**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 8. Februar 2012; 03:20
**********************************************************

Arbeit/Kommentar:

> BAGS: Seltsame Gewerkschafter

Im Sozial- und Gesundheitsbereich geht es nicht nur um hoehere Loehne
*

Am ersten Februar 2012 demonstrierten etwa 6000 Menschen aus dem
Sozial- und Gesundheitsbereich fuer eine "kraeftige Gehaltserhoehung"
und bessere Arbeitsbedingungen. Demonstriert wurde in Linz, Graz,
Klagenfurt und Wien. Allein in Linz gingen etwa 1500 Menschen auf die
Strasse, die organisatorische Verantwortung wurde von der Gewerkschaft
getragen, von der GPA-djp und der vida. Im Vorfeld wurden bundesweit
etwa 300 Betriebsversammlungen abgehalten. Den Hintergrund der
Aktivitaeten bilden die bislang erfolglosen Verhandlungsrunden zum
BAGS-Kollektivvertrag. BAGS steht fuer: Berufsvereinigung von
Arbeitgebern fuer Gesundheits- und Sozialberufe. Die Arbeitgeber
hatten in der vorherigen Verhandlungsrunde fuer die
GewerkschaftsvertreterInnen inakzeptable 3% Gehaltserhoehung
vorgeschlagen, daraufhin wurden die Verhandlungen abgebrochen,
Aktionen geplant und die naechste Verhandlungsrunde auf den 20.
Februar anberaumt.

Entschuldigung, wir wollten nicht stoeren

Betroffen sind von diesem Kollektivvertrag sind etwa 90.000
Beschaeftigte des privaten Sozial- und Gesundheitswesens. Die Stimmung
auf den Demos war trotz klirrender Kaelte gut, die betroffenen
Beschaeftigten sind bereit, fuer ihre Rechte zu kaempfen, dabei sehen
sie sich mit einer eher zahmen Gewerkschaftsvertretung konfrontiert.
Die Demo in Linz wurde von einem Gewerkschaftsfunktionaer mit einem
Dank an die gute Zusammenarbeit mit der Polizei eroeffnet, man haette
auch zynisch interpretieren koennen, dass die OrganisatorInnen der
Polizei dafuer danken, nicht auf dem Gehsteig gehen zu muessen: Eine
Fahrspur wurde dem Verkehr freigegeben, um die oeffentlichen
Verkehrsmittel nicht zu behindern, denn es sei ja nicht Zweck der Demo
jemanden zu "stoeren". Im Namen der DemonstrantInnen wurden diese
Worte nicht gesprochen, selbstverstaendlich war der Zweck der Uebung,
die Leute auf die Arbeitsbedingungen im Sozial- und Gesundheitsbereich
aufmerksam zu machen, selbstverstaendlich wollten wir stoeren.

Mehrwert?

Angesichts der schlechten Abschluesse der letzten Jahre und der
steigenden Inflation kann die Forderung der Gewerkschaft nach einer
Gehaltserhoehung um die 4% nicht als Forderung nach einer "kraeftigen"
Gehaltserhoehung bezeichnet werden. Dazu kommt, dass die
Verzoegerungstaktik der Arbeitgeber schon im letzten Jahr dazu
gefuehrt hat, dass die Erhoehung der Loehne und Gehaelter erst mit
Februar ausbezahlt wurde, fuer das Jahr 2012 koennte es durchaus sein,
dass ein Kollektivvertragsabschluss erst mit Maerz zaehlt, in diesem
Fall muessten die betroffenen Beschaeftigten insgesamt auf drei Monate
Gehaltserhoehung innerhalb von zwei Jahren verzichten. Die
Abschlusskundgebung war von einem bedenklichen Motto getragen. Die
DemonstrantInnen wurden dazu animiert folgenden Satz im Kanon zu
bruellen: "Soziale Arbeit ist Mehrwert". Die meisten haben leider
mitgebruellt. Stirnrunzeln war vereinzelt zu beobachten. Einmal ganz
von der Frage abgesehen, ob die GewerkschaftsfunktionaerInnen in der
Gewerkschaftsschule geschlafen haben, als sie Karl Marx studieren
haetten sollen: es ist ein Fehldenken und es fuehrt in eine Sackgasse,
soziale Leistungen in Kategorien des Profits integrieren zu wollen.
Wenn wir SozialarbeiterInnen Anerkennung, Wertschaetzung und
angemessene Bezahlung fuer unsere Arbeit erhalten wollen, brauchen wir
eine Grundhaltung, die mit Solidaritaet zu tun hat, brauchen wir
unsere eigenen Begrifflichkeiten.

Die GewerkschaftsvertreterInnen haben Recht, wenn sie verkuenden, dass
soziale Arbeit den sozialen Frieden sichert, SozialarbeiterInnen ist
das Dilemma der systemunterstuetzenden Funktion fuer den Staat und die
Gesellschaft durchaus bewusst, es gibt aber auch die Orientierung,
eine systemveraendernde Kraft sein zu wollen, in die
gesellschaftlichen Verhaeltnisse eingreifen zu wollen. Dazu muessen
sich SozialarbeiterInnen aus den herrschenden Verhaeltnissen
hinausdenken koennen und duerfen. Die betroffenen Menschen, die
Hilfestellungen und Unterstuetzung benoetigen, um ihr Leben in Wuerde
gestalten zu koennen, sind weder KundInnen noch eine Ware, sie sind
abhaengig von der oeffentlichen Hand und den Menschen, die sie in
ihrem Leben ein Stueck weit begleiten, sie sind abhaengig von der
Solidaritaet in unserer Gesellschaft. Hoechst bedenklich war die Rede
eines Gewerkschaftsfunktionaers, der sich auf die Idee des
ehrenamtlichen Einsatzes in der Betreuung und Begleitung betroffener
Menschen bezog. Er meinte, dass er nichts von der Idee haelt, dass man
Menschen, die "gestrauchelt" sind, eine Gefaengnisstrafe abzubuessen
haben, ehrenamtlich im Sozialbereich arbeiten laesst, denn die
"Gestrauchelten" sind maximal "Klienten" der Sozialarbeit. Man kann
sich schon denken, was er sagen wollte, aber dieser Ansatz ist nicht
nur menschenverachtend und entwuerdigend, hier werden wieder zwei
verschiedene Menschenklassen geschaffen, von denen eine weniger wert
ist. Von einem Gewerkschafter haette ich mir das nicht erwartet.

Vom Arbeitgeber zum Land und retour

Das Grundproblem der Beschaeftigten im Sozial- und Gesundheitswesen
ist es, dass die Arbeitgeber das noetige Budget mit den Laendern
verhandeln muessen, die Beschaeftigten werden wie der sprichwoertliche
Spielball von den Laendern auf die Arbeitgeber und von den
Arbeitgebern auf die Laender verwiesen. Der Job der
SozialarbeiterInnen ist es, hilfsbeduerftige Menschen wuerdevoll, nach
ihren Wuenschen und Beduerfnissen und professionell zu begleiten, der
Job der Arbeitgeber ist es, das noetige Geld auszuverhandeln, dafuer
werden sie mehr als gut bezahlt.

Wenn ich in meiner Arbeit als Sozialarbeiterin versage, werde ich
gekuendigt, wenn mein Arbeitgeber das noetige Geld nicht beschaffen
kann, bekommt er ein wohlmeinendes Laecheln und einen warmen
Haendedruck von seiten der LaendervertreterInnen. Statt fuer unsere
Rechte einzutreten, wird der Druck, den die Laender auf die
Arbeitgeber ausueben auf uns ArbeitnehmerInnen abgewaelzt.

Beispiel Salzburg: Wer hat uns verraten?

Die Gewerkschaftsvertretung in Salzburg betont stets, auf der Seite
der ArbeitnehmerInnen zu stehen. In Salzburg sind die
Geschaeftsfuehrungen der im Sozialbereich taetigen Organisationen zwar
verpflichtet, den BAGS-Kollektivvertrag zu zahlen, das Land erkennt
den Kollektivvertrag aber nicht an und zahlt weniger fuer die Lohn-
und Gehaltskosten. Vor einigen Wochen hat ein Treffen zwischen den
Arbeitgebern, den BetriebsraetInnen der verschiedenen Organisationen
aus dem privaten Sozial- und Gesundheitswesen und der
Soziallandesraetin Schmidjell stattgefunden. Der Mehrfachfunktionaer
Walter Steidl, fuehrend in der GPA-djp und zugleich
SPOe-Landtagsabgeordneter hat sich in die Diskussion eingebracht. Im
Vorfeld des gemeinsamen Treffens hatten sich die BetriebsraetInnen
darauf geeinigt, sich von den Arbeitgebern nicht in die Irre fuehren
zu lassen, keine kleinen Problemchen zu besprechen, sondern massiv die
Anerkennung des BAGS-Kollektivvertrages als Finanzierungsbasis durch
das Land einzufordern. Das wusste Herr Walter Steidl. In der
gemeinsamen Diskussion ist besagter Herr, quasi unser
Gewerkschaftsvertreter den BetriebsraetInnen offen in den Ruecken
gefallen: er meinte in Richtung Soziallandesraetin Schmidjell, dass
der Kollektivvertrag nicht unbedingt als Finanzierungsbasis fuer das
Land gelten muss, dies wuerde sich aus seiner Entstehungsgeschichte
ergeben. Die anwesenden BetriebsraetInnen sind fast aus ihren Sesseln
gefallen. Das war ein offener Verrat. Fuer die BetriebsraetInnen
heisst es jetzt: zurueck an den Start. Das Land verweist auf die
Arbeitgeber, die Arbeitgeber auf die mangelnde Bereitschaft des
Landes, soziale Arbeit fair zu entlohnen und die
Gewerkschaftsfuehrung? Herr Steidl unterstuetzt LaendervertreterInnen
und Arbeitgeber dabei, die BetriebsraetInnen in die Wueste zu
schicken.

Auf der Demonstration in Linz haben saemtliche
GewerkschaftsfunktionaerInnen betont, wie dringend sie die
Unterstuetzung der Beschaeftigten brauchen, um fuer unsere Rechte
einzutreten, um uns gut vertreten zu koennen. Sehr gestaerkt wurde
mein Vertrauen in die genannten GewerkschaftsvertreterInnen nicht.
*Rosalia Krenn*

Die Autorin ist Betriebsraetin bei der Lebenshilfe Salzburg



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.redaktion{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin