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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 22. Februar 2012; 01:41
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Tierrechtsprozess:
> Schriftliche Urteile im §278a-Verfahren
Anfang Februar wurde mit der Zustellung des schriftlichen Urteils im
278a-Verfahren begonnen. In dem lange erwarteten Urteil liefert die
Richterin eine ausfuehrliche schriftliche Begruendung des
vollumfaenglichen Freispruchs der TierrechtsaktivistInnen vom 2. Mai
2011.
Ganze neun Monate nach dem in Wr. Neustadt gefaellten Urteil bestaerkt
Einzelrichterin Sonja Arleth in der nun endlich fertig gestellten
schriftlichen Ausfertigung ihre Argumentation des umfassenden
Freispruchs der dreizehn politischen AktivistInnen. Ueber vierzehn
Monate war diesen wegen des Vorwurfs der Bildung und Mitgliedschaft
(in) einer Kriminellen Organisation (§278a), versuchter schwerer
Noetigungen, Sachbeschaedigung, Tierquaelerei (!) und anderen
Vorwuerfen der Prozess gemacht worden.
Arleth liefert in dem 385 Seiten umfassenden Konvolut nicht nur
umfangreiche Begruendungen fuer ihren Freispruch, sondern schliesst
sich in vielen Punkten den Argumentationen der Angeklagten und ihrer
VerteidigerInnen an und bestaerkt damit deren politisches Engagement
und dessen Legitimitaet. Ausserdem untermauert sie ihre bereits in der
muendlichen Urteilsverkuendung geaeusserte Kritik an den
Ermittlungsmethoden der Sonderkommission "Pelztier".
Bezueglich der freien Meinungsaeusserung in punkto militanter Aktionen
etc. schreibt Arleth: "Mag es auch fuer den Durchschnittsbuerger
bedenklich sein, dass manche Personen der Tierrechtsbewegung
Sachbeschaedigungen, Brandanschlaege, Tierbefreiungen, somit
Straftaten nach dem Strafgesetzbuch als legitimes Mittel zur
Verfolgung von Zielen sehen, ist dies alleine fuer sich gesehen
strafrechtlich im Hinblick auf §278a StGB unerheblich. Das umfassende,
erschoepfende Beweisverfahren ergab, dass die ALF keine kriminelle
Organisation im strafrechtlichen Sinn ist. Einzelpersonen bzw.
Kleingruppen verueben unter dieser 'ALF-Ideologie' Straftaten,
unabhaengig, frei von Organisationsstrukturen, frei von
Weisungsgebundenheiten."
Staatsanwalt Handler, der Anklaeger, hatte in der "ALF-Ideologie" noch
einen eindeutigen Hinweis auf die Mitgliedschaft in einer kriminellen
Struktur gesehen.
Andernorts schreibt Arleth: "Bei manchen Angeklagten war ein
Sympathisieren mit der 'ALF-Ideologie' nachweislich", welche die
Richterin als "eine Gesinnung, die in einer Demokratie als zulaessig
erachtet werden muss" beschreibt.
Wolfgang Handler hatte in seiner Anklage die Ansicht vertreten, die
TierrechtlerInnen wuerden verschluesselte Kommunikation zur
"Abschottung vor Strafverfolgungsbehoerden" nutzen und damit in einem
weiteren Punkt den Straftatbestand des §278a erfuellen. Angeklagte
versuchten, wenn auch anfangs gegen viele Widerstaende des Gerichts,
die Legitimitaet von Datenschutz und Verschluesselung erklaeren. Im
Urteil wird deren Argumentation bestaetigt:
"Es kann nicht festgestellt werden, dass Verschluesselungen dazu
dienten, sich vor Strafverfolgungsmassnahmen hinsichtlich von durch
unbekannte TaeterInnen begangenen Straftaten wie Sachbeschaedigungen
etc., abzuschirmen." ...Daraus ergibt sich auch, dass Verschluesselungen
nicht nachweislich mit der Foerderung der Begehung von strafbaren
Handlungen nach dem StGB in Zusammenhang gebracht werden koennen.
....Die Verschluesselung diente auch der Abschirmung der
Tierrechtsbewegung, einer 'Protestbewegung'. Aktionen des 'zivilen
Ungehorsams' sollten nicht durch Mitlesen von Personen, die das
Gedankengut der 'Protestkultur' nicht in sich tragen bzw. damit
sympathisieren, geschuetzt werden. So besteht fuer Anhaenger der
'Protestbewegung' die Gefahr, dass Aktionen des 'zivilen Ungehorsams'
durch Informationen an die Polizei vereitelt werden koennten, z.B.
Jagdsabotagen. Verschluesselungen von Dateien wurden auch vorgenommen,
weil Angst vor einem 'Ueberwachungsstaat' (...) vorliegend war/ist."
Aehnlich wie in der muendlichen Urteilsverkuendung uebt die Richterin
massive Kritik an den polizeilichen Ermittlungsmethoden der Soko
"Pelztier": "Die Ermittlungen waren so umfassend und intensiv, dass
geradezu von einer aussergewoehnlichen 'Ermittlungsmaschinerie'
gesprochen werden kann", so eine Formulierung im Urteil. Insbesondere
der lange durch die Soko-Leitung vertuschte Einsatz der fuer 16 Monate
eingeschleusten verdeckten Ermittlerin 'Danielle Durand' zog Kritik
auf sich, ebenso das Einsetzen von DenunziantInnen in einer
Tierschutz-NGO in Form von 'Vertrauenspersonen' durch die Polizei.
Arleth findet eindeutige Worte zu Aussagen leitender Soko-BeamtInnen,
die medial immer wieder als 'Falschaussagen' betitelt wurden: "Wenn
Mag. Erich Zwettler weiters angab, nichts von einer Vertrauensperson
gewusst zu haben, dann ist das ebenfalls als schlichte
Schutzbehauptung zu werten. Der Zeuge AI Raab gab in der
Hauptverhandlung an, dass die SOKO-Leitung, die Mag. Zwettler inne
hatte, wegen einer Vertrauensperson angefragt habe."
Staatsanwalt Handler, der schon kurz nach Urteilsverkuendung
Nichtigkeit und Berufung anmeldete, hat bis Ende Juni Zeit, eine
allfaellige Nichtigkeitsbeschwerde und/oder ausfuehrliche Begruendung
einer Berufung zu liefern, die er allerdings Oberstaatsanwaltschaft
und Justizministerium noch zur Ueberpruefung vorlegen muesste.
Danach muesste das Oberlandesgericht entscheiden: Eine erneute
Hauptverhandlung in erster Instanz wegen Nichtigkeit und eine
Neubewertung der Schuldfrage in 2. Instanz waeren moeglich.
Andernfalls waere der Freispruch rechtskraeftig.
(Antirep2008/bearb.)
O-Text: http://antirep2008.org/?p=3953
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