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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 25. Jaenner 2012; 02:42
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Nachruf:
> Anarchist, Vorarlberger und Sozialdemokrat
Am 18.Jaenner verstarb in Vorarlberg der langjaehrige Aktivist,
Anarchist und Sozialdemokrat Alexander Lutz im Alter von nur 41
Jahren.
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Auch wenn die Todesanzeigen in den Vorarlberger Nachrichten (VN) den
Anschein nahelegen, dass mit Alexander Lutz vor allem ein
Sozialdemokrat nach langer Krankheit verstorben ist, so ist der
ehemalige Landessekretaer der SPOe Vorarlberg vielen Linksradikalen
und AnarchistInnen auch in ganz anderer Erinnerung. Alexander Lutz war
ein linker Sozialdemokrat. Er war aber weit mehr als das.
In der kleinen Szene linksradikaler und linksalternativer
Jugendlicher, die sich Ende der 1980er- und Anfang der 1990er-Jahre um
die Stadt Feldkirch im Vorarlberger Oberland herausbildete, spiele
Alex eine wichtige Rolle. Unser laendlich-kleinstaedtisches
Politbiotop, das in mehrere sich phasenweise auch heftig befehdende
Grueppchen zerfiel, kreiste damals zwischen dem linken Rand der
Gruenen und der Sozialistischen Jugend einerseits und radikaleren
trotzkistischen und anarchistischen Positionen andererseits,
angereichert mit einer Prise Subkultur. Ueber die meiste Zeit hinweg
verlief der Graben allerdings zwischen gruenaffinen AnarchistInnen und
SPOe-affinen TrotzkistInnen. Alex bildete in dieser Konstellation eine
Ausnahme, die die beiden Subszenen miteinander verband und damit
zugleich oft im Mittelpunkt jugendlicher Abgrenzungskonflikte stand.
Er stellte gewissermassen den SPOe-affinen Anarchisten in der Runde
dar. Als einer der Gruender der Zeitschrift "Rotkaeppchen" verbreitete
er kaempferische anarchistische Positionen und rieb sich zugleich mit
seinen trotzkistischen Widersachern in der kleinen Redaktion. Waehrend
letztere nach dem Ende dieses frechen selbstgemachten
Zeitschriftenprojektes jene SJ-Gruppe gruendeten, aus der schliesslich
die trotzkistische Funke-Stroemung werden sollte, blieb Alex noch
einige Zeit als frei schwebender Anarchist in Vorarlberg aktiv. Zudem
verfuegte er ueber eine Affinitaet zu nichtindustriellen
Gesellschaften mit besonderem Interesse an nordamerikanischen
Indianern.
Noch allzu gut sind mir seine Graffitis in Erinnerung, die er mit
FreundInnen irgendwann vermutlich 1991 oder 1992 an den Aussenmauern
der HTL anbrachte. Fuer all die karrierebewussten Jungtechniker
standen hier eines Morgens ploetzlich gross und fuer alle sichtbar
Parolen gegen Staat, Kapital und Kirche zu lesen. Neben einem in einem
grossen Rex-Glas eingeweckten Maennchen war zu lesen: "Allein machen
sie dich ein!" Der von allen gefuerchtete Schuldirektor zitierte mich
am naechsten Tag zu sich und schrie mich an: "Schmidinger, wenn Sie es
nicht selbst waren, wissen Sie zumindest wer diese Saurei gemacht
hat..." Ich wusste es, nannte aber keine Namen und murmelte nur
irgendwas davon, dass ich so viel politische Bildung noch nie in der
HTL mitbekommen haette, wie auf diesen Waenden.
Nachdem Alex im Bundesoberstufenrealgymnasium Feldkirch, damals im
Gegensatz zu ‚meiner' HTL, ein Hort rebellischer Jugend, doch noch
seine Matura abgeschlossen hatte, war er einer der ersten, der in der
‚Wiener Szene' andockte und uns etwas juengeren Provinzanarchos vom
Revolutionsbraeuhof (RBH), TATblatt, dem Ernst-Kirchweger-Haus und
wilden Opernballdemos berichtete. Auch wenn wir von einigen dieser
Gruppen schon gehoert hatten, so floesste es uns doch Respekt ein,
dass nun einer von uns sogar im RBH aktiv war, umso mehr als dieser
nach Ebergassing in das Fadenkreuz polizeilicher Ermittlungen und
antianarchistischer Hetze geriet. Ein, zwei Jahre traeumten alle von
der wilden ‚Wiener Szene' ehe wir selbst einer nach dem anderen ins
Wiener Exil gingen und schrittweise lernten, dass dort zwar alles
etwas groesser war, die Revolution aber auch nicht unmittelbar
bevorstand.
Irgendwann Ende der 1990er-Jahre duerfte auch Alex die Hoffnung auf
eine anarchistische Revolution abhanden gekommen sein, allerdings
nicht sein politisches Denken, seine soziale Ader und sein
Gestaltungswille. Familiaer ueber seinen Vater Franz Lutz ohnehin
bereits sozialdemokratisch vorbelastet, naeherte er sich langsam der
SPOe an. Aus Wien kehrte er 2005 bis 2007 als Landesgeschaeftsfuehrer
der SPOe nach Vorarlberg zurueck. In einem politischen Umfeld, in dem
die SPOe immer als Aussenseiterin betrachtet wurde und in dem die
Sozialdemokratie mittlerweile zu einer Kleinpartei verkommen war,
hatte selbst dies noch den Geschmack der Rebellion. Waehrend er sich
mit seiner Frau Brigitte und seinem Sohn Patrick im idyllischen
Bergdoerfchen Gurtis niedergelassen hatte, kaempfte er politisch auf
ziemlich verlorenen Posten. Zuletzt arbeitete er als Landessekretaer
des Pensionistenverbands in Vorarlberg. In den Vorarlberger
Nachrichten brachte ihm dies nun neben der Todesanzeige seiner
Familie, von SPOe-Parteivorsitzendem Werner Faymann und
Landesparteivorsitzendem Michael Ritsch, auch eine des
SPOe-Pensionistenverbandes ein. Aber zwischen den offiziellen
Partei-Fotos im schwarzen Hemd laechelt den LeserInnen der VN auch der
verkleidete Knappe der ‚Naerrischen Riebelzunft' entgegen, dessen
Lachen ein wenig an das anarchische Schmunzeln erinnert, als er sich
vor 20 Jahren extra fuer die Wahlen ein RAF-T-Shirt angezogen hatte um
seinen Vater zu provozieren, der als Sozialdemokrat in der
Wahlkommission seiner Heimatgemeinde Frastanz sass.
Mit Alexander Lutz verliert jedenfalls nicht nur seine letzte
politische Heimat, die SPOe Vorarlberg, einen ihrer faehigsten
Funktionaere. Alex wird neben seiner Partei und Familie auch den
unruhigen und kritischen Geistern im Laendle und darueber hinaus
fehlen.
*Thomas Schmidinger*
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