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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 30. November 2011; 02:41
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USA/Occupy:

> Als waeren die Leute Ungeziefer

Der Jahrzehntelange Drogenkrieg und die Terrorismusbekaempfung nach
9/11 haben die Polizei in den USA militarisiert. Jetzt richten die
Ordnungshueter ihre Waffen auf die Bewegung der «99 Prozent».
*

In Seattle wird die 84-jaehrige Occupy-Aktivistin Dorli Rainey von
zwei Freunden aus der Kampf-zone gefuehrt. Ihr Gesicht trieft vor
Traenengas und neutralisierender Milch. Eine schwangere Frau muss nach
dem gleichen Polizeieinsatz ins Spital eingeliefert werden. In Oakland
werden bei Polizeiangriffen auf die Occupy-Bewegung zwei
demonstrierende Kriegsveteranen schwer verletzt: Der Exmarinesoldal
Scott Olsen erleidet Kopfverletzungen durch ein Traenengasgeschoss.
Und der ehemalige Armeeangehoerige Kayvan Sabeghi liegt mit einem
durch Schlagstoecke verursachten Milzriss im Spital. In New York wird
eine junge Occupy-Wall- Street-Demonstrantin von Polizisten an den
Haaren durch die Strasse geschleift. Auch in der Innenstadt von Denver
hat die Polizei die Situation durch brutales Vorgehen eskaliert. Auf
dem Universitaetsgelaende UC Davis in der Naehe von Sacramento stellt
sich Polizeileutnant John Pike vor eine Reihe sitzender StudentInnen,
schwenkt triumphierend seinen knallroten Traenengaskanister und
besprueht die Menschen zu seinen Fuessen mit Chemikalien, als waeren
sie laestiges Ungeziefer.

Alle diese Vorfaelle von Polizeigewalt gegen «Occupy USA» sind
dokumentiert. Man kann sich die entsprechenden Bilder, im Internet
ansehen. Und viele weitere (einschliesslich erheiternder Fotomontagen,
#Anm. akin) dazu. Denn im ganzen Land gibt es Polizeikraefte, die
gegen die Bewegung der «99 Prozent» verbissen Krieg fuehren. Ueberall
gibt es aber auch Kameras, die diese Uebergriffe festhalten. «Die Welt
schaut zu», skandieren die AktivistInnen im Traenengasnebel. Hoffen
wir, dass die Welt die Geduld aulbringt, sich die verwackelten
Filmchen auch tatsaechlich anzusehen. Denn diese Handyfotografinnen
sind verlaesslichere Zeitzeugen als die regulaere Presse, der es
zuweilen an Eigeninitiative mangelt und die von Politik und Polizei an
der Berichterstattung gehindert wird.

Dauerkrieg gegen das Volk

Heftige Zusammenstoesse zwischen Polizei und Protestierenden sind in
den USA nicht neu. Wer erinnert sich nicht an die
beruehmtberuechtigte »Battle of Seattle» - die ausser Kontrolle
geratene Konfrontation zwischen GlobalisierungskritikerInnen und
Ordnungshuetern anlaesslich der Welthandelskonferenz 1999 im
Nordwesten der USA. Er selber habe aus dem Debakel eine Lehre gezogen,
nicht aber die Polizei als Ganzes, sagt Norm Stamper, der damalige
Chef des Polizeidepartements von Seattle. Seit seinem Ruecktritt als
Polizeichef kritisiert er die «dunkle Seite" des US-amerikanischen
Ordnungsdienstes; die zunehmend paramilitaerisch organisierte
Buerokratie mit dem dazugehoerigen Freund-Feind-Denken und das
archaisch-autoritaere Fuehrungssystem, das die einzelnen PolizistInnen
wie unmuendige Kinder behandelt- In der Wochenzeitschrift «The Nation»
schreibt Stamper ueber sein ehemaliges Berufsfeld: «Immer oefter sehen
wir eine fuer die oeffentliche Sicherheit lebenswichtige Institution
im Dauerkrieg gegen das eigene Volk.»

Panzer fuer den Ordnungsdienst

Zwei aeussere Faktoren haben in den USA die Militarisierung der
Polizei vorangetrieben. Zum Ersten ist das der seit Jahrzehnten
andauernde Drogenkrieg der USA. Dazu kommt seit September 2001 der
«Krieg gegen den Terrorismus».

Im Drogenkrieg ist ein grosser Teil der US-amerikanischen Polizei zum
Paramilitaet mutiert. Denn jedes Jahr gibt es in den USA ueber 30.000
Drogenrazzien. Durchschnittlich 130 schwer bewaffnete Spezialeinheiten
fahnden pro Tag - beziehungsweise Nacht - in Privatwohnungen nach
Drogen. Meistens suchen die filmreif agierenden SWAT-Teams in
Kampfuniform, mit Helm und Nachtsichtbrille nach Marihuana.

Seit den achtziger Jahren gibt das US-Verteidigungsministerium zwecks
Drogenbekaempfung auch ueberschuessige Militaerausruestung an die
Polizei ab: Millionen von Maschinengewehren, schusssicheren Westen,
Granatwerfer und sogar Panzer und Helikopter fanden so den Weg zum
zivilen Ordnungsdienst.

Die Zusammenarbeit zwischen Militaer und Polizei sowie die
Koordination zwischen den lokalen Polizeistellen wurden nach 9/11 noch
verstaerkt. Eine wichtige Schaltstelle dafuer ist das 2001 geschaffene
Departement fuer Innere Sicherheit (Homeland Security). An den
«Terroristen» und an der Zivilbevoelkerung im Irak und in Afghanistan
wurden zudem neue Waffen und neue «Befragungsmethoden» ausprobiert und
«normalisiert», von denen wir nur hoffen koennen, dass sie nicht so
bald auch gegen die US-Zivilgesellschaft Anwendung finden werden. Das
ist aber eine Hoffnung wider besseres Wissen: In der Vergangenheit war
ein solcher Transfer von repressiv eingesetzter Technologie stets die
Regel, nicht die Ausnahme.
(Lotta Suter, WoZ 24.11.2011)



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