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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 11. Oktober 2011; 21:45
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Globaler Fruehling/Debatte:

> Die politischen Fragen im Kampf gegen die Wall Street

Die Proteste unter dem Motto "Besetzt die Wall Street" dauern nun
schon drei Wochen an. Sie haben in den USA grossen Anklang gefunden.
Aehnliche Protestaktionen werden in Boston, Chicago, Los Angeles und
anderen Staedten im ganzen Land organisiert.

Die Demonstranten und ihre Forderungen nach sozialer Gleichheit geben
der wachsenden Feindschaft von Millionen Menschen gegenueber dem
Kapitalismus, den Banken und Konzernen Ausdruck; und ebenso dem
brennenden Verlangen nach Arbeitsplaetzen, angemessenem Lebensstandard
und garantierter medizinischer Versorgung, Bildung und anderen
grundlegenden Sozialleistungen.

Die herrschende Elite Amerikas sieht das Anwachsen dieser Bewegung mit
zunehmender Sorge. Diese Besorgnis aeusserte sich am Dienstag in einem
Artikel von Andrew Ross Sorkin, einem Finanzkolumnisten der New York
Times. Er zitierte einen CEO der Wall Street, der sich um seine
"persoenliche Sicherheit" Sorgen machte. Die Proteste bezeichnete er
als "Warnschuss; wenn unsere Wirtschaft weiter so unsicher ist,
koennten daraus Unruhen entstehen, wie es bereits in mehreren
europaeischen Laendern passiert ist."

Nicht die Banker muessen sich um ihre persoenliche Sicherheit sorgen,
sondern die Demonstranten. Sie waren bereits mehrfach mit
Polizeigewalt und Massenverhaftungen konfrontiert, weil sie ihr Recht
auf freie Meinungsaeusserung wahrgenommen haben.

Dennoch ist Sorkins Warnung vor sozialen Unruhen vollkommen
gerechtfertigt. Diese Proteste sind die groessten in den Vereinigten
Staaten seit mehr als dreissig Jahren. Die meisten Teilnehmer an den
Besetzungen haben in ihrem ganzen Leben noch nie bedeutende Kaempfe
fuer soziale Veraenderungen erlebt. Zusammen mit den
Massendemonstrationen in Wisconsin im Februar dieses Jahres bedeuten
sie die Rueckkehr offener Klassenkaempfe in den Vereinigten Staaten,
dem Zentrum des Weltkapitalismus.

Was hat solche Kaempfe in den USA so lange Zeit verhindert? Seit den
spaeten 1970ern wurde der Reichtum der Gesellschaft immer schneller
von der arbeitenden Bevoelkerung zum obersten Prozent der
Finanzoligarchen umverteilt. Die Gewerkschaften haben den Widerstand
der Arbeiterklasse seit dem Streik der Fluglotsen im Jahr 1981
systematische verraten; und sich seither immer weiter an die Konzerne,
die Regierung und die Demokratische Partei angenaehert.

Auch diese (Wallstreet-) Bewegung laeuft Gefahr, in den Griff der
Demokratischen Partei zu geraten, wie es in Amerika schon oft mit
verschiedenen Protestformen geschehen ist. So ist es beispielsweise
mit der Antikriegsbewegung geschehen, die waehrend der Bush-Regierung
entstand. Sie wurde in den Dienst der Wahlen gestellt, und nachdem
Obama sein Amt angetreten hatte und Bushs Kriege weiterfuehrte, wurde
sie aufgeloest.

In ihrer Berichterstattung ueber die Proteste zitiert die New York
Times Professor Michael Kazin von der Universitaet Georgetown. Er
erklaert: "Unzufriedenes Geschimpfe ist die Grundlage jeder Bewegung."
Kazin erklaert weiter, dass die Proteste dann zu einer "dauerhaften
Bewegung" werden, wenn die "entfesselten Leidenschaften in
Institutionen zusammengefasst und zu politischen Zielen geformt
werden."

Wenn er von "Institutionen" redet, meint er zweifellos solche, die mit
der Demokratischen Partei und dem politischen Establishment verbunden
sind.

Um dieses Ziel zu erreichen, haben sich viele zunehmend
unzuverlaessige Unterstuetzer zu den Wall Street-Protesten begeben,
beispielsweise der ehemalige Vizepraesident der Weltbank, Joseph
Stiglitz. Er versicherte den Demonstranten, dass nicht der
Kapitalismus das Problem sei, sondern eine "verzerrte Wirtschaft." Der
milliardenschwere Financier George Soros drueckte seine Sympathie fuer
die Demonstranten aus. Das ist, als haette Marie Antoinette
anstandshalber in einer Baeckerei vorbeigeschaut.

Diese Leute befuerchten, dass aus den Protesten gegen die Bedingungen,
die die Krise des kapitalistischen Systems verursacht hat, eine
Bewegung mit einem antikapitalistischen Programm erwaechst.

Die Gewerkschaften teilen diese Angst. Sie versuchen, davon
abzulenken, dass sie dabei geholfen haben, die vom Finanzkapital
geforderten Sparmassnahmen gegen ihre Mitglieder und die ganze
Arbeiterklasse durchzusetzen, anstatt selbst gegen die Wall Street zu
kaempfen.

So hat sich beispielsweise 1199-SEIU, die groesste Teilgewerkschaft,
die die Proteste unterstuetzt, am Medical Redesign Team von Gouverneur
Cuomo beteiligt und Anfang des Jahres dessen Empfehlungen
unterstuetzt, umfassende Kuerzungen im Gesundheitsbereich vorzunehmen.
Das Ergebnis waren Entlassungen und ein Angriff auf das staatliche
Programm Medicare. Andere Gewerkschaften sind auf aehnliche Weise zu
Verraetern geworden.

Die Gewerkschaftsbuerokraten unterstuetzen die Wall Street-Proteste
nicht, um sich an dem Kampf zu beteiligen, sondern um ihn abzuwuergen
und zugunsten der Demokratischen Partei und Obamas Wiederwahl zu
nutzen.
(Bill Van Auken, wsws/gek.)

Originaltext: http://wsws.org/de/2011/okt2011/wal1-o06.shtml


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