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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. April 2012; 01:07
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Debatte:
> Piraten als Symptom
Eine Partei, die nicht weiss, was sie will, aber trotzdem gewaehlt 
wird, sagt viel ueber den Zustand der Politik
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Nach den Erfolgen in Deutschland und mit dem Mandatsgewinn im 
Innsbrucker Gemeinderat ist auch in Oesterreich die Piratenpartei 
wieder einmal ein Hype. Seit ihrer Gruendung in Schweden 2006 und dem 
dortigen Erfolg bei der Europa-Wahl 2009 tauchen sie immer wieder kurz 
in den Medien auf, um dann genauso schnell wieder zu verschwinden.
Jetzt aber beeindrucken sie doch tatsaechlich auch hierzulande schon 
die etablierten Parteien, die eine Konkurrenz befuerchten -- nur damit 
ist es zu erklaeren, dass Peter Pilz ploetzlich den Vorschlag gemacht 
hatte, den Piraten doch gute Plaetze auf der gruenen 
Nationalratskandidatenlisten anzubieten. Inhaltliche Gruende kann es 
wohl keine dafuer geben, denn bis auf ihre Kernthemen ist bei den 
Piraten alles unklar. Zwar hat die jetzt wieder einmal neu 
konstituierte Bundespartei auch so manche Stellungnahme zu anderen 
Themen abgegeben, aber allein die Tatsache, dass sie mit der 
Innsbrucker Partei so gar nicht kannn, zeigt, dass da noch ein weiter 
Weg zu gehen ist. Von einer internationalen auch nur ungefaehren 
Uebereinstimmung ist da schon gar nicht zu reden. Von ganz links bis 
ganz rechts ist in der Piratenpartei eigentlich jeder Standpunkt unter 
den Mitgliedern vorhanden.
Gerade deswegen sind die Piraten aber interessant: Als Symptom einer 
sich veraendernden Politiklandschaft! Generell sagt das Aufkommen 
einer neuen Bewegung und gar einer neuen Partei sehr viel aus ueber 
die politische Landschaft, in der sie ploetzlich erfolgreich ist. Doch 
die Piraten bringen die Bruechigkeit der offiziellen Politordnung ganz 
besonders auf den Punkt. Denn sie sind politologisch weniger verwandt 
mit den klassischen Parteien des Nachkriegswesteuropas, sondern eher 
mit den Gruenen der 80er, aber auch den Buergerinitiativen derselben 
Zeit -- Bewegungen ohne auch nur ansatzweise definiertes Weltbild, 
zusammengekommen wegen eines extrem begrenzten gemeinsamen Anliegens. 
Mit anderen Worten: Nur Hauptwiderspruch, keine Nebenwidersprueche.
Damit sind sie in gewisser Hinsicht hochmodern: "Die Zeit der grossen 
Gewissheiten sind vorbei!" Dieser Satz von Karl Oellinger (s. akin 
7/2012) geht mir nicht aus dem Kopf. Wahrscheinlich stimmt das fuer 
alles links von der kapitalistischen und nationalistischen Rechten. 
Und es ist nicht unbedingt schlecht, da in einer komplizierten Welt 
Antworten auf Fragen der Gesellschaft komplex sein muessen und damit 
natuerlich Dogmen verletzen.
Politische Wahlparteien brauchen aber bis zu einem bestimmten Punkt 
eine ausgearbeitete Ideologie -- sie muessen ein politisches 
Gesamtpaket anbieten, das in sich eine gewisse Schluessigkeit aufweist 
und in der auf alle Fragen eine passende Antwort vorhanden ist. Und 
hier versagen fast alle sozialdemokratischen und gruenen Parteien --  
wenn sie noch gewaehlt werden, dann nur noch als das geringste Uebel. 
Das hoelzerne und farblose Auftreten derer Fuehrungspersoenlichkeiten 
ist die Folge jener Gewissheitenlosigkeit: Diese Parteien wollen 
Catch-All-Parties sein, machen daher vage Ansagen und faellen mutlose 
Entscheidungen und werden so zu Catch-Nobody-Parties. Da sie aber 
dennoch eben aus schierer Verzweiflung der Bevoelkerung ueber die 
Politik der Rechten mitunter doch noch gewaehlt werden, erkennen sie 
dieses Defizit nicht. Plakativ gesagt: Aus welchem anderen Grund 
ausser vollkommener Ratlosigkeit sollte jemand die Faymann-SPOe 
waehlen?
Warum ist aber ein solches Gesamtpaket eines wenn auch nicht 
geschlossenen, doch zumindest abgerundeten Weltbilds noetig? Weil in 
unseren sogenannten Demokratien praktisch als einzige Entscheidung des 
Wahlberechtigten eine Auswahl eines bestimmten Paketes in Form einer 
Partei auswaehlbar ist -- ein Aufschnueren der Pakete und sich aus 
jedem das Brauchbarste herauszuholen ist ja nicht vorgesehen.
Nun sind der allgemeine Bildungsstandard und das moralisch-politische 
Selbstbewusstsein hoeher als noch in der 50er-Jahren. Lebensstandard 
und soziale Sicherheit der unteren Einkommenshaelfte der Bevoelkerung 
sind hingegen sowohl in Westeuropa als auch in den ehemaligen 
COMECON-Staaten gegenueber dem Stand von Mitte der 80er immer mehr 
abgesunken -- und dieses Absinken wird angesichts der massiven 
Konsumbeduerfnisweckung wohl auch noch staerker empfunden, als es 
vielleicht real ist. Dazu kommt, dass auch die Parteitreue mangels 
immer weniger greifender Klientelpolitik kaum mehr vorhanden ist. Die 
Folge: Es gibt immer mehr Menschen gibt, die sagen, dass sie sich 
nicht mehr vertreten fuehlen und auch nicht einsehen, warum es 
Demokratie sein soll, wenn man alle paar Jahre ein Kreuzerl machen 
darf und sich dann in allen Fragen dem Diktat einer wie auch immer 
ausgemauschelten Parlamentsmehrheit unterwerfen muss.
In diesem Zusammenhang muss man aber auch sehen, dass in ganz Europa 
der Ruf nach direktdemokratischen Instrumenten auf allen Ebenen der 
Politik immer lauter wird. Die Antwort ist auf EU-Ebene beispielhaft 
fuer die gesamte Politik: Es wird eine "Europaeischen 
Buergerinitiative" eingefuehrt, ein Instrument, an dem man sich 
abarbeiten kann, das aber genau keinerlei politische Bedeutung ausser 
eben einer Ventilfunktion hat. Die politische Klasse spuert, dass 
ueber kurz oder lang das klassische Demokratie-System nur zu halten 
ist, wenn mehr Partizipation stattfindet -- ansonsten werden entweder 
reine Protestparteien das Ruder uebernehmen oder aber die Riots von 
Tottenham letztes Jahr Normalzustand in unseren Staedten werden.
Die Piraten sind genau fuer diese Bruechigkeit des politischen Systems 
ein Symptom -- von ihrer Grundidee sind sie eben eher eine 
Buergerinitiative, eine NGO, eine Ein-Punkt-Bewegung. Hier werden 
einige isolierte Anliegen postuliert, die nicht mit Forderungen in 
anderen Bereichen verknuepft sind. Nur bekommt diese Bewegung so wie 
viele andere von der Politbuerokratie signalisiert: 'Wer Demos oder 
Volksbegehren machen will, soll das machen, sie aendern aber gar 
nichts! Wer nicht in den Gremien sitzt, kann nichts veraendern! Nur 
die Gremien beschliessen Gesetze und an die muessen sich alle halten.' 
Also gruenden die Piraten eine Partei -- halt ohne ein klares 
Gesamtpaket anzubieten. Nicht anders verhaelt es sich bei den diversen 
Vaeter- oder Tierrechtsparteien. Es sind hilflose Versuche, 
Partikularinteressen durchzusetzen, da die Politik eben keine anderen 
als dieses voellig untaugliche Mittel der Parteiengruendung zulaesst.
Niemand braucht eine Piratenpartei, am wenigsten die Piraten selbst --  
aber scheinbar faellt ihnen unter den gegebenen Bedingungen selbst 
auch nichts Besseres ein. Was aber die Gesellschaft braucht, ist eine 
weitgehende Demokratisierung und das heisst neben wirksamen 
direktdemokratischen Instrumenten auch Akzeptanz 
ausserparlamentarischer Opposition, Zurueckfahren des Repressions- und 
Ueberwachungsapparats, Foerderung unabhaengiger politische Bildung 
inclusive der Nischen-Publizistik -- und natuerlich sozialer 
Ausgleich, denn Armut ist Gift fuer jedes System, das Partizipation 
ernstnehmen will. Denn Kreuzerlmachen fuer Gesamtpakete alleine wird 
auf die Dauer nicht mehr ausreichen.
Der Gesellschaft und vor allem der politischen Klasse koennten solche 
Phaenomene wie die Piratenparteien diese Defizite vielleicht 
klarmachen. "Klarmachen zum Aendern!" verwenden die Piraten gerne als 
Parole. Vielleicht wird genau das ihr eigentlicher Nutzen vor der 
Geschichte sein. Zumindest kann man das hoffen.
*Bernhard Redl*
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