**********************************************************
akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 23. November 2011; 04:28
**********************************************************

Deutschland:

> Arbeitslager Amazon

Unbezahlte Praktika zur Spitzenabdeckung, Fristlose Kuendigungen durch
den Werkschutz


Werne ist eine 30.000-Einwohner-Stadt in Nordrhein-Westfalen. Dort hat
der Internetgigant Amazon sein groesstes Logistikzentrum in
Deutschland und ist damit auch einer der bedeutenden Arbeitgeber der
kleinen Stadt. Dass der Online-Buchhaendler mit Hilfe des dortigen
Jobcenters waehrend der Vorweihnachtszeit Hartz-IV-Bezieher zunaechst
ohne Lohn fuer zwei Wochen beschaeftigt, um dann die ueberwiegende
Mehrheit der "Vermittelten" nach dem Weihnachtsgeschaeft wieder zu
entlassen, war schon 2010 bekanntgeworden. Das Erwerbslosen Forum
Deutschland (ELO) berichtet nun von "schlimmsten Formen des Abzockens"
und unhaltbaren Zustaenden fuer die Beschaeftigen.

Zwei Wochen sollen vermittelte Hartz-IV-Bezieher im Lager und im
Versand ohne Lohn arbeiten, um dann eine minder-bezahlte und zeitlich
begrenzte Taetigkeit bei Amazon anzunehmen. Nach Angaben des Sprechers
der Regionaldirektion NRW der Arbeitsagentur, Werner Marquis, sparte
das Unternehmen im letzten Jahr 2010 "durch die Regelung etwa 950.000
Euro". Nach Protesten und Berichten in regionalen und ueberregionalen
Zeitungen stoppte die Arbeitsagentur Werne die Zuweisungen von
Aushilfskraeften fuer die Vorweihnachtszeit. Im Grundsatz wolle man
aber die Zusammenarbeit mit Amazon nicht stoppen, wie eine
Behoerdensprecherin mitteilte. Die nun neuerlich erhobenen Vorwuerfe
des Erwerbslosen Forums Deutschland koennten die Arge Werne und den
Internetdienstleister Amazon in schwere Bedraengnis fuehren. Die
Initiative wirft Amazon beispielsweise vor, dass die Saisonkraefte
bereits im letzten Jahr ein Zweiwoechiges "Praktikum" absolvieren
mussten. Die gleichen Menschen mussten - obwohl sie eigentlich schon
ein Praktikum unternahmen - auch in diesem Jahr erneut zwei Wochen
ohne Lohn arbeiten. Die Sinnhaftigkeit eines Praktikums, zumal es sich
nicht um komplexe Taetigkeiten handelt - ist daher aeusserst fraglich.
Hinzukommt, dass derzeit Beschaeftigte nach Angaben des Erwerbslosen
Forums Deutschlands die Arbeitsbedingungen vor Ort mit denen eines
"Arbeitslagers" vergleichen.

Hans-Peter Klein (Name geaendert) war bereits im letzten Jahr bei
Amazon Werne zwischen dem 15. November und 31. Dezember als
Mitarbeiter im Versand taetig. Eine Entlohnung hat Klein allerdings
nur fuer den Dezember erhalten, weil er ja im November das ominoese
Praktikum unternehmen musste. Im Sommer diesen Jahres bewarb sich
Hans-Peter Klein erneut. Eine Stelle bei Amazon bekam er jedoch nur
unter der Voraussetzung, erneut zwei Wochen umsonst zu arbeiten,
obwohl ihm die Arbeitsablaeufe vom letzten Mal sehr gut in Erinnerung
waren. Dieses Mal hatte er sich selbststaendig auf die Stelle beworben
und dennoch musste Klein das Praktikum machen. Damit er waehrend der
zwei Wochen das Arbeitslosengeld weiter bekommt, hatte Amazon laut ELO
die "Massnahme" im Nachhinein beim Jobcenter "absegnen lassen".

Martin Behrsing von der Erwerbsloseninitiative bezeichnet eine solche
Vorgehensweise als "systematisches Abgreifen von Foerdermitteln".
Damit werden "den Sozialversicherungen hohe Beitraege vorenthalten und
den Mitarbeitern der Lohn" so Behrsing. Amazon ginge es nicht um die
Einarbeitung von Mitarbeitern, sondern ausschliesslich um
Gewinnmaximierung auf Kosten der Allgemeinheit und der Mitarbeiter,
meint die Initiative.

Amazon hingegen befindet eine solche Praxis als "Training zur
Wiedereingliederung". So sagte eine Sprecherin des Konzerns:
"Bewerber, die ueber die Arbeitslosenvermittlung zu uns kommen,
erhalten fuer eine kurze Trainingszeit weiterhin ihre Bezuege von der
Agentur fuer Arbeit, da das Training die
Wiedereingliederungsaussichten in den Arbeitsmarkt verbessert."

Ueberkapazitaeten fuer kritische Phasen

Eine weitere "Sauerei" ist das Schaffen von Ueberkapazitaeten. So
sagte ein ebenfalls momentan Beschaeftigter: "Derzeit wird im Lager
Werne dermassen viel Ueberkapazitaet aufgebaut, dass ich schon
mehrfach einfach freigestellt wurde. Was nichts anderes heisst, als
dass ich nach Hause gehen kann oder gar nicht erst kommen braucht. Es
gibt fuer diese Massen an Versandmitarbeitern - so die einheitliche
Berufsbezeichnung - schlicht nicht genuegend Arbeit. Das haelt diese
Firma aber nicht davon ab, unablaessig weitere Bewerbungsrunden zu
veranstalten." Nach Ansicht des Betroffenen sei es sehr
unwahrscheinlich, dass "auch nur ein Bruchteil" der Menschen
uebernommen wird. Das Amazon-Werk in Werne haette noch nicht einmal
jetzt zur fruehen Vorweihnachtszeit genug Auslastung, um alle
Angestellten ausreichend zu beschaeftigen. Wahrscheinlich, so die
Vermutung des Beschaeftigten, gehe es dem Unternehmen darum, fuer die
kritischen Tage "genug Reservepersonal" zu haben.

Angst unter den Angestellten

Laut Recherchen des ARD Magazins "Report Mainz" haben viele
Mitarbeiter bei Amazon regelrecht Angst. Angestellte der Standorte
Leipzig und Bad Hersfeld hatten den Journalisten berichtet, "dass sie
teilweise ueber mehrere Jahre immer wieder befristete Arbeitsvertraege
bekommen haetten und aus Furcht, nach dem Auslaufen des Vertrags nicht
uebernommen zu werden, trotz Krankheit zur Arbeit erschienen." Laut
des Magazins werden bei Vertragsverlaengerungen ueber 12 Monate der
Stundenlohn von 9,65 auf 11 Euro erhoeht. Selbst die Vorarbeiter (bei
Amazon "Co-Workers") arbeiten in den meisten Faellen nur mit
Zeitvertraegen und geben den Druck an die Untergebenen weiter.

Totale Mitarbeiter-Kontrolle?

Einige Angestellte berichteten gegenueber der Initiative, dass die
Mitnahme von persoenlichen Dingen am Arbeitsplatz verboten ist.
Lediglich eine Flasche Wasser darf mitgebracht werden. Armbanduhren,
Geldboerse, Butterbrot oder Autoschluessel muessen in einem Raum
abgelegt werden. Einen abschliessbaren Spind gibt es nicht. Sechs
Stunden lang darf der Arbeitsplatz nicht verlassen werden. Muss jemand
auf die Toilette, muss dies erst erfragt und entsprechend genehmigt
werden.

"Ueberhaupt wuerde darauf geachtet, dass staendig Hoechstleistung
gebracht wuerde und man wird staendig ueberwacht", so Willy Schmitz*.
Wer sich nicht genau an die Vorgaben von Amazon haelt, riskiert
Negativpunkte, die dann fuer jeden sichtbar an einer an der Kleidung
zu befestigten Identitaetskarte verzeichnet werden. Raucht ein
Angestellter waehrend der Arbeitszeit, so wird dieser sofort
entlassen.

Wachschutz darf fristlos kuendigen

Fuer den Objektschutz und fuer die "Sicherheit" des Unternehmens in
Werne ist die Wachschutzgruppe "Koetter Services" zustaendig. Die
Mitarbeiter des Security-Unternehmens arbeiten nach ELO-Angaben selbst
teilweise unter dem Hartz IV Niveau. Dennoch koennen die Wachleute
jederzeit muendlich fristlose Kuendigungen gegen Amazon-Angestellte
aussprechen, ohne dass der Betroffene Einspruch erheben koennte. Die
Wachschutz-Leute sollen dann im Anschluss fuer ein sofortiges
Hausverbot sorgen. Ob die Kuendigung dann schriftlich von Amazon
bestaetigt wird, liess sich von der Redaktion nicht ermitteln. "Laut
Arbeitsvertrag kann Amazon waehrend der ersten drei Monate den Vertrag
mit einer Frist von einem Tag kuendigen. Nach Ablauf der ersten drei
Monate beginnt dann erst die sechsmonatige Probezeit. Das heisst
nichts anderes, dass der Internetgigant neun Monate Mitarbeiter unter
erleichterten Bedingungen loswerden kann, ohne dass es einer Angabe
von Gruenden bedarf.", wie Martin Behrsing berichtet.

Das Erwerbslosen Forum zeigte sich aufgrund der berichteten Zustaende
bestuerzt. So sagte deren Sprecher Behrsing: "Wenn ehemalige
Mitarbeiter die Arbeitsbedingen mit denen eines Arbeitslagers
vergleichen, kann ich das zum Teil nachvollziehen. Staatliche
Foerderung fuer Arbeitsplaetze hat Verantwortung fuer menschenwuerdige
Arbeitsplaetze und die hat unserer Ansicht bei Amazon versagt. Der
Internetversandhandel wirbt damit, dass Ziel sei, das
kundenfreundlichste Unternehmen der Welt zu sein. Ich glaube, dass
informierte Kunden entscheiden werden, wo sie was kaufen wollen". Von
Amazon gibt es zu den Vorwuerfen bislang keine Stellungnahme.
(gegen-hartz.de/bearb.)

Originaltext:
http://www.gegen-hartz.de/nachrichtenueberhartziv/hartz-iv-amazon-skandal-weitet-sich-aus-609033.php



***************************************************
Der akin-pd ist die elektronische Teilwiedergabe der
nichtkommerziellen Wiener Wochenzeitung 'akin'. Texte im akin-pd
muessen aber nicht wortidentisch mit den in der Papierausgabe
veroeffentlichten sein. Nachdruck von Eigenbeitraegen mit
Quellenangabe erbeten. Namentlich gezeichnete Beitraege stehen in der
Verantwortung der VerfasserInnen. Ein Nachdruck von Texten mit anderem
Copyright als dem unseren sagt nichts ueber eine anderweitige
Verfuegungsberechtigung aus. Der akin-pd wird nur als Abonnement
verschickt. Wer versehentlich in den Verteiler geraten ist, kann den
akin-pd per formlosen Mail an akin.buero@gmx.at abbestellen.

*************************************************
'akin - aktuelle informationen'
a-1170 wien, Lobenhauerngasse 35/2
vox: ++43/1/535-62-00
(anrufbeantworter, unberechenbare buerozeiten)
http://akin.mediaweb.at
akin.redaktion@gmx.at
Bankverbindung lautend auf: föj/BfS,
Bank Austria, BLZ 12000,
223-102-976-00, Zweck: akin