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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. Jaenner 2012; 02:35
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Rumaenien:
> Proteste gegen Privatisierung des Gesundheitssystems
In den letzten Tagen kam es in verschiedenen Staedten Rumaeniens zu 
Protesten gegen das von der Regierung eingebrachte Gesundheitsgesetz. 
Mit diesem Gesetz soll die umfassende Privatisierung des gesamten 
Gesundheitsbereichs durchgesetzt werden. Am Sonntag (15. Januar 2012) 
erreichten die sozialen Proteste ihren Hoehepunkt. In Bukarest kam es 
zu mehrstuendigen Strassenkaempfen. Polizei und Jandarmerie fuegten 
Demonstranten schwerste Verletzungen zu.
Gesundheit nur fuer Reiche
Ende Dezember 2011 wurde das neue Gesetz von Staatspraesident Traian 
Basescu von der rechten Liberal-Demokratischen Partei (PDL) auf den 
Weg gebracht. Der Praesident erklaerte, das er eine vollstaendige 
Privatisierung dieses elementaren Bereichs der Gesellschaft wuensche, 
um den "Wettbewerb zwischen den Krankenhaeusern" zu beleben. 
Gleichzeitig wurden die Leistungen der in den Krankenkassen 
Versicherten massiv beschnitten. Zuzahlungen bzw. Generelle 
Bezahlungen von Arztbehandlungen sind obligatorisch. Auch der 
Rettungsdienst (SMURD) fuer Notfaelle soll privatisiert werden. D.h. 
konkret: Ohne Geld - keine Rettung. Diese Absicht veranlasste den 
Unterstaatssekretaer Raed Arafat, Direktor des Rettungsdienstes, 
oeffentlich zu erklaeren, das dieses Gesetz das Gesundheitssystem 
zerschlagen werde, und er diesem deshalb nicht zustimmen werde. Die 
Reaktion von Praesident Traian Basescu viel gewohnt autoritaer aus. Er 
erklaerte Arafat zum "groessten Feind des privaten Gesundheitssystems" 
und erklaerte am letzten Donnerstag (12. Januar 2012): "Wenn er dem 
Gesetz nicht zustimmt, dann geht er". Um seiner Drohung mehr Gewicht 
zu verleihen schob Basescu gegenueber einem Journalisten noch 
hinterher: "Ueberlag doch wie das ging, als Stefan Lazaroiu (damaliger 
Arbeitsminister) seinen Ministerposten aufgab." Raed Arafat trat dann 
am Freitag letzter Woche von seinem Posten zurueck.
Zusaetzlich wurde bekannt, das sich der Internationale Waehrungsfond 
(IWF) lobend und ueberrascht ueber die nahezu widerstandslose 
Durchsetzung des massivsten Sozialabbaus in der Geschichte des Landes 
gegenueber der rumaenischen Regierung aeusserte. Rentern, Beamten, 
Erwerblosen wurden massiv die Loehne bzw. Renten gekuerzt, den 
Arbeitern gewerkschaftliche Rechte genommen und die Lebensarbeitszeit 
verlaengert. Seit Jahren steigen die Preise fuer Lebensmittel, Strom 
und Wasser massiv an und regelmaessig werden Steuern erhoeht. Die 
Verarmung breitester Bevoelkerungsteile schreitet gefoerdert durch 
Regierung und IWF immer weiter fort.
Aus Solidaritaet mit dem (offiziell) zurueckgetretenen Arafat kam es 
im ganzen Land zu spontanen Solidaritaetskundgebungen und Protesten 
gegen das Gesundheitsgesetz. Im Zentrum von Bukarest griff die Polizei 
am Samstag Abend eine friedliche Versammlung von einigen hundert 
Protestierenden an. Ungewohnt war dabei, das sich diese gegen die 
Angriffe zur Wehr setzten und es kurzzeitig zu Auseinandersetzungen 
mit der Polizei kam. Am Sonntag, den 15. Januar erreichten die 
Proteste ihren bisherigen Hoehepunkt im Zentrum Bukarests..
Strassenkaempfe in Bukarest - Brutale Polizeigewalt
Dort versammelten sich am Piata Universitatea mehrere tausend Menschen 
(am Ende bis zu 4000) um gegen die Privatisierung sowie die 
Polizeigewalt zu protestieren. In Sprechchoeren und auf selber 
gemalten Schildern forderten sie den Ruecktritt Basescus und des 
Regierungschefs Emil Boc (ebenfalls PDL). Auf einem Transparent stand 
zu lesen: "Freiheit - nicht Profit". Der Protest wurde vorallem von 
Rentern getragen, die schon in den letzten Jahren zu den 
lautstaerksten und aktivsten Gegnern des Sozialabbaus zaehlten, sowie 
von Jugendlichen. Polizei und Jandarmerie gingen wie gewohnt in 
autoritaerer Weise gegen die Protestierenden vor. Daraus resultierten 
die Strassenkaempfe.
Es ist das erste mal seit Jahrzehnten, das es zu solchen Angriffen auf 
die staatliche Autoritaet kam. Offensichtlich konnte die Polizeigewalt 
und die Verurteilung der Demonstranten als "Terroristen" und 
"Hooligans" in den meisten Medien, vor allem den TV Sendern, die 
stundenlang live berichteten, nicht verhindern, das sich mehr und mehr 
Menschen den Protesten anschlossen. Waren es am fruehen Abend um die 
2500 wuchs die Zahl auf bis zu 4000 an. In zahlreichen Staedten kam es 
geichzeitig ebenfalls zu Protesten gegen die Regierung, das 
Gesundheitsgesetz und aus Solidaritaet mit den Demonstranten in 
Bukarest, so in Botosani, Deva, Alba Iulia, Craiova, Brasov, Pitesti 
(dort wurde vor der Parteizentrale der PDL demonstriert), Cluj-Napoca, 
Piatra Neamt, Iasi, Timisoara (mehrere Tausend Teilnehmer), Arad, 
Sibiu (dort wurde ebenfalls vor der Parteizentrale der PDL 
demonstriert), Targu Mures (dort Spontandemonstration), Constanta. 
(Diese Aufzaehlung erhebt keinen Anspruch auf Vollstaendigkeit.) 
Landesweit waren mehrere zehntausend Menschen auf der Strasse. In 
Brasov wurden 200 Demonstranten von der Jandarmerie daran gehindert, 
mit dem Zug nach Bukarest zu fahren, wo sie die Demonstranten 
unterstuetzen wollten. Das gleiche wird aus Craiova berichtet, wo 
Fussballanhaenger (Ultras), von Universitatea Craiova ebenfalls mit 
dem Zug nach Bukarest fahren wollten um die Proteste zu unterstuetzen. 
In Rosio de Vede wurden sie von Jandarmerie aus dem Zug geholt.
Neu ist zudem die Teilnahme von Ultras der Bukarester Fussballvereine 
Steaua und Dinamo an den Protesten. Die buergerlichen und 
regierungsnahen Massenmedien schieben diesen nun die Schuld an den 
Strassenkaempfen zu. "Die Opposition und die Ultras haben die Proteste 
in die Gewalt gefuehrt", so die rechte Tageszeitung EVZ, die in ihrer 
heutigen Ausgabe zahlreiche Namen von Dinamo-Ultras veroeffentlicht 
hat. Eine Hetzkampagne gegen "Hooligans" laeuft auf allen TV-Kanaelen, 
ganz so, als ob Fussballfans nicht selber auch von den Auswirkungen 
der Politik betroffen seien und kein Recht auf politische 
Meinungsaeusserung haetten. Ein Sprecher der Ultras von Dinamo 
Bukarest beansprucht exakt dieses Recht auch fuer die Fussballfans. 
"Wir zeigen unsere Solidaritaet mit Raed Arafat und sind schliesslich 
selber auch von dem Gesetz betroffen und haben das Recht der 
politischen Meinungsaeusserung". Mehrere hundert Ultras hatten sich am 
Protest beteiligt. In einem gemeinsamen Demonstrationszug erreichten 
am Abend ca. 300 Studenten, groesstenteils der Geschichtsfakultaet, 
den Universitaetsplatz und schlossen sich den Protesten an. Erst im 
Dezember hatten diese gegen die Gebuehrenerhoehungen fuer das Studium 
gestreikt und einen Fluegel der Universitaet besetzt gehalten.
Die Strassenkaempfe von Sonntag erstreckten sich ueber eine Distanz 
von sechs Kilometern in der Innenstadt. Neben der Piata Universitatea 
kam es auch am Piata Uniri zu kaempfen. Dort wurden auch Barrikaden 
errichtet und einige davon in Feuer gesetzt. Geschaefte und 
Zeitungskioske wurden attackiert und ebenso drei Banken. 
Polizeieinheiten mit Steinen und Molotov-Cocktails angegriffen. 
Polizei und Jandarmerie schlugen wahllos in die Demonstranten und auch 
auf Unbeteiligte ein. Ein Mann, der auf dem Weg nach Hause war, wurde 
von Polizisten bedraengt, versuchte zu fliehen, wurde von den 
Polizisten eingeholt, an einen Drahtzaun gedrueckt und mit einer 
Traenengasgranate beschossen, woraufhin er ein Bein verlor.
Andere unbeteiligte Passanten wurden von Polizisten in Polizeireviere 
gezerrt und dort ohne Angabe von Gruenden zusammengeschlagen. 
Journalisten und Beobachter, welche die Ereignisse mit Kameras 
aufzeichneten wurden von Polizisten angegriffen und geschlagen. Die 
Polizei setzte Schlagstoecke, Traenengas und Wasserwerfer ein. Ueber 
diese Polizeigewalt wird in den Berichten der buergerlichen Medien 
nahezu nicht informiert. Um zu erschweren, das weitere Unterstuetzer 
zu den Protesten kommen, wurde die Metro-Station "Universitatea" nicht 
bedient. Die Zuege fuhren ohne Halt weiter. Maskierte Greiftrupps der 
Polizei machten gezielte Jagd auf Demonstranten. Wie Antena3 
berichtet, mischten sich auch Beamte des Geheimdienstes SRI in zivil 
unter die Demonstranten. Die Strassenkaempfe dauerten bis gegen ein 
Uhr am Morgen an.
Erste Reaktionen
Wie berichtet schieben die Massenmedien den Fussballfans nun den 
schwarzen Peter zu. Vertreter der buergerlichen Parteien versuchen 
dennoch die Gunst des Augenblicks zu nutzen und fordern Neuwahlen. In 
einer gemeinsamen Pressekonferenz der Konservativen (PC) und der 
Nationalliberalen Partei (PNL), beide selber Befuerworter der 
Privatisierung, riefen diese zudem zur Unterstuetzung der Proteste 
auf, distanzierten sich aber von Gewalt. Ebenso aeusserten sich die 
Sozialdemokraten der PSD. Der Parlamentarier Iulian Urban von der 
regierenden rechten PDL erklaerte auf seiner Webseite oeffentlich 
ueber die Demonstranten: "Die auf der Strasse sind Wuermer. Sie 
verdienen vorzeitig im Krankenhaus zu sterben, weil sie gegen das neue 
Gesundheitsgesetz sind." Die Polizei fordert, das sie bei kuenftigen 
Protesten Reiterstaffeln und Hunde einsetzen darf.
Ein Ausblick
Welche Formen der Prostest weiterhin annehmen wird ist noch nicht 
einzuschaetzen. Grosse Teile der Protestierenden argumentieren mit 
nationalistischen Positionen, manche fordern die Rueckkehr des Koenigs 
und auch die Faschisten sind zugegen. Die Linke ist in den meisten 
Staedten schwach bzw. ueberhaupt nicht vorhanden. Die Mehrheit der 
wenigen Kommunisten sind selber gluehende Nationalisten ohne 
Verstaendnis fuer die Situation. AnarchistInnen sind eine kleine 
Minderheit. Viele Betroffene sehen noch nicht den Zusammenhang des 
Sozialabbaus in Rumaenien als Teil der internationalen 
kapitalistischen "Krise" und machen die sozialen Probleme 
ausschliesslich an den "Fuehrern" fest. Dabei ist es der Kapitalismus 
und der Staat der zu diesem Elend gefuehrt hat, und es weiter 
verschaerfen wird, wenn sich nicht massenhaft die Erkenntnis breit 
macht, dass das kapitalistische System selber der Fehler ist und 
abgeschafft werden muss. Auf aehnliche gewalttaetige Proteste wie am 
Sonntag wird die Regierung nun besser vorbereitet sein. Der Kampf 
gegen die Privatsierungen muesste sich auch auf den oekonomischen 
Sektor ausdehnen und mit Streiks weiterer Druck aufgebaut werden. Dies 
ist allerdings ueberhaupt nicht in Sicht. Waehrend die Front des 
Buergertums gut organisiert ist und ueber Einfluss durch Gesetze, 
Medien und exekutive Gewalt verfuegt, ist die ausserparlamentarische 
Opposition weder gut organisiert, noch auf solche Konflikte 
vorbereitet. Die kommenden Tage und Wochen werden zeigen ob der 
Protest von Sonntag ein Strohfeuer war. Fuer heute sind weitere 
Kundgebungen angekuendigt
(ASIR, 16. 1.2012)
Quelle:http://asinforomania.wordpress.com/2012/01/16/tausende-in-wutenden-protesten-gegen-sozialkurzungen/
Der Anarcho-Syndikalistische Infodienst Rumaenien (ASIR) berichtet in 
deutscher und englischer Sprache ueber Entwicklungen in Rumaenien, die 
von Interesse fuer Lohnabhaengige, Erwerbslose und 
Anarchosyndikalistinnen und Anarchosyndikalisten sein koennten.
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