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  akin-Pressedienst.
  Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 8. Februar 2012; 03:20
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  Arbeit/Kommentar:
> BAGS: Seltsame Gewerkschafter
  
  Im Sozial- und Gesundheitsbereich geht es nicht nur um hoehere Loehne
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  Am ersten Februar 2012 demonstrierten etwa 6000 Menschen aus dem 
  Sozial- und Gesundheitsbereich fuer eine "kraeftige Gehaltserhoehung" 
  und bessere Arbeitsbedingungen. Demonstriert wurde in Linz, Graz, 
  Klagenfurt und Wien. Allein in Linz gingen etwa 1500 Menschen auf die 
  Strasse, die organisatorische Verantwortung wurde von der Gewerkschaft 
  getragen, von der GPA-djp und der vida. Im Vorfeld wurden bundesweit 
  etwa 300 Betriebsversammlungen abgehalten. Den Hintergrund der 
  Aktivitaeten bilden die bislang erfolglosen Verhandlungsrunden zum 
  BAGS-Kollektivvertrag. BAGS steht fuer: Berufsvereinigung von 
  Arbeitgebern fuer Gesundheits- und Sozialberufe. Die Arbeitgeber 
  hatten in der vorherigen Verhandlungsrunde fuer die 
  GewerkschaftsvertreterInnen inakzeptable 3% Gehaltserhoehung 
  vorgeschlagen, daraufhin wurden die Verhandlungen abgebrochen, 
  Aktionen geplant und die naechste Verhandlungsrunde auf den 20. 
  Februar anberaumt.
  
  Entschuldigung, wir wollten nicht stoeren
  
  Betroffen sind von diesem Kollektivvertrag sind etwa 90.000 
  Beschaeftigte des privaten Sozial- und Gesundheitswesens. Die Stimmung 
  auf den Demos war trotz klirrender Kaelte gut, die betroffenen 
  Beschaeftigten sind bereit, fuer ihre Rechte zu kaempfen, dabei sehen 
  sie sich mit einer eher zahmen Gewerkschaftsvertretung konfrontiert. 
  Die Demo in Linz wurde von einem Gewerkschaftsfunktionaer mit einem 
  Dank an die gute Zusammenarbeit mit der Polizei eroeffnet, man haette 
  auch zynisch interpretieren koennen, dass die OrganisatorInnen der 
  Polizei dafuer danken, nicht auf dem Gehsteig gehen zu muessen: Eine 
  Fahrspur wurde dem Verkehr freigegeben, um die oeffentlichen 
  Verkehrsmittel nicht zu behindern, denn es sei ja nicht Zweck der Demo 
  jemanden zu "stoeren". Im Namen der DemonstrantInnen wurden diese 
  Worte nicht gesprochen, selbstverstaendlich war der Zweck der Uebung, 
  die Leute auf die Arbeitsbedingungen im Sozial- und Gesundheitsbereich 
  aufmerksam zu machen, selbstverstaendlich wollten wir stoeren.
  
  Mehrwert?
  
  Angesichts der schlechten Abschluesse der letzten Jahre und der 
  steigenden Inflation kann die Forderung der Gewerkschaft nach einer 
  Gehaltserhoehung um die 4% nicht als Forderung nach einer "kraeftigen" 
  Gehaltserhoehung bezeichnet werden. Dazu kommt, dass die 
  Verzoegerungstaktik der Arbeitgeber schon im letzten Jahr dazu 
  gefuehrt hat, dass die Erhoehung der Loehne und Gehaelter erst mit 
  Februar ausbezahlt wurde, fuer das Jahr 2012 koennte es durchaus sein, 
  dass ein Kollektivvertragsabschluss erst mit Maerz zaehlt, in diesem 
  Fall muessten die betroffenen Beschaeftigten insgesamt auf drei Monate 
  Gehaltserhoehung innerhalb von zwei Jahren verzichten. Die 
  Abschlusskundgebung war von einem bedenklichen Motto getragen. Die 
  DemonstrantInnen wurden dazu animiert folgenden Satz im Kanon zu 
  bruellen: "Soziale Arbeit ist Mehrwert". Die meisten haben leider 
  mitgebruellt. Stirnrunzeln war vereinzelt zu beobachten. Einmal ganz 
  von der Frage abgesehen, ob die GewerkschaftsfunktionaerInnen in der 
  Gewerkschaftsschule geschlafen haben, als sie Karl Marx studieren 
  haetten sollen: es ist ein Fehldenken und es fuehrt in eine Sackgasse, 
  soziale Leistungen in Kategorien des Profits integrieren zu wollen. 
  Wenn wir SozialarbeiterInnen Anerkennung, Wertschaetzung und 
  angemessene Bezahlung fuer unsere Arbeit erhalten wollen, brauchen wir 
  eine Grundhaltung, die mit Solidaritaet zu tun hat, brauchen wir 
  unsere eigenen Begrifflichkeiten.
  
  Die GewerkschaftsvertreterInnen haben Recht, wenn sie verkuenden, dass 
  soziale Arbeit den sozialen Frieden sichert, SozialarbeiterInnen ist 
  das Dilemma der systemunterstuetzenden Funktion fuer den Staat und die 
  Gesellschaft durchaus bewusst, es gibt aber auch die Orientierung, 
  eine systemveraendernde Kraft sein zu wollen, in die 
  gesellschaftlichen Verhaeltnisse eingreifen zu wollen. Dazu muessen 
  sich SozialarbeiterInnen aus den herrschenden Verhaeltnissen 
  hinausdenken koennen und duerfen. Die betroffenen Menschen, die 
  Hilfestellungen und Unterstuetzung benoetigen, um ihr Leben in Wuerde 
  gestalten zu koennen, sind weder KundInnen noch eine Ware, sie sind 
  abhaengig von der oeffentlichen Hand und den Menschen, die sie in 
  ihrem Leben ein Stueck weit begleiten, sie sind abhaengig von der 
  Solidaritaet in unserer Gesellschaft. Hoechst bedenklich war die Rede 
  eines Gewerkschaftsfunktionaers, der sich auf die Idee des 
  ehrenamtlichen Einsatzes in der Betreuung und Begleitung betroffener 
  Menschen bezog. Er meinte, dass er nichts von der Idee haelt, dass man 
  Menschen, die "gestrauchelt" sind, eine Gefaengnisstrafe abzubuessen 
  haben, ehrenamtlich im Sozialbereich arbeiten laesst, denn die 
  "Gestrauchelten" sind maximal "Klienten" der Sozialarbeit. Man kann 
  sich schon denken, was er sagen wollte, aber dieser Ansatz ist nicht 
  nur menschenverachtend und entwuerdigend, hier werden wieder zwei 
  verschiedene Menschenklassen geschaffen, von denen eine weniger wert 
  ist. Von einem Gewerkschafter haette ich mir das nicht erwartet.
  
  Vom Arbeitgeber zum Land und retour
  
  Das Grundproblem der Beschaeftigten im Sozial- und Gesundheitswesen 
  ist es, dass die Arbeitgeber das noetige Budget mit den Laendern 
  verhandeln muessen, die Beschaeftigten werden wie der sprichwoertliche 
  Spielball von den Laendern auf die Arbeitgeber und von den 
  Arbeitgebern auf die Laender verwiesen. Der Job der 
  SozialarbeiterInnen ist es, hilfsbeduerftige Menschen wuerdevoll, nach 
  ihren Wuenschen und Beduerfnissen und professionell zu begleiten, der 
  Job der Arbeitgeber ist es, das noetige Geld auszuverhandeln, dafuer 
  werden sie mehr als gut bezahlt.
  
  Wenn ich in meiner Arbeit als Sozialarbeiterin versage, werde ich 
  gekuendigt, wenn mein Arbeitgeber das noetige Geld nicht beschaffen 
  kann, bekommt er ein wohlmeinendes Laecheln und einen warmen 
  Haendedruck von seiten der LaendervertreterInnen. Statt fuer unsere 
  Rechte einzutreten, wird der Druck, den die Laender auf die 
  Arbeitgeber ausueben auf uns ArbeitnehmerInnen abgewaelzt.
  
  Beispiel Salzburg: Wer hat uns verraten?
  
  Die Gewerkschaftsvertretung in Salzburg betont stets, auf der Seite 
  der ArbeitnehmerInnen zu stehen. In Salzburg sind die 
  Geschaeftsfuehrungen der im Sozialbereich taetigen Organisationen zwar 
  verpflichtet, den BAGS-Kollektivvertrag zu zahlen, das Land erkennt 
  den Kollektivvertrag aber nicht an und zahlt weniger fuer die Lohn- 
  und Gehaltskosten. Vor einigen Wochen hat ein Treffen zwischen den 
  Arbeitgebern, den BetriebsraetInnen der verschiedenen Organisationen 
  aus dem privaten Sozial- und Gesundheitswesen und der 
  Soziallandesraetin Schmidjell stattgefunden. Der Mehrfachfunktionaer 
  Walter Steidl, fuehrend in der GPA-djp und zugleich 
  SPOe-Landtagsabgeordneter hat sich in die Diskussion eingebracht. Im 
  Vorfeld des gemeinsamen Treffens hatten sich die BetriebsraetInnen 
  darauf geeinigt, sich von den Arbeitgebern nicht in die Irre fuehren 
  zu lassen, keine kleinen Problemchen zu besprechen, sondern massiv die 
  Anerkennung des BAGS-Kollektivvertrages als Finanzierungsbasis durch 
  das Land einzufordern. Das wusste Herr Walter Steidl. In der 
  gemeinsamen Diskussion ist besagter Herr, quasi unser 
  Gewerkschaftsvertreter den BetriebsraetInnen offen in den Ruecken 
  gefallen: er meinte in Richtung Soziallandesraetin Schmidjell, dass 
  der Kollektivvertrag nicht unbedingt als Finanzierungsbasis fuer das 
  Land gelten muss, dies wuerde sich aus seiner Entstehungsgeschichte 
  ergeben. Die anwesenden BetriebsraetInnen sind fast aus ihren Sesseln 
  gefallen. Das war ein offener Verrat. Fuer die BetriebsraetInnen 
  heisst es jetzt: zurueck an den Start. Das Land verweist auf die 
  Arbeitgeber, die Arbeitgeber auf die mangelnde Bereitschaft des 
  Landes, soziale Arbeit fair zu entlohnen und die 
  Gewerkschaftsfuehrung? Herr Steidl unterstuetzt LaendervertreterInnen 
  und Arbeitgeber dabei, die BetriebsraetInnen in die Wueste zu 
  schicken.
  
  Auf der Demonstration in Linz haben saemtliche 
  GewerkschaftsfunktionaerInnen betont, wie dringend sie die 
  Unterstuetzung der Beschaeftigten brauchen, um fuer unsere Rechte 
  einzutreten, um uns gut vertreten zu koennen. Sehr gestaerkt wurde 
  mein Vertrauen in die genannten GewerkschaftsvertreterInnen nicht.
  *Rosalia Krenn*
  
  Die Autorin ist Betriebsraetin bei der Lebenshilfe Salzburg
  
  
  
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