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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Jaenner 2012; 03:09
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Buecher:
> Nicht nur Opium fuer das Volk (AUDIO)
Karl Kautsky: 
Der Ursprung des Christentums. Eine historische Untersuchung.
Neuauflage 2011.
Verlag AdV, Taschenbuch, 436 Seiten, EUR 19,90, ISBN 978-3-9502191-6-6
Bestellungen unter adv{AT}derfunke.at
Die GenossInnen des "funken" haben Kautskys "Der Ursprung des 
Christentums" neu aufgelegt. Ein auch heute noch interessantes Buch, 
das aber ebenso die Grenzen eines Marxismus, der die aktive Seite, den 
subjektiven Faktor fast gaenzlich ausklammert, zeigt.
Kautsky veroeffentlichte sein Buch 1908. Er legt dar, wie in bewegten 
Zeiten rebellische, revolutionaere Bewegungen auch und gerade in der 
Religion einen entsprechenden Niederschlag finden koennen. Jede/r 
heutige Leser/in wird unmittelbar an den Islam denken, in dem sich 
aktuelle politische Entwicklungen widerspiegeln.
Kautsky schildert die Krisen des roemischen Imperium (der 
Sklavenhaltergesellschaft) bzw. der damaligen juedischen Gesellschaft. 
In dieser Umbruchssituation entstanden im Judentum zahlreiche 
messianische Stroemungen. Das Christentum war nur eine - nur EINE - 
von vielen. Im Vorwort zur deutschen Ausgabe von Alan Woods (S.15 ff) 
wird zu Recht die Bedeutung der 1947 entdeckten Qumran-Schriftrollen 
hervorgehoben. "Die Qumran-Gemeinde war nicht christlich, aber die 
Parallelen zum Christentum sind offenkundig und von verschiedenen 
Experten aufgezeigt worden"(S.31).
Die urchristliche Gemeinde war gegen die roemischen Besatzer und das 
juedische Establishment - vor allem die Sadduzaeer - gerichtet, 
aufruehrerisch, rebellisch - in der Terminologie von Kautsky 
"kommunistisch". Sie war durch praktische Solidaritaet gekennzeichnet: 
gemeinsame Mahlzeiten, Unterstuetzungsvereine etc.
All das findet - wenn auch nur sehr gebrochen - im Neuen Testemanet 
seinen Niederschlag. Am staerksten in der Offenbarung des Johannes. 
"Selig, wer diese prophetischen Worte vorliest und wer sie hoert und 
wer sich an das haelt, was geschrieben ist: denn die Zeit ist nahe".
Die "Erloesung", das "Reich Gottes" hat hier also einen sehr irdischen 
Charakter. Nach der Niederlage des juedischen Aufstands 66-70 n. Chr. 
wird das "Heil" zunehmend ins Jenseits verlegt.
Unter Kaiser Konstantin wird das Christentum Staatsreligion und 
verliert endgueltig seine Sprengkraft. Das mit Paulus auch fuer 
Nicht-Juden ("Heidenchristen") geoeffnete, pazifierte Christentum wird 
fuer die "Beladenen dieser Welt" zunehmend eine "Quelle des Trostes".
Kautskys gibt einen fundierten Einblick in die Struktur der damaligen 
Gesellschaften bzw. deren allgemeine geistige Verfassung. Ueber die 
spezifische Initiativfunktion von Jesus erfaehrt man/frau kaum etwas. 
Er wird im wesentlichen als eine mythische Gestalt (wenn nicht 
ueberhaupt seine Existenz in Frage gestellt wird) abgehandelt. Fast 
waere man/frau versucht, bei Kautsky von einem "Christentum ohne 
Jesus" zu sprechen.
So heisst es in dem Kapitel "Die Persoenlichkeit Jesu": "Wohl koennen 
auch einzelne Persoenlichkeiten die Gesellschaft beeinflussen, und 
fuer das Gesamtbild ihrer Zeit ist die Zeichnung hervorragender 
Individuen nicht zu entbehren. Aber an historischen Zeitraeumen 
gemessen ist deren Einfluss nur ein voruebergehender, bildet er nur 
den aeusserlichen Zierat (sic!), der am ehesten an einem Bau in die 
Augen faellt, und ueber seine Grundmauern nichts sagt"(S.61 f.).
Solch eine weitestgehende Leugnung der Rolle von Persoenlichkeiten in 
der Geschichte ist typisch fuer einen objektivistischen Marxismus, der 
den - in die Geschichte - eingreifenden subjektiven Faktor, die 
bewusste Tat ausklammert.
Im spannenden Nachwort von Gernot Trausmuth "Ein Schiff fuer stille 
Buchten" (S.384 ff), das das Leben und Werk von Kautsky beleuchtet, 
wird gezeigt, das dieser sterile Objektivismus beim alten Kautsky 
nicht zufaelliger Weise schliesslich zum totalen Bruch mit dem 
Marxismus fuehrte.
Eingedenk dieser Schranken ist eine kritische Lektuere des Buches von 
Kautsky unbedingt sinnvoll. Wie gesagt: Religion spielt bis zum 
heutigen Tag eine immense Rolle. Ueber ihre widerspruechliche Rolle im 
Verlaufe der Geschichte (sie erschoepft sich bekanntlich nicht in der 
Funktion des "Opium des Volkes" - siehe etwa ihre Rolle im deutschen 
Bauernkrieg/Thomas Muenzer/ etc.) sollten schoepferische MarxistInnen 
umfassend Bescheid wissen.
*Hermann Dworczak*
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