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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 29. Februar 2012; 05:26
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Buecher:

> Nichts Positives

Ruth von Mayenburg:
Hotel Lux. Die Menschenfalle.
2011, Elisabeth Sandmann Verlag, Muenchen. 383 Seiten. 25,50 Euro.
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Ruth von Mayenburgs fesselndes -- neu aufgelegtes -- Buch ueber die
wechselvolle Geschichte des Hotel Lux in Moskau bietet einen guten
Einblick in die tragische Entwicklung der kommunistischen
Weltbewegung. Wer nach seiner Lektuere Stalin bzw. dem Stalinismus
insgesamt noch etwas "Positives" abgewinnen will, dem/der ist wirklich
nicht mehr zu helfen.

In den letzten vier Jahren war ich zweimal in Moskau, um ueber den
aktuellen Rechtsextremismus und Rechtspopuliusmus (auch in der Rock n
Roll-Szene!) zu referieren. Jedes Mal fuehrte mich mein Weg auch zum
legendaeren Hotel Lux, diesem fuer die kommunistische Weltbewgung so
zentralen Gebaeude. War es vor vier Jahren noch in einem desolaten
Zustand, wird es derzeit renoviert. Ob an dem restaurierten Gebaeude
zumindest eine Gedenktafel angebracht werden wird, ist fraglich.

Das Lux hat eine mehr als bewegte Geschichte. Ursprueglich ein Hotel
im Zentrum, diente es nach der Oktoberrevolution der Unterbringung der
Delegierten zu den Weltkongressen der Kommunistischen Internationale
(KI). Spaeter wurde es zum Flucht- und Wohnort von zahlreichen
kommunistischen EmigrantInnen.

Anhand der Geschichte des Hotels schildert Ruth von Mayenburg die
Phasen der Entwicklung der kommunistischen Bewegung. Die Autorin --
selbst Bewohnerin des Lux von 1938-1945 -- kombiniert persoenliche
Erlebnisse und historische facts.

Klar wird die -- relative -- Offenheit der KI, bevor sie der
Stalinisierung zum Opfer fiel. Es gab anfangs offene, hitzige,
polemische Debatten -- harte Streitkultur. Aber keinerlei
Repression -- niemand waere im Traum eingefallen, einen politischen
Widersacher umzubringen. Genau dies trat jedoch ein als Stalin und
seine Clique die Herrschaft an sich rissen.

Wer die Geschichte der KI nicht kennt, erfaehrt durch das Buch
Mayenburgs etliches ueber den "Kriegskommunismus" in der jungen
Sowjetunion oder den unerlaesslichen Umstieg auf die "Neue
Oekonomische Politik" (NEP).

Sehr erhellend sind ihre Ausfuehrungen ueber die chinesische
Revolution (in den 20er- und 30er-Jahren). Die stalinistische
Buerokratie und die sowjetischen Berater forderten von den
chinesischen KommunistInnen ein Buendnis mit Tschiang Kai-schek und
seiner buergerlichen Kuomintang -- eine Politik, die in mehreren
Katastrophen endete (und schliesslich dazu fuehrte, dass die KP Chinas
unter Mao Tse Tung einen von Moskau relativ unabhaengigen Kurs
einschlug).

Mayenburg spricht von der "Aufbruchsstimmung", die auf dem
7.Weltkongress der KI 1935 zu verzeichnen war -- nach den Jahren des
ultralinken Kurses und der Charakterisierung der Sozialdemokratie als
Sozialfaschismus -- eine selbstmoerderische "Strategie", die --
mangels einer Einheintsfront der ArbeiterInnenparteien -- zur
kampflosen(!) Niederlage des deutschen Proletariats 1933 fuehrte.

Geradezu den Atem veschlaegt es einem bei ihrer Schilderung der
"grossen Tschistka" ("Saeuberung") mit ihren Schauprozessen, in der
nahezu alle engsten KampfgefaehrtInnen Lenins dahingeschlachtet
wurden -- unter den fadenscheinigsten Beschuldigungen und
miterzwungenen "Gestaendnissen": u.a. Sinowjew, Kamenjew, Bucharin
bzw. -- im mexikanischen Exil -- Trotzki. Und der lange Arm Stalins
und seiner Schergen griff auch immer mehr nach den BewohnerInnen des
Lux.

Einige -- ernsthafte -- Schwaechen des Buches sollen nicht unwerwaehnt
bleiben. So richtig Ruth von Mayenburg das verheerenden Buendnis mit
der "nationalen Bourgeosie" in China kritisiert, so sehr bleibt eine
fundierte Kritik an der "Volksfrontpolitik" der KPs aus- obwohl diese
nicht weniger die ArbeiterInnenbewegung zum blossen Anhaengsel der
"demokratischen, antifaschistischen Bourgeoisie" machte. Es fehlt in
dem Buch auch eine umfassende Erklaerung, warum die stalinistische
Buerokratie gesiegt hat.
Trotz dieser Einschraenkungen ist das Buch ein echter Hammer.
Geschrieben von einer Frau, die all die Greuel selbst miterlebt hat.

Das Buch ruft mit aller aller Deutlichkeit in Erinnerung: nichts, aber
auch gar nichts "Positives" ist dem Stalinismus abzugewinnen. Er war
und ist eine Totalkatastophe, die bis heute hemmend fuer die Linke
nachwirkt. Nichteinmal das Niederringen des Hitlerfaschismus kann --
wie oft von Apologeten ins Treffen gefuehrt wird -- auf der
"Habenseite" des Stalinismus verbucht werden. Stalin und seine Clique
ignorierten alle Warnungen vor einem Ueberfall Nazideutschlands (auch
die seiner eigenen Aufklaerung!) -- es war ja die Zeit des
Stalin-Hitlerpaktes...

Die deutsche Armee rueckte extrem weit vor -- bis vor die Tore Moskaus
und Leningrads. Nicht wegen des militaerischen "Genies" Stalin siegte
die Rote Armee, sondern trotz Stalin: u.a. weil die
"Uebergangsgesellschaft zum Sozialismus" viel mehr als das Dritte
Reich mobilisieren konnte -- materiell und nicht zuletzt
moralisch-ideologisch.

Sagen wir es ohne Umschweife: wer beim heutigen Forschungs- und
Wissensstand noch immer stalinistische Mythen spinnt, luegt und
verbreitet politischen Unsinn.
*Hermann Dworczak*



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