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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 21. Maerz 2012; 00:32
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Griechenland/Medien:
> "Pressefreiheit der Arbeiter"
Eleftherotypia -- Tageszeitung in Selbstverwaltung
Am 15.Februar erschien Eleftherotypia, eine der am weitesten
verbreiteten Tageszeitungen Griechenlands, in neuem Gewand: Die
Belegschaft, die seit sieben Monaten keinen Lohn mehr erhaelt, gibt
Eleftherotypia der Arbeiter in Eigenregie heraus. Moissis Litsis,
Wirtschaftsredakteur des Blattes, hat dazu folgenden Text
veroeffentlicht:
Da ist sie! Geschafft! Die Beschaeftigten von Eleftherotypia
(«Pressefreiheit»), eine der groessten und angesehensten
Tageszeitungen Griechenlands, treiben ein grossartiges Vorhaben voran:
die Herausgabe ihrer eigenen Zeitung, "Eleftherotypia der Arbeiter!"
Seit dem 15.Februar haengt in den Kiosken im ganzen Land neben den
gewoehnlichen Zeitungen eine weitere Zeitung aus, die von ihren
eigenen Angestellten gemacht wird. Eine Zeitung, die nicht nur ueber
den Kampf der Beschaeftigten von Eleftherotypia informiert, sondern
ein vollstaendiges Informationsmedium sein will, besonders in dieser
fuer Griechenland kritischen Periode.
Die 800 Beschaeftigten des Unternehmens X.K.Tegopoulos, das die
Zeitung Eleftherotypia herausgibt - Journalisten, Techniker,
Reinigungskraefte, Pfoertner... - befinden sich seit dem 22.Dezember
2011 in einem unbefristeten Streik, denn das Unternehmen hat ihnen
seit dem letzten August keine Loehne mehr bezahlt!
Da das Unternehmen die Anwendung von Artikel 99 des Konkursgesetzes
verlangt, um sich vor seinen Glaeubigern zu schuetzen - d.h. vor
seinen Beschaeftigten, denen es insgesamt etwa 7 Millionen Euro an
Loehnen schuldet -, haben die Beschaeftigten von Eleftherotypia
beschlossen, parallel zu den Mobilisierungen und zum juristischen
Vorgehen ihre eigene Zeitung herauszugeben - eine Zeitung, die von den
Pressedistributoren im ganzen Land verbreitet wird, zum Preis von 1
Euro (gegenueber dem ueblichen Preis von 1,30 Euro der anderen
Zeitungen) - auch mit dem Ziel, die Streikkasse zu unterstuetzen.
Die Belegschaft von Eleftherotypia, die seit sieben Monaten keinen
Lohn mehr erhaelt, wird von einer Solidaritaetsbewegung aus
verschiedenen Kollektiven und einzelnen Buergern unterstuetzt, die
Geld- oder Sachspenden (Nahrungsmittel, Decken...) geben. Mit der
Herausgabe ihrer eigenen Zeitung und dem Erloes aus deren Verkauf wird
die Belegschaft ohne die mindeste Vermittlung ihren Streik finanzieren
koennen: Schliesslich geht sie zu einer Art Selbstverwaltung ueber.
Die Zeitung wird in einem befreundeten Betrieb hergestellt, in einer
Umgebung, die an die Herausgabe einer Untergrundzeitung erinnert, denn
die Direktion hatte zunaechst, als sie erfuhr, dass die Journalisten
dabei waren, ihre eigene Zeitung zu machen, die Heizung abgestellt,
dann das von den Redakteuren zur Erfassung ihrer Artikel verwendete
System und schliesslich die Betriebsraeume selber geschlossen,
wenngleich der Zugang zum Buero momentan noch frei ist. Eleftherotypia
der Arbeiter wurde mit Unterstuetzung der Druckergewerkschaft in einer
Druckerei gedruckt, die nicht zum Unternehmen gehoert, weil die
Beschaeftigten der zeitungseigenen Druckerei vor der Besetzung ihres
Arbeitsplatzes zurueckschreckten.
Das Management droht aus Furcht vor der Wirkung einer
selbstverwalteten Zeitung mit rechtlichen Schritten und versucht, die
Belegschaft mit der Drohung einzuschuechtern, das von den Streikenden
demokratisch gewaehlte Redaktionskomitee zu entlassen. Doch die
griechische Oeffentlichkeit, nicht nur die Leser von Eleftherotypia,
wartete gespannt auf ihr Erscheinen - wir erhielten ueberwaeltigend
viele Botschaften, die es begruessten, dass wir die Zeitung in
Eigenregie herausgeben -, denn die Diktatur der Maerkte geht einher
mit der Diktatur der Medien, die die griechische Realitaet
verschleiern.
Eleftherotypia ist kein Einzelfall. Dutzende Unternehmen des
Privatsektors haben seit langem die Lohnzahlungen eingestellt, ihre
Aktionaere haben sie faktisch in Erwartung besserer Zeiten aufgegeben...
Im Pressebereich ist die Lage noch schlimmer. Wegen der Krise haben
die Banken aufgehoert, den Unternehmen Darlehen zu geben, aus eigener
Tasche wollen die Besitzer nicht zahlen und nehmen lieber zu Artikel
99 Zuflucht - mindestens 100 an der Boerse notierte Unternehmen haben
dies getan -, um mit Blick auf einen moeglichen griechischen Bankrott
und Ausstieg aus der Eurozone Zeit zu gewinnen. [Anm:: Artikel 99 des
Konkursgesetzes schuetzt den Schuldner vor der Verfolgung durch die
Glaeubiger. Lohnabhaengige werden als «Glaeubiger» ihres Unternehmers
betrachtet. Der Boss muss ihnen also den Lohn nicht weiter zahlen.]
Eleftherotypia wurde 1975, in der Zeit der Radikalisierung nach dem
Sturz der Diktatur, als «Zeitung seiner Redakteure» gegruendet. Heute,
in einer Periode der neuen «Diktatur der internationalen Glaeubiger»,
wollen die Beschaeftigten von Eleftherotypia ein leuchtendes Beispiel
einer vollkommen anderen Information geben - im Widerstand gegen den
«Terror» sowohl der Unternehmer als auch der Medienbarone, die absolut
nicht wollen, dass die Werktaetigen das Schicksal der Information in
die eigene Hand nehmen. ###
Quelle:
http://www.sozonline.de/2012/03/eleftherotypia-tageszeitung-in-selbstverwaltung
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