Tuareg-Staat
Zu den Hintergruenden des Putsches in Mali
Die revolutionaere Welle im arabischen Raum macht auch vor Mali nicht
halt. Mali ist eine ehemalige Kolonie Frankreichs, im Westen der
Sahara und extrem arm. Mehr als 70% der Bevoelkerung leben von weniger
als einem US-Dollar am Tag. Die Wirtschaft des Landes beschraenkt sich
fast ausschliesslich auf die Landwirtschaft (wo ca. 80% der
Erwerbstaetigen arbeiten). Es gibt fast keine Industrie. In Mali leben
ungefaehr 14,5 Mio. Menschen, die absolute Mehrheit von ihnen in den
fruchtbareren Regionen im Sueden und teilweise auch in der Mitte des
Landes.
Mali ist eines der aermsten Laender weltweit. Gleichzeitig besitzt es
aber verschiedene Bodenschaetze. So ist Mali z.B. Afrikas
drittgroesster Produzent von Gold. Zumindest zwei kanadische
Bergbaukonzerne -- Lamgold Corporation und Avion Gold Corporation -
beuten die dortigen Vorkommen aus.
Mali ist ein Vielvoelkerstaat, es gibt ca. 30 verschiedene
Volksgruppen. Deswegen ist die nationale Frage in Mali sehr wichtig.
Der Norden des Landes ist sehr duenn besiedelt, vor allem durch die
Tuareg. Die Tuareg sind ein Nomadenvolk, das grosse Teile der
westlichen Sahara bewohnt. Dadurch, dass grosse Teile dieses Volkes
als Nomaden und Halbnomaden leben, konnten sie nur sehr wenig in das
kapitalistische Wirtschaftssystem integriert werden. Viele von ihnen,
aber auch grosse Teile anderer Volksgruppen im Norden Malis leben und
arbeiten unter vorkapitalistischen Bedingungen. Das bedeutet, dass
grosse Teile des Bodens in Mali keiner Privatperson und auch keinem
Unternehmen gehoeren. Im Norden Malis gibt es, aufgrund der
wirtschaftlichen Rueckstaendigkeit, nur eine kleine Arbeiterklasse.
Grosse Teile der Bevoelkerung sind kleine Bauern, Halbnomaden oder
Nomaden.
Der Kampf der Tuaregfuer Azawad
Als Azawad sehen die Tuareg ihr Siedlungsgebiet im Herzen der Sahara
an. In den 1960er und in den 1990er Jahren gab es groessere Aufstaende
der Tuareg, die fuer ein eigenes Land kaempften. Diese Aufstaende
wurden niedergeschlagen. Schon vor 1960 gab es vereinzelte Aufstaende
der Tuareg gegen die franzoesische Kolonialmacht. Und auch nach und
zwischen den groesseren Aufstaenden 1960 und 1990 gab es kleinere
bewaffnete Konflikte zwischen den Tuareg und der malischen Armee. Seit
den 1990er Jahre kaempft die Nationale Bewegung fuer die Befreiung von
Azawad (MNLA) im Norden Malis fuer einen unabhaengigen Staat der
Tuareg. Die MNLA ist eine buergerlich-nationalistische Kraft. Sie
steht an der Spitze des Strebens der Tuareg nach einem eigenen Staat.
Es gibt ca. 6 Millionen Tuareg, die im duenn besiedelten Herz der
westlichen Sahara leben (vor allem in Mali, aber auch in Marokko,
Algerien, Libyen, Burkina Faso und im Niger). Die Tuareg werden von
den verschieden buergerlichen Regierungen Nordafrikas unterdrueckt.
Ihre Sprache wird benachteiligt, man erschwert es ihnen freiwillig das
Nomadendasein aufzugeben, ihre Kinder zur Schule zu schicken oder
medizinische Versorgung zu bekommen (im Norden des Mali gibt es fast
keine Schulen oder Krankenhaeuser). Die Regierung sieht sie offiziell
nicht als nationale Minderheit, sondern als "Landstreicher" an.
Man muss sagen, dass die MNLA, entgegen dem Kriegsgeheul der
verschiedenen imperialistischen Staaten (insbesondere der ehemaligen
Kolonialmacht Frankreich), relativ fortschrittlich ist. Sie betont,
dass sie fuer die Trennung von Staat und Religion eintritt und nicht
nur fuer die Tuareg, sondern fuer alle Voelker des Azawad kaempft.
Aufstand heute
Ende Februar begann die MNLA eine Offensive gegen die Streitkraefte
der malischen Zentralregierung. In sehr kurzer Zeit eroberte sie einen
grossen Teil des Nordens Malis. Waehrend sich die malische Armee
zurueckzog, putschte ein besonders rueckschrittlicher Teil der Armee
am 21.Maerz 2012 gegen den gewaehlten Praesidenten Malis, Dioncounda
Traoré. Sie warfen der Regierung vor, nicht entschlossen genug gegen
den Tuareg-Aufstand zu kaempfen, sprich die Tuareg zu wenig zu
unterdruecken.
Doch der Putsch brachte nicht das gewuenschte Resultat. In
Wirklichkeit staerkte er die Position der Tuareg, denn er schwaechte
die sich auf dem Rueckzug befindliche Armee. Man kann aber damit
rechnen, dass es einem zukuenftigen malischen Militaerregime leichter
fallen wird, gegen das junge Azawad vorzugehen, als einem
buergerlich-demokratischen Mali. Die Frage ist hierbei aber viel eher,
wie die malische Arbeiterklasse und die armen Bauern, im Sueden des
Landes sich gegenueber so einer Regierung verhalten werden.
Aufgrund der wirtschaftlichen Rueckstaendigkeit in diesem Teil Afrikas
sind Armut, Hunger und Analphabetismus sehr weit verbreitet. Die
Grenzen im Westen Afrikas verlaufen gerade durch die Wueste. So
zerschneiden sie zum Beispiel das Siedlungsgebiet der Tuareg in fuenf
Teile. Die Grenzen verlaufen so, weil sie von den ehemaligen
Kolonialherren mit dem Lineal am Kartentisch gezogen wurden. So gehen
also nicht nur die sozialen, sondern auch die nationalen Probleme im
Westen Afrikas ueber die Grenzen Malis hinaus.
Islamismus und Imperialismus
Sofort nach Beginn des Tuareg Aufstandes heulten die Grossmaechte,
insbesondere Frankreich, ueber die gewaltsamen Methoden der MNLA auf.
Der franzoesische Aussenminister bezeichnete die
Unabhaengigkeitserklaerung Azawads vom 6.April als "null und nichtig".
Die zweite Reaktion der ehemaligen Kolonialherren war folgende: sie
warnten vor einem islamistischen Gottesstaat im Norden Malis. Zwar hat
die MNLA hie und da kurzfristig mit islamistischen Kraeften gemeinsame
militaerische Aktionen gegen die malischen Streitkraefte unternommen.
Doch solch eine Zusammenarbeit ist noch lange kein Grund einen
islamistischen Gottesstaat heraufzubeschwoeren. Einerseits ist die
MNLA keine islamistische Kraft, andererseits sind die Islamisten in
Mali nicht sonderlich stark und auch in den Volksmassen nicht
verankert. Und schliesslich hat die MNLA mit den Islamisten gebrochen
und befindet sich gerade selbst im Konflikt mit ihnen. Es kam sogar zu
bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen den MNLA-Milizen und der
AQIM (Al Quaida im islamischen Maghreb) in Timbuktu (eine der
groessten Staedte im Sueden von Azawad).
Die islamistische Gefahr wird vielmehr von Laendern Europas und
buergerlichen afrikanischen Staaten genutzt, um ein moegliches
militaerisches Eingreifen zu rechtfertigen. Bereits im Jahre 2005
schufen die USA die sogenannte "The Trans-Sahara Counterterrorism
Partnership". Diese umfasst 11 afrikanische sogenannte
"Partnerlaender": Algerien, Burkina Faso, Lybien (also als noch
Gaddafi an der Macht war!), Marokko, Tunesien, Tschad, Mali,
Mauretanien, Niger, Nigeria und Senegal. Dieses Buendnis veranstaltet
jedes Jahr gemeinsame militaerische Uebungen unter dem Decknamen
"Flintlock".
(Johannes Wiener, www.rkob.net / stark bearb.)
Volltext: http://www.rkob.net/international/nordafrika-und-der-arabische-raum/freiheit-f%C3%BCr-azawad/
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