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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 29. Februar 2012; 05:20
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"Krise"/Linke/Debatte:
> Schlag nach bei Marx
Worauf muss sich die Linke in den naechsten Jahren einstellen?
Soll unser Handeln, das heisst die Praxis der Linken nicht im Alltag 
stecken bleiben, muessen wir uns vorerst einmal darueber Klarheit 
verschaffen, was uns in den naechsten Jahren erwartet. Und daraus 
unsere konkreten politischen Schritte ableiten.
Die Krisenphaenomene des Kapitalismus -- in oekonomischer, sozialer, 
oekologischer und politischer Hinsicht -- sind ueberdeutlich und 
werden nicht einmal mehr vom ideologischen mainstream bzw. von Teilen 
der herrschenden Klassen in Frage gestellt. Schon ganz anders schaut 
es aus, wenn die Ursachen dieser Krisen angesprochen werden -- hier 
gibt es einen wahren Jahrmarkt an Scheinerklaerungen -- von 
oberflaechlichstem Psychologismus bis hin zu duerrem 
(Neo)keynesianismus. Noch vertrackter wird es, wenn es um Alternativen 
bzw. um die einzuleitenden praktischen Schritte gegen den 
kapitalistischen Wildwuchs gibt -- auch hier finden sich die 
abstrusesten Vorschlaege.
Wichtiger denn je ist es, ein klares Verstaendnis der oekonomischen 
Krise des globalen Kapitalismus (nicht die Situation in einzelnen 
Laendern, die guenstig sein kann) zu haben. Grob gesprochen kann 
man/frau sagen, dass durch die besonderen Bedingungen nach dem 
2.Weltkrieg der Kapitalismus einen starken Aufschwung gehabt hat 
("Wirtschaftswunder-Jahre"). Seit Mitte der 70er verflacht sich 
zunehmend diese Entwicklung und in den letzten Jahren ist die Krise 
offen ausgebrochen. Diese Krise ist eine Kombination von 
Ueberproduktion, Unterkonsumption, tendenziellem Fall der Profitrate, 
Auseinanderfallen der wirtschaftlichen Entwicklung einzelner Laender 
etc.. Staatsverschuldung, "Eurokrise" sind "nur" die Folgen dieser 
Krisentendenzen -- nicht deren Ursache.
Fuer undogmatische MarxistInnen ist dieser Negativtrend kein Buch mit 
7 Siegeln: Marx hatte keine eindimensionale, sondern eine 
vielschichtige oekonomische Krisentheorie. Keynes hingegen -- der 
offen zugab, "Marx nicht verstanden zu haben"- isolierte einzelne 
Momente und ueberfrachtete sie interpretatorisch ( z.B das 
"Sparverhalten" von Kapitalisten oder den Luxuskonsum der Reichen).
Marx legt in seinem oekonomischen Hauptwerk, dem legendaeren "Kapital" 
(insbesonders in den Baenden 2 und 3) auch dar, wie stark der 
Geldsektor zu seiner Zeit ausgedehnt werden konnte. Was Marx nicht 
ahnen konnte, ist die gigantische Aufblaehung des Finanzsektors heute. 
Aber wie gerade die letzten Jahre lehrten (das Platzen diverser 
Blasen), basiert die Ausweitung des Geldsektors nur auf einer 
relativen Autonomie. Sie wurde schockartig auf den Boden der Realitaet 
zurueckgeholt (siehe etwa in den USA der Flop im Immobiliensektor).
Im (warenproduzierenden) Kapitalismus gehoeren "Realwirtschaft" und 
"Finanzwirtschaft" untrennbar zusammen. Wer den Krisen den Kampf 
ansagen will, der muss den Kapitalismus angreifen und nicht 
illusionaer bloss einen seiner Sektoren. Es ist die der Markt-, d.h. 
die der Profitlogik folgende Produktion und Konsumform, die die Uebel 
produziert. Nur wenn sie ueberwunden wird, gibt es eine Chance.
Die oekomischen, sozialen, oekologischen und politischen Krisen werden 
sich weiter verschaerfen: prekaere Verhaeltnisse werden noch mehr ins 
Kraut schiessen, fuer sinnvolle oekologische Massnahmen wird kein Geld 
da sein (siehe das Null-Resultat von Durban). Den politischen Murks 
der EU kann man/frau sich taeglich geben. Die Versuche des 
Imperialismus die arabischen Revolten fuer sich zu nutzen (gestern in 
Lybien, heute in Syrien) werden zunehmen usw.
Wir naehern uns in Europa einem neuen "1914" -- auch wenn vorderhand 
keine Kriege vor der Tuer stehen. Griechenland zeigt die Richtung 
wohin es geht: Massenarmut, ja Verelendung breitet sich aus; das Land 
befindet sich unter Kuratel; die extreme Rechte (Laos) war bis vor 
kurzem Teil der "Notstandsregierung"!
Eine aehnliche Regierung gibt es in Italien, in Spanien will die 
konservative Regierung die Kollektivvertraege liquidieren und der 
EZB-Chef verkuendet das "Ende des Sozialstaats" (1). Schritt fuer 
Schritt erreicht diese negative Entwicklung auch das reiche 
"Kerneuropa" -- also auch Oesterreich.
Wenn nicht (fast) alles den Bach runtergehehn soll, wofuer 
Generationen gekaempft haben, muss der Kapitalismus ueberwunden werden 
und es kann nicht bloss an ihm herumgedoktert werden. Wir gehen Zeiten 
entgegen in denen es schaerfste Klassenkonfrontationen geben wird und 
wo auch die Frage der Revolution wieder aufs Tapet kommt.
Diese Ausfuehrungen sind wie gesagt zum Selbstverstaendnis der Linken 
, um zu begreifen was uns Seitens der Herrschenden blueht! Von daher 
sollte man dem Kommenden realistisch ins Auge blicken: alle Vorschaege 
den Kapitalismus zu zivilisieren, zu "demokratisieren" etc. sind fuer 
die Katz. Sie gehen am Verstaendnis der Funktion kapitalistischer 
Krisen vorbei ("Kapitalvernichtung" -- um so neue "Anreize" zu 
schaffen). Und genau das passiert aktuell in Europa und nicht 
oekonomische "Wiederbelebungsprogramme"- kombiniert mit enormen 
Umverteilungen von unten nach oben und einem starken Trend zu immer 
autoritaereren Herrschaftsformen (was nicht mit Faschismus 
gleichzusetzen ist).
Ebenso fatal waere der Versuch eines "Buendnisses mit dem produktiven 
Kapital" (gegen die "unproduktiven Finanzhaie"). Solche Politiken, die 
in den 30er-Jahren von den stalinisierten KPs vorgetragen wurden 
("Volksfront") fuehrten in die politische Katastrophe (Spanien, 
Frankreich,...).
Es gilt eine Strategie zu entwickeln, die am Hier und Heute ansetzt --  
an den sogenannten "Alltagsfragen" und Forderungen "mittlerer 
Reichweite" erhebt (Sozialisierung der Banken, radikales 
Schuldenstreichen...), wohl wissend, dass die Realisierung dieser 
Massnahmen ueber die buergerliche Gesellschaft hinausweist.
Fuer die kleine oesterreichische Linke ergeben sich daraus folgende 
Notwendigkeiten: dem "Sparpaket" durch breite Buendnisse kaempferisch 
entgegentreten (nicht bloss ein paar "warnende Sager"); diesem ersten 
Schritt der Regierung werden -- wenn sie jetzt durchkommt -- bald 
weitere Haemmer folgen; systematisch den OeGB auffordern, gegen die 
Verschlechterungen zu mobilisieren -- dabei nicht das Faktum 
ignorieren, dass die zentrale Gewerkschaftsbuerokratie aufs Engste mit 
der neoliberalen SP-Fuehrung verbandelt ist; erste politische und 
organisatorische Schritte, um auch in Oestrreich zu einer --  
pluralen -- linken Organisation (links von der Sozialdemokratie und 
den Gruenen) zu kommen.
*Hermann Dworczak*
Anm. akin:
(1) Der Ausspruch ueber den Sozialstaat von Mario Draghi, dem 
Praesidenten der Europaeischen Zentralbank, fiel waehrend eines 
Interviews mit dem Wall Street Journal. Allerdings wurde dieses Zitat 
vielerorts, sogar vom WSJ selbst, in indirekter Rede und ziemlich 
verzerrt wiedergegeben. Man kann dessen Aussage naemlich 
unterschiedlich interpretieren. Im Original-Wortlaut des Interviews 
lautete die Stelle:
WSJ: "Glauben Sie, dass Europa kuenftig nicht mehr so stark das 
Sozialstaatsmodell sein wird, dass es bisher verkoerpert hat?"
Draghi: "Das europaeische Sozialstaatsmodell gibt es nicht mehr, wenn 
wir die Jugendarbeitslosigkeit in einigen Laendern betrachten. Diese 
Reformen sind noetig, um die Beschaeftigung zu erhoehen, besonders die 
Jugendbeschaeftigung, und damit auch Investitionen und Konsum."
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