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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 30. November 2011; 02:49
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Debatten:

> Das staatliche Strafen

In regelmaessigen Abstaenden ist hierzulande (Anm. akin: Gemeint ist
Deutschland) Kriminalitaet ein Thema - ebenso regelmaessig wird
darueber diskutiert, wie Kriminalitaet denn am besten zu verhindern
sei. Man ist sich zwar in Politik und Oeffentlichkeit ueber die
konkreten Schritte zur Bekaempfung von Verbrechen selten einig, aber
dass man ueberhaupt Strafen und staatliche Gewalt braucht, darueber
herrscht Einigkeit von rechts bis links(2). Staatliche Gewalt zur
Durchsetzung von gesellschaftlichen "Regeln" und zum Schutz wichtiger
Rechtsgueter - wie etwa das Recht auf Eigentum oder die Freiheit der
eigenen Person - , sei unverzichtbar. Ohne Strafen gaebe es keinen
ordentlichen Schutz der Buerger und ihrer Rechte. Zwar faellt es
einigen Menschen durchaus auf, dass (mehr) Strafen bzw. haertere
Strafen Verbrechen nicht verhindern. Und es wird gelegentlich
zugestanden, dass der Nutzen von Strafen - etwa fuer die Opfer von
Straftaten - fraglich ist. Schliesslich machen Strafen das Geschehene
fuer diese Opfer nicht wieder gut, sondern fuegen der Gewalt der
Straftat bloss weitere Gewalt hinzu. Trotzdem wird immer wieder auf
die Unverzichtbarkeit einer abschreckenden Wirkung von Strafen
hingewiesen: Ohne Sanktionen und deren abschreckende Wirkung
funktioniere ein soziales Zusammenleben "leider" nicht. Die
durchgesetzte Vorstellung ueber das Strafrecht, besagt, es diene dazu,
ein friedliches Zusammenleben zu ermoeglichen. "Das Strafrecht dient
[...] dem [...] Rechtsgueterschutz und ist in seiner Existenz
demzufolge gerechtfertigt, wenn das friedliche und materiell
gesicherte Zusammenleben der Buerger nur durch eine Strafandrohung
bewahrt werden kann." (Roxin u.a.: "Einfuehrung in das
Strafprozessrecht", 5.Auflage, S.4). Gegen die Vorstellung, dass
Strafrecht sei so eine Art selbstloser Dienstleistung des Staates fuer
seiner Buerger in Sachen friedliches Zusammenleben sollen im folgenden
einige Einwaende formuliert werden.(3)

1. Zum Unterschied zwischen Rechtsgueterschutz und dem Schutz von
materiellen Interessen

Die Existenz oder ein wahrgenommener Anstieg von Kriminalitaet loesen
bei vielen Menschen Aengste aus. Strafen begrenzen Kriminalitaet. Dies
und der Umstand, dass Verbrechen oft Schaeden fuer die Betroffenen
beinhalten, legt ein weit verbreitetes Missverstaendnis nahe:
Handlungen seien deshalb unter Strafe gestellt, weil durch sie
Menschen in ihrer Gesundheit geschaedigt oder der Mittel ihres
Unterhalts beraubt wuerden. Die damit mitunter verbundene
Unterstellung, es ginge dem Staat mit seinem Strafrecht entscheidend
um die Gesundheit oder die Mittel des Einzelnen zum Leben, ist aber
falsch.

- Klaut jemand ein Auto, dann ist das Diebstahl. Entlaesst dagegen ein
Unternehmen 2.000 seiner "Beschaeftigten", weil in einem anderen Land
billiger und damit rentabler zu produzieren ist, dann ist das
rechtens. Unabhaengig davon, was das fuer die entlassenen Menschen
bedeutet, ihr Einkommen zu verlieren und damit die Mittel ihres
Unterhalts. Das Unternehmen nimmt einfach und brutal sein Recht als
Eigentuemer wahr, waehrend der Dieb den Willen zur Achtung vor dem
Eigentum und damit vor dem Recht vermissen laesst.

- Das "Recht auf Leben und koerperliche Unversehrtheit" gilt fuer
alle: Auf den Schutz seiner Person kann ein Arbeitnehmer sich berufen,
wenn er von seinem Chef geschlagen wird - aber nicht, wenn er sich
kaputt gearbeitet hat. Waehrend "Koerperverletzung" als Delikt mit
empfindlichen Strafen geahndet wird, ist die Zerstoerung von Koerper,
Geist und Psyche in kapitalistischen Fabriken im Strafgesetzbuch nicht
zu finden. (Wenn sie ein durchschnittliches und als solches sogar
erlaubtes Mass uebersteigt, hat das Unternehmen allenfalls mit einer
Busse zu rechnen.)

- Es gibt Handlungen, bei denen niemand geschaedigt wird und die
dennoch bestraft werden, z.B. einvernehmlicher Inzest. (Das duerfte
daran liegen, dass dieser der aktuell vorherrschenden Vorstellung von
der bevoelkerungspolitischen Aufgabe der Familie widerspricht.)

Hieran zeigt sich: Mit dem Strafrecht wird an das Handeln der
Privatsubjekte ein Massstab angelegt, fuer den es nicht entscheidend
ist, dass es durch eine Tat zu einer Schaedigung kommt. (Weder kommt
es bei jeder "kriminellen" Tat zu einem Schaden, noch ist jede
Schaedigung verboten.) Es gibt noch einen gravierenden Unterschied
zwischen Rechtsgueterschutz(4) und dem Schutz vor Schaedigung: Wenn
Verbrechen bestraft werden, reagiert der (Rechts-)Staat als
Betroffener. Wo er auf eine Schaedigung durch Verbrechen mit seinem
Strafrecht reagiert, interessiert diese den Staat von vornherein nur
unter einem ganz bestimmten Gesichtspunkt, naemlich als Verletzung von
Rechtsguetern. Fuer den Staat ist mit dem Autodiebstahl nicht die
Sache weg, auf die man angewiesen ist, um zur Arbeit zu kommen. Fuer
den Staat ist mit dem Autodiebstahl etwas ganz anderes geschaedigt:
Das von ihm etablierte Rechtsgut namens Eigentum. Das Eigentum und
mein Auto sind verschiedene Sachen. Der Unterschied macht sich fuer
mich als Geschaedigten darin bemerkbar, dass die Reaktion auf die
Verletzung eines Rechtsgutes mittels des Strafrechts einen anderen
Zweck verfolgt als den Schadensausgleich. Dem Zwecke der Strafe
bezogen auf die Straftat ist dann genuege getan, wenn der Taeter die
verdiente Strafe erhalten hat.

2. Warum Rechtsbruch und buergerliche Ordnung zusammen gehoeren

Eigentum: Eine wesentliche Grundlage fuer Massenkriminalitaet(5): Auch
wenn sie selbst ihren Mangel nicht so sehen moegen: Durch das
Privateigentum sind die meisten Menschen von vielen Dingen erst mal
ausgeschlossen, die sie fuer ihre Beduerfnisbefriedigung benoetigen
wuerden.

Der Ausschluss der meisten Menschen von vielen Mitteln des Bedarfs
durch die Eigentumsgarantie sind immer wieder Anlass dafuer, das Recht
auf Privateigentum oder andere Rechte zu verletzen, um auf diese Weise
die eigenen materiellen Interessen besser durchzusetzen oder
ueberhaupt zu verwirklichen.

Hierbei muss man weder zuerst an spektakulaere Bankueberfaelle denken,
noch an Delikte wie Kohlenklau oder aehnliche Diebstaehle in Osteuropa
oder Drittweltlaendern, die dem nackten Ueberleben dienen. Taten wie
beispielhaft die folgenden geschehen auch in erfolgreicheren
kapitalistischen Nationen wie der BRD taeglich und zwar zum Teil
massenhaft:

- Menschen besorgen sich illegale Kopien von Musik, Spielen und
anderen digitalen Guetern, weil das "kostenlos" ist.

- Menschen fahren "schwarz" und wandern dafuer in den Knast, weil sie
es zum wiederholten mal getan haben und das Bussgeld nicht bezahlen
koennen

- Menschen betruegen bei der Steuererklaerung

- Menschen "betruegen" den Staat beim Bezug von Sozialleistungen,
indem sie Arbeitseinkommen oder Vermoegen verheimlichen

Diese Beispiele fuer "Kriminalitaet" sind u.a. ein Hinweis darauf,
dass auch das Leben in kapitalistisch vergleichsweise erfolgreichen
Staaten wie der BRD zumindest fuer die meisten abhaengig
Beschaeftigten kein Leben ist, in dem es wesentlich um ihre
Beduerfnisse ginge.

Keine Kriminalitaet ohne Recht

Anders als unterstellt, reagiert der Staat mit seinem Recht bzw.
seinem Strafrecht nicht auf Verletzungen von Interessen, die er in der
Gesellschaft vorfindet. Er traegt entscheidend mit dazu bei, dass es
diese Interessenverletzungen ueberhaupt gibt: Die Garantie etwa des
Rechts auf Eigentum zwingt naemlich jeden, mit seinem Eigentum sein
"Glueck" auf dem Markt bzw. in einer kapitalistischen Oekonomie zu
suchen. Die materiellen Ursachen fuer die massenhafte Verletzung von
Eigentum bringt der Staat insofern selbst hervor, als er alle auf die
Existenz als Eigentuemer und damit als Marktteilnehmer verpflichtet
und sie den Marktgesetzen aussetzt. Das buergerliche Recht unterstellt
damit eine Notwendigkeit verschiedener Interessenverletzungen im
menschlichen Zusammenleben, die es ohne das buergerliche Recht selbst
nicht geben muesste.

3. Die Notwendigkeit des buergerlichen Rechts

Der Staat weiss, dass das wirtschaftliche Leben von
Interessengegensaetzen durchzogen ist, deren ungeordnete Austragung
das dauerhafte Funktionieren von kapitalistischem Wachstum in Frage
stellt. Mit seinem Recht und seinem Gewaltmonopol sorgt er dafuer,
dass die Austragung dieser Interessengegensaetze so ablaeuft, dass die
Verfolgung der Interessen das Wachstum befoerdert oder diesem
zumindest nicht widerspricht.

Im Zivilrecht regelt er das Verhaeltnis der Buerger untereinander.
U.a. wird darin geregelt, welche Ansprueche die Buerger als
Vertragspartner gegeneinander haben koennen und wie sie diese
Anspruechen rechtmaessig durchsetzen duerfen. Unter der Bedingung,
dass ihre Ansprueche sich vor Gericht als rechtmaessig erweisen,
koennen sie diese gegen die andere Partei gegebenenfalls mit Hilfe der
Staatsgewalt durchsetzen (sei es durch Zwangsraeumung, Pfaendung oder
Zwangsversteigerung)

Mit dem Strafrecht legt der Staat u.a. fest, welche Verstoesse gegen
seine Rechtsordnung er als so schwerwiegend ansieht, dass er sie mit
Sanktionen in Form von Strafen ahnden will und er legt fest, wie
schwer diese ausfallen. Zwar erwartet der Staat unbedingte
Unterwerfung aller Buerger unter das Recht. Er geht aber davon aus,
dass die freiwillige Unterordnung der Mehrheit der Buerger immer auch
Resultat von Berechnung ist, wie gut ihnen ihre Rechtstreue bekommt.
Er setzt darauf, dass diese Berechnung in aller Regel fuer die
Einhaltung der Gesetze ausfaellt. Allerdings geht er auch davon aus,
dass die Berechnung der Buerger wie gut ihnen unbedingte Rechtstreue
bekommt bei einer mehr oder grossen einer Minderheit zu Ungunsten
dieser Rechtstreue ausfaellt.

Dass der Staat das Verhaeltnis seiner Buerger zum Recht in der eben
beschriebenen Weise einschaetzt, zeigt sich in seiner Nutzung des
Strafrechts und der Strafverfolgungsbehoerden. Der Staat nutzt die
Strafgesetzgebung - neben der Steigerung der Effektivitaet der
Strafverfolgungsbehoerden - um, z.B. durch Strafmassverschaerfung, in
seinem Sinne Einfluss auf die von ihm allen Buergern unterstellten
Berechnungen zu nehmen: Die potentiellen Rechtsbrecher unter den
Buergern sollen durch ihre Interesse an Schadensvermeidung von
Rechtsbruechen abgehalten werden. Den Buergern, die sich deswegen an
das Recht halten, weil sie sie einen Nutzen darin sehen, soll
signalisiert werden: Rechtsverletzer haben von ihrer Rechtsverletzung
keine Vorteile.

Funktioniert die Kalkulation des Staates bezueglich der Wirkung seines
Strafrechtes bzw. der verhaengten Strafen gesamtgesellschaftlich, dann
kann sich jeder Buerger darauf verlassen: Schwarzfahren, Autodiebstahl
und Steuerbetrug bleiben Ausnahmen.

Wenn Strafrecht gerechtfertigt werden soll, dann ist in der Regel von
seiner gesellschaftlicher Leistung die Rede. Sie begrenze
Kriminalitaet. Die Existenz oder ein wahrgenommener Anstieg von
Kriminalitaet loesen bei vielen Menschen Aengste aus. Den Buergern
erscheinen Strafen als Massnahmen des Staates fuer ein "menschliches"
Zusammenleben schlechthin. Die meisten Menschen wissen in der Regel
schon aufgrund ihrer eigenen Erfahrungen mit der Knappheit ihrer
finanziellen Mittel, dass sie selber im Kaufhaus mehr oder weniger
haeufig nicht bezahlen wuerden, wenn es keine Polizei und keine
Strafen fuer Diebstaehle gaebe. Sie koennen sich denken, dass fuer die
Benutzung von Bussen und Bahnen viele Menschen keine Tickets kaufen
wuerden, gaebe es keine Kontrollen und keine Bussgelder. Bei solchen
Gedankengaengen gehen die, die sie anstellen, von den Verhaeltnissen
in einer buergerlichen Gesellschaft aus und ueberlegen sich dann, wie
denn wohl "die Welt" aussaehe, wenn es kein staatliches Gewaltmonopol
und keine staatlichen Bussgelder und Strafen gaebe. Uebrig bleiben in
ihrer Vorstellung Verhaeltnisse, in denen Rechte niemand mehr ernst
nimmt und in denen daher Chaos und Not herrschen.(6) Kaufhaeuser
muessten dicht machen und Verkehrsbetriebe ihren Betrieb einstellen,
weil sich Geschaefte nicht rentieren wuerden. Angesichts einer solchen
Alternative erscheinen den Menschen das staatliche Gewaltmonopol und
Sanktionen fuer menschliches Zusammenleben schlechthin als
unverzichtbar. Wenn durch solche Gedankenexperimente aber ueberhaupt
etwas "bewiesen" wird, dann der Umstand, dass ein halbwegs friedliches
Zusammenleben in einer Welt mit Eigentum, Konkurrenz und dem
dazugehoerigen Mangel ohne Gewalt nicht geht. Der zentrale Fehler bei
dieser Art von "Begruendung" staatlichen Strafens mit der Bedrohung
von Rechten durch Rechtsverletzer besteht darin, sich die ueberhaupt
erst durch den Staat eingerichteten Verhaeltnisse einfach ohne den
Staat zu denken. Die Konkurrenz aller gegen alle und der daran
haengende materielle Mangel werden dann als vorstaatliche gedacht.

Das Ausmalen einer "Welt" ohne Strafrecht soll "begruenden", wofuer
Strafe notwendig sei: Strafe gaebe es um, "ein friedliches und
materiell gesichertes Zusammenleben" zu ermoeglichen. Dieses Urteil
trifft aber nicht den Zweck, zu dem es Recht bzw. Strafen in einer
buergerlichen Gesellschaft gibt. "Rechtsgueterschutz" mittels Recht
bzw. Strafrecht schliesst die systematische wechselseitige
Verletzungen von Interessen gar nicht aus. Im Gegenteil:
Schaedigungen, die fuer das Funktionieren von Staat und
kapitalistischer Wirtschaft als unerlaesslich oder produktiv angesehen
werden, sind mit dem Recht in gewissen Grenzen erlaubt und gewollt.
Das erklaert, warum es nicht verboten ist, Leute zu entlassen bzw. sie
mittels Kuendigung aus dem eigenen Wohnraum zu entfernen, sehr wohl
aber so zu streiken, dass die Existenz eines Unternehmens auf dem
Spiel steht.

4. Das Strafrecht: Nicht die Verwirklichung eines Ideals von
Gerechtigkeit, ...

Verschiedene Formen von Kriminalitaet haben nur eins gemeinsam: Sie
sind staatlicherseits verboten und mit Strafandrohung belegt. Das
erscheint zunaechst vielleicht banal. Klar: Ohne Eigentum keine
Diebstahl. Aber der Zusammenhang zwischen "Kriminalitaet" und Recht
ist noch enger: Die staatliche Festsetzung, was als Rechtsgut und was
als Rechtsgutsverletzung gilt, sorgt naemlich ganz entscheidend
dafuer, dass es die Formen von Interessenverletzungen gibt, die ein
Strafrecht noetig machen.

Bei der Festlegung von Straftatbestaenden und der Festlegung des
jeweiligen Strafrahmens geht der Staat in seiner Funktion als
Gesetzgeber folgendermassen vor: Alles, was die Leute tun - oder tun
koennten - bezieht er auf seine grundlegenden Rechtsgueter. Er
entscheidet einfach anhand seiner politischen Interessen, welche
dieser Taten er als grundsaetzliche Gefaehrdung der Rechtsordnung
bestraft sehen will und in welchem Masse. Er folgt hierbei nicht einem
ueberzeitlichen Ideal von Gerechtigkeit. Allein der Umstand, dass eine
Vielzahl von Strafgesetzen Eigentum voraussetzen, zeigt, dass die
Kriterien, nach denen die Auswahl von schuetzenswerten Guetern
geschieht, nicht von (ueberzeitlichen) Massstaeben herruehren, sondern
von solchen, die fuer eine buergerliche Gesellschaft massgeblich und
funktional sind. Das Strafrecht ist wie das Recht ueberhaupt die
Verkoerperung des politischen Willens eines buergerlichen Staates. Es
zeigt sich daher auch im Strafrecht, was ein solcher Staat von seinen
Buergern erwartet. Dass es darueber innerhalb der Parteien auch mal
unterschiedliche Meinungen gibt und sich die "gueltige Meinung" im
Streit der Parteien durchsetzen muss, stimmt. Das aendert aber an den
grundlegenden Massstaeben der Beurteilung vom Strafrecht insgesamt
nichts Wesentliches.

...sondern Ausdruck der Herrschaftsinteressen eines buergerlichen
Staates...

Friedliche Fabrikbesetzungen im Rahmen "wilder" Streiks zur
Durchsetzungen von Lohnerhoehungen etwa fallen in der BRD unter den
Tatbestand der Noetigung, waehrend der Einsatz von Polizeigewalt gegen
solche Besetzungen oder Aussperrungen erlaubt ist. Die Taetigkeiten
von Schleppern oder Schleusern gilt in buergerlichen Staaten nicht als
Beruf wie jeder andere, sondern als Verbrechen. Waehrend das StGB die
vorsaetzliche Toetung eines Menschen unter Strafe stellt, stellt die
vorsaetzliche Toetung anderer Menschen durch deutsche Soldaten keine
Straftat dar, wenn sie mit ihrem Auftrag vereinbar ist. An den
Kriterien dafuer, was unter Strafe steht, wird auch deutlich:
Schaedigungen von Menschen stehen nur dann unter Strafe, wenn sie von
einem Staat als Gefahr fuer sich, fuer die buergerliche Ordnung oder
fuer das "friedliche" Zusammenleben der Konkurrenzsubjekte in ihr
eingeschaetzt werden.(7)

...woran Strafrechtsreformen auch nichts aendern

Aendern sich die Einschaetzungen ueber die Folgen, die von
sanktionierten Handlungen fuer ein schuetzenswert erachtetes Rechtsgut
(z.B. Ehe und Familie) und fuer das Zusammenleben in einer
buergerlichen Gesellschaft ausgehen, dann kann dies auch zu
Veraenderungen im Strafrecht fuehren. Das kann fuer Einzelne - etwa im
Bereich des Sexualstrafrechts - eine Verbesserung ihrer
Lebenssituation bedeuten, aendert aber nichts grundsaetzliches an den
Beurteilungsmassstaeben. "Bis etwa zum 2. Weltkrieg betrachtete der
buergerliche Staat Sexualitaet als Gefahr fuer die Gesellschaft. Er
forderte Unterordnung, Verzicht, Bescheidenheit und Unterwerfung; auch
in Sachen Sexualitaet. Da passte eine Sexualitaet, die nur auf Lust
aus war, nicht recht ins moralische System. Entsprechend ging der
Staat dagegen vor und eroeffnete nur eine alternativlose Weise, die
Sexualitaet sozial anerkannt und staatsdienlich auszuueben: die Ehe.
"Abweichende" Formen der Sexualitaet wurden kriminalisiert und
sanktioniert. So galt etwa in Deutschland bis 1969 die Homosexualitaet
als Straftatbestand (§ 175 D-StGB). Ebenfalls bis 1969 existierte der
sogenannte Kuppeleiparagraph (§ 180 D-StGB). Der stellte es unter
Strafe, einem Mann und einer Frau ohne Trauschein eine Gelegenheit zur
"Unzucht" zu verschaffen.(8) In dem Masse, in dem sich bei den
Regierungsparteien und in der Oeffentlichkeit die Einschaetzung
durchsetzte, dass "abweichende Formen" der Sexualitaet die Ehe und
ihre Aufgaben - naemlich den Zwang zur wechselseitigen Versorgung und
Verpflichtung zur Erziehung des Nachwuchses - nicht gefaehrden,
sondern eher stabilisieren, hat der Staat Ende der 1960er und Anfang
der 1970er Jahre eine ganze Reihe von Gesetzen abgeschafft, mit denen
er frueher seinen Buergern das Leben schwerer gemacht hat.
*Assoziation gegen Kapital und Nation Hannover / Junge Linke*

(Es handelt sich bei diesem Text um eine von den AutorInnen leicht
ueberarbeitete und erheblich gekuerzte Version des Textes der unter
gleichem Namen unter http://www.junge-linke.org/de/staatliches-strafen
zu finden ist.)

*

Fussnoten

2) Auch manche Linksradikale finden Strafen gut, wenn diese Strafen
sich gegen die "Richtigen" wenden, z.B. Nazis oder Steuerhinterzieher.

3) Im folgenden geht es um das staatliche Strafen in Gesellschaften
mit kapitalistischer Wirtschaftsweise und einem demokratischen
Rechtsstaat. Es geht in diesem Text also nicht um die Frage, wie man
in einer befreiten Gesellschaft mit Menschen umgeht, die anderen
Menschen Gewalt antun. Um Missverstaendnisse zu vermeiden: Wir
schliessen nicht aus, dass es in einer befreiten Gesellschaft
Uebergriffe auf Leib und Leben anderer Menschen geben wird. Zum Schutz
vor einzelnen mag auch dann hin und wieder irgendeine Form von Zwang
noetig sein - ansonsten waere man jeglicher Gewalt einfach ausgesetzt.
Allerdings sehen wir einen Unterschied zwischen zeitweiligem Zwang
oder dauernder Notwendigkeit eines staatlichen Strafwesens.

4) Rechtsgut zu sein bedeutet, dass etwas eine besondere ideelle
Qualitaet hat, z.B. hat ein Auto ausser seinem konkreten Nutzen als
Transportmittel noch die Qualitaet Eigentum zu sein. Die Qualitaet
Rechtsgut zu sein beinhaltet die Selbstverpflichtung des Staates,
diese Gueter zu schuetzen.

5) Wir gehen im Folgenden vor allem auf "Delikte" ein, in denen es in
irgendeiner Weise um die illegale Erlangung materiellen Reichtums
geht. Hierzu muessen auch viele "Delikte" gezaehlt werden, in denen
Gewalt angewandt wird, wie z.B. Erpressung oder Raub, die aber in der
Oeffentlichkeit nicht als "Eigentumsdelikt" eingeordnet und besprochen
werden. Zwar haben nicht alle Formen von Kriminalitaet ihren
Existenzgrund in der Abhaengigkeit von Eigentum und Lohnarbeit.
Allerdings hat der groesste Teil der Kriminalitaet den materiellen
Mangel, der mit der Abhaengigkeit von Lohnarbeit verbunden ist, zur
Voraussetzung. In dieser Massenkriminalitaet, und nicht in den
Gewalttaten, die in der Oeffentlichkeit den groessten Platz einnehmen
(Vergewaltigungen, Amoklaeufe, Gewalttaten von "psychisch Kranken"),
ist die Notwendigkeit eines Strafsystems in buergerlichen
Gesellschaften begruendet.

6) Anlass zur Bestaetigung und zum Ausmalen dieser Auffassung bieten
regelmaessig Medienberichte ueber Pluenderungen und Gewalt in Gegenden
dieser Welt, in denen es kein staatliches Gewaltmonopol gibt oder dies
voruebergehend ausser Kraft gesetzt ist. Letzteres war z.B. 2005 in
der ueberschwemmten und von Seiten des Staates voruebergehend nicht
mehr kontrollierten Stadt New Orleans der Fall.

7) Im Strafrecht spiegelt sich daher immer auch wider, was fuer ein
Umgang der Menschen miteinander in buergerlichen Staaten allgemein
ueblich ist.

8) Z.B. konnten sich Vermieter der "Kuppelei" strafbar machen, wenn
sie nicht-eheliche Sexualitaet in ihren Wohnungen ermoeglichten.



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