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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 9. November 2011; 00:57
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Occupy/Linke/Debatte:
> Die "neuen Bewegungen" und die Linke
Versuch einer Kategorisierung
Zuerst war der "Arabische Fruehling", dann "Demokratie jetzt" in
Spanien und nun haben wir die -- auch schon wieder abflauende --
Occupy-Bewegung. Diese Bewegungen haengen alle zusammen und sind
sicher ein berechtigter Ausdruck der Unzufriedenheit in der Welt. Aber
so sehr sich die Protestbeteiligten in Tunis, Madrid und New York in
ihren gesellschaftlichen Umstaenden unterscheiden und so sehr sich
selbst die Beweggruende und Methoden des Protests allein in der
arabischen Welt unterscheiden, so unterschiedlich sind auch die
beteiligten Gruppierungen innerhalb der einzelnen Proteste.
Als diese Proteste in gewissem, typischerweise bescheidenen Ausmass
auch nach Oesterreich kamen, tauchten auch hier scheinbar aus dem
Nichts Bewegungen auf, mit der die Linke nur wenig anfangen kann. Es
ist hierbei schwierig, einen Ueberblick zu behalten. Auch wenn ich
weiss, dass die nun folgenden Schilderungen sehr holzschnittartig sind
und weder den einzelnen Bewegungen noch -- oder: schon gar nicht --
den einzelnen Individuen unbedingt gerecht werden koennen, will ich
mich hier an einer Einteilung versuchen.
* The Zeitgeist Movement -- Diese Bewegung orientiert sich an zwei
Saeulenheiligen, dem Filmemacher Peter Joseph, dessen
"Zeitgeist"-Filmreihe der Bewegung ihren Namen gegeben hat und dem
futuristischen Schriftsteller Jacque Fresco. Die Welt, wie sie nach
Vorstellung von "The Zeitgeist Movement" (TZM) sein sollte, stellt
sich als etwas dar, was man vielleicht eine computergestuetzte
Planwirtschaft nennen koennte, die die Menschen von sinnentleerter
Arbeit befreit. Zeitweilig fuehlt man sich bei der Lektuere ihrer
Publikationen an Gene Roddenberrys Startrek-Ideen erinnert, also der
Vorstellung einer Welt, die den technologischen Fortschritt nutzt zum
Wohle aller Menschen (und natuerlich der extraterrestrischen
Kulturen) -- allerdings fehlt den TZMlern jener
dialektisch-materialistische Skeptizimus, der Roddenberrys Ideen
wertvoll macht.
TZM wird haeufig vorgeworfen, sektenaehnlichen Charakter zu besitzen.
Die Bewegung ist weltweit in Ortsverbaenden ("Chapters") organisiert
und gibt selbst ihren Organisationsgrad mit 430.000 Mitgliedern an.
Vor allem auf die Occupy-Veranstaltungen in Salzburg und Wien duerften
sie grossen Einfluss gehabt haben.
* "Moderne Hippies" -- Das ist zwar weder eine Eigenbezeichnung noch
eine saubere Fremddefinition, aber vielleicht umschreibt das
verstaendlich was ich meine: Diese Gruppe orientiert sich an Ideen á
la "Mutter Erde" oder den beruehmten Weisheiten der Hopi-Indianer. Die
Mitglieder wollen die Liebe als zentrale Maxime unseres Handelns
weltweit verankern. Aehnlich TZM, dessen Technikglaeubigkeit sie aber
so gar nicht teilen, findet man bei ihnen haeufig den Mohandas Gandhi
zugeschriebenen Satz: "Sei du die Veraenderung, die du in der Welt
sehen willst". Damit fallen sie aber sehr leicht ins
Esoterisch-Postmoderne. Reale Kapitalinteressen bekaempfen zu wollen
ist nicht unbedingt das Ihre.
* Die "Truther" -- Vor allem nach "9/11" und den damit
zusammenhaengenden Verschwoerungstheorien bekommen sie Zulauf. Sie
orientieren sich im deutschsprachigen Raum sehr an Sites wie
infokrieg.tv, kopp-online oder Alpenparlament. Oft verzapfte
Wahrheiten sind die Chemtrails, Sterilisation und RFID-Implantate
durch Impfungen, ein geplantes generelles Verbot von Naturheilmitteln
etc. Versucht man die Behauptungen nachzurecherchieren, stellt man
fest, dass die Quellen entweder unserioes sind oder die Behauptungen
auf gezieltem Missverstehen und auf aus dem Zusammenhang gerissenen
Zitaten serioeser Quellen bestehen. Die Truther sind wohl personell
der linken Szene am naechsten -- sogar unter akin-Abonnenten tauchen
diese Verschwoerungstheorien auf. (Es war nicht nur einmal, dass ich
mir anhoeren musste, die akin unterduecke diese Wahrheiten.)
Diese Welterklaerungen sind oft so unterhaltsam wie Verfilmungen von
Dan Brown-Romanen -- also kompletter Unsinn, aber lustig.
Verschwoerungstheorien haben einen hohen Unterhaltungswert -- leider
betrachten die Truther diese angeblich verschworenen Maechte als
reales Feindbild, quasi als Teufelswerk, um dem gegenueber
Erloesungsphantasien zu entwickeln.
* "Anti-EU-Demokraten" -- Weitgehend ist deren Kritik verstaendlich
und richtig, allerdings auch teilweise klassisch vaterlandstreu. Sie
haben sicher mehr gemeinsam mit Leopold Kohr als mit Adolf Hitler. Sie
distanzieren sich definitiv von der extremen Rechten und (in
Oesterreich) den Deutschnationalen. Allerdings ist die Kritik
ueberhaupt nicht links und auch nicht internationalistisch. In
Oesterreich treten sie gerne oesterreichpatriotisch und manchmal auch
erzkatholisch auf und bekommen dafuer bisweilen auch den Applaus der
Boulevard-Presse. Dementsprechend verstehen sie sich als buergerlich
und wollen mit den anderen hier beschriebenen Bewegungen zwar nicht in
Zusammenhang gebracht werden, versuchen aber dennoch bei Gelegenheit
alle zu vereinnahmen, deren Forderungen zumindest punktuell aehnlich
klingen.
* Die Piraten -- ueber die ist schon genuegend gesagt worden. Der
prinzipielle Ansatz von Wissensallmende, nicht entfremdeter Arbeit und
Schutz des Individuums vor der Obrigkeit ist klassisch links.
Allerdings wird das Fehlen von etwas klar, das man Weltbild nennen
koennte, wenn diese Bewegung in ihrer Form als Partei versucht,
Programme aufzustellen. Nicht nur, dass die Programme der einzelnen
lokalen und nationalen Parteien sich so massiv unterscheiden, dass
ueberhaupt kein allgemeinpolitischer Nenner festmachbar ist, sind auch
die einzelnen Fraktionen innerhalb der Parteien voellig uneins, wofuer
denn die Piratenflagge ueberhaupt stehen soll. Daher ist es auch kein
Wunder, dass nach den Berliner Wahlen 2011 ploetzlich
Piraten-Funktionaere als ehemalige NPD-Mitglieder geoutet werden
konnten.
* "Wutbuerger" -- Neben den beschriebenen Gruppen gibt es aber auch
Einzelpersonen, quasi die "Wutbuerger", die mit diesen ganzen
Bewegungen genausowenig zu tun haben wie mit der klassischen Linken,
die aber durch das Boomen der Sozialen Medien ein gewisses Empowerment
erfahren haben und jetzt endlich einen Weg sehen, sich politisch
einzumischen -- was ja prima vista sehr erfreulich ist. Diese
Kategorie bildet aber wohl kaum eine Gruppe, da weder die einzelnen
Beteiligten sich als eine solche sehen, noch inhaltlich irgendeinen
gemeinsamen Nenner haben.
Einige dieser Bewegungen sind oftmals als antisemitisch und eng
verbunden mit Rechtsextremen verschrieen. Soweit wuerd ich nicht
verallgemeinernd gehen -- allerdings fehlt ihnen meistens quasi das
Antifaschismus-Gen. In deren Umfeld tauchen tatsaechlich immer wieder
Antisemiten und Nationalisten auf und sie haben nur dann
Abgrenzungsprobleme, wenn die extreme Rechte mit Nazisymbolen
anrueckt. Kein Problem haben sie aber mit christlichen oder
nationalistischen Extremisten, solange diese sich nicht als
Parteienvertreter deklarieren. Immer wieder gehoert -- vor allem bei
Zeitgeistlern und "Hippies" -- war das Statement, dass man niemand
(beispielsweise von einer Kundgebung) ausschliessen wolle. Wofuer oder
wogegen dann allerdings eine Kundgebung stattfinden soll, wird gerade
dadurch voellig unklar. Die postmoderne Ablehnung von "Ideologien"
fuehrt zum Verlust der materialistischen Kritik.
Allen gemeinsam ist aber trotzdem die Suche nach einfachen
Erklaerungen der Welt -- in diesem Sinne basteln sie natuerlich schon
wieder an Ideologien. Vielleicht erhalten vor allem die Hippies, die
Truther und die Zeitgeistler deswegen so viel Zulauf, weil die
Linke -- man denke an die Idee von der Weltrevolution -- keine
Erloesungsideen mehr anbieten kann. Die Linke ist nach dem Niedergang
der Sowjetunion -- die ja sowieso nie eine politisch akzeptable, aber
eine real existierende Systemalternative war -- ziemlich desavouiert.
Die Kritik an Kapitalismus und Militarismus braucht aber
Erklaerungsmodelle und so erhalten diese Bewegungen Zulauf. Damit sind
sie Ausdruck der Krise der weltweiten Linken. Diese konnte zwar noch
nie ein Transzendenzbeduerfnis wirklich befriedigen, deren angebotenen
Alternativen aber immerhin eine gewisses Interesse entgegengebracht
wurde.
Diese neuen Bewegungen haben aber fast alle (in unterschiedlicher
Auspraegung) etwas gegen den Kapitalismus und sie wollen alle eine
andere, eine bessere Welt. Das haben sie aber auch mit jenen wenig
nationalistischen Waehlern der modernen rechtsextremer Parteien
gemeinsam, die auf deren Parolen bezueglich Demokratie und sozialer
Gerechtigkeit hereinfallen. Vieles erinnert auch an Sozialutopien á la
Thomas Morus "Utopia" oder Aldous Huxleys "Eiland" oder auch Robert
Owens reales Experiment "New Harmony" in den USA, die aber alle
miteinander auf einer autoritaeren Fuehrung aufbauten.
Eine Verteufelung dieser Bewegungen waere aber genauso falsch wie eine
Anbiederung. Als Linke werden wir uns immer wieder neu und jedesmal
fuer den Anlassfall ueberlegen muessen, ob und wie weit wir mit
welchen Mitgliedern solcher Bewegungen zusammenarbeiten wollen. Ganz
ignorieren koennen wir sie auf alle Faelle nicht. Denn zum einen
saugen sie -- aehnlich den rechtsextremen Parteien -- sehr effektiv
das Protestpotential unter den sich selbst so verstehenden "kleinen
Leuten" auf. Zum anderen wird notwendige linke Kritik oft desavouiert
durch nationalistische oder autoritaere Ansaetze, naive Sozialromantik
oder voellig an den Haaren herbeigezogenen Verschwoerungstheorien. Das
kann uns nicht egal sein.
Dora Schimanko hatte in akin 23 nicht ganz unrecht, wenn sie meint,
dass hier eben Menschen sind, die sich einfach gegen das System
wehren, und dass das prinzipiell gut sei. Vielleicht muessen auch wir
Linken bisweilen von unserem hohen Ross heruntersteigen und den Dialog
mit ihnen suchen. Solange wir unser materialistisches Weltbild dabei
nicht preisgeben, kann das sicher kein Fehler sein.
*Bernhard Redl*
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