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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 23. November 2011; 04:19
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Wien:

> Der Hochsicherheitsmarkt

Wer den Wiener Christkindlmarkt betritt, lasse alle Buergerrechte
fahren -- zumindest muss man das denken, wenn man sich die
Platzordnung des "Adventzaubers" genauer ansieht.


In den letzten Tagen erregte ein Verbot fuer Verkaeufer der
Strassenzeitung Augustin am Wiener Christkindlmarkt (und auf anderen
einschlaegigen Maerkten) fuer Aufregung. Nach einer Demo am Samstag
("Occupy Christkindlmarkt") und bundesweiter Berichterstattung
erklaerte der Betreiber des Marktes am Rathausplatz, dass er die
Verkaeufer doch zulassen werde. Doch ist die Debatte um das
Augustin-Verbot nur die auffaellige Spitze einer von Kommerzinteressen
geleiteten Grundhaltung gegenueber Menschenrechten im oeffentlichen
Raum. Denn abseits von suesslichen Ankuendigungen des "Adventzaubers"
findet man auch eine "Platzordnung" auf der Homepage des
Veranstalters, die es in sich hat. Darin heisst es unter anderem:

"Jede Person, die die Veranstaltungsflaechen des Wiener Adventzaubers
im Geltungsbereich dieser Platzordnung betreten moechte, erklaert sich
ausdruecklich damit einverstanden, dass sie sich einer eventuellen
Kontrolle durch den Sicherheitsdienst des Veranstalters unterzieht.
(...) Der eingesetzte Sicherheitsdienst ist berechtigt, Personen
daraufhin zu untersuchen, ob sie aufgrund von Alkohol- bzw.
Drogenkonsums oder wegen Mitfuehrung von Waffen oder von gefaehrlichen
Gegenstaenden (insbesondere pyrotechnische Gegenstaende) ein
Sicherheitsrisiko darstellen. Der Besucher des Wiener Adventzaubers
erklaert sich ausdruecklich damit einverstanden, dass seine
Bekleidungsstuecke und mitgefuehrten Behaeltnisse dahingehend
durchsucht werden.

Der Sicherheitsdienst ist berechtigt, Personen, die ein
Sicherheitsrisiko darstellen, den Zutritt zum Gelaende zu verweigern.
Selbiges gilt fuer Personen, die ihre Zustimmung zur Durchsuchung
ihrer Bekleidungsstuecke und mitgefuehrten Behaeltnisse verweigern. Im
Einzelfall ist der Sicherheitsdienst berechtigt, derartige Kontrollen
auch bei Personen vorzunehmen, die sich bereits auf dem Gelaende
aufhalten. (...)

Verboten ist die Mitnahme von Waffen jeder Art und Gegenstaenden, die
als Waffe Verwendung finden koennten sowie von jeglichen Substanzen,
die eine Gefaehrdung darstellen koennen, (...) von rassistischem,
fremdenfeindlichem, nationalsozialistischem, sexistischem oder
politischem Propagandamaterial sowie von jeglichen werbenden
(kommerziellen, politischen oder religioesen) Gegenstaenden. Im
Zweifelsfall obliegt die Einordnung von Gegenstaenden als verboten
oder erlaubt im Sinne dieser Platzordnung dem zustaendigen
Verantwortlichen des Sicherheitsdienstes. (...)

Werden Personen mit verbotenen Gegenstaenden am Gelaende angetroffen,
ist der Sicherheitsdienst berechtigt, die betreffenden Personen des
Gelaendes zu verweisen. Sollten sich die Betroffenen weigern, das
Gelaende zu verlassen, sind die Gegenstaende ersatzlos einzuziehen."

Mit anderen Worten: Der private Wachdienst wird ermaechtigt zur
Leibesvisitation, Unterdrueckung von politischen Aeusserungen und zur
Beschlagnahme von Gegenstaenden. Sollte irgendwer das Verhalten dieses
Wachdienstes dokumentieren wollen, so ist auch das verboten: "Jede
Person, die das Gelaende betritt, anerkennt, dass sie Ton- und/oder
Bildaufzeichnungen nur zum Privatgebrauch machen und/oder uebertragen
darf. Auf jeden Fall ist es strengstens verboten, ueber das Internet,
Radio, Fernsehen (...) zu uebertragen (...)." Fuer Werbeaufnahmen gilt
natuerlich das Gegenteil: "Bei TV-Uebertragungen und sonstigen
Aufzeichnungen erteilt der Besucher der uebertragenden TV-Anstalt
seine Zustimmung, dass die von ihm waehrend (...) der Veranstaltung
gemachten Aufnahmen (...) mittels jedes technischen Verfahrens
ausgewertet werden duerfen."

Da ist wohl die Bezeichnung "Hochsicherheitsmarkt" angebracht -- auch
wenn diese Bezeichnung in der SPOe als nicht angebracht angesehen
wird. So wurde in der Debatte ueber diese seltsame Verordnung von
einer sozialdemokratischen Bezirksraetin ueber Facebook eingewandt,
dass diese Bestimmungen sich ja an die Hausordnung des Rathauses
anlehnten, die zum Schutz der Verwaltungseinrichtungen notwendig sei.

Doch dem gegenueber steht die Tatsache, dass niemand beabsichtigte,
mit dem Augustin bewaffnet den Buergermeister zu stuerzen, und die vom
privaten Veranstalter verfasste Platzordnung eben fuer den Platz und
nicht fuer das Rathaus erlassen wurde. Tatsaechlich kann die amtliche
Hausordnung nach geltender Verordnungslage auch auf den Rathausplatz
ausgedehnt werden, was an sich schon buergerrechtlich bedenklich ist.
Jedoch sieht diese Verordnung immer noch vor, dass sie von der
Rathauswache zu exekutieren waere, die, obwohl eine Unterabteilung der
Wiener Feuerwehr, immerhin so etwas wie eine landeshoheitliche
Sicherheitswache darstellt. Privaten Securities gesteht die amtliche
Verordnung kaum Rechte zu -- bei Zwischenfaellen sind diese
verpflichtet, sofort die Rathauswache zu kontaktieren. Nach der
Lektuere der privaten Platzordnung hat man aber nicht den Eindruck,
als wuerde die amtliche Verordnung vom Veranstalter als relevant
angesehen. Dass diese Platzordnung vom Magistrat genehmigt wurde,
macht die Sache dabei nicht besser.

Nach den Debatten ueber die Augustin-Verbannung hat der Veranstalter
soweit zurueckgerudert, dass die Verkaeufer der Strassenzeitung wieder
zugelassen wuerden. Ob das auch fuer Bettler und andere
Zeitungsverkaeufer gilt, ist immer noch unklar. Auf alle Faelle
versteht der Veranstalter die sonstigen Bestimmungen als weiterhin in
Kraft befindlich. Man wird sich in den naechsten Wochen sehr genau
anschauen muessen, wie die Praxis am Christkindlmarkt (und eben auch
auf anderen Weihnachtsmaerkten) aussieht.
*Bernhard Redl*


Links:
Amtliche Hausordnung der MA34:
http://www.game-city.at/files/2011/Rathausbedingungen_Hausordnung.pdf
Platzordnung des "Adventzaubers":
http://www.christkindlmarkt.at/Platzordnung.94.0.html



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