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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Jaenner 2012; 02:53
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Demokratie/Debatte:

> Oesterreich und die Demokratie

Busek und Co. wollen ein Demokratie-Volksbegehren. Nach der Lektuere
der Forderungen bleibt ein schaler Beigeschmack. Wir werden uns auch
weiterhin die Frage stellen muessen: Wie soll Demokratisierung unter
oesterreichischen Bedingungen aussehen?
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Da ist wieder einmal so ein Promi-Begehren. Volksbegehren im
eigentlichen Sinne sind ja eher selten und noch seltener massenhaft
unterstuetzt -- siehe Kirchen-Privilegien-Volksbegehren. Bei medial
praesenten "Volksbegehren" steckt entweder irgendeine maechtige
Institution dahinter oder ein paar Promis, die mit dem gemeinen Volk
eben nichts gemein haben. Diesmal geistert ein Volksbegehren durch die
Medien, das sich unter anderem mit der Institution Volksbegehren
selbst, mit "direkter Demokratie" beschaeftigt -- federfuehrend sind
dabei (fast moecht man sagen: natuerlich) pensionierte, abgesaegte
oder freiwillig "in die Wirtschaft abgewanderte" Politiker. Von den
meisten davon war zu ihrer aktiven Zeit kein Piepston zum Thema
Demokratisierung zu hoeren.

Auf der Homepage dieses Promibegehrens kann man noch bis 15.1. ueber
die einzelnen Forderungen abstimmen -- allerdings nur mit einer
Punktebewertung ueber bereits fixierte Formulierungen, lediglich beim
Punkt Wahlrecht gibt es zwei Modelle. Und da spiesst es sich auch
schon: Beide Modelle sehen einen Trend hin zum
Persoenlichkeitswahlrecht vor, eines laut Autoren wenigstens mit
"voller Verhaeltnismaessigkeit", soll heissen, die Parteien waeren
auch weiterhin nach dem Verhaeltnis der fuer sie abgegebenen Stimmen
im Parlament vertreten. Diese "volle Verhaeltnismaessigkeit" ist
allerdings ein Witz, denn natuerlich steht auch in diesem Modell
wieder eine 4%-Klausel drinnen, was am bestehenden System aber das
eigentliche Problem ist, da es den Einzug neuer Parteien verhindert.
Der Waehler soll also auch weiterhin nur dem kleinsten Uebel seine
Stimme geben koennen ohne eine echte Auswahl zu haben. Da aber auch
bei einem Persoenlichkeitswahlrecht Mitglieder von nichtetablierten
Parteien so ziemlich gar keine Chance haben werden, die Kandidaten der
Staatsparteien aber sicher wieder von der Parteifuehrung bestimmt
werden und damit den so bestimmten Abgeordneten selbstverstaendlich
ein Treueschwur auf ihre Partei abgenoetigt wird, bleibt alles beim
Alten.

Die Idee einer Kuerzung unserer nunmehr mit 5 Jahren ueberlangen
Legislaturperioden steht dabei natuerlich auch nicht auf dem Tapet --
schliesslich ist ja die "Regierbarkeit" des Landes wohl das
Allerwichtigste.

Aehnlich systemerhaltend ist eine weitere Forderung: "Das Parlament
soll als Gesetzgeber gestaerkt werden: Die Initiative fuer Gesetze
soll verstaerkt vom Parlament ausgehen, indem dieses in einer ersten
Lesung die wesentlichen Ziele und Inhalte eines Gesetzes vorgibt.
Diese Vorgaben sind fuer die Ausarbeitung der Gesetzesvorlagen
verbindlich." Ausserdem soll jedes einzelne Regierungsmitglied vor
seiner Ernennung sich einem Hearing stellen muessen und vom Parlament
abgelehnt werden koennen. Klingt ja alles auf den ersten Blick recht
huebsch -- nur: Das Misstrauensvotum gibt es schon lange und noch nie
ist in der zweiten Republik ein einzelner Minister durch das Parlament
abgesetzt worden. Wieso sollte das jetzt durch diese Vorschlaege
besser werden? Und wieso nutzt das Parlament (ausser durch die
Abgeordneten der Regierungsparteien um ein Begutachtungsverfahren zu
umgehen oder durch die Oppositionsabgeordneten, deren Antraege sowieso
fuer die grosse Rundablage sind) nicht schon heute sein
Gesetzesinitiativrecht? Eine saubere Trennung zwischen Exekutive und
Legislative und damit verbunden natuerlich getrennte Wahlen taeten
Not -- aber auf die Idee kommt man sicherheitshalber auch nicht. Also
wird auch bei Umsetzung dieser Reformen das Parlament weiterhin eine
Abnickmaschine der Regierung bleiben

Was darf das Volk begehren?

Die Formulierungen zur Direkten Demokratie, dem zentralen Thema des
Promibegehrens, muten ja auf den ersten Blick einigermassen akzeptabel
an. 400.000 Unterschriften sollen fuer eine verpflichtende
Volksabstimmung reichen. Das ist eine hohe Schwelle, aber immerhin
haben 13 der bisher 34 zur Eintragungswoche gelangten Volksbegehren
sie ueberschritten -- wuerden Volksbegehren aufgewertet, koennte der
Anteil noch hoeher sein, da die Unterzeichnenden nicht mehr das
Gefuehl haben muessten, ihr Engagement waere umsonst. Doch dann kommt
der Haken: Um die bekannten Befuerchtungen bezueglich grob
menschenrechtsverletzender Gesetze auszuhebeln, schuettet man gleich
das Kind mit dem Bade aus: "Davon auszunehmen sind Begehren, in denen
eine Einschraenkung der geltenden Grund- und Freiheitsrechte oder
bestehender voelkerrechtlicher Verpflichtungen gefordert wird." Das
ist sehr allgemein formuliert. Meint man mit den geltenden "Grund- und
Freiheitsrechten" die Kataloge von Menschenrechtskonvention und
Staatsgrundgesetz, stellt sich das Problem, dass man sich in der
Interpretation wohl an der Hoechstgerichtsjudikatur orientieren
muss -- und die ist immer schon sehr schleissig mit diesen an sich
schon vage formulierten Katalogen umgegangen. Will man hingegen die
Grundrechtsbestimmungen restriktiver anwenden, wird kaum irgendein
Volksbegehren zulaessig sein, denn die meisten relevanten Gesetze
schraenken in irgendeiner Form die "Grund- und Freiheitsrechte" ein --
und zumindest beim Recht auf Eigentum ist das ja gar nicht mal so
schlecht.

Auch der Schlenker mit den "voelkerrechtlichen Verpflichtungen" ist
ein Problem: Denn das hiesse, dass, nur weil oesterreichische
Regierungsvertreter auf internationaler Ebene irgendwas zusagen,
haette das hiesige Volk kein Recht mehr, sich einzumischen. Damit kann
man also auch jegliches Volksbegehren zu EU-Fragen vergessen. Wir
erinnern uns an die "Schuldenbremse": Solange das nur auf
oesterreichischer Ebene diskutiert worden war, haette es demnach ein
solches Volksbegehren dagegen geben koennen -- nach dem EU-Gipfel, wo
das auf europaeischer Ebene beschlossen worden war, aber nicht mehr.

Die Frage ist also: Worueber genau darf es keine Volksbegehren geben?
Darauf gibt die Initiative keine Antwort.

Apropos Grundrechte: Das vorliegende Volksbegehren wuenscht sich auch,
alle in der "Europaeischen Charta der Grundrechte" verankerten Rechte
in die oesterreichische Verfassung zu uebernehmen. Damit ist wohl eine
Adaption dieser auf Unionsrecht ausgerichteten Charta auf nationales
Recht gemeint. Dieser Punkt ist sehr zu begruessen. Und: Die FPOe wird
das sicher nicht unterstuetzen, denn damit kaeme erstmals ein
prinzipielles Recht auf Asyl zu verfassungsrechtlicher Absicherung.

Kritisierenswert beim Begehren ist hingegen wieder der
medienpolitische Ansatz: "Die Kriterien (analog dem
Oeffentlichkeitsauftrag des ORF) und die Hoehe der Pressefoerderung
werden gesetzlich geregelt. Auf die Foerderung besteht ein
Rechtsanspruch. Die Vergabe erfolgt durch einen unabhaengigen
Presserat." Das ist -- mit Verlaub -- voellig gaga. Besteht denn nun
ein Rechtsanspruch oder entscheidet ein Presserat? Und was heisst
"unabhaengig" -- wer beschickt den? Das ist Wischiwaschi-Populismus
und heisst gar nix. Und Kriterien "analog dem Oeffentlichkeitsauftrag
des ORF" waeren eine schlimme Drohung, denn das bedeutete beinahe
ungarische Verhaeltnisse: Wer nach Meinung dieses ominoesen Presserats
nicht genauso medioker "objektiv" wie der ORF berichtet und
kommentiert, bekaeme dann keine Pressefoerderung -- ich kann nur
hoffen, diese Forderung ist nicht wirklich durchdacht, ansonsten
haette ich noch schwerere Bedenken gegen die Betreiber des
Volksbegehrens.

Weiters will das Promibegehren den Bundesrat abschaffen und das
Vetorecht den Landtagen uebertragen, sowie ein neues Parteiengesetz,
ein neues Antikorruptionsgesetz und mehr Unabhaengigkeit der Justiz.
Ganz ausgegoren sind auch diese Vorschlaege noch nicht, aber zumindest
diskutierenswert.

Demokratie? In Oesterreich?

Interessant ist aber auch die Frage: Bekommt dieses Volksbegehren
wieder nur ein Begraebnis erster Klasse? Denn noch sind Volksbegehren
ja ein voellig zahnloses Instrument. Wenn sich etwas aendern soll,
muesste der politische Druck auch abseits passieren -- denn selbst
wenn das Volksbegehren formal etwas aendert, obliegt die Ausgestaltung
dieser Aenderungen immer noch dem Nationalrat. Da wuerde sich dann
eine Verfassungsmehrheit aus den Regierungsparteien und der FPOe
bilden, die zum Zwecke der Volksbelustigung die unsinnigsten und
wirkungslosesten Punkte aus diesem Konvolut pickte und die sinnvollen
Vorschlaege ignorierte, um dann sagen zu koennen, Oesterreich sei
jetzt viel demokratischer. Es sei denn, eine echte Massenbewegung
wuerde hinter den Forderungen stehen.

Und wird dieses Volksbegehren ueberhaupt ein Erfolg -- insofern, dass
es viele Unterschriften erhaelt? Also ich haette aus oben
beschriebenen Gruenden Schwierigkeiten damit, dieses zu
unterstuetzen -- aber vielleicht sollte man es trotzdem tun, um nicht
den Eindruck zu erwecken, "die Oesterreicher" wollen gar nicht mehr
Demokratie.

Der Eindruck koennte aber ohnehin entstehen, denn neben diesem
Promivolksbegehren ist ja vor allem die FPOe eine Vertreterin der
Direkten Demokratie -- die Befuerchtung, dass durch den klassischen
Anti-FPOe-Reflex ploetzlich alle, die die FPOe nicht ertragen
koennen -- und das ist ja in Oesterreich gluecklicherweise immer noch
eine Mehrheit -- gegen Volksentscheide waeren. Wie so eine
Argumentation aussehen koennte, durften wir neulich von Hans Rauscher
im "Standard" lesen: "FPOe-Chef Heinz-Christian Strache will, dass ein
Volksbegehren mit 250.000 Unterschriften zwingend zu einer
Volksabstimmung fuehren muss, deren Ergebnis dann verbindlich zu einem
Gesetz fuehren muss. Das bedeutet konkret eine Ausschaltung des
Parlaments, womit die FPOe allerdings kein Problem haben duerfte. Sie
setzt auf ihre Kampagnen- und Verhetzungsfaehigkeit." Herr Rauscher
argumentiert da sehr traditionell oesterreichisch, da josefinisch:
"Fuer das Volk, nicht durch das Volk" solle regiert werden.

In dieser Debatte kommt natuerlich immer auch die Schweiz ins Spiel.
Dort ticken die Menschen anders: In der Schweiz kaeme trotz der Hetze
der SVP niemand aus der politischen Elite auf die Idee, zu fordern,
die Direkte Demokratie abzuschaffen. Das ist kein Wunder, denn das
entspraeche in Oesterreich der Meldung, dass Atomkraft doch eine tolle
Angelegenheit waere -- danach waere diese Person in der Politik eine
absolut unerwuenschte.

Rauschers Befuerchtungen sind schon verstaendlich: Natuerlich gaebe es
ein paar grausliche FPOe-Kampagnen. Aber die haben wir jetzt schon!
Und wir bekaemen durch eine Volksgesetzgebung vielleicht das eine oder
andere grausliche Gesetz. Aber auch diese bekommen wir reihenweise von
der jetzigen Regierung um die Ohren geschlagen. Also wo ist hier das
Argument?

Umgekehrt aber weist die Schweiz neben dem Boulevard eine weitaus
groessere Bandbreite an serioesen Medien auf, als das im
vergleichbaren Oesterreich der Fall waere -- liegt es vielleicht
daran, dass der Schweizer Buerger Grundlagen fuer seine Entscheidungen
braucht? In Oesterreich herrscht kaum Bedarf an grosser medialer
Bandbreite oder serioeser Berichterstattung, weil bei uns gilt: "Uns
fragt ja eh keiner!"

In der Schweiz existiert auch in vielen Bereichen eine
kampagnenfaehige Zivilgesellschaft, die diesen Namen auch wirklich
verdient. Beispielsweise ist die "Gruppe Schweiz ohne Armee" eine
Massenorganisation, grossgeworden durch eine solche Volksabstimmung --
bei uns ist eine NGO hoechstens dann schlagkraeftig, wenn sie mit
Promis werben kann, mit Massenmedien verbandelt ist oder "in der
Regierung Gespraechspartner gefunden" hat. Und eine solche NGO ist
dann eben immer vom Goodwill der Regierung abhaengig und daher eben
auch darum bemueht -- in der Schweiz waere sowas eher peinlich. Genau
wegen dieser Zivilgesellschaft setzen in der Schweiz Regierungs- und
Legislativstellen auf allen Ebenen gerne von sich aus Referenden an,
um zu vermeiden, dass sie dazu gezwungen werden. Und diese Stellen
sind extrem vorsichtig damit, bei diesen Referenden allzuviel Werbung
fuer ihre eigene Position zu machen, weil sie wissen, dass das Volk
dann justament gegen sie stimmt.

Kein Allheilmittel

Auch in der Schweiz ist natuerlich ein solches Volksbegehren alles
andere als ein Zuckerschlecken und oft nicht so einfach wirklich von
unten zu lancieren, wie das von Oesterreich aus manchmal aussieht.
Auch dort gibt es genug von Massenmedien oder Parteien lancierte
Kampagnen und es sitzt in den meisten Faellen das politische
Establishment am laengeren Ast -- aber eben nicht immer, wie das
hierzulande der Fall ist; und wo sogar das laecherliche Instrument des
jetzigen Volksbegehrensrecht nur dann ausreichend unterstuetzt wird,
wenn mindestens eine politische Partei -- oder die Kronenzeitung --
dahinter ist.

Direkte Demokratie ist ein zweischneidiges Schwert, wenn dazu nicht
auch eine entsprechende Zivilgesellschaft vorhanden ist. Und die
oesterreichische Zivilgesellschaft verdient diese Bezeichnung nicht.
Wenn sich daran aber etwas aendern soll, dann muessen die Menschen in
diesem Land das (berechtigte) Gefuehl haben, dass "die da oben" eben
nicht machen koennen, was sie wollen -- und das geht nur mit mehr
Direkter Demokratie oder mit einer Revolution. Letzeres ist allerdings
noch unwahrscheinlicher in Oesterreich...

Instrumente der Direkten Demokratie sind kein Allheilmittel gegen
Paternalismus, sonst saehe die Schweiz auch anders aus - man kann
sogar mittels Direkter Demokratie Macht von oben ausueben, wenn man im
Stande ist, sie zu lenken -- siehe EU-Volksabstimmung 1994. Da
verhaelt es sich auch nicht anders als mit dem Parlamentarismus.
Grosse Erwartungen sind also unangebracht, denn sobald werden auch mit
"Direkter Demokratie" keine Umstaende einziehen, die man demokratisch
nennen kann -- dazu braucht es viel mehr.

Aber vielleicht waere es ein Schritt in die richtige Richtung.
*Bernhard Redl*



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