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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 9. Mai 2012; 02:24
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Debatten/Rezension:
Nachstehender Text war eigentlich als eine ganz normale Rezension 
gedacht. Da aber die Besprechung eine manifeste historisch-politische 
Kritik enthaelt, auch die Herausgeberin des besprochenen Buches diesen 
Text vor Abdruck bereits lesen konnte und unbedingt wollte, dass ihre 
Stellungnahme dazu auch veroeffentlicht wird, rutschte das Ganze in 
das Ressort "Debatten" und ihr koennt hier jetzt beide Sichtweisen 
lesen:
*
> Respekt, aber auch Mitleid
Sonja Frank (Hg.):
YOUNG AUSTRIA.
OesterreicherInnen im Britischen Exil 1938 - 1947.
Wien 2012
Der Verlag des OeGB hat eine Dokumentation ueber das Leben von 81 
Oesterreicher_innen herausgebracht, die 1938/39 als Kinder oder 
Jugendliche in Grossbritannien Zuflucht und Schutz fanden und im 
Verein YOUNG AUSTRIA organisiert waren.
Von Dezember 1938 bis September 1939 wurden 2.143 "juedische" Kinder 
aus Wien in Grossbritannien aufgenommen [S. 29]. ca. 1/5 der 
Interviewten geben an, mit einem Kindertransport nach England gekommen 
zu sein, viele andere als Dienstmaedchen, 
Krankenschwesternschuelerinnen, Naeherinnen und zu anderen 
Dienstleistungen, als Anlernlinge oder Landarbeiter. Die Meisten, ca. 
90 %, sahen ihre Eltern nie wieder.
Manche waren in elenden Verhaeltnissen aufgewachsen, manche in 
gutbuergerlichen Familien, manche in Familien von 
Kleingewerbe-Treibenden.
Einige der Interviewten waren vor ihrer Flucht bei der 
linkszionistischen Hashomer Hatzair oder anderen zionistischen 
Jugendgruppen, viele bei den Kinderfreunden, den Roten Falken, der 
Sozialistischen Arbeiter-Jugend, dem Verband Sozialistischer 
Mittelschueler, den Wehrsportlern im Republikanischen Schutzbund oder 
im (KPOe-nahen) Antifaschistischen Mittelschuelerbund, im 
Kommunistischen Jugend-Verband, der Kommunistischen Partei 
Oesterreichs, andere waren "politisch voellig unbekleckert" [Ernst 
Fettner S. 135]; einige Interbrigadist_inn_en kamen nach der 
Niederlage der spanischen Republik nach England [S. 469].
YOUNG AUSTRIA wurde 1939 in London von ueberwiegend schon im 
faschistischen Staendestaat in den Reihen des illegalen 
Kommunistischen Jugendverbandes aktiven Jugendlichen gegruendet, um 
diese heimatlos Gewordenen zu organisieren. Mit Volkstanz, 
Schuhplatteln in Lederhose und Dirndl, mit Wiener Kueche und Johann 
Nestroy schufen sie ein "home away from home" [241], ein Stueck 
Oesterreich in der Fremde und haben damit die britische Politik 
beeinflusst und mitgewirkt am Zustandekommen der Moskauer Deklaration. 
[S. Frank referiert auf S. 20 Marietta Bearman u. a.: Wien - London, 
hin und retour: Das Austrian Centre in London 1939-1947, Czernin 
Verlag Wien 2004].
Gleichzeitig studierten sie den Marxismus-Leninismus: "Die Juden 
hatten die Torah, die Muslime den heiligen Koran, die Katholiken den 
Katechismus: Unser Buch war die Geschichte der KP der Sowjetunion 
(Bolschewiki), publiziert in Moskau ..." [Max Schneider, S. 348].
So erscheint die Politik der KPOe im Exil doppelzuengig: "Das eine war 
der legale, der gemeldete Verein Young Austria, und das andere war der 
illegale kommunistischen Jugendverband Oesterreichs und die KP." "Das 
Auftreten nach aussen war vom Young Austria und vom Austrian Centre 
auf einer Linie des Pazifismus ... weil ... wir moeglichst ruhig 
durchtauchen wollten. [Herbert Grossmann, S. 186 und 188]. Ludwig 
Grossmann "... beteiligte sich ... an Young-Austria-Aktivitaeten und 
arbeitet parallel im Sinne der KP ..." [205]. Young Austria war 
"sozusagen die Tarnorganisation des oesterreichischen Kommunistischen 
Jugendverbandes" [Ilse Aschner, S. 55], weil Auslaender_inne_n 
politische Aktivitaeten, besonders waehrend des Kriegs, verboten 
waren.
Es ist begreiflich, dass die Young Austrians (und ihre aelteren 
Genoss_inn_en), allein, entwurzelt, verunsichert nach den Erlebnissen 
des Terrors der "Reichskristallnacht", in Sorge um ihre im "Reich" 
zurueck gelassenen Verwandten und Freunde Halt und ein warmes Nest 
gesucht haben in den Heimabenden, wo sie Schicksalsgenoss_inn_en 
treffen und neue Freundschaften (und Liebschaften) finden konnten, und 
dass sie sich Hoffnungen und auch Illusionen gemacht haben -- ca. 3/4 
der Interviewten sind nach 1945, der KP-Linie folgend, nach 
Oesterreich zurueckgekehrt.
Sie sind einer Fehleinschaetzung zum Opfer gefallen resp. haben sich 
selbst in die eigene Tasche gelogen, " dass ein freies und 
demokratisches ... Oesterreich ... Ziel und Wunsch jedes 
Oesterreichers ist ..., dass die Oesterreicher in der Heimat in einem 
erbitterten Kampf gegen die Fremdherrschaft des Nazi-Faschismus 
stehen" [Deklaration des Free Austrian Movement vom Dez. 1941, 
abgedruckt auf S. 36; "Die ,Oesterreichische Freiheitsfront' wird 
dauernd staerker ..." Grussbotschaft von Young Austria 1943 [S. 140] 
(dabei haben sie behauptet, auf der Basis einer wissenschaftlichen 
Welterkenntnis zu stehen). Sie nahmen nicht zur Kenntnis, "dass es mit 
dem Widerstand in Oesterreich nicht ganz so war wie es unsere 
Propaganda darstellte" [Siegfried Gruber referiert im Interview 2011 
eine Information von Gwen Graber 1944, S. 44].
Um so groesser muss die Enttaeuschung nach der Rueckkehr gewesen sein, 
dass sie, wenn sie die "arisierten" Wohnungen ihrer Eltern zurueck 
haben wollten, nicht mit offenen Armen begruesst wurden. 
Verstaendlich, dass sie unter sich blieben. Den Antisemitismus in der 
eigenen Partei wollten die Linientreuen nicht bemerken; (wohl aber ein 
"Abtruenniger": "... erlebte ... in der kommunistischen 
Betriebsorganisation offenen Antisemitismus ...": "Noch ana, der ihnen 
(den Nazis) durch den Rost gefallen ist " "Schade, dass es keine Juden 
mehr gibt, die da den Schnee wegschaufeln" [Wien 1946 - 57; S. 261]. 
Anscheinend noch immer verbreitete Vorurteile, dass Juden Ausbeuter 
sind, verraet Anna Dotter, Funktionaerin des Gewerkschaftlichen 
Linksblocks: "Wir sind juedischer Abstammung, aber meine Eltern waren 
beide Arbeiter." [S. 113]
Sie hatten "fuer ein freies, unabhaengiges und demokratisches 
Oesterreich" gekaempft. Dass ihre "Demokratie" letztlich etwas wie 
Volksdemokratie bedeutet hat und von der Mehrheit der 
Oesterreicher_innen abgelehnt wurde, sahen viele erst langsam ein.
Verstaendlich, dass sie waehrend des Kalten Kriegs die, die von der 
Parteilinie abwichen, als Renegat_inn_en ansahen.
Fuer manche ist der Kalte Krieg noch nicht vorbei: z. B. Edith West: 
"... ich stehe noch immer zu meinen kommunistischen Idealen." [S. 
444].
"Eigentlich wurde mir erst in Wien bewusst, dass im Young Austria 
hauptsaechlich Kommunisten aktiv waren. Der Slanski-Prozess in der 
CSSR 1952 hat meinen Glauben daran, dass die Kommunisten die 
gerechteren Ideen vertreten, sehr erschuettert. Deshalb zog ich mich 
... zurueck." [Franzi Heidenreich S. 238]
Erich Fried ist schon 1943 aus dem KJV ausgetreten [S. 163]. Andere 
verliessen die KPOe 1956 [z. B. David Stern, S. 408], viele 1968/69.
Meistens fassen die Verfasser_innen der einzelnen Biografien den 
Inhalt der Interviews in eigenen Worten zusammen. Ich finde es 
sympathisch, dass Sonja Frank sehr persoenlich schreibt und nicht 
pseudo-wissenschaftlich distanziert. Allerdings enthuellt sie damit 
eine Meinung, die ich nicht unwidersprochen stehen lassen will. Wenn 
sie schreibt: er "blieb seiner Ueberzeugung treu" - heisst das, die 
aus der KPOe frueher oder spaeter austraten, haben ihre Ueberzeugung 
verraten ? Oder: "... wurde ... 1969 ... aus der Partei gedraengt. Er 
blieb trotzdem den sozialen und humanistischen Werten der 
Arbeiterbewegung verbunden ..." - welchen sozialen und humanistischen 
Werten sind die in der Partei gebliebenen Alt-Stalinisten verbunden ?
Das Buch ist ein wertvoller Beitrag zu einer Geschichte von unten, 
einer Geschichte der "kleinen Leute", an etlichen Stellen aber ein 
unkritisches Helden-Epos. Ich finde, die Young Austrians sind durch 
Elend und Terror alle mehr oder weniger beschaedigt; sie haben sich in 
ihrer Not und Verzweiflung einem Menschenfresser anvertraut und 
gehofft, er wird sie beschuetzen - wir (die Nachfahren) sollten sie 
nicht auf einen Denkmal-Sockel stellen, sondern Mitleid mit ihnen 
haben und Respekt, beides - nicht entweder/ oder.
Eindrucksvoll war die Praesentation des Buches in der Volkshochschule 
Hietzing - die AkIn haben dazu eingeladen - gleichzeitig mit der 
Eroeffnung einer Ausstellung von Fotos und Dokumenten zur Geschichte 
von Young Austria, wo am Ende 2 - 3 Dutzend ehemalige Jugendliche, zum 
Teil auf einen Stock gestuetzt oder im Rollstuhl auf der Buehne die 
Erinnerung an ihren gemeinsamen Kampf feierten.
*Liesl Fritsch*
*
> Stellungnahme der Herausgeberin
Die Leistungen von Young Austria in den Vordergrund zu stellen, wenn 
es um Young Austria geht, ist wohl logisch, sonst haette ich ein 
anderes Buch herausgegeben.
Es ist gut, wenn ein Buch nicht gleichgueltig laesst. Geschichte, die 
von Generation zu Generation weitergegeben werden soll, ist wichtig, 
da sie nicht nur Geschichte ist, sondern unser Leben betrifft und eben 
bis heute und auf naechste Generationen nachwirkt.
Unterschiedlichsten Meinungen hoerte ich bis heute: Danielle Spera 
(Direktorin des Juedischen Museums) und Peter Ebner (Sohn von Hugo 
Ebner): "Ein Juwel und ein wichtiges Buch", Ernst Fettner (Young 
Austrian): "Interessant, gute Gestaltung, schoene Bilder und mir 
gefaellt, dass auch Humor gezeigt wurde" und meine Mutter: "So 
leidvolle Geschichten". Ingrid Dimai (Mitarbeiterin bei Uebersetzungen 
und Lektorat): "Beruehrende und spannende Geschichten" und Franzi 
Heidenreich auch Young Austrian: "Endlich wurde gezeigt, dass es 
sinnvoll war, dass wir heimgekehrt sind, denn wir und nachfolgende 
Generationen nuetzen Oesterreich und wirken bis heute gegen den 
Faschismus". Erich Herzl (Young Austrian und Initiator der Buches): 
"Umwerfende Zusammenstellung und es sollte auch einmal eine englische 
Uebersetzung geben".
Liesl Fritsch´ Rezension fehlen entscheidende Erkenntnisse und viele 
Zitate wurden aus dem Zusammenhang gerissen. Fakt ist, dass den 
meisten juengeren und auch aelteren OesterreicherInnen der 
antifaschistische Widerstand in Grossbritannien unbekannt ist. Ein 
politisch heterogener MitarbeiterInnenkreis hat zu der Dokumentation 
beigetragen, die AntifaschistInnen wuerdigt. Geschichten werden vor 
allem mit Bildern vergegenwaertigt.
An der Ideologie von Young Austria und an der Nachkriegspolitik der 
KPOe Kritik zu ueben, ist zulaessig, aber die Achtung vor jenen zu 
schmaelern, die ihr gesamtes Leben in den Dienst jener Ideale gestellt 
und oft ihr Leben im Kampf gegen die Naziwehrmacht riskiert haben, ist 
unverstaendlich.
Koennten wir die Biografien ausfuehrlicher fassen, waeren 
Handlungsweisen einzelner Personen begreiflicher. Darueber ein 
abschliessendes Urteil abzugeben, moechte ich mir als Angehoerige der 
dritten Generation nicht anmassen, sondern finde, wir koennen uns der 
Wahrheit der Geschichten nur annaehern. Meine Erfahrung aus der 
Dokumentation zeigte mir folgendes: Je laenger Young Austrians und 
andere Zeitgenossen schon in der Illegalitaet (Austrofaschismus) 
mitgewirkt hatten, umso groesser war die politische KP-Bindung und 
spaeter wurde die KP als die antifaschistischste Kraft betrachtetet.
Das vorliegende Buch bietet wohl aufgrund erstmals gesammelten 
praesentierten Materials einen Anstoss fuer weitere Forschungen und 
Analysen. Gewoehnlich wird der zweite Schritt nicht vor dem ersten 
getan.
Wie man sieht, laesst das Buch mit 76 Lebensgeschichten, allgemeinen 
Themen und 808 Abbildungen eigene unterschiedliche Meinungen zu.
*Sonja Frank*
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