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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 23. November 2011; 04:36
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Debatten/Kultur:

> Zurueck zu den Aschenbechern!

Etwas Retro taete der Gesellschaft ganz gut. Beim Club 2 koennte man
damit anfangen.


Manchmal hat man beim ORF-Fernsehen richtig gute Ideen. Wohl mehr aus
der Verzweiflung heraus denn freiwillig, aber immerhin. Denn seit
26.Oktober gibt es mit ORF III den dritten staatlichen Fernsehsender.
Dieser als Kultursender geplante Kanal hat allerdings momentan noch
ein bisserl Anlaufschwierigkeiten -- es scheint, als haette man sich
noch nicht wirklich ein Programm ausgedacht, mit dem man die 24
Stunden Sendezeit fuellen koennte. Das ist wohl der Grund, warum man
die Nacht mit den im urbanen Volksmund abschaetzig "Bauern-ZiBs"
genannten Bundesland-Heute-Sendungen aus ganz Oesterreich fuellen
muss.

Nachmittags und abends laeuft als Pausenfueller auch haeufig die
Sendereihe "Fernsehen wie damals", in der man Gustostueckerln aus
einer Zeit bringt, in der viele Menschen den ORF immer noch RAVAG
nannten. Diese historische Restlverwertung kann mitunter sehr spannend
sein -- vor allem, wenn man mit einem "Club 2" aus dieser Zeit
konfrontiert wird. Ja, vage kann man sich noch erinnern an den Club 2
von damals, aber wie duerftig die heutige Sendung gleichen Namens
gegen die Debatten der 70er aussieht, merkt man vielleicht so recht
erst in der -- wenn auch leider stark gekuerzt dargebotenen --
Reprise. Da stehen Aschenbecher und Soletti am Tisch, die Umgebung ist
in tiefes Dunkel gehuellt, die Stimmung der Nacht ist fuehlbar und man
weiss: Jetzt ist Zeit zum Reden. Nachher ist sowieso Sendeschluss und
wenns richtig spannend wird, dann kann man vielleicht sogar bis knapp
zum Morgenprogramm reden. Langsam, ganz langsam beginnen die ersten
Statements. Zwischendurch steht vielleicht der Moderator kurz auf und
bietet einem Gast einen Orangensaft oder ein Bier an. Die Diskussion
entspinnt sich. Die kann dann jedoch sehr ploetzlich sehr heftig
werden, es ist unberechenbar, was passiert, Moderator und Fernsehregie
sind dann aufs Aeusserste gefordert. Irgendwie meint man fast, die
Anspannung der Beteiligten durch den Fernsehschirm hindurch physisch
mitzufuehlen. Man aergert sich masslos ueber ein Statement, man freut
sich aber auch genauso ueber ein anderes. Man wird unterhalten, aber
es ist eine intelligente und intellektuelle Unterhaltung. Bisweilen
redet ein besonders ungeliebter Diskutant zehn Minuten lang und man
koennte ihn erwuergen, aber man weiss, dass der nicht ewig reden und
sicher auch noch ordentlich Kontra bekommen wird. Man bekommt
gleichermassen gescheite Sachen wie Unsinn zu hoeren, aber wenn das
Thema interessant ist und die Einladungspolitik der Redaktion
raffiniert genug war, dann spritzen die Funken gesellschaftlicher
Auseinandersetzung und ein Thema wird bis in eine Tiefe ausgelotet,
wie man das im Fernsehen sonst nicht geboten bekommt.

Ja, es sind lustvolle Zeitreisen, die man da in den letzten Wochen auf
ORF III machen konnte. Dann kommt man zurueck in die Gegenwart. Und
sieht eine Sendung, die sich auch Club 2 nennt: Eine Diskussionsrunde
im grellen Scheinwerferlicht, auch das Rundherum ist gut
ausgeleuchtet, eine Debatte in der gemuetlichen Athmosphaere einer
Fabrikshalle. Es herrscht Rauchverbot. Bier gibt es auch nicht. Die
Diskussion darf sich nicht langsam entfalten, denn so viel Sendezeit
steht nicht zur Verfuegung -- auf 75 Minuten ist man beschraenkt; wenn
es notwendig ist, kann man vielleicht um 20 Minuten ueberziehen, aber
das ist schon der Gipfel des intellektuellen Exzesses. Da ja auch die
Moderation Zeit beansprucht, bleiben den ueblicherweise so etwa sieben
Gaesten im Schnitt hoechstens zehn Minuten zum Reden. Wie soll da auch
nur ein einziger komplexerer Gedanke naeher beleuchtet werden, wenn
ein jeder Angst haben muss, nicht einmal seine wichtigsten Statements
in der knappen Zeit unterbringen zu koennen? Wie soll man da
vernuenftig miteinander reden? Wie soll in diesem taghellen
Grossraumbuero noch irgendwo die Moeglichkeit sein, die subversive
Kraft der Nacht zu nutzen? Wie kann die Magie der Zeit jenseits der
Geisterstunde wirksam werden, wenn diese lahme Show schon vor der
letzten U-Bahn beendet ist?

Der Club 2 war beruehmt -- ueber die Grenzen des kleinen Oesterreichs
hinaus. Und er war umstritten. Irgendwann einmal war er den ORF-Oberen
doch ein bisschen zu freigeistig geworden, er wurde entschaerft, es
gab rigidere Moderatoren und kuerzere Sendezeiten. 1995 war es dann
ganz aus mit dem "alten Club 2". Stattdessen gibt es seit 2007 diese
postmoderne, keimfreie Oberflaechlichkeit ohne Witz und Flair.

Nein, man muss den Club 2 der 70er nicht verklaeren. Aber unter den
Bedingungen des common sense in Oesterreich war er schon ein
Highlight. Er war aber auch ein Symbol der letzten Hochbluete der
Moderne -- einer Zeit also, die das Unperfekte und das Schmutzige
akzeptierte, aber auch glaubte, dass durch das Reden Menschen
zusammenkommen und dass gesellschaftliche Auseinandersetzung ein hoher
Wert ist, da nur dadurch eine bessere Welt machbar sei. Das Undenkbare
erschien nicht als ein Tabu, sondern als ein aergerliches Defizit des
Denkens, das behoben werden koenne, wenn das intellektuelle Bemuehen
sich keine Fesseln anlegen laesst. Doch in einer Gesellschaft, die
sich hauptsaechlich auf Ge- und Bedenken beschraenkt und meint, damit
das Denken ohne Vorsilbe ersetzen zu koennen, erscheint diese Haltung
veraltet. Deswegen sieht auch die Diskussionskultur heute so aus, wie
sie aussieht.

Mit ORF III haette das oeffentlich-rechtliche Fernsehen jetzt eine
grosse Chance: Der Sender soll doch der Kultur- und Bildungskanal
werden und er hat noch ueberhaupt kein brauchbares Nachtprogramm. Wie
waere es, wenn sich die Programmleitung einen Ruck gaebe, die alten,
aber sicher nicht veralteten Konzepte der 70er herauskramte und den
Club 2 im neuen Sender braechte -- so wie damals mit einem
grosszuegigen Zeitbudget. Und mit Aschenbechern. Das Personal, um so
etwas wiedererstehen zu lassen, liesse sich finden, wenn es nur wieder
den Raum dafuer gaebe, dass es sich entfalten kann.

Nur leider: Im ORF wird sich an den massgeblichen Stellen niemand
diesen Ruck geben. Denn das braeuchte schon ein bisserl Mut auch.
Nein, es wird beim leichtverdaulichen, aber vollkommen geschmacklosen
Einheitsbrei bleiben.

Man will in der Anstalt einfach keine lebendigen Diskussionen mehr.
Schliesslich hat man ja heutzutage stattdessen diese affengeilen
"Talk-Formate".

*Bernhard Redl*



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