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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 29. Mai 2012; 23:33
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Spanien:
> Land gegen Krise
Neue Hoffnungen durch Landbesetzungen in Andalusien
Am 4. Maerz haben 500 Tageloehner der Landarbeitergewerkschaft SOC-SAT 
das 400 ha grosse Landgut Somonte in der Provinz Cordoba, die zur 
autonomen Region Andalusien gehoert, besetzt. Diese Finca ist Teil 
einer Flaeche von fast 20.000 ha Staatseigentum, das sich auf mehrere 
Laendereien in verschiedenen Provinzen aufteilt und das die Regierung 
zu verkaufen beschlossen hat. Mehr als 18.000 ha wurden bereits 
veraeussert. Es blieben nur ungefaehr 1.200 ha, darunter die Finca 
Somonte, die am naechsten Tag versteigert werden sollte.
Ironie der Geschichte: Als die Sozialisten 1983 an der Macht waren, 
haben sie diese Latifundien mittels Enteignung und Entschaedigung 
beschlagnahmt. Nun geben sie diese an Privatleute ab, im vorliegenden 
Fall an Spekulanten, die auf der Jagd nach agroindustriellem Glueck 
und europaeischen Subventionen sind.
Am 26. April im Morgengrauen haben Polizeieinheiten die BesetzerInnen 
der Finca delogiert. 30 Erwachsene und Kinder, die in einem 
kollektiven Schlaflager schliefen, das sie in einem der Wohngebaeude 
eingerichtet hatten. Der Ueberfall der Guardia Civil fand fast 
gleichzeitig statt mit der Unterzeichnung des andalusischen 
Regierungsuebereinkommens zwischen PSOE und Izquierda Unida 
(Vereinigte Linke).
Am Freitag, den 27. April, haben etwa hundert Aktivisten aus den 
Provinzen Cordoba und Sevilla den Hof in der Nacht wieder besetzt. 
Ermutigt durch die vielen solidarischen Reaktionen hat das 
Besetzer-Kollektiv am 1. Mai ein Fest auf dem Gelaende organisiert. 
Hunderte Gewerkschafter, Mitglieder von Vereinen und Sympathisanten 
sind auf den Hof gekommen, um den Tag der Arbeit zu feiern, der hier, 
weitab von ritualisierten Umzuegen, seinen urspruenglichen Sinn 
wiedergefunden hat.
Im derzeitigen wirtschaftlichen Sumpf koennte diese Initiative in 
Erinnerung bleiben, insbesondere was die Zerschlagung der 
europaeischen Landwirtschaft angeht. Eine Delegation des EBF 
(Europaeisches BuergerInnen-Forum) ist aus Solidaritaet gekommen. Sie 
entdeckte den Alltag einer Handvoll Leute, die das System 
ausgeschieden hat. Am Ende eines Weges, der sich in Serpentinen durch 
ein Schachbrett von Getreidefeldern und steinigem Brachland zieht --  
das Land ist wegen der Duerre nur spaerlich bewachsen -- ein Weiler 
mit weiss gekalkten Gebaeuden, die uns in der Fruehlingssonne blenden. 
Ringsherum, Richtung Palma del Rio, wie ueberall in dieser 
Glaziallandschaft mit Anschwemmungen und Moraenen, endlose Pflanzungen 
von Citrusfruechten und Olivenbaeumen, Manna des Ueberflusses der 
Grossgrundbesitzer und agroindustrieller Firmen.
Ueber der Hofeinfahrt und auf einem Nebengebaeude weht die Fahne des 
SOC. Zwei gruene, waagrechte Streifen begrenzen das Emblem der 
Gewerkschaft: rote Sonne und schwarze Sichel auf weissem Himmel. Zwei 
oder drei auf eine Mauer gespruehte Slogans fassen die Philosophie der 
Bewegung zusammen: «Tierra y Libertad» ... «La Tierra a quien la 
trabaja» ... «Revolución agraria».
Ein Empfangskomitee erklaert uns, warum Monate der Krise sie dazu 
getrieben haben, eine neue Enklave der Rebellion zu wagen. Diese 
Frauen und Maenner, die meisten von jahrelangen gewerkschaftlichen 
Kaempfen gepraegt, haben einen gemeinsamen Nenner: die sich 
verschaerfende Armut. Manche unter ihnen haben bereits wieder Hunger 
kennengelernt. Hunger, im Jahr 2012, in Andalusien, das vor 
Reichtuemern ueberquillt, ein schwer zu verstehender Anachronismus.
Zuleika aus Palma hat sich mit ihrem Freund und ihren zwei Kindern auf 
der Finca niedergelassen. Sie haben waehrend Monaten verzweifelt nach 
Arbeit gesucht. Sie stehen abwechselnd im Morgengrauen auf, um ihre 
beiden "Erben" zur Schule zu bringen. Alle schlafen auf Steinfussboden 
in mehreren Raeumen, die mit Matratzen und Schlafsaecken ausgestattet 
sind. Das ist nicht sehr bequem, aber immer noch besser als von einem 
Schlafplatz bei Freunden zum naechsten zu ziehen... Marimar und ihr Mann 
Eugenio sind an der Reihe mit der Kueche. "Wir essen bescheiden, aber 
wir werden satt; Freunde und Sympathisanten aus dem Tal bringen uns 
Gemuese und ein bisschen Fleisch. Man hat uns 40 Huehner geschenkt, 
wir haben einen Huehnerstall gebaut und wollen viel Gefluegel halten". 
Seit Monaten bezog Marimar schon kein Arbeitslosengeld mehr. In einem 
Halbjahr hatte Eugenio nur 30 Tage gearbeitet, mal hier, mal da. Also 
lief die Unterstuetzung durch das Programm PER (Plan fuer Arbeit am 
Land) aus, das bei 60 vertraglich nachgewiesenen Arbeitstagen im Jahr 
eine magere Beihilfe sichert. Sie waren mit der Miete mehrere Monate 
im Rueckstand und liefen Gefahr, aus ihrer Wohnung in Posadas, einem 
kleinen benachbarten Marktflecken, hinausgeworfen zu werden. Am Ende 
des Winters, auf der Strasse, mit ihrem 16-jaehrigen Sohn.
Im Gemuesegarten saeen Maenner und Frauen Beete ein und haetscheln die 
ersten Keime der zukuenftigen Ernten (Paprika, Karotten, Zwiebeln, 
Erdaepfel, Artischocken, Spargel, ...) Antonio umhuellt die 
Tomatenpflanzen mit Zeitungspapier, denn der Frost koennte noch mal 
zurueckkehren. Auch er schloss sich als ehemaliger Tageloehner der 
Aktion des SOC an, er ist geschieden, mit einer 10-jaehrigen Tochter. 
Nach dem Verlust des PER hat er versucht sich umzuschulen: Zuerst hat 
er auf den Baustellen zur Verkabelung der Telekommunikation 
gearbeitet, danach, in der Zeit des Baubooms, selbst eine kleine 
Ziegelei geschaffen. Mit dem Platzen der Immobilienblase musste er 
Konkurs anmelden. Sein letzter Auftrag war die Erweiterung des 
Friedhofs von Posadas, wie symbolisch. Danach die demuetigenden Monate 
ohne jegliches Einkommen. Sie vertreiben ihn nicht von hier, 
wiederholt er laut und deutlich mit einer typischen Redensart dieser 
Gegend: «ni con agua caliente ni con lejia» (weder mit heissem Wasser 
noch mit Seife).
Weiter weg, zwischen denen, die einen Hektar fuer die Paprikasorte «de 
piquillo» vorbereiten, pflanzt Francisco eine Fahne am Rand eines 
Jatropha-Waeldchens. Er erklaert uns, dass diese exotischen Buesche 
und das Feld mit silbernen Disteln, das ihren Garten umrahmt, 
Versuchspflanzungen fuer die Herstellung von Biodiesel sind. Von dort 
aus kuendigt ein Schild die Existenz einer "Biologischen Station" an 
der Abzweigung des Erdweges an.
Francisco, 55 Jahre alt, war bei den ersten Besetzungen des Landgutes 
El Humoso in der Gemeinde Marinaleda dabei: Der Grossgrundbesitz mit 
18.000 ha gehoerte dem Herzog Infantado Iñigo de Arteaga, einem der 
grossen Gierschluende nach andalusischem Boden, und der Herzogin von 
Alba.
Nach zehn Jahren Besetzungen/Vertreibungen, Prozessen, Verhaftungen, 
Geldstrafen und juristischen Einspruechen sind die Tageloehner des SOC 
1986 siegreich aus dem Kraefteringen mit den Maechtigen 
hervorgegangen, die die beiden Dinosaurier der «Reconquista» und des 
Franco-Regimes beschuetzt hatten. "Kommt nach Marinaleda! Ihr werdet 
sehen, was man erreichen kann, wenn man mit dem Ruecken an der Wand 
kaempft."
Zu Mittag gibt es ein einfaches Essen. Man sitzt auf den Treppenstufen 
vorm Haus oder um den grossen Tisch im Gemeinschaftsraum. Die 
AktivistInnen zeigen uns ein Video, das sie in den ersten Tagen der 
Besetzung gedreht haben. Francisco, Bauer ohne Land, Domingo, Juan, 
Tageloehner, Consuela, Susana, Langzeitarbeitslose, alle haben sie 
unter der gleichen chronischen Unsicherheit gelitten, haben die 
gleichen sorgenvollen Huerdenlaeufe hinter sich: nur wenige Tage 
Arbeit, Jagd auf miserable Jobs, Hungerloehne und das Auslaufen des 
Arbeitslosengeldes. Manche sind weggegangen in den Norden zur 
Apfelernte oder nach Frankreich zur Kirschen- oder Weinernte. In 
dieser neuen Familie, wo alle Entscheidungen in den taeglichen 
Versammlungen getroffen werden (die Haushaltsaufgaben, das Kochen, die 
Gartenarbeit, die Instandsetzung des Hofes, der Empfang der Besucher 
und sogar der Umgang mit Konflikten ...), haben sie das Gefuehl, ihre 
Einsamkeit zu vergessen und wieder Geschmack am richtigen Leben zu 
finden. Diese Frauen und Maenner, die an dem Land haengen, das ihnen 
ueber Jahrzehnte der Leibeigenschaft genommen wurde, wollen andere 
Traeume leben als die Alptraeume, die das System fuer sie bereit 
haelt.
Aus Marinaleda sind Agraringenieure gekommen. Bei einem Rundgang 
erklaeren sie uns die Geologie der Landschaft. Die unterschiedlichen 
Boeden der Finca wuerden eine spezifische Bearbeitung erfordern. Auf 
den 41 ha bewaesserbarem Land moechten die BesetzerInnen Feldgemuese 
anbauen. In den Mulden der Verwerfungen, die auf den Kuppen Risse 
hervorrufen, begrenzen Buesche und Schilf ausgetrocknete Furchen. Sie 
weisen auf Grundwasservorkommen in tieferliegenden Schichten hin. 
Dafuer spricht auch der freigeschaufelte und instandgesetzte Brunnen 
unterhalb des Hofes. In den naechsten Versammlungen werden sie 
diskutieren, wie sie die ausgetrockneten Boeden fruchtbar machen 
koennen, und dass sie die Steine aus den Feldern sammeln und zum 
Schutz der Kulturen wieder Hecken anpflanzen werden. Fuer spaeter 
traeumen sie davon, dieses Land, das einer Wueste gleicht und wo man 
mit Muehe nur hier und da einen Baum am Horizont ausmachen kann, zu 
bewalden. Die Erweiterung des kleinen Olivenhains, der den Hof umgibt, 
steht auf der Tagesordnung.
Diego Cañamero, der Generalsekretaer des SOC, erklaert: "90 % der 
spanischen Baumwolle wird in Andalusien produziert. Hier gibt es keine 
einzige Textilfabrik. Alles wird nach Katalonien geschickt. 40.000 ha 
Orangen zwischen Doñana und den Ebenen von Cordoba und nicht eine 
einzige Fabrik, die Fruchtsaft herstellt die Tomaten alles wird nach 
Murcia transportiert. In Andalusien gibt es ueberhaupt keine 
verarbeitende Industrie." Und diese "koloniale Situation" zusammen mit 
den feudalen Strukturen motiviert den Kampf, den die Gewerkschaft seit 
1976 fuehrt. "60 % der fruchtbarsten Boeden Spaniens gehoeren 2.500 
Familien, die weniger als 2 % der Bevoelkerung ausmachen ... 80 % der 
Subventionen (6.500 Millionen Euro) wurden an 20 % der Grundbesitzer 
und ihre Komplizen in der Agroindustrie vergeben".
Das selbstverwaltete Projekt Somonte versteht sich in diesem 
Zusammenhang. "Diese Finca wird das neue Marinaleda", versichert Lola 
Alvarez, "wir werden zeigen, dass wir vom Land leben koennen, wie 
dort, wo alle Arbeit haben."
*Jean Duflot, EBF, Uebersetzung: Heike Schiebeck, Longo maï / gek*
Website: http://www.sindicatoandaluz.org
Kontakt: somontepalpueblo{AT}gmail.com
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