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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 13. Dezember 2011; 20:47
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Debatten:
> Euro-Schuldenbremse: Die gleichgeschalteten Medien
Auch in der Sozialdemokratie stellt man sich mitunter die Frage, ob
die Dauer-EU-Bejubelung wirklich angebracht ist. *Niki Kowall*,
Volkswirt und aktiv in der Sektion 8 der SPOe Alsergrund, brachte dazu
als Gastautor auf Robert Misiks Weblog seinen Unmut juengst zum
Ausdruck:
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Die letzte Ausgabe von "Im Zentrum" ist ein prototypisches Exempel
fuer den aktuellen Verlauf der Diskussion um Europapolitik im
Allgemeinen und um die europaeische Fiskalunion im Speziellen. Von
fuenf Gaesten haben sage und schreibe sechs die vereinbarten
Sparvorgaben als prinzipiell sinnvoll erachtet (auch Moderator Peter
Pelinka konnte seine Begeisterung nicht verbergen). Nicht einmal ein/e
Feigenblatt-Dissident/in wurde eingeladen. Selbst der
US-republikanische Propagandasender Foxnews waere nicht so frech
gewesen in der Meinungleichschaltung. Lediglich der
FPOe-Europaabgeordnete Andreas Moelzer durfte ein bisschen keck sein
und nationale Spielraeume einfordern, dem Dogma des grossen Sparens in
Europa hat er sich aber kreuzbrav angeschlossen. Damit war die vom ORF
vorgesehene Bruchlinie in der Diskussion auch schon vorgezeichnet. Es
sollte ueber mehr versus weniger Europa diskutiert werden. Dass die
viel wichtigere Frage aber lautet, welches Europa wir wollen,
interessiert im Mainstream offenbar kein Schwein.
Oe1-Journalist Andreas Joelli hat das Instrument der
"Journalistenfrage" wie kaum ein Anderer seiner Zunft zur Perfektion
entwickelt. Eine "Journalistenfrage" ist eine suggestive,
klischeeschwangere und substanzlose Frage, die die inhaltliche
Ahnungslosigkeit beider InterviewpartnerInnen kaschieren soll, und den
Zweck hat, den Befragten zu einer oberflaechlichen Plattituede zu
inspirieren. Im Mittagsjournal vom 10. Dezember wurde Werner Faymann
als besonders braver Europaeer, der mit den boesen Schmuddelbriten
nichts am Hut hat, sondern konstruktiv mit den guten Deutschen heult,
durch das Journalinterview hofiert. Die Einigung des EU-Gipfels
Richtung Fiskalunion wurde ohne die geringste kritische Nachfrage
abgefeiert. "Europa und Sparen" sind gut, "kein Europa und
Nicht-Sparen" sind schlecht. Wer braucht bei so einem glasklaren
Weltbild noch das, was man einmal als kritischen Journalismus
bezeichnet hat? Joelli: "Es scheint, dass Sie sich in letzter Zeit vom
EU-Skeptiker zum gluehenden Europafan entwickelt haben. Was hat diesen
Wandel bewirkt?" Werner Faymann durfte der Frage gebuehrend mit
fuenfzig Litern heisser Luft antworten.
Die AkteurInnen im politmedialen Komplex haben nicht alle identische
Motive fuer ihre Europaeuphorie. Die einen haben vulgaere
Vorstellungen von einem vermeintlichen oekonomischen Showdown mit dem
aufstrebenden China und den absteigenden USA, fuer den Europa durch
das Tal der Traenen (= Lohnkuerzungen und Sozialabbau) marschieren
muesste. Die anderen interessieren sich nicht fuer
wirtschaftspolitische Details und haben von der Materie keine Ahnung,
sie finden mehr Europa immer gut. Wie wir in Europa leben wollen, ist
weder den einen noch den anderen auch nur eine Nachfrage wert. Dabei
stellt die Fiskalunion dramatische Weichen, wie unser Leben in Europa
kuenftig aussehen wird. Viele von jenen die in einem Jahr gegen
Kuerzungen im Bildungs- und Sozialbereich anschreiben werden, hypen
jetzt die Einigung am EU-Gipfel in den Olymp. Selbst wenn alle Steuern
erhoeht wuerden die sich die Arbeiterkammer wuenscht und alle
Verwaltungsstrukturen reformiert wuerden, die die
Industriellen-Vereinigung am Radar hat, koennten bis 2016 nicht jene
neun Mrd. ins Budget fliessen, die durch die Schuldenbremse erreicht
werden sollen. Wenn wir Werner Faymann nicht unterstellen wollen, dass
er diese finanzpolitischen Dimensionen nicht abschaetzen kann, dann
ist er in jedem Fall gut im Verdraengen. Die geplante Konsolidierung
wird ohne drastische Leistungskuerzungen - Vermoegenssteuern hin oder
her - nicht funktionieren. Die europaeisch vereinbarten
Schuldenbremsen und die ausgehungerten Universitaeten sind
kommunizierende Gefaesse.
Die Neue Zuericher Zeitung macht sich Sorgen, dass Europa am Abgrund
stuende. "Waere nicht die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, faende der
Sturz wohl statt," konstatiert Redakteur Markus Spillmann. Dass Angela
Merkel seit drei Jahren die Hauptverantwortliche dafuer ist, dass
Europa am Rande des Abgrunds balanciert und aus einem eingegrenzten
Problem ein Flaechenbrand wurde, der zuletzt sogar ihr eigenes Land
erreichte, davon kein Wort in der so renommierten NZZ. Die geballte
Macht der Qualitaetsmedien kann nicht irren: Deutschland ist gut,
Grossbritannien boese und Sparen das Gebot der Stunde. Die BritInnen
werden dabei als Buhmaenner/-frauen des Kontinents durch alle
Leitartikel gejagt. Dabei sind sie im europaeischen (=
wirtschaftsliberalen) Sinne die EurostreberInnen. Kaum jemand faehrt
so ein drastisches Austeritaetsprogramm mit massivem Staatsrueckbau
wie die Regierung Cameron. Das UK steht nicht im Abseits, im
Gegenteil, die EU orientiert sich an der Tory-Politik der letzten 30
Jahre. Die relevante Sorge ist nicht ein Europa ohne UK, sondern ein
Europa als UK. Dass die britische Regierung sich dem Fahrplan der
anderen Mitgliedsstaaten nicht anschliesst, hat keine
wirtschaftspolitischen, sondern ausschliesslich nationalistische und
separatistische Motive. Nur in der Rezeption der
Medienoeffentlichkeit, die keine Ideologien kennt sondern nur "mehr"
oder "weniger" Europa, sind die Briten isoliert. In Wirklichkeit haben
sie den Mainstream produziert, bevor die EU-Kommission das Wort
Standortwettbewerb ueberhaupt buchstabieren konnte.
Was uns als "mehr Europa" verkauft wird ist ausschliesslich ein "Mehr
an Ideologie". Unter dem frenetischen Beifall der europaeischen
Medienlandschaft schmelzen Europa und wirtschaftsliberale
Austeritaetspolitik endgueltig zu einer Einheit zusammen. Zu behaupten
Europa = Neoliberalismus ist keine Uebertreibung mehr. Eine
demokratische Volksabstimmung wird als Zumutung betrachtet und
abgeblasen, zwei nationale Regierungen werden durch Kommissaere der
europaeischen Institutionen ersetzt. Das Programm der oktroyierten
Regierungen: Sparen, Sparen und Sparen. Doch nur weil etwas
europaeische Linie ist, darf es nicht sakrosankt sein. Wuerden sich 26
EU-Staaten nun auf die Wiedereinfuehrung der Todesstrafe einigen,
waere dies technisch auch ein Fortschritt in der europaeischen
Integration, aber kein Fortschritt fuer die Menschheit. Die Hauptfrage
lautet in Wirklichkeit nicht "mehr oder weniger Europa?", die
Hauptfrage lautet "welches Europa?" Das heisst die politische Frage
ist fuer die Lebensrealitaet der Menschen wichtiger als die
kontinentale. Das ist genau das Gegenteil von dem, was die
europafanatische veroeffentlichte Medienmeinung predigt, die ein
geeintes Europa um jeden Preis will und genau damit die Ressentiments
der BuergerInnen gegen die EU nachhaltig anheizt. Was die Damen und
Herrn im politmedialen Komplex verkennen: Der Inhalt ist wichtiger als
die Form.
(gekuerzt)
Volltext:
http://www.misik.at/sonstige/euro-schuldenbremse-die-gleichgeschalteten-medien.php
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