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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. April 2012; 04:18
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  > Syrien zwischen gewaltfreiem Aufstand und Buergerkrieg
  
  Kurzfassung einer Broschuere der deutschen Arbeitsgemeinschaft 
  "Kooperation fuer den Frieden"
  
  Syrien befindet sich am Rande des Buergerkrieges - wenn allein die 
  Zahl der weit ueber 7.500 Opfer seit dem Maerz 2011 zugrunde gelegt 
  wird, dann herrscht dort nach den gaengigen Kriegsdefinitionen bereits 
  Krieg.(2) Waehrend in Tunesien und Aegypten die zivilen Aufstaende 
  2011 zu einem schnellen Sturz der Regierungen fuehrten, und in Libyen 
  der Konflikt schnell zu einem rein militaerischen wurde, traegt der 
  Aufstand in Syrien, der im Maerz 2011 begann, ein doppeltes Gesicht. 
  Auf der einen Seite gibt es die zivilen Proteste, die vor allem durch 
  eine grosse Zahl von Buergerkomitees organisiert und zumeist freitags 
  nach dem Moscheebesuch viele Tausende von Menschen unter einem jeweils 
  woechentlich neu festgelegten Motto auf die Strasse bringen. Auf der 
  anderen Seite hat sich eine bewaffnete Untergrundarmee, die von 
  Exilkreisen und wahrscheinlich mehreren westlichen Maechten 
  unterstuetzte Freie Syrische Armee, gebildet, die sich vor allem aus 
  Deserteuren der syrischen Armee rekrutiert und die den bewaffneten 
  Kampf gegen das Assad-Regime aufgenommen hat. Die syrische Regierung 
  geht mit aeusserster Haerte gegen beide vor. Aktuelle Zahlen sind 
  schwer zu pruefen, aber schon im letzten September war von mehr als 
  70.000 Festgenommenen die Rede, und mindestens 15.000 Menschen sind 
  ins Ausland, vor allem nach Jordanien, in den Libanon und in die 
  Tuerkei, geflohen.(3)
  
  Die Aussichten, den Konflikt ohne ein noch viel groesseres 
  Blutvergiessen in friedliche Bahnen zu lenken, verringern sich im 
  Moment mit jeder Woche. Im Land scheint die Regierung von Praesident 
  Assad weiter ueberzeugt, den Aufstand mit Gewalt in die Knie zwingen 
  zu koennen. International ist der Konflikt in Syrien inzwischen 
  laengst zum Spielball der Gross- und Regionalmaechte geworden. Weder 
  die Arabische Liga bzw. die in diesem Falle massgebenden Golf-Emirate 
  und Saudi Arabien noch die Vereinten Nationen scheinen in der Lage, 
  die syrische Regierung zu einem Einlenken bewegen zu koennen, zumal 
  das Regime weiterhin mit Russland, China und dem Iran alte Verbuendete 
  aus der Zeit des Ost-West-Konfliktes an seiner Seite hat.
  
  Dabei ist der Eindruck nicht von der Hand zu weisen, dass es keinem 
  dieser Laender wirklich um Syrien und die Sicherheit und 
  Selbstbestimmung der syrischen Bevoelkerung geht. Vielmehr geht es 
  wohl vorrangig um Einfluss in der Region und um den sich immer weiter 
  zuspitzenden Konflikt mit dem Iran.
  
  Historischer Hintergrund
  
  Historisch gehoerte Syrien zum Osmanischen Reich; nach dem Ersten 
  Weltkrieg wurde Frankreich die Verwaltung der Region uebertragen. 1946 
  wurde Syrien unabhaengig. 1958 bis 1961 schloss es sich mit dem von 
  Nasser regierten Aegypten zusammen; ein Militaerputsch beendete dieses 
  panarabische Experiment. Seit 1963 regiert in Syrien die Baath- 
  Partei; wirkliche Oppositionsparteien wurden nie zugelassen. Die 
  Verfassung von 1973 bezeichnet Syrien als sozialistische Volksrepublik 
  mit Praesidialsystem. Der gegenwaertige Praesident Baschar al-Assad 
  ist der Sohn von Hafiz al-Assad, der von 1970 bis zu seinem Tod im 
  Jahr 2000 Praesident Syriens war. Der Alawit Baschar al-Assad wurde in 
  einem Referendum ohne Gegenkandidaten zum Praesidenten gekuert und in 
  diesem Amt 2007 fuer eine zweite siebenjaehrige Amtsperiode 
  bestaetigt. Aehnlich wie bei Saddam Hussein und Muammar el-Gaddhafi 
  stuetzt sich seine Macht auf seinen aus einem Dorf (Qardaha) 
  stammenden Familienverband(4) und auf die militaerischen Kraefte.
  
  Im Nahostkonflikt ist Syrien als einer der Gegner Israels 
  positioniert. Im Sechstagekrieg 1967 besetzte Israel die zu Syrien 
  gehoerenden Golanhoehen, von denen aus es immer wieder zu Beschuss 
  israelischen Territoriums gekommen war. Die 1976 beginnende 
  langjaehrige Militaerpraesenz in Libanon musste Syrien 2005 nach der 
  bis heute offiziell ungeklaerten Ermordung des ehemaligen 
  libanesischen Premierministers Rafik Hariri beenden. Syrien hat Israel 
  bis heute nicht anerkannt. Friedensgespraeche scheiterten 2006 am 
  Libanon-Krieg und 2008 an der Eskalation im Gaza-Streifen.
  
  Damaskus war bis Anfang 2012 Sitz des Hamas-Politbueros unter Fuehrung 
  von Khaled Meschaal. Mehrere Mitglieder des engsten 
  Hamas-Fuehrungskaders sollen sich inzwischen ins Ausland abgesetzt 
  haben, Khaled Meschaal selbst erklaerte seinen Ruecktritt - 
  moeglicherweise auch, um sich als Praesidentschafts- Kandidat bei 
  bevorstehenden Neuwahlen in den palaestinensischen Gebieten um die 
  Nachfolge von Mahmoud Abbas zu bewerben.
  
  Israel hat zweimal Militaerschlaege auf Einrichtungen in Syrien 
  durchgefuehrt: 2003 auf ein Ausbildungslager fuer Guerilla-Kaempfer 
  und 2007 auf eine angebliche Atomanlage.(5)
  
  Bereits im Jahre 1999 waren sich Israel und Syrien bei den 
  Verhandlungen um die Golanhoehen "so nahe gekommen, dass der 
  amerikanische Gastgeber einen Vertragsentwurf verfasste".(6) Dieser 
  wurde durch eine Indiskretion in der Zeitung Haaretz vorab 
  veroeffentlicht, woraufhin Syrien wegen dieses Vertrauensbruches die 
  Verhandlungen abbrach.
  
  Kernpunkte waren gemeinsame Sicherheits- und Normalisierungsmassnahmen 
  wie etwa bilaterale Handels- und Wirtschaftsbeziehungen. Es sollte 
  eine israelisch-syrische Wasserbehoerde eingerichtet werden. Israels 
  Sicherheitsbeduerfnis wollte Syrien durch die Zustimmung zu einer 
  Fruehwarnstation auf den Golanhoehen entgegen kommen, die von US- und 
  franzoesischen Soldaten haette betrieben werden sollen. Bis zum 
  Libanonkrieg 2006 fuehrten syrische und israelische Unterhaendler 
  weitere nichtoeffentliche Verhandlungen zur Konfliktloesung.
  
  Im Falle einer Rueckgabe der Golanhoehen wuerde Syrien bis ans Ostufer 
  des Sees Genezareth reichen. Die Quellen von etwa zehn Prozent des 
  Trinkwassers Israels wuerden bei einem solchen Friedensschluss unter 
  syrischer Kontrolle stehen, was fuer Israel ein Problem darstellt.
  
  Waehrend der drei Jahrzehnte amtierende syrische Praesident Hafez 
  al-Assad Kompromisse aufgrund seiner Autoritaet innenpolitisch haette 
  leichter durchsetzen koennen, war es fuer seinen Sohn Baschar al-Assad 
  sehr viel schwerer, einem Friedensvertrag mit erheblichen Kompromissen 
  innenpolitisch zum Durchbruch zu verhelfen.
  
  Ende Juli 2010 reiste Baschar al-Assad erstmals nach dem Abzug der 
  syrischen Truppen aus dem Libanon wieder nach Beirut, begleitet vom 
  saudischen Koenig Abdallah, und traf sich mit dem libanesischen 
  Praesidenten Suleiman. Fuer Baschar al-Assad war es ein 
  Triumph-Besuch, der gleichzeitig den wieder erstarkten Einfluss 
  Syriens gegenueber Libanon symbolisierte.
  
  Syrien, Iran, Hizbollah und die palaestinensische Hamas haben sich zu 
  einer "Achse des Widerstands" zusammengeschlossen.
  
  Mitte Mai 2010 berichtete die russische Nachrichtenagentur Itar-Tass, 
  dass Syrien von Russland MiG-29 Kampfflugzeuge und Boden-Luft-Raketen 
  des Typs Pantsir erhalten soll, was sowohl in Washington wie auch in 
  Israel fuer erhebliche Verstimmung sorgte.
  
  Um ihre eigenen Ansprueche zur Rueckgabe der Golanhoehen durchzusetzen 
  und gleichzeitig das Risiko zu minimieren, durch israelische Angriffe 
  geschaedigt zu werden, laesst Damaskus nicht nur die Aufruestung der 
  Hizbollah mittels auf dem Landweg durch Syrien gelieferter Waffen aus 
  dem Iran zu, sondern soll auch selbst aktiv die Aufruestung der 
  schiitischen Widerstandsorganisation im Libanon betrieben haben. Nach 
  einem Besuch des demokratischen Senators John Kerry in Damaskus Anfang 
  April 2010 wurde die im Februar 2010 angekuendigte Entsendung eines 
  US-Botschafters nach Syrien zunaechst verschoben, bevor dann im Januar 
  2011 vor Ausbruch der Unruhen doch noch ein neuer US-Botschafter, 
  Robert Ford, in Damaskus ernannt wurde. Beim Besuch des deutschen 
  Aussenministers Guido Westerwelle in Damaskus im Mai 2010 wies der 
  syrische Aussenminister Walid al-Muallim "den Vorwurf des 
  Raketenschmuggels bruesk zurueck, laesst aber auch wissen, solange 
  Krieg und Besatzung herrschten, ,wird Syrien nicht die Polizei spielen 
  fuer Israel'".(7) Am 6. Februar haben die USA ihre Botschaft in 
  Damaskus geschlossen und saemtliches Personal abgezogen. Auch 
  Deutschland, Spanien, Italiens, Frankreich, Grossbritannien und 
  Belgien sowie die Golfstaaten riefen ihre Botschafter Anfang Februar 
  zurueck.
  
  Der Aufstand und seine Strukturen
  
  Kurz nach Beginn der Aufstaende in Tunesien und Aegypten kam es auch 
  in Syrien im Januar 2011 zu einzelnen Protesten, die aber zunaechst 
  wenig Widerhall fanden. Der Maerz 2011 gilt vielen BeobachterInnen als 
  der eigentliche Beginn der Unruhen, als in Dar'a, einer im Sueden 
  Syriens gelegenen Stadt, eine Demonstration nach dem Freitagsgebet am 
  18. Maerz von der Polizei unter Beschuss genommen wurde. Der Protest 
  war durch die Verhaftung und mutmassliche Folterung von 15 Schuelern 
  ausgeloest worden, die einen Slogan der arabischen Aufstaende in den 
  anderen Laendern an eine Haeuserwand gemalt hatten. Waehrend der 
  Bestattung von vier Opfern am naechsten Tag kam es zu neuer Gewalt von 
  Regierungsseite. Ab dem Zeitpunkt begannen Hunderttausende, 
  regelmaessig auf die Strasse zu gehen. Schwerpunkte der Proteste waren 
  und sind Baniyas, Homs, Hama und Vororte von Damaskus, aber es gibt 
  keine Region Syriens, wo keine Proteste stattfinden.
  
  Die Regierung verfolgte anfaenglich die Strategie, durch hartes 
  Durchgreifen, gekoppelt mit politischen Konzessionen, der Lage Herr zu 
  werden. So trat am 29. Maerz 2011 die Regierung unter 
  Ministerpraesident Muhammad Nadschi al-Utri zurueck, und am 21. April 
  hob Assad den seit 1963 in Kraft befindlichen Ausnahmezustand auf. Im 
  Mai und Juni wurden zwei Amnestien fuer politische Gefangene erlassen; 
  im Januar 2012 folgte eine dritte. Im Juni-Juli 2011 kuendigte die 
  Regierung einen "Nationalen Dialog" an, der von der inlaendischen und 
  der auslaendischen syrischen Opposition jedoch als "Showveranstaltung" 
  abgelehnt wurde. 07 l Ausserdem billigte die Regierung Ende Juli einen 
  Gesetzesentwurf, der die Gruendung von politischen Parteien erlaubt, 
  und kuendigte fuer den 26. Februar 2012 ein Referendum ueber eine neue 
  Verfassung an. Diese Verfassung wurde in den vergangenen Monaten von 
  einem nationalen Komitee erarbeitet und soll den Weg zu einem pluralen 
  Staat oeffnen.( 8) Der Passus, der die regierende Baath- Partei 
  bislang als "Fuehrer der Nation und Gesellschaft" betitelte, wurde 
  nach Angaben der amtlichen Nachrichtenagentur Sana gestrichen.( 9) Die 
  Amtszeit des Praesidenten soll auf zweimal je sieben Jahre begrenzt 
  werden.
  
  Seit Maerz 2011 ging die Gewalt gegen die Demonstrationen aber 
  ungebremst weiter; schon im Mai wurde von 1.000 Todesopfern 
  gesprochen. Im Juli 2011 beteiligten sich an einem Tag bis zu 3 
  Millionen Menschen an Protesten gegen das Regime. Auch spaeter im Juli 
  zaehlten einzelne Demonstrationen mehrere hunderttausend 
  TeilnehmerInnen.
  
  Im Februar 2012 schien die Situation nach der an Russland und China 
  gescheiterten Resolution gegen Syrien im Weltsicherheitsrat weiter zu 
  eskalieren. Besonders die Stadt Homs, von Anfang an eine der 
  Hochburgen des Widerstands, ist zum Ziel des Versuches der Regierung 
  geworden, den Widerstand mit militaerischen Mitteln zu brechen; die 
  Opposition antwortete mit einem landesweiten Streikaufruf.
  
  Die politische Landschaft der Aufstaendischen ist vielfaeltig, aber es 
  gibt keinen Zweifel, dass der Aufstand von Mitgliedern aus allen 
  religioesen und ethnischen Gruppen im Land mitgetragen wird. Auch 
  Angehoerige der Minderheit der Alawiten, deren Raengen Assad 
  entstammt, sind unter den Widerstaendlern zu finden.(10)
  
  Nach einer Umfrage der Katar-Foundation im Januar 2012 "wollten 55 
  Prozent der Syrer, dass Assad bleibt - aber demnaechst auch freie 
  Wahlen organisiert".(11)
  
  Die lokalen Buergerkomitees
  
  Seit Beginn des syrischen Fruehlings im Maerz 2011 haben sich in 
  nahezu jeder syrischen Stadt lokale Buergerkomitees gegruendet.(12) 
  Sie sind die Haupttraeger der zivilen Demonstrationen. Die 
  Zusammensetzung der Komitees ist dabei regional sehr unterschiedlich. 
  So sind alle gesellschaftlichen Schichten, alle 
  Religionsgemeinschaften und Ethnien, Maenner wie Frauen vertreten. Es 
  gibt eher religioese und saekulare Komitees, solche, in denen vor 
  allem junge Menschen vertreten sind, und solche, in denen sich 
  bestimmte Berufsgruppen zusammen gefunden haben (etwa AnwaeltInnen).
  
  Ungefaehr die Haelfte der rund 300 lokalen Komitees hat sich - bei 
  vielen Doppelmitgliedschaften - in zwei grossen Netzwerken 
  zusammengeschlossen, den Local Coordination Commitees of Syria (LCC) 
  (13) und der Syrian Revolution General Commission (SRGC) (14). Die 
  Netzwerke geben den Protesten eine Stimme nach aussen und sorgen durch 
  ihre intensive Pressearbeit dafuer, dass die Welt von dem Geschehen in 
  Syrien erfaehrt. Beide Netzwerke bekennen sich zum gewaltlosen 
  Widerstand gegen die Diktatur und legen ihre Aktionen entsprechend an. 
  So schrieben die Local Coordination Commitees in einer Erklaerung 
  letztes Jahr:
  
  "Eine Militarisierung der Revolution wuerde die Unterstuetzung und 
  Beteiligung an der Revolution durch das Volk minimieren. ... 
  Militarisierung wuerde die Revolution in eine Arena tragen, wo das 
  Regime einen deutlichen Vorteil hat, und die moralische Ueberlegenheit 
  erodieren, die die Revolution seit ihren Anfaengen charakterisiert 
  hat."(15)
  
  Neben den Protesten auf der Strasse organisieren die Netzwerke 
  Streiks, koordinieren dringende humanitaere Hilfe und stellen die 
  politische Vertretung der jungen Demokratiebewegung im neu 
  gegruendeten syrischen Nationalrat. Auch wenn die beiden Netzwerke 
  basisdemokratisch organisiert sind, so sind es insbesondere zwei 
  Frauen, die beide Netzwerke antreiben: Razan Zeitouhne, Anwaeltin aus 
  Damaskus und ausgezeichnet mit dem Menschenrechtspreis des 
  Europaeischen Parlaments, lebt seit Beginn des Aufstandes im 
  Untergrund und hat die LCC massgeblich mit aufgebaut. Suhair Atassi, 
  die die treibende Kraft in der SRGC ist, musste im Dezember 2011 
  Syrien aus Sicherheitsgruenden verlassen.
  
  Nationale Zusammenschluesse der Opposition
  
  Auf nationaler Ebene gibt es zwei Zusammenschluesse, die einen 
  Fuehrungsanspruch anmelden: Den Syrian National Council und das 
  National Co-ordination Committee.
  
  Der Syrian National Council (SNC) (16) wurde Anfang Oktober 2011 in 
  der Tuerkei gegruendet und besteht ungefaehr zur Haelfte aus 
  Mitgliedern, die in Syrien leben, und zur Haelfte aus solchen im Exil. 
  Er hat sich eine Grundsatzerklaerung gegeben. Ihm ordnen sich auch die 
  beiden oben genannten Netzwerke der Lokalen Komitees zu und stellen 
  dort rund ein Drittel der Abgeordneten. Ausserdem sind im SNC die 
  Muslim-Bruederschaft und kurdische Gruppen vertreten. Sein Sprecher 
  ist der 67-jaehrige Burhan Ghalioun, ein in Paris an der Sorbonne 
  lehrender Sozialwissenschafter. Der SNC wird vom Assadfeindlichen 
  Ausland - den Golf-Emiraten, Saudi-Arabien, den USA und mehreren 
  EUStaaten - zunehmend als der legitime Repraesentant der syrischen 
  Opposition und als Exilregierung angesehen. Das politische Programm 
  des SNC, wie es in seiner Grundsatzerklaerung festgelegt wurde, 
  umfasst Menschenrechte, Unabhaengigkeit der Justiz, Pressefreiheit, 
  Demokratie und politischen Pluralismus. Die Charta betont das 
  Festhalten an der "Friedlichkeit der Revolution"(17), aber Mitglieder 
  des SNC haben sich in juengerer Zeit fuer eine Flugverbotszone 
  ausgesprochen, und es gibt Koordinierungsbemuehungen mit der Freien 
  Syrischen Armee (s. unten).(18)
  
  Das National Co-ordination Committee (NCC)(19) wird von Hussein Abdul 
  Azim und anderen bekannten Dissidenten des Regimes geleitet. Zwischen 
  NCC und SNC gibt es Spannungen und Vorbehalte, u.a. wegen der 
  Mitgliedschaft der Muslimbruederschaft im SNC. Auch der NCC setzt sich 
  fuer einen friedlichen Wandel ein und hat sich gegen militaerische 
  Intervention von aussen ausgesprochen.
  
  Freie Syrische Armee
  
  Die Freie Syrische Armee entstand im August 2011 und wird von Riyad 
  al-Asad, einem frueheren Colonel in der Air Force, angefuehrt. Sie 
  rekrutiert sich in erster Linie aus desertierten Soldaten der 
  regulaeren syrischen Armee. Ueber ihre Staerke gibt es sehr 
  widerspruechliche Angaben; Medien sprechen von zwischen 1.000 und 
  25.000 Maennern in 22 Einheiten. Sie ist vor allem in der 
  nordwestlichen Pro- vinz Idlib, um die zentralen Staedte Homs und Hama 
  und um Damaskus herum aktiv. Anscheinend stammt der Grossteil ihrer 
  Ausruestung von der Armee - dadurch, dass die Deserteure ihre Waffen 
  mitbringen oder geruechteweise auch, dass sie der Armee abgekauft 
  werden.(20) Es gibt auch Informationen ueber Waffenhilfe aus der 
  Tuerkei und dem Irak (21); Auch wird auf das Einsickern von Kaempfern 
  aus Libyen zusammen mit Waffen und auf Aktivitaeten auslaendischer 
  Geheimdienste hingewiesen. Zum Teil sollen sich Banden gebildet haben, 
  die sich auch gegen Teile der Zivilbevoelkerung wenden.(22) Gesichert 
  scheint zumindest, dass diese Nachbarlaender (Tuerkei, Libanon, 
  Jordanien) als Rueckzugsgebiete genutzt werden. Die Freie Syrische 
  Armee verfuegt (bislang) ueber keine schweren Waffen bzw. setzt diese 
  nicht ein; sie sieht ihre Aufgaben in der Bekaempfung des 
  Assad-Regimes und in dem bewaffneten "Schutz" der zivilen 
  Demonstrationen.
  
  Interessen von aussen
  
  Im Februar 2012 blockierten China und Russland eine 
  UN-Sicherheitsrat-Resolution zu Syrien, weil u.a. beide Staaten keinen 
  zweiten Fall Libyen zulassen wollten, wo vermutlich bis zu 50.000 
  Menschen ihr Leben in einem mehrmonatigen Krieg zwischen Gaddafi- 
  Truppen und von der NATOunterstuetzten Aufstaendischen verloren 
  haben.(23) Auf den ersten Blick sind die Parallelen zur 
  NATOIntervention in den Kosovokonflikt augenfaellig - auch dort hatte 
  Russland eine UNResolution verhindert, aber die NATO entschied sich - 
  voelkerrechtswidrig - trotzdem fuer einen Angriff. Vernuenftigerweise 
  scheint die sog. internationale Gemeinschaft im Moment nicht bereit zu 
  sein, diese Option ernstlich in Betracht zu ziehen. Die Diskussion um 
  eine internationale Intervention konzentriert sich in erster Linie auf 
  die Verhaengung und Durchsetzung eines Flugverbots - also eher um das 
  "Modell Libyen" als das "Modell Kosovo". Dies ist eine Forderung, die 
  auch aus Kreisen der syrischen Opposition zu hoeren ist, trotz 
  frueherer Erklaerungen, dass man eine internationale Einmischung auf 
  keinen Fall wolle und trotz des Bekenntnisses zur Gewaltlosigkeit der 
  Proteste. Das Kalkuel hinter einem solchen Flugverbot ist in erster 
  Linie, dass ein solches Flugverbot der Freien Syrischen Armee 
  ermoeglichen wuerde, ihre Aktivitaeten auszuweiten, schwerere Waffen 
  einzusetzen und nach dem Vorbild Libyens befreite Zonen zu schaffen 
  und erfolgreich zu verteidigen, von denen aus dann der Buergerkrieg 
  nach Damaskus getragen werden koennte. (24)
  
  Nach dem Scheitern einer Beobachtermission der arabischen Liga wurde 
  in Diplomatenkreisen der Vorschlag untersucht, ob eine groessere 
  internationale UN-Blauhelm- Mission - unterstuetzt von russischen und 
  westlichen diplomatischen Bemuehungen - die Eskalation hin zu einem 
  massiven Buergerkrieg noch eindaemmen koennte. (25) Nachdem die 
  Regierung Assad einen entsprechenden Vorstoss der Arabischen Liga in 
  der zweiten Februarwoche ablehnte, ist es eher unwahrscheinlich, dass 
  eine solche konsensuale Mission (also nicht nach Kapitel VII der 
  UNCharta, sondern mit Zustimmung des betroffenen Staates stationiert) 
  zustande kommt.
  
  Offen ist bei diesen Diskussionen die Frage, wie verhindert und 
  begrenzt werden kann, dass andere Staaten nicht auf dem Ruecken der 
  Opfer des Konfliktes in Syrien ihre handfesten Interessen austragen, 
  in dem sie die eine oder andere Seite militaerisch unterstuetzen und 
  dieser zum Sieg verhelfen.
  
  Die Interessen der US-Regierung, zahlreicher EU-Regierungen, der 
  israelischen Fuehrung wie den Fuehrungen einiger sunnitischer 
  arabischer Staaten wie Saudi-Arabien oder Katar liegen auf der Hand: 
  Durch den Sturz von Baschar al-Assad soll der wichtigste Verbuendete 
  Irans und der Hizbollah beseitigt werden, jene Regierung also, die 
  Waffen aus dem Iran durch Syrien an die Hizbollah seit Jahren 
  passieren laesst - und damit dafuer gesorgt hat, dass die israelische 
  Regierung die iranischen Atomanlagen nicht angreifen kann, ohne selbst 
  einem massiven Raketenhagel aus dem Libanon ausgesetzt zu sein.
  
  Die russischen Interessen sind ebenfalls offensichtlich: Russland 
  unterhaelt mit dem syrischen Hafen Tartus den einzigen Mittelmeer- 
  Stuetzpunkt, der von russischen Kriegsschiffen angefahren werden kann. 
  Russland kann ueber Syrien als einem zentralen Verbuendeten seine 
  Interessen in der Region wahren und versucht daher, den Sturz Assads 
  zu verhindern.
  
  Grosse Teile der Christen in Syrien, die 10 Prozent der Bevoelkerung 
  ausmachen, unterstuetzen ebenso wie die 10 Prozent Alawiten, welche 
  die Fuehrungsraenge in der Armee besetzen, nach wie vor mehrheitlich 
  Baschar al- Assad und gehen auch fuer ihn auf die Strasse. Sie 
  befuerchten, nach dem Sturz Assads und freien Wahlen unter die Raeder 
  der muslimischen Bevoelkerungsmehrheit zu kommen.
  
  Angesichts der Ablehnung einer Blauhelmmission durch die 
  Assad-Regierung und des zu vermutenden Widerstandes Russlands und 
  Chinas gegen einen entsprechenden Vorstoss im Weltsicherheitsrat ist 
  eine Militaerintervention weiterhin nicht auszuschliessen. Am 
  wahrscheinlichsten scheint aber, dass die internationalen Gegner des 
  Assad-Regimes darauf setzen werden, die Freie Syrische Armee zu 
  unterstuetzen und es ihr zu ueberlassen, zusammen mit den zivilen 
  Oppositionsgruppen die Regierung zu stuerzen. Eine Perspektive, die 
  trotz der ungeheuren zahlenmaessigen militaerischen Ueberlegenheit des 
  Regimes nicht als unrealistisch einzustufen ist, da die Unterstuetzung 
  der Regierung, wie die wachsende Zahl von Deserteuren zeigt, erodiert. 
  Aber der Preis wuerde sehr hoch sein - ein solcher voll entbrannter 
  Buergerkrieg duerfte Zehntausende an Menschenleben kosten.
  
  Option fuer zivile Konfliktbearbeitung und Gewaltfreiheit
  
  Ziviler, gewaltloser Widerstand hat schon vielfach sein Potential 
  bewiesen. Vom indischen Unabhaengigkeitskampf ueber die Philippinen 
  1986, den Iran 1978, die Umstuerze in Osteuropa 1989 bis hin zu 
  Tunesien und Aegypten 2011 reicht die Reihe erfolgreicher ziviler 
  Aufstaende. Aber der "Mix" von zivilen und gewaltsam-militaerischen 
  Aktionsformen birgt die Gefahr weitergehender Eskalation. Der zivile 
  Widerstand baut auf seine moralische Autoritaet und seine vereinigende 
  und versoehnende Kraft, der sich auch Alawiten, andere Minderheiten 
  und selbst Profiteure des Regimes anschliessen koennen. Demgegenueber 
  fuehrt die Militarisierung zur Spaltung und einer weiteren 
  Brutalisierung des Konflikts, die den Wiederaufbau Syriens 
  jahrzehntelang behindern wird. Wie in Libyen waere der militaerische 
  Kampf in Syrien zudem der reinste Selbstmord fuer die Menschen im Land 
  und nicht ohne eine langwierige, noch mehr Opfer fordernde 
  Militaerintervention zu gewinnen. Trotz aller Opfer und Leiden im 
  heutigen Syrien bleibt der gewaltfreie Widerstand die einzig 
  vernuenftige Option. ###
  *
  
  Quelle: Dossier V -- Syrien zwischen gewaltfreiem Aufstand und 
  Buergerkrieg. Vorgelegt von Christine Schweitzer, Clemens Ronnefeldt, 
  Karl Grobe-Hagel und Andreas Buro; 
  http://www.koop-frieden.de/dokumente/dossier5.pdf
  *
  
  1 Ein Teil dieses Textes, verfasst von Christine Schweitzer, ist 
  bereits vom Bund fuer Soziale Verteidigung (www.sozialeverteidigung.de) 
  
  in seinen "Informationsblaettern" veroeffentlicht worden.
  
  2 Angabe der Vereinten Nationen vom 28. Februar. (Quelle: 
  http://www.crisisgroup.org/~/media/Files/CrisisWatch/2012/cw1 
  03.pdf ) 
  Andere Quellen geben hoehere oder niedrigere Ziffern an - die 
  Regierung spricht von 2.000 toten Soldaten; aus Kreisen des 
  Widerstands ist von mindestens 10.000 zivilen Opfern zu hoeren. Als 
  Krieg gilt in der Friedensforschung ein bewaffneter Konflikt dann, 
  wenn ein Konflikt pro Jahr mindestens 1.000 Opfer kostet (z.B. SIPRI). 
  Siehe BBC vom 6. Februar 2011, 
  http://www.bbc.co.uk/news/worldmiddle-east-16902819 
  und vom 1. 
  Februar, "Impasse at UN Security Council debate on Syria violence", 
  http://www.bbc.co.uk/news/worldmiddle- 
  east-16825761.
  
  3 Zahlen vom September 2011. Quelle: Spiegel-Online "2600 Menschen 
  starben beim Aufstand gegen Assad", 12. September 2011. Zu den 
  Fluechtlingen: 5.500 in Jordanien laut 
  http://www.irusa.org/press-releases/ 
  islamic-relief-usa-to-assist-5500-syrianrefugees- 
  in-jordan/; 
  4000 im Libanon laut 
  http://www.firstpost.com/topic/place/syria-syrian-refugees-struggle-in-lebanon-video-LOK7wPotnaM-15-1.html; 
  
  7.500 in der Tuerkei laut http://www.zakat.org/news_and_multimedia/campaign_news/syria/40_foot_container_filled_with_relief_supplies_shipped_to_syrian_refuge/ 
  
  4 Quelle. Wikipedia unter Berufung auf Bassam Tibi: Die Verschwoerung: 
  Das Trauma arabischer Politik. Hoffmann und Campe, Hamburg 1993, S. 
  186-188
  
  5 Quelle: Wikipedia, s.oben
  
  6 Margret Johannson (2009) Der Nahostkonflikt, Wiesbaden, S. 109
  
  7 SZ, 25.5.2010
  
  8 Quelle: bbc.co.uk/news/world-middle-east-17040392 
  vom 15.2.2012
  
  9 FR, 16.2.2012
  
  10 Quellen: Wikipedia, 
  http://de.wikipedia.org/wiki/Aufstand_in_Syrien_2011/2012; 
  
  BBC: http://www.bbc.co.uk/news/world-middle-east-13855203; 
  
  Erklaerung von Alawiten aus Homs Anfang Februar 2012: 
  http://www. lccsyria.org/category/statements
  
  11 FR, 16.2.2012
  
  12 Quelle: Website von Adopt a Revolution, www.adoptrevolution.org
  
  13 http://www.lccsyria.org/, teilweise 
  auf Englisch.
  
  14 http://srgcommission.org/. Sie hat 
  keine englischsprachige Website.
  
  15 Khalil Habash, Protecting Syria's Revolt from Military 
  Intervention. 
  http://english.al-akhbar.com/content/protecting-syria%E2%80%99s-revolt-military-intervention. 
  
  Der Artikel wurde im Oktober 2011 verfasst; ein genaues 
  Datum der zitierten Erklaerung ist nicht angegeben. Uebersetzung: CS
  
  16 http://www.syriannc.org/ Die bei Google 
  angezeigte 
  englischsprachige Seite http://nationalcouncilofsyria.com/ 
  wird von 
  den USA aus betrieben und ist nach unserer Kenntnis keine Seite des 
  SNC.
  
  17 http://mar15.info/2012/01/press-releasesnc- 
  political-program/
  
  18 Karin Leukefeld, Krieg als Planspiel. Katar will arabische Armeen 
  in Syrien einmarschieren lassen. in: junge Welt, 16. Januar 2012, 
  http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Katar/syrien.html.
  
  19 http://www.ncsyria.com/ (arabisch)
  
  20 http://www.aljazeera.com/video/middleeast/2012/01/20121993012520680.html. 
  
  Der Preis eines Gewehres soll bei 2.000 USD, der von Munition bei 2 USD liegen.
  
  21 BBC, s. oben
  
  22 Escobar, Pepe: Das wandernde Auge: Ein Blick durch den Nebel um 
  Syrien, 9.2.2012, http://www.larsschall.com/2012/02/09/1776/
  
  23 Die Zahlenangaben variieren stark und sind schwer zu verifizieren 
  (siehe New York Times , 
  http://www.nytimes.com/2011/09/17/world/africa/skirmishes-flare-around-qaddafi-strongholds.html 
  ) 
  
  24 Emile Hokayem "Revolutionary Road: Dispatches from a changing 
  Middle East" - http://www.iiss.org/whats-new/iiss-voices/revolutionary-road/
  
  25 Schon vor einigen Wochen gab es entsprechende Ueberlegungen. Siehe: 
  Karin Leukefeld, "Krieg als Planspiel", 
  http://www.ag-friedensforschung.de/regionen/Katar/syrien.html
  Katar will arabische Armeen in Syrien einmarschieren lassen. Aus: junge 
  Welt, 16. Januar 2012
  
  
  
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