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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 11. Jaenner 2012; 03:03
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International:

> Ihr werdet 's nicht vermuten: "Avaaz" sind nicht "Die Guten"

Die traurigsten Delfine retten, die Tragoedie in Somalia stoppen und
den "War on Drugs" beenden - alles zwischen Aufstehen und Fruehstueck,
mal nebenbei. Das ist grob umrissen, was "Avaaz" (1) als "Produkt"
anzubieten hat. Avaaz ist eine Online-Plattform, deren Primaerzweck es
ist, mit vielen hunderttausend Stimmen politische Entscheidungen
weltweit zu beeinflussen. Auf einen fluechtigen Blick sieht das alles
"gut" aus, vor allem "gut gemeint". Aber - ein zweiter Blick lohnt
sich, wie immer, auch wenn Avaaz gerade eher dafuer steht, den zweiten
Blick sein zu lassen...

"Avaaz - Die Welt in Aktion" wird vielen schon bekannt sein. Die
Kampagnen, die von Avaaz ausgehen, bekommen politisch engagierte
Menschen frueher oder spaeter mit, vor allem ueber FreundInnen, die
Aufrufe weiterleiten, per Mail oder ueber Netzwerke wie Facebook und
Twitter, die Avaaz direkt bedienen kann.

Doch was ist das eigentlich, "Avaaz"?!

Avaaz ("Stimme" auf Farsi, Hindu und Urdi) wurde Anfang 2007 als Kind
der US-Organisationen "Res Publica" (2) und "MoveOn.org" (3)
gegruendet.

Waehrend "Res Publica" eher im Hintergrund arbeitet und - bis zur
Schaffung von Avaaz - thematische Schwerpunktarbeit etwa zu Sierra
Leone oder Darfur leistete, ist "MoveOn.org" eine in den USA bekannte
Plattform, die, aehnlich wie Avaaz, politische Kampagnen (und
Fundraising vor allem fuer Wahlkampfzwecke) primaer ueber das Internet
betreibt. MoveOn.org ist dabei so etwas wie der ausserparlamentarische
Web 2.0-Arm der Demokraten. Entsprechend finden sich in den
Lebenslaeufen der Avaaz-MacherInnen (dabei dreht sich vieles um Ricken
Patel, Geschaeftsfuehrer von Avaaz) Verbindungen zur Rockefeller- und
Gates-Foundation, aber auch zu anderen international agierenden
Polit-Organisationen wie der "International Crisis Group" (mit Joseph
Fischer im Beirat und Volker Ruehe als externer Berater). (4)

Unabhaengig davon, wie scharf sich konkrete Kritik an den vorgenannten
Institutionen formulieren laesst, ist zunaechst klar: Wir haben es
hier mit einer Organisation zu tun, die in jedem Fall die Idee
repraesentiert, dass Gutes "von Oben" kommt oder kommen muss.
Graswurzlerisch ist hier zunaechst einmal - gar nichts.

Marketing statt Information

Wer sich von einer Avaaz-Kampagne angesprochen fuehlt, kann seine
Daten auf der Website hinterlassen und damit fuer die Kampagne stimmen
(oder spenden (5)) - fortan zaehlt man zu den z.Z. ca. 10 Millionen
"Mitgliedern". (6) Und angesprochen fuehlt man sich schnell. Denn so
professionell der politische Hintergrund der Plattform ist, so
professionell ist auch das Marketing. Moeglichen Kampagnen werden
Testlaeufe vorangeschickt, die das Thema und dessen Wortumsetzung
innerhalb einer Mail statistisch auswerten. (7) Avaaz weiss am Ende,
was die Menschen anspricht und auf welche Weise die Kampagne
aufbereitet werden muss.

Das alleine gereicht noch nicht zu einem Vorwurf; wie oft wuenscht man
sich, dass politisch kluge Texte auch ansprechend geschrieben waeren,
um so mehr MitstreiterInnen zu gewinnen. Hier verhaelt es sich aber
dann doch etwas anders: Durch den Marketingtest haben politische
Anliegen, fuer die "die Massen" kein Interesse haben, praktisch keine
Chance, in einer Kampagne zu muenden. So sehr Avaaz betont, dass viele
der Kampagnen auf Vorschlaege von "Mitgliedern" zurueckzufuehren
seien, so wenig ist Avaaz dabei demokratisch oder gar
basisdemokratisch organisiert. Zwar lassen sich Vorschlaege machen und
sollen auch "Mitgliederumfragen" stattfinden, welche Ziele
unterstuetzenswert seien (8) - aber auch diese Instrumente sind dem
Marketing zuzuordnen; eine Kontrolle der ausfuehrenden Organe findet
nicht statt, von (ab)waehlbaren Posten einmal ganz zu schweigen.

Hier ist auch ein erster eklatanter Unterschied zu den
Kampagnen-Instrumenten von Organisationen wie Amnesty International,
Greenpeace oder aehnlichen zu sehen, die das Mittel der
(niedrigschwelligen) "ich auch"-Kampagne als ein (ergaenzendes) Mittel
neben der eigentlichen thematischen Arbeit betrachten. (9)

Rein ins Thema, raus, und weiter

Der zweite Unterschied zu Organisationen, die auch zum Mittel der
Massenkampagne greifen, liegt in der - bei Avaaz gerade nicht
gegebenen - kontinuierlichen Arbeit zu einem konkreten Thema oder
Themenspektrum. Avaaz kuemmert sich montags um die traurigsten
Delfine, mittwochs um Rupert Murdoch und am Wochenende um Tibet. Bei
einem solchen Spektrum kann (und will) Avaaz keine dauerhaft
begleitende politische Arbeit leisten.

Die rechtfertigende Begruendung von Avaaz hierfuer ist, dass
politische Entscheidungen eine lange Vorlaufzeit, aber nur eine kurze
Entscheidungsfindungsphase haben.

Avaaz sieht sich in der Pflicht, zu dem Datum, an dem es darauf
ankommt, zu unterstuetzen. Das ergibt durchaus Sinn, aber vor allem
dann, wenn die Massen, mit denen man ein Ziel erreichen moechte, ueber
diese Zielerreichung hinaus eigentlich nicht weiter gefragt sind. Wo
Kampagnen von A.I. oder Greenpeace zumindest auch zur fortgesetzten
Partizipation einladen, endet die Partizipation bei Avaaz bei der
Stimmenabgabe.

Allerdings beginnt sie auch erst da. Gerade deshalb - weil eben die
"Mitglieder" sich nicht mit dem zur Abstimmung stehenden Thema,
welches meist auch noch eine schnelle Reaktion erfordert,
auseinandersetzen konnten - ist die wechselhafte Themenauswahl sehr
gefaehrlich. Viele der Kampagnen klingen zunaechst gut, manchen wuerde
man auch inhaltlich Erfolg wuenschen. Und gerade bei Menschen, die
politisch weniger fest verankert sind, kann so schnell ein etwas
beliebiger Eindruck einer "tut Gutes"-Organisation entstehen -
sicherlich das Hauptziel der Fremdwahrnehmung von Avaaz.

Doch was, wenn Avaaz ploetzlich nicht so Gutes tut? Das mag im
Einzelfall durchaus diskussionswuerdig sein (10), aber wenn -
zugegebenermassen im Tenor der ganzen westlichen Welt - ein Krieg
gegen Libyen mit dem Euphemismus "Flugverbotszone" beworben wird
(ueber 1.2 Millionen UnterzeichnerInnen (11)), dann ist Schluss mit
lustig.

Slacktivism (12) und Erfolge...

Im 21. Jahrhundert haben die Moeglichkeiten der globalen
elektronischen Vernetzung neue Wege bereitet. Die schnelle und mit
Mitteln der Zensur nicht immer zu stoppende Kommunikation unter
Oppositionellen etwa bereitet den alteingesessenen Herrschern schon
etwas Kopfzerbrechen. Informationen sind zugaenglicher und von
zentralen Kanaelen unabhaengiger erreichbar. Die Frage ist, ob eine
Plattform wie Avaaz auch zum Kapitel "Demokratisierung durch das
Internet" zu zaehlen ist.

Und hier ist doch eher das Gegenteil zu attestieren. Auf der einen
Seite draengt sich die Frage auf: Welche nachhaltigen politischen
Erfolge kann eine Plattform erringen, deren "Druckmittel" darin
besteht, dass x-tausend Menschen im Internet geklickt haben. (13)

Das kann dann etwas ausrichten, wenn es Vorgaenge betrifft, die sich
zunaechst eher unter Ausschluss der Oeffentlichkeit abspielen und
durch die weltweite Aufmerksamkeit eben doch in das Licht der
Oeffentlichkeit gezerrt werden.

Bei "grossen politischen Fragen" - wie etwa der Frage, ob Libyen
bombardiert wird, oder ueber die Zukunft Rupert Murdochs - duerften
die Maechtigen sich ueber Klickzahlen bestenfalls maechtig amuesieren.

Avaaz betreibt durchaus beide Arten von Kampagnen, so dass zumindest
gewisse Aktionen eine Weltoeffentlichkeit und damit eine Diskussion
und am Ende gar eventuell eine Veraenderung hervorrufen.

Problematisch ist hierbei wieder der strategische Marketingansatz von
Avaaz, der Avaaz im Nachhinein fuer jede aufgebluehte Sonnenblume
verantwortlich sein lassen will

"Massaker verhindert" titelt Avaaz unter der Rubrik "Hoehepunkte -
Frieden" (sic!) zu Libyen - schlimm genug, dass Avaaz den Krieg als
Erfolg proklamiert; die Darstellung aber, dass ausgerechnet Avaaz hier
eine auch nur noch so kleine Rolle gespielt habe, grenzt schon an
Groessenwahn. Und solche Beispiele sind ohne Ende zu finden.

Bei kritischer Betrachtung ueberschreitet die Darstellung durch Avaaz
und die implizierten "Erfolge" regelmaessig die Grenze der
Laecherlichkeit - nur dass gerade diese Darstellung auf unkritische
Rezeption abstellt und damit ein weiteres Problem schafft bzw.
verstaerkt.

Die Rede ist von "Clicktivism" (14) bzw. "Slacktivisim", also der
scheinbaren politischen Partizipation durch einen Klick im Internet,
bei dem man meint, die Welt verbessert zu haben. Wer mit solchen
Mitteln eben mal ("Massaker verhindernde") Kriege vom Zaun zu brechen
in der Lage ist oder einen Rupert Murdoch stoppt - warum sollte so
jemand auch noch die Arbeit auf sich nehmen, auf die Strasse zu gehen?
Sich Blockaden anzuschliessen? Direkte Aktionen durchzufuehren, die
eventuell sogar im Gegensatz zur "herrschenden Ordnung" stehen? Sich
langfristig mit Themen beschaeftigen, um immer wieder kritisch
reingraetschen und andere ernsthaft informieren zu koennen? Wozu all
das, wenn es doch so viel einfacher laeuft?!

Es laeuft eben nicht so viel einfacher. Avaaz verbessert die Welt
nicht in erster Linie, es beruhigt sie viel mehr.

Allerdings gibt es fuer Ruhe keinen Grund. Und keinen Grund, in die
Struktur und politische Ausrichtung von Avaaz zu vertrauen - einer
Organisation, die ihre Mitglieder eben nicht ueber das Mittel der
Kampagne zu politisieren versucht, sondern im Gegenteil impliziert,
dass voellig entpolitisiertes Mausklicken vom Sofa aus politisches
Engagement und die Uebernahme von Verantwortung bedeute.
(Detlev Beutner, Graswurzelrevolution)

Quelle: http://www.graswurzel.net/361/avaaz.shtml


Anmerkungen
(1) http://www.avaaz.org
(2) http://therespublica.org
(3) http://www.MoveOn.org
(4) Weitere Details und personelle Zusammenhaenge:
http://www.myspace.com/muenster_prollt/blog/541217375
(5) Avaaz sammelte 2009 gut 4 Mio. Dollar Spenden, davon gingen 16%
fuer Kosten von Avaaz selbst ab.
(6) Dass Avaaz keine Bestaetigung der Abstimmung
(Double-Opt-In-Verfahren) per Mail verlangt, sondern nur eine
Bestaetigungsmail verschickt (Confirmed-Opt-In), muss angesichts der
Professionalitaet der MacherInnen schon selbst Grund zur Skepsis
geben, da auf diese Weise dem Missbrauch Tuer und Tor geoeffnet
werden.
(7) Patrick Kingsley: "Avaaz: activism or 'slacktivism'?", The
Guardian, 20.07.2011. Entgegen dem vielversprechenden Titel ist der
Artikel eine unterwuerfige Hommage an Avaaz, die fatal an "embedded
journalism" erinnert.
(8) Das Ergebnis einer solchen Umfrage von Anfang 2010 gibt es unter
http://avaaz.org/de/people_power_in_2010 - fuer 2011 fehlt allerdings
ein solcher Nachweis.
(9) Die Darstellung des Unterschiedes zu A.I. (oder Greenpeace) moege
bitte nicht als Werbung fuer diese Organisationen aufgefasst werden.
(10) Etwa wenn Avaaz im Januar 2011 zum Konflikt an der
Elfenbeinkueste schreibt: "Ouattara ... is doing what he can do for
peace" () und dabei verschweigt, dass der jetzige Praesident der
Elfenbeinkueste keineswegs seine Haende in Unschuld, sondern doch eher
in Blut waescht (Johannes Dieterich: "Ein mittelpraechtiger Guter",
Frankfurter Rundschau, 05.04.2011).
(11) http://www.avaaz.org/de/libya_no_fly_zone_1 ; vgl. auch
http://jghd.twoday.net/stories/warnung-vor-avaaz-no-fly-libyen
(12) "Die Zusammensetzung aus 'slacker' (engl. fuer rumhaengen, nichts
tun, lustlos sein) und 'activism' bezeichnet Menschen, die eigentlich
zu faul sind, den Arsch hoch zu kriegen, aber andererseits doch aktiv
sind. Allerdings nur bei solchen Aktionen, die wenig Anstrengung
erfordern. Beispiel: einer Facebok-Gruppe beitreten, Armbaendchen oder
Buttons mit (politischen) Botschaften tragen oder an
'niedrigschwelligen' Demonstrationen teilnehmen, die nicht viel
Aktionismus verlangen (Buy Nothing Day oder World Earth Hour)."
[szenesprachenwiki.de]
(13) "Wenn unter einer Million Petitionsunterzeichnern keine zehn
Aktivisten sind, die so schnell keine Ruhe geben, dann ist die
Millionenzahl Makulatur." Stefan Muenz: "AVAAZ - global-mediale
Kampagnen als politische Loesung?",
http://webkompetenz.wikidot.com/blog:109
(14) Ein guter - von Avaaz unabhaengiger - grundlegender Artikel zum
Thema: Micah White: "Clicktivisim is ruining leftist activism", The
Guardian, 12.08.2010



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