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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 13. Dezember 2011; 20:41
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Italien:
> Unter falscher Flagge
Ueber die "Federazione Anarchica Informale"
Eine Bombe unterwegs zu Ackermann, Absender ist mal wieder die
"Federazione Anarchica Informale". Der Spiegel schreibt, dass ausser
den polizeilichen Misserfolgen "nichts fuer Verschwoerungstheorien"
spricht und ist damit sogar noch auf der Hoehe der Zeit. Im Gegensatz
zur taz, die es als linke Tageszeitung nicht einmal schafft, auf die
Debatte um die FAI einzugehen. Von aelteren linksunten Artikeln ueber
Briefbomben1, ueber anarchistische Blogs2 bis hin zu den bekannten und
aktiven Anarchist_innen in Winterthur (LAW)3 sprechen sich alle gegen
die Attentate aus. Es riecht irgendwie nach Staatsaktion. (Anm. d.
Red: Hinter den Anschlaegen der "Federazione Anarchica Informale" -
die auch Anarchist_innen nur aus Bekenner_innenschreiben kennen -
Staatskalkuel zu vermuten ist so abwegig nicht, in Italien haben
solche Strategien Geschichte, siehe zB die Strategie der Spannung des
Propaganda Due / Gladio Netzwerks Anfang der 70er)
Der Grund
Warum es nicht der gaengigen anarchistischen Praxis entspricht, Bomben
an Funktionstraeger_innen zu verschicken, soll hier nicht eroertert
werden. Aber es sei erwaehnt, dass Formulierungen, wie sie im
Bekenner_innenschreiben der "Federazione Anarchica Informale" zu
finden sind, die nahelegen dass die Verfasser_innen "keine Angst
haben, eine Sekretaerin zu verletzen, wenn es darum geht, den Chef
umzubringen"4 nicht auf eine freiheitliche Gesinnung schliessen
lassen.
Wichtig ist an dieser Stelle auch der Name dieser Informellen: die von
ihnen genutzte Abkuerzung FAI ist zufaelligerweise auch der Name einer
der groessten Anarchistischen Foederationen in Italien (Federazione
Anarchica Italiana). Nicht gerade sehr solidarisch (von der "FA
Informale"; Anm. d. Red.) mit Aktionen die seit Jahrzehnten legal
aktiven Genoss_innen in Bedraengnis zu bringen. Zur weiteren Lektuere
zu diesem Thema empfehlen sich die Texte, die in den Fussnoten
angefuehrt sind. Der Grund fuer den Text ist die Hoffnung, durch
geeignete Werkzeuge und ein entschlossenes Vorgehen den Aktionen unter
falscher Flagge ihre Gefaehrlichkeit fuer unsere Strukturen nehmen zu
koennen.
Der Umgang
Es geht gar nicht um die Frage ob die FAI staatliche Provokateure sind
oder nicht. Mag auch noch so viel auf einen Einsatz unter falscher
Flagge staatlicherseits hindeuten. Der Staat nutzt diese ja
Moeglichkeit so gerne, gerade weil wir es kaum beweisen koennen.
Anstatt also ewig die paar Indizien neu zusammenzustellen, scheint mir
etwas anderes wichtiger zu sein: Einen Umgang mit (auch scheinbar
staatlichen) Einsaetzen unter falscher Flagge zu schaffen, der nicht
uebergeht in eine Denunziation militanter Genoss_innen. Dazu sollten
wir zwei Schritte gehen
Schritt 1. Die Trennlinie
Hier soll es um die Frage gehen, wann eine Aktion mit libertaeren bzw.
linksradikalen Anspruechen vereinbar ist, und wann nicht - also darum,
eine Trennlinie zu zeichnen, immer im Bewusstsein: Grenzen sind
fliessend, es gibt Grauzonen und Streitareale. Obwohl die Ablehnung
der Moral innerhalb der radikalen Linken eine philosophische
Errungenschaft ist, welche nicht aufgegeben werden sollte, kann es
eine solche Trennlinie geben. Zwar gibt es kein fuer immer gueltiges
Gesetze, wie z.B. "Niemals und unter keinen Umstaenden ist Mord
legitim", aber das ist weit entfernt von einem nihilistischen "Alles
ist erlaubt". Die Wahrung von Mittel und Zweck, die Notwendigkeit
einer drastischen Aktion, die Nicht-Delegation von gefaehrlichen
Aktionen, die strukturelle Gewalt des Systems in Abgrenzung zur
individuellen Verantwortung sind allesamt Massstaebe, an denen wir
militante Aktionsformen messen koennen. Jede Aktion der FAI (FA
Informale; Anm. d. Red.) faellt in jedem dieser Zusammenhaenge durch.
Die Bomben stehen nicht nur in keinem Verhaeltnis zum Zweck, sie
scheinen zwecklos zu sein, wird von der Verbreitung von Angst
abgesehen. Angst wiederum ist kein Mittel zur Emanzipation, sondern
ihr glattes Gegenteil. Ohne Zweck ist auch die Notwendigkeit dieser
drastischen Aktionsform (Bombe) nicht zu erklaeren. Und so weiter...
Schritt 2. Die Distanzierung
Sind wir an dem Punkt das wir Aktionskonzepte wie die der FAI (FA
Informale, Anm. d. Red.) verwerfen, muss sich distanziert werden. Alle
Gruppen der radikalen Linken, welche eine Veroeffentlichung zu der FAI
gemacht haben, sind zum gleichen Schluss gekommen und haben sich
distanziert. Wie immer ueberraschen die buergerlichen Medien wenig mit
ihrem Urteil, dass "fuer die Authentizitaet der FAI nicht zuletzt
spricht, dass sie immer wieder niederschwellige Anschlagsziele
waehlte, die kaum geeignet waren, die weltweite oder auch nur die
nationale Aufmerksamkeit zu erregen - und die nur in der Logik der
Gruppe Sinn hatten." (spiegel.de). Nicht, dass wir soviel dementieren
koennen, um Spiegel, taz & Co zu einem differenzierten Umgang mit dem
Thema zwingen zu koennen. Aber es gibt durch die guten Artikel, die es
schon zu dem Thema gibt, bereits Teilerfolge: "Viele Aktivisten auch
der radikalen, der "antagonistischen" Linken in Italien halten die FAI
fuer eine von Geheimdiensten gesteuerte Truppe von "Provokateuren",
und die "echte" FAI - die seit Jahrzehnten aktive "Italienische
Anarchistische Foederation" - beklagt sich, die "informelle" FAI sei
nur aktiv, um den Anarchismus in den Schmutz zu ziehen und zu
diskreditieren." (spiegel.de)
Die Folgen
Warum nochmal betonen, was alle Genoss_innen bisher sowieso gemacht
haben (Warum Distanzierungen zusammenfassen? Anm. d. Red)? Die
juengsten Taten des NSU ( NationalSozialistische Untergrund) haben den
Focus auf die Unmenschlichkeit des Faschismus gerichtet. Aber die
Aufmerksamkeitsspanne der Massenmedien ist kurz. Diesem gezielten
Versuch, dem Anti-Humanismus des NSU ein linkes Pendant
entgegenzustellen, darf es nicht noch leichter gemacht werden durch
"ja aber..."-Statements aus der radikalen Linken. Aktionsformen wie
Briefbomben sind keine Aktionsform einer emanzipatorischen Bewegung.
Wenn wir das geschlossen kommunzieren, koennen wir dem Flaechenbrand,
den Spiegel, taz & Co vielleicht bald entzuenden werden,
entgegentreten.
(Lila_Fee auf Indymedia/bearb.)
Originaltext: http://linksunten.indymedia.org/en/node/51687
Fussnoten:
1 http://linksunten.indymedia.org/de/node/51685
2 http://afunke.blogsport.de/2011/12/09/wieder-anarchisten-wieder-briefbomben-wieder-die-informelle-anarchistische-foederation/
3 http://linksunten.indymedia.org/node/31134
4 zitiert nach spiegel.de
*
Kasten:
Schon als vor 8 Jahren Bombenauftauchten, zu denen sich die
"Federazione Anarchica Informale" bekannt hatte, hatte die
"Federazione Anarchica Italiana" klargestellt, dass hier eine
Organisation unter falscher Flagge agiere. Bislang ist das aber in
Mainstream-Medien nur selten registriert worden:
> Erklaerung der realen FAI (Dez. 2003)
Die Info-Kommission der Italienischen Anarchistischen Foedertion
(FAI - Federazione Anarchica Italiana) nimmt hiermit Stellung zum
Auftauchen eines Phantoms namens "Informelle Anarchistischen
Foederation" (FAI - Federazione Anarchica Informale), welches fuer die
Explosionen in der Via Gerusalemme in Bologna die Verantwortung
uebernommen hat:
- Wir prangern die schwerwiegende und schaendliche Vorgehensweise an,
dieser Art von Vorfaellen Initialen zuzuweisen, die jedenfalls eine
Anspielung auf die FAI (Italienische Anarchistische Foederation)
darstellt. Wer eine Gruppe von Genoss-innen der Repression ausliefert,
ist ein Agent oder Kollaborateur der Polizei.
- Wir sehen uns in historischer Erbfolge der anarchistischen
Organisation, wie sie ausgehend vom Kongress in Saint-Imier 1872 bis
hin zur Gruendung der Italienischen Anarchistischen Union (UAI -
Unione Anarchica Italiana) 1920 und der Italienischen Anarchistischen
Foederation (FAI - Federazione Anarchica Italiana) 1945 Gestalt
angenommen hat: EINE ORGANISATION, DIE IN KEINER
WEISE EINE INFORMELLE IST, weil Transparenz und Kollegialitaet
eine Garantie fuer eine libertaere und egalitaere Methode, Beschluesse
zu fassen, darstellen.
- Mit Nachdruck bekraeftigen wir die Verurteilung, Bomben, Briefbomben
und Sprengsaetze, die wahllos zuschlagen koennen, zu verwenden,
Mittel, die jedenfalls besser als alle anderen zu einem Zeitpunkt, da
Anarchist-innen zu den Protagonist-innen in den sozialen Kaempfen, von
Streiks, bis zu Antikriegsaktionen, gehoeren, zur Logik der
Provokation und Kriminalisierung abweichender Meinungen durch die
Medien zu passen scheinen.
- Wir bekraeftigen, dass die Mittel des Kampfes der foederierten
AnarchistInnen sich auf der Strasse, im Sozialbereich, im
selbstverwalteten, basisdemokratischen Syndikalismus, in Bewegungen,
in Dutzenden von Staedten, in denen wir oeffentlich zugaengliche
Zirkel haben, verbreiten, um in offener Opposition zur Logik von
Herrschaft und Staatsterrorismus eine Gesellschaft von Freien und
Gleichen aufzubauen.
Info-Kommission der Italienischen Anarchistischen Foederation (FAI)
http://www.federazioneanarchica.org/
Uebersetzung von http://www.ainfos.ca/it/ainfos03354.html
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