**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 17. Jaenner 2012; 23:33
**********************************************************
Demokratie:
> Europaeisch auf oesterreichisch
EU-Volksbegehren werden extra umstaendlich gemacht
Leichtsinnigerweise laesst die EU-Verordnung ueber die Einfuehrung der 
"Europaeischen Buergerinitiative" (quasi die genauso zahnlose 
EU-Variante dessen, was hierzulande ein Volksbegehren ist) den 
Mitgliedsstaaten sehr viel Spielraum in der buerokratischen 
Ausgestaltung. Es fiel der oesterreichischen Regierung daher nicht 
schwer, eine besonders buerokratische Variante auszuarbeiten. Das 
Sammeln von Unterstuetzungserklaerungen auf Papier oder online duerfte 
daher in Oesterreich nach dem jetzigen Gesetzesentwurf besonders 
schwierig zu bewerkstelligen sein, kritisiert daher *Erwin Leitner* 
von der Initiative "mehr demokratie!" in seiner Stellungnahme an das 
Parlament:
*
In Deutschland haelt sich das "Gesetz zur Europaeischen 
Buergerinitiative" (im Folgenden "dt. EBIG"), das am 15.12.2011 durch 
den Bundestag beschlossen wurde, an den in der Begruendung des 
Gesetzentwurfs festgehaltenen Grundsatz: "Den Organisatoren und 
Organisatorinnen einer EBI sollen keine Pflichten oder Erschwernisse 
auferlegt werden, die ueber die bereits in der EBI-Verordnung 
normierten hinaus gehen."
Der vorliegende Gesetzentwurf verfolgt fuer Oesterreich den 
gegenteiligen Zugang und sieht eine Fuelle an Erschwernissen vor, die 
eine Nutzung der EBI in Oesterreich erheblich behindern wuerden und 
fuer finanzschwache Organisationen sogar weitgehend verunmoeglichen 
wuerden.
Eine EBI erfordert ueber die Laendergrenzen der EU-Staaten hinweg eine 
gemeinsame Kampagnenplanung von Organisationen, die sich mit dem 
Anliegen der EBI beschaeftigen. Daraus koennen europaweite 
zivilgesellschaftliche Netzwerke entstehen oder gestaerkt werden, was 
die Entwicklung einer europaeischen Zivilgesellschaft unterstuetzt. 
Der vorliegende Gesetzentwurf wuerde jedoch aufgrund der Fuelle an 
Erschwernissen verhindern, dass oesterreichische Organisationen bei 
EBI-Kampagnen und somit bei der Entwicklung EU-weiter 
zivilgesellschaftlicher Netzwerke eine wichtige Rolle einnehmen, weil 
in vielen anderen EU-Staaten weitaus buergerinnen- und 
buergerfreundlichere Voraussetzungen bestehen.
Die Paesse, bitte!
Die oesterreichischen Regierungsvertreter haben sich festgelegt -- 
anders als Deutschland, Grossbritannien, und etlichen andere 
Staaten --, hierzulande fuer gueltige EBI-Unterstuetzungen eine 
ID-Nummer (d.h. konkret die Reisepass- oder Personalausweisnummer) zu 
verlangen. Von dieser in Annex III der EBI-Verordnung vorlaeufig 
getroffenen Festlegung fuer das Erfordernis einer ID-Nummer kann jeder 
EU-Staat gemaess Art. 5 Abs. 4 EBI-Verordnung ohne Zustimmung durch 
die anderen EU-Staaten einseitig abgehen. Der vorliegende 
Gesetzentwurf haelt jedoch weiterhin am Erfordernis der ID-Nummer 
fest.
Das Erfordernis der ID-Nummer hat auf die Praxistauglichkeit 
erhebliche Auswirkungen. Die Reisepass- und Personalausweis-Nummer 
wird von einem ueberwiegenden Teil der oesterreichischen Bevoelkerung 
als eine private und Datenschutz-sensitive Nummer betrachtet, die an 
Private nicht weitergegeben wird. Erfahrungswerte aus dem Sammeln von 
Unterschriften fuer Petitionen o.ae. lassen erwarten, dass etwa 90% 
derer, die vom Anliegen der EBI ueberzeugt wurden, bei ihrer 
Unterstuetzungserklaerung die ID-Nummer nicht anfuehren wuerden und 
daher keine gueltige Unterstuetzung abgeben wuerden.
Organisatoren einer EBI werden in Laender ohne ID-Nummer-Erfordernis 
ausweichen, wo gueltige Unterschriften sehr viel leichter gesammelt 
werden koennen. Die vorlaeufige oesterreichische Festlegung fuer das 
ID-Nummer-Erfordernis steht daher auch in Widerspruch zu 
Erwaegungsgrund 3 der EU-Verordnung, wonach die Bedingungen fuer die 
EBI gewaehrleisten sollen, "dass fuer alle Unionsbuerger unabhaengig 
von dem Mitgliedstaat, aus dem sie stammen, die gleichen Bedingungen 
fuer die Unterstuetzung einer Buergerinitiative gelten."
Beteiligungsrechte zielen u.a. darauf ab, den Buergerinnen und 
Buergern Kontrollmoeglichkeiten gegen staatliche Macht in die Hand zu 
geben. Mit dem Erfordernis der ID-Nummer wuerden jedoch die Rollen von 
Kontrollierenden und Kontrollierten umgedreht und verkehrt. Im 
Hinblick darauf ist es in Deutschland - anders als in Oesterreich - 
auch ausdruecklich verboten, eine elektronische Abfragemoeglichkeit 
der ID-Nummer vorzusehen.
Als Folgeproblem des Erfordernisses der ID-Nr. nimmt der Gesetzentwurf 
allen Oesterreicherinnen und Oesterreichern, die keinen Reisepass oder 
Personalausweis besitzen, ihr Recht, eine EBI zu unterstuetzen. Es 
gibt eine signifikante Anzahl aelterer oder aermerer Menschen, die aus 
gesundheitlichen Gruenden nicht mehr reisen wollen oder die sich 
Reisen ins Ausland nicht leisten koennen und daher keinen Reisepass 
oder Personalausweis besitzen. Der Ausschluss dieser Personengruppe 
von der Unterstuetzungsmoeglichkeit einer EBI ist diskriminierend und 
mit dem EU-Vertrag sowie der EBI-Verordnung nicht vereinbar.
Nach § 2 Abs. 5 EBIG des Gesetzentwurfs "hat der Organisator 
technische Gutachten und Zertifizierungen von technischen Komponenten 
beizubringen" (Anm. akin: gemeint ist dabei vor allem die Software, 
die bei Online-Unterstuetzungen verwendet werden soll), wobei es im 
Ermessen der Bundeswahlbehoerde liegt, solche kostenintensiven 
Gutachten und Zertifizierungen als erforderlich zu betrachten. Im 
Unterschied dazu schreibt § 1 Abs. 2 dt. EBIG nur vor, die 
erforderlichen Unterlagen und Bescheinigungen vorzulegen und betont: 
"Fuer die Pruefung der Unterlagen und das Ausstellen der Bescheinigung 
werden keine Gebuehren oder Auslagen erhoben." In der Begruendung des 
dt. Gesetzentwurfs wird erlaeutert, dass "insbesondere auch keine 
Kosten fuer Pruefungen und Evaluierungen anfallen." Eine Kostentragung 
durch die Allgemeinheit ist nicht nur vertretbar, sondern vielmehr 
geboten, da es um die Bereitstellung von Infrastruktur fuer ein 
demokratisches Instrument geht. Auch fuer EBIs, die ihr 
Online-Sammelsystem in Oesterreich ueberpruefen lassen, sollten daher 
von den Organisatorinnen und Organisatoren der EBI keine Gutachten und 
Zertifizierungen verlangt werden. Es sollte klargestellt werden, dass 
im Zuge der Ueberpruefung des Online-Sammelsystems keine 
Kostenbelastung fuer die Organisatoren der EBI entsteht.
Unbedingt fehlerlos
Beim Ausfuellen der Unterstuetzungserklaerung koennten Tippfehler, 
Ziffernstuerze o.ae. unterlaufen. Anders als im Gesetzentwurf in § 3 
Abs. 5 Z.2 EBIG5 vorgesehen, sollten solche geringfuegigen Fehler 
nicht automatisch zur Ungueltigkeit der Unterstuetzungserklaerung 
fuehren. Vielmehr sollten unleserliche, unvollstaendige oder 
unrichtige Angaben in den Pflichtfeldern des EBI-Formulars nur dann 
zur Ungueltigerklaerung fuehren, "wenn diese Angaben die 
unterzeichnende Person nicht zweifelsfrei erkennen lassen", wie dies 
in § 4 Z. 4 und 5 dt. EBIG geregelt ist.
Erwaegungsgrund 18 der EU-Verordnung spricht von der "Notwendigkeit, 
den Verwaltungsaufwand fuer die Mitgliedstaaten zu begrenzen" und 
sieht vor, dass die Pruefungen der Unterstuetzungserklaerungen "auf 
der Grundlage angemessener Ueberpruefungen, etwa anhand von 
Stichproben" erfolgen sollen. Demgegenueber schreibt der vorliegende 
Gesetzentwurf in § 3 Abs. 2 EBIG vor, dass jede einzelne 
Unterstuetzungserklaerung geprueft werden muss und dass fuer diese 
Zwecke eine eigene Datenbank angelegt werden muss, in der jede 
einzelne Unterstuetzungserklaerung zu erfassen ist. Eine penible 
Ueberpruefung jeder einzelnen Unterstuetzungserklaerung und die 
Erstellung einer eigenen Datenbank wuerde angesichts der 
Unverbindlichkeit der EBI einen unangemessenen Verwaltungsaufwand 
darstellen. Eine Stichprobenueberpruefung, die in § 3 Abs. 2 dt. EBIG6 
vorbildlich geregelt ist und der geuebten Praxis in deutschen 
Bundeslaendern entspricht, wuerde helfen, den Verwaltungsaufwand fuer 
die EBI gering zu halten.
Einladung zu Willkuerentscheidungen
Der Gesetzentwurf erwaehnt eine Anfechtung beim Verfassungsgerichtshof 
ausschliesslich fuer den Fall einer durchgefuehrten Ueberpruefung der 
Unterstuetzungsbekundungen. Eine Anfechtbarkeit bei verweigerter 
Ueberpruefung der Unterstuetzungsbekundungen sowie zu den 
Entscheidungen bei der Ueberpruefung des Online-Sammelsystems sieht 
der Entwurf nicht vor. Da jeweils von Bescheinigung bzw. schriftlicher 
Inkenntnissetzung die Rede ist, bleiben Zweifel, ob ein Bescheid 
vorliegt und ob eine Anfechtungsmoeglichkeit besteht, was als 
Einladung zu Willkuerentscheidungen missverstanden werden koennte. 
Damit sich keine Rechtsschutzdefizite auftun, sollte der Gesetzestext 
Klarstellungen ueber die Bescheid-Qualitaet jener Bescheinigungen und 
Inkenntnissetzungen sowie ueber die Anfechtungsmoeglichkeit treffen.
(stark gekuerzt)
Volltext der Stellungnahme von "mehr demokratie!":
http://mehr-demokratie.at/component/content/article/22-eu-ebene/466-stellungnahme-zum-gesetzentwurf-ueber-die-ebi
Materialien:
Gesetzentwurf 1780/A XXIV. GP ueber die Europaeische Buergerinitiative:
http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/A/A_01780/fnameorig_237891.html
dt. EBIG:
http://mehr-demokratie.at/component/content/article/34-europaeische-buergerinitiative/467-deutschland-gesetz-zur-europaeischen-buergerinitiative
Verordnung (EU) Nr. 211/2011 des Europaeischen Parlaments und des 
Rates vom 16. Februar 2011 ueber die Buergerinitiative:
http://mehr-demokratie.at/component/content/article/34-europaeische-buergerinitiative/367-ebi-verordnung.html
***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der 
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd 
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe 
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit 
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der 
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem 
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige 
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement 
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den 
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero{AT}gmx.at abbestellen.
*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.redaktion{AT}gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin