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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. April 2012; 04:16
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Russland/Termin:

> Chefsache Haekelmasken

Aussendung der Kampagne "Free Pussy Riot!" -- Aktionstag 19.April


Seit Oktober 2011 sind sie aktiv -- die Aktivist_innen von Pussy Riot.
Sie nehmen sich den oeffentlichen Raum und tauchen in U-Bahnen oder
auf oeffentlichen Bussen auf, um dort ein Konzert zu machen. Nehmen
den Roten Platz in Beschlag um ihre Statements rauszuschreien, oder
irritieren die Hoelle aus anwesenden Nonnen und Kirchengaenger_innen
mit ihrer Inszenierung in der "Christi Erloeser"-Kathedrale. Pussy
Riot ist keine homogene Gruppe, sie sind nicht einfach nur eine Punk
Band, vielmehr ein loser Zusammenhang -- undogmatisch links,
feministisch, laut und vor allem: unangepasst. Ihre Auftritte in
knalligen Kleidchen und Haekel-Hassmasken -- gepaart mit pointierten
politischen Songs -- erregen nicht nur viel Aufmerksamkeit, sondern
bringen auch einigen Aerger.

Sie lassen sich nicht klassisch kategorisieren, auch wenn diverse
Mainstream Medien sie am liebsten auf die Kategorien
"Anti-Putin-Proteste" oder "regierungsfeindliche Punk-Band" reduzieren
wollen. Pussy Riot sparen nicht mit Kritik an Kirche und
Nationalismus, sie sind explizit feministisch, antisexistisch und
treten klar gegen Homophobie und Rassismus auf.

Das macht sie auch innerhalb der Opposition gegen Putin nicht
unbedingt beliebt. Mit den Inhalten, die Pussy Riot ueber ihre
Aktionen transportieren, ecken sie -- wenig ueberraschend -- beim
Mainstream extrem an. Feministische und klare antisexistische
Positionen sind unbequem, ihre Auftritte sind provokant und
transportieren klare Statements gegen die HERRschenden Zustaende.

Nach dem Auftritt im Februar in der "Christi Erloeser" Kathedrale, wo
sie einen Anti-Putin Song einem maximal ungeneigten Publikum zum
Besten gaben, setze eine massive Medienhetze ein, welche sich quer
durch den Mainstream zog. Die Forderungen, was mit den Pussy Riot
Aktivist_innen passieren solle -- von der Forderung von "oeffentlichem
Auspeitschen" oder einer Steinigung bis zur direkten Androhung von
sexualisierter Gewalt -- zeigen den massiven Hass gegen Frauen im
allgemeinen und gegen Feministinnen im speziellen deutlichst auf.

Die Fuehrung der russisch-orthodoxen Kirche wurde aktiv und forderte
von der Justiz ein hartes Vorgehen. Nicht wenig verwunderlich also,
dass Ende Februar vermeldet wurde, dass nach Artikel 213/2 ("besonders
schwerwiegende Stoerung der oeffentlichen Ordnung, organisiert als
Gruppe, Aufhetzen gegen religioese Lehren") ermittelt wird. Der
angedrohte Strafrahmen: Bis zu 7 Jahre Knast. Bisher wurde dieser
Artikel nicht in der Verfolgung von politischen Gegner_innen
eingesetzt, sondern ueblicherweise der "Extremismus"-Paragraph (bis zu
2 Jahre) herangezogen, um Aktivist_innen ins Gefaengnis zu bringen --
immer noch absurd genug.

Pussy Riot blieben trotzdem weiterhin aktiv und haben in Folge unter
anderem einem Radiosender ein Interview gegeben. Die Polizei ist
danach mit einer Sondereinheit beim Radiosender aufgetaucht, hat dort
Material beschlagnahmt und den Leiter des Senders verhoert. Dieser
vermeldete ueber Twitter, dass laut den Ermittler_innen eine eigene
Sonderkomission eingerichtet wurde, welche Bericht nach "ganz oben"
erstattet. "Chefsache" quasi.

Der Staat schlaegt zu

Anfang Maerz gab es die ersten Verhaftungen -- durchgefuehrt von
Spezialeinheiten. In der ersten Anhoerung wurde den Betroffenen
absurderweise vorgeworfen, sie waeren untergetaucht, obwohl alle
Verhafteten gerade in der Arbeit, zuhause oder auf dem Weg dorthin
waren. Zwei der Verhafteten wurden bald wieder freigelassen, und
gelten nun als Zeug_innen. Kurze Zeit spaeter wurde eine weitere Frau
verhaftet. Sie wurden bei den Verhoeren massiv unter Druck gesetzt,
ihre Anwaelt_innen wurden tagelang nicht vorgelassen. Die Betroffenen
haben jede Aussage verweigert, sie bekennen sich weder dazu Teil von
"Pussy Riot" zu sein oder sich an der Performance in der Kirche
beteiligt zu haben.

Die bisherigen Haftpruefungen waren -- laut Beobachter_innen und
Anwaelt_innen -- eine einzige Farce. Unter dem fadenscheinigen Vorwurf
der Fluchtgefahr -- zwei der Verhafteten haben kleine Kinder -- wurde
die U-Haft verhaengt. Sie befanden sich nach ihrer Verhaftung mehrere
Tage lang im Hungerstreik, um gegen ihre rechtswidrige Inhaftierung
und die Kriminalisierung von politischem Aktivismus zu protestieren.
Die naechste Anhoerung ueber eine Fortsetzung der U-Haft ist fuer den
19.April anberaumt. Die Staatsanwaltschaft hat bereits angekuendigt
auf eine abermalige Verlaengerung zu bestehen.

Die Haftbedingungen fuer die Aktivist_innen sind extrem hart. Ihnen
wird immer wieder der Zugang zu ihren Anwaelt_innen erschwert und die
Kommunikation behindert. Sie bekommen zeitweise keine Buecher, die
Zellen sind eisig kalt und die Betten vollkommen unzureichend. Die
drei Betroffenen werden staendig vom Gefaengnispersonal gefilmt, was
eine zusaetzliche Belastung ist, und natuerlich auch zu einem
angespannten Klima mit/unter anderen Gefaengnisinsass_innen fuehrt.
Vorallem die zwei Betroffenen mit Kindern werden massiv unter Druck
gesetzt. Ihnen wird vom Ermittlungsleiter mit dem Entzug des
Sorgerechts gedroht sollten sie sich weiterhin weigern, die Fragen der
Ermittler_innen zu beantworten.

Der breite Mainstream zeigt sich groesstenteils mit der Repression
gegen Pussy Riot zufrieden. Daneben gibt es aber auch die eine oder
andere kritische Stimme, so manche fordern "Milde walten zu lassen" --
wohl nicht zuletzt vom hohen Strafausmass schockiert. Darueber hinaus
kommt es aber auch immer wieder zu Solidaritaetsaktionen,
beispielsweise vor der Polizeistation, wo die Betroffenen einsitzen.
Solche Kundgebungen fuer die Gefangenen wurden von religioesen
Fundamentalist_innen und der Putin-nahen "Jugendbewegung" "Nashi"
angegriffen, einige Protestteilnehmer_innen wurden verletzt, und
bekamen dann auch noch die Polizei-Repression zu spueren. Andere
Solidaritaets-Aktionen wurden von den Behoerden gleich ganz untersagt.
Angehoerige der inhaftierten Frauen wurden im Internet mit Namen und
Adresse geoutet und erhalten seitdem Morddrohungen. (gek.)

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Weitere Infos, speziell ueber den fuer Donnerstag geplanten
Aktionstag:
Oesterr.: http://raw.at/texte/2012/aktionstag-free-pussy-riot/
International: http://freepussyriot.org/



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