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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 30. November 2011; 02:38
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Spanien/Demokratie/Kommentar:

> Rechtsruck wider Willen

Was rauskommt, wenn ein Land ein Wahlrecht mit mehrheitsfoerderndem
Charakter hat -- am Beispiel Spanien. Wobei das dort besonders
hinterhaeltig ist.
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In Spanien gab es bei den Wahlen einen Rechtsruck -- war zu hoeren.
Nun, fuer die neue Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses gilt das
sicher: Der buergerliche (und boes gesagt: auch postfaschistische)
Partido Popular hat nun eine absolute Mehrheit -- aber wie kann ein
Volk, das gerade massiv sich gegen grassierende Arbeitslosigkeit und
gemeingefaehrliche Sparpakete gewehrt hat, ploetzlich von der
Sozialdemokratie zu so etwas umschwenken? Sind die ploetzlich
konservativ geworden? Zurueck zu den alten Werten? Haben sie die gute
alte Zeit unter Franco wieder entdeckt?

Es ist wohl nichts dergleichen. Spanien ist -- aehnlich wie die USA
oder das UK -- faktisch ein Zwei-Parteien-Staat. Echte Alternativen
gibt es nicht. Das liegt sicher auch an dem alten Lagerdenken, das aus
der noch gar nicht solange vergangenen Diktatur herruehrt.

Aber vor allem liegt das es an einem seltsamen Wahlsystem. Spanien ist
ja betont regionalistisch. Die Menschen dort sind keine Spanier,
sondern Andalusier, Madrilenen, Katalanen oder Basken. So gibt es
gerade mal zwei spanienweite Tageszeitungen und selbst die bekommt man
nicht ueberall. Es dominieren die regionalen Blaetter.

Danach sieht es aber auch aus, wenn gewaehlt wird. Denn eigentlich hat
Spanien ein Verhaeltniswahlrecht fuer das Abgeordnetenhaus.
Eigentlich. Aber das gilt nur in grossen Wahlkreisen wie Madrid und
Barcelona wirklich. Spanien ist naemlich in 52 Wahlkreise unterteilt.
Der groesste (Madrid) hat 3,4 Millionen Wahlberechtigte, die kleinsten
(Ceuta und Melilla, das sind die beiden afrikanischen Exklaven) haben
jeweils rund 30.000. Nach der Groesse dieser Wahlkreise bekommen sie
die Anzahl der zu vergebenden Mandate zugeteilt. Das klingt jetzt auf
den ersten Blick ganz zivilisiert demokratisch. Nur: Es gibt lediglich
ein einziges Ermittlungsverfahren. Stimmen, die in einem Wahlkreis
keine Mandate bewirkt haben, kommen nicht einer Reststimmenliste
zugute. Sie verfallen einfach.


In der Praxis schaut das dann so aus: In Barcelona reichten 6,5% der
regionalen Stimmen fuer 2 Mandate, insgesamt konnten dort 5 Parteien
Mandate erringen. In Madrid waren es zwar nur vier Parteien, doch da
reichten 8% fuer 3 Mandate. In Sevilla mit seiner 1 Million
Wahlberechtigten brachten 8,6% noch wenigstens ein Mandat. Hingegen
ist in Burgos mit seinen etwas mehr als 200.000 Wahlberechtigten und
vier zu vergebenden Mandaten nur mehr Platz fuer zwei Parteien. In
Ceuta und Melilla ist aber selbst ein Viertel aller Stimmen
bedeutungslos -- es gibt nur ein einziges Mandat zu vergeben. Nun
haben aber von eben diesen 52 Wahlkreisen 20 hoechstens vier Mandate
zu vergeben -- da erscheint es voellig sinnlos, etwas anderes als PP
oder PSOE zu waehlen, kleinere Parteien haben meistens einfach keine
Chance. Daher werden sie dann natuerlich dort auch nicht gewaehlt --
oder kandidieren erst gar nicht. Sehr viel besser sieht es in jenen 27
Wahlkreisen, die zwischen fuenf und zehn Mandate zu vergeben haben,
jedoch auch nicht aus. Da kann man als Partei sogar mit 8 oder 9% der
lokalen Stimmen schon mal leer ausgehen. Diese ingesamt 47 kleineren
Wahlkreise entsenden aber 242 der 350 Abgeordneten.


Einzig regionalistische Parteien koennen da hin und wieder punkten.
Aber die lassen sich dann im Parlament auch leichter
auseinanderdividieren und als Mehrheitsbeschaffer nutzen, da die
Interessen dieser Parteien weit auseinandergehen und die Kandidaten
politisch oft nicht viel mehr zu bieten haben als eben die
Interessensvertretung ihrer Region. Einzig von gewisser spanienweiter
Bedeutung sind da die katalanischen Nationalisten, die mit lediglich
etwas mehr als 4% aller spanischen Stimmen 16 Mandate machten und jene
drei baskisch-nationalistischen Parteien, die zusammen zwar weniger
als 3% schafften, aber dafuer gemeinsam 13 Mandate erhielten.

Da ist es schon beachtlich, dass die Vereinigte Linke (IU) trotz eines
Wahlsystems, das sie in vielen Gegenden als nicht waehlbar ausweist,
diesmal spanienweit fast 7% bekam -- was aber fuer gerade 11 Mandate
oder 3,1% aller Abgeordneten reichte.

Wenn also das Volk etwas gegen eine sozialdemokratische Regierung hat,
kann es nur den Partido Popular waehlen. Und so geht alle Macht vom
Volke aus...
* Bernhard Redl*



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