**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 8. Februar 2012; 03:30
**********************************************************

Moderne Zeiten/Glosse:

> Kunst und Kaese

Ueber ACTA, SOPA und die Kampagne "Kunst hat Recht"
*

Innovative und experimentelle Kunst will Fragen stellen,
gesellschaftliche Strukturen durchleuchten, eingeuebte Seh- und Hoer-
und Denkgewohnheiten in Frage stellen, unerhoerte sinnliche
Erfahrungen vermitteln und Rechte fuer die Entrechteten einfordern.
Rechthaberei ist eher selten ihre Sache. Insofern weckt die
Behauptung: "Kunst hat Recht" Aufmerksamkeit. Worum geht es?

KuenstlerInnen gegen Sozialpartnerlobby

Damit der Einnahmeverlust der KuenstlerInnen durch das private
Weiterkopieren ihrer Werke ausgeglichen wird, gibt's eine
Leerkassettenabgabe, die von den Verwertungsgesellschaften kassiert
und an ihre Mitglieder ausgeschuettet wird.

Da der Verkauf von CDs, DVDs und Kassetten aber zurueckgeht, schrumpft
diese Summe dramatisch. Der Versuch diese Abgabe auf heutige Speicher-
und Kopiermedien auszuweiten, - sprich auf Festplatten, Server und
Computer-, biss auf den Granit eines sozialpartnerschaftlichen
Lobbyings von Wirtschaftskammer und Arbeiterkammer.

Um hier Druck zu machen, starteten die Verwertungsgesellschaften fuer
Musik, AustroMechana und AKM, und die Verwertungsgesellschaft fuer
Texte, LiterarMechana, die Kampagne "Kunst hat Recht", die aber leider
die Diskussion ueber die Speichermedienabgabe mit einer Forderung nach
strengerem Urheberrechtsschutz fuers geistige Eigentum im Internet
verknuepfte, und damit viele der juengeren, mit den Konzepten der
Tausch- und Geschenkoekonomie im Internet sozialisierten
KulturmacherInnen veraergerte.

Vielleicht ist es ja auch kein Zufall, dass die
Verwertungsgesellschaften ihre Antipirateriekampagne ausgerechnet am
Tag vor der Unterzeichnung des heftig umstrittenen
ACTA-Geheimabkommens praesentierten.

Geschenkoekonomie vs Piratenjagd

NetzidealistInnen begruessten einst das www mit euphorischen
Erwartungen als einen von den Verwertungsinteressen der
Kulturindustrie befreiten Raum demokratischen Austauschs. Und
wirklich: ProduzentInnen von Informationen und Kultur koennen ohne
Filterung durch Sendeanstalten, Vertriebsfirmen, Galerien, Labels. etc
ihre Werke verbreiten, und in direkten Austausch mit den NutzerInnen
treten. Die einst steile Hierarchie zwischen den wenigen, sehr
elitaeren Sendern dort oben und den vielen stimmlosen EmpfaengerInnen
ist tendenziell in ein horizontales Netz umgewandelt oder umwandelbar,
in dem alle als Sender und EmpfaengerInnen gleichermassen auftreten
koennen.

Gerade aus einer Perspektive, die nicht die von mitteleuropaeischen
WohlstandsbuergerInnen ist, hat das Internet dazu beigetragen, dass
Wissen, Informationen, Kunstwerke, die frueher nur Menschen
zugaenglich waren, die Zugang zu den Bibliotheken und Museen der
reicheren Teile der Welt hatten, nun weltweit fuer jede/n verfuegbar
sind. Waehrend die oekonomische Chancenungleichheit zwischen Erster
und Letzter Welt in den letzten zwanzig Jahren eher noch schlimmer
wurde, hat sich die Teilhabe an Kultur und Kommunikationen weltweit
egalisiert.

Diese egalitaeren Ideale vor Augen, lehnen die Netzcommunities und
PiratInnen alle Versuche ab, das freie Fliessen der
Informationsstroeme im Sinne des alten Urheberrechts zu
reglementieren - wie die Gesetzesvorhaben SOPA oder PIPA in den USA
oder das ACTA-Geheim-Abkommen (http://stopp-acta.info/), das gerade
dem EU-Parlament zur Ratifizierung vorliegt. Diese Gesetzesvorstoesse
werden allerorten von den grossen Medienmogulen und ihren Lobbyisten
betrieben. Dass oesterreichische KuenstlerInnen sich da vor den Karren
der Industrie spannen lassen, mutet seltsam an. Denn um durchzusetzen,
dass keiner meiner Texte, meiner Filme im Internet weitergereicht
wird, ohne dass man mir etwas dafuer bezahlt, muss ich weitreichende
Ueberwachungsinstrumente wollen. Es ist reichlich naiv, wenn Ursula
Sedlacek, Mercedes Echerer und Sandra Csillag von der Initiative
"Kunst hat Recht" freundlich beteuern, man wolle eh niemanden wegen
Gratisdownloads hinter Gitter bringen, nur Ordnungsstrafen sollen
ausgesprochen werden. Um die praktizierenden AnhaengerInnen der
Geschenkoekonomie abstrafen zu koennen, und das ist wohl inzwischen
der groessere Teil des juengeren Publikums, muss man sie ermitteln.
Das wird ohne die Vorratsdatenspeicherung, ohne Onlinedurchsuchungen,
ohne umfassende Beobachtung, wer wann mit wem welche Daten tauscht,
nicht funktionieren.

Die Freiheit ist immer die Freiheit der Konzerne

Doch auch die NetzidealistInnen verteidigen ein Reich der Freiheit,
das zu weiten Teilen schon laengst kommerzialisiert und monopolisiert
wurde. Den Werbekunden ist ein Webbanner umso mehr wert, je gezielter
es an potentiell Interessierte geraet. Userdaten wurden zum
Geschaeftskapital, BigBrother spioniert uns nicht im Dienste
totalitaerer Staaten aus, sondern um die Datensaetze der Webmultis
aufzufetten. Eventuell politisch opportune staatliche Nebennutzungen
nicht ausgeschlossen. Wir NutzerInnen verhalten uns im Netz genauso
unmuendig wie im analogen Leben. Wir googlen weiter, obwohl die neuen
Datenschutzregeln z.B. ankuendigen, dass Google zukuenftig jeden
Kontakt einer/s UserIn mit anderen abspeichern wird. Den freien
Austausch von Mensch zu Mensch wickeln die Leute ganz freiwillig ueber
eine als SuperBigBrother agierende Firma ab, die durch die Daten ihrer
Kunden Milliarden wert wurde und die minimalsten Datenschutzregeln
dreist missachtet.

Fair use? Eine Minderheitenmoral. Viele laden alles gratis herunter
was gratis zu haben ist.. Gesaugt werden nicht nur die Bigseller der
Kulturindustrie, sondern auch Nischenprodukte, deren UrheberInnen ihre
sowieso prekaere Existenz auf den Verkauf einiger hunderter CDs
stuetzen. Die Verhaftung von Megauploadbetreiber Kim Schmitz in
Neuseeland hat dem freien Datenfluss ein haessliches Gesicht
verliehen: Wenn Leute mit der Verbreitung von Werken reich und dick
werden, ohne deren ProduzentInnen etwas abzugeben, schafft die
Piraterie nicht egalitaeren Zugang, sondern kapitalistische
Ueberausbeutung.

Die dicken Gewinne im Internet bleiben sowieso bei denjenigen haengen,
die Technik zur Verfuegung stellen. Inhalte sind nichts wert.

Die Frage, wovon KuenstlerInnen denn leben sollen, wenn sie ihre Werke
frei im Netz zirkulieren lassen, ohne daran massgeblich zu verdienen,
sollte also tatsaechlich einmal ausfuehrlich diskutiert werden. Die
Antworten werden aber einfallsreicher, zukunftsweisender und
origineller sein muessen, als ein Pochen auf das Urheberrecht, das im
Internet, wenn ueberhaupt, dann nur um den Preis einschneidender
Ueberwachungs- und Kontrollmassnahmen zu haben waere und die
egalitaeren Ansaetze geteilten Wissens ebenso bedrohte, wie den
gesamten Sektor der Remix- und Samplekultur.

Unterm Regenschirm im Dachkammerl

Laut Studie des BMUKK (l) betraegt unser Durchschnittsverdienst als
oesterreichische Kunstschaffende 4500 Euro im Jahr, mehr als die
Haelfte verdient weniger als 1000 Euro im Monat. 76% muessen mit
Taetigkeiten jenseits der Kunstausuebung dazu verdienen. Uns armen
KulturarbeiterInnen waere mit einem bedingungslosen Grundeinkommen mit
Zuverdienstmoeglichkeiten besser gedient als mit
Urheberrechtsverschaerfungen, zu deren juristischer Durchsetzung wir
eh nie die Mittel haben werden.

Viele Huete

Hier ein Vortrag, dort einen Workshop leiten, da ein Auftritt, hier
einen Textbeitrag abgeben, manches unbezahlt, manchmal gut entlohnt.
Die wenigsten KuenstlerInnen haben ein festes Engagement, eine
dauerhafte Anstellung. Fast alle leben wir von einem Einnahmemix aus
Honoraren, Foerderungen, Preisgeldern, Eintrittsgeldern, Sponsoring.
In manchen Sparten sind Tantiemen und Urheberrechtsverguetungen
bedeutsamer, ausschliesslich davon leben wird wohl kaum jemand. Wenn
mit der Verbreitung der Kopien eines Werkes nicht mehr viel
einzuloesen ist, muss seine Herstellung, Livepraesentation etc besser
entlohnt werden.

Kein Unterschied zwischen Kunst und Kaese?

Von den VerfechterInnen strengen Urheberrechts ist staendig zu hoeren,
schliesslich wuerde man ja fuer Wein, Abflussreparaturen und
Fahrraeder auch bezahlen. Der Vergleich hinkt. Der Kaese ist nach dem
ersten Mausbiss verspeist, Texte, Musik und Filme werden nicht weniger
wert durch haeufigen Gebrauch - im Gegenteil: hohe Zugriffszahlen oder
Einschaltquoten steigern das symbolische Kapital der KuenstlerInnen.
Dafuer kann man sich heute nichts kaufen, aber man wird vielleicht
morgen eingeladen, gefoerdert, ausgestellt, beauftragt, gekauft.

Vielleicht sollten wir also aufhoeren uns mit Winzerinnen und
Butterstampfern zu vergleichen sondern uns eher an PolitikerInnen oder
LehrerInnen orientieren? Die muessen fuer ihre Dienstleistungen auch
nicht bei jedem jeweils Profitierenden kassieren, sondern werden fuer
ihren Dienst an der Allgemeinheit mit Steuergeldern bezahlt. Diese
Steuern oder Abgaben koennten ja sehr spezifisch dort eingehoben
werden, wo unsere Arbeit zum Tragen kommt. Weit ueber die
Festplattenabgabe hinaus koennten wir verlangen aus Abgaben auf
Werbung im Internet, Datenmengen, Netzgebuehren o.ae. bezahlt zu
werden. Oder wir diskutieren die Einfuehrung einer modernen Variante
der guten, alten Vergnuegungssteuer, mit der seinerzeit die
Gemeindebauten bezahlt wurden?

Haette es nicht viele Vorteile, endlich nicht mehr darauf angewiesen
zu sein, jedes Zeichen und jede Zeile und jede Minute einzeln jemandem
zu verkaufen, sondern stattdessen fuer den Dienst an der Allgemeinheit
entlohnt zu werden und nicht ueber den Verkauf unserer Werke als
Waren?

Solche Modelle haetten vielleicht auch den Vorteil, dass sie die
Moeglichkeit einer Umverteilung beinhalten: Wenn die Abgabenhoehe sich
nach dem Mindesteinkommen im jeweiligen Land richtet, die
Ausschuettungen an Kunst- und InformationsarbeiterInnen aber weltweit
gleich hoch waeren, gaebe es ein gutes Instrument, auf dem Sektor der
Kunst und Kultur gerechtere terms of trade zu schaffen als in den
restlichen Sektoren der Oekonomie.

Es ist einfacher "Haltet den Dieb" zu schreien, als hier tatsaechlich
durchdachte Modelle zu entwerfen, die einerseits weltweit die freie
nichtkommerzielle Nutzung aller Werke ermoeglichen, andererseits die
aus diesem freien Fluten lukrierten Gewinne an die verteilen, auf
deren Arbeit sie gruenden.

Gerade wir angeblich Kreativen sollten doch in der Lage sein,
intelligentere Ideen zu entwickeln, als nur das falsche Bild vom
Internet als grossem Supermarkt, in dem unsere Werke verkauft werden
und in dem wir nun auf die Jagd nach Ladendieben gehen.

Hoffentlich gelingt es uns, bis ACTA im Parlament ratifiziert wird,
die KollegInnen - und nicht nur die - davon zu ueberzeugen, dass sie
sich vor den falschen Karren spannen lassen, wenn sie fuer ein paar
mehr verkaufte E-books zukuenftig ihrem Provider - und nicht nur dem -
das Recht einraeumen, sich genau anzuschauen, was sie so an Daten
senden und empfangen.

Ja, und zum Schluss noch eine Bitte an alle die KuenstlerInnen, die
die Kampagne "Kunst hat Recht" unterschrieben haben, aber noch ein
Che-Guevara-Leiberl im Kasten liegen haben: Bitte ganz schnell
entsorgen, ohne dass es wer sieht. Sonst sind Sie voellig
unglaubwuerdig! Oder zumindest sofort Lizenzgebuehren an die
Oesterreichisch-Kubanische Gesellschaft ueberweisen (Erste Bank:BLZ
20111, Kto: 297 238 701 00). Die Che-Guevara-Ikone ist naemlich ein
illegaler Download aus dem analogen Zeitalter. Photograph Alberto
Korda erhielt nie einen Groschen dafuer, dass kapitalistische
T-Shirt-Firmen mit seinem kommunistischen Heldenportrait weltweit
Unsummen verdienten. Nur von der Vodkamarke Smirnoff erklagte er
schliesslich 50.000 Dollar. Und spendete sie fuer kubanische Kinder.

So geht's auch.
*Tina Leisch*

Die Autorin ist Film- Text- und Theaterarbeiterin:
http://www.kinoki.at, http://www.gangstergirls.at

Fussnote
(1) http://www.bmukk.gv.at/kunst/bm/studie_soz_lage_kuenstler.xml



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.redaktion{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin