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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 4. Oktober 2011; 23:09
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EU/Wirtschaft/Deutschland:

> Wie erklaer ich´s der CDU?

Normalerweise sind in der akin keine Politikerreden zu lesen. Erstens
weil wir keine Hofberichterstattung wollen und gegenueber
Charismatikern sowieso skeptisch sind, zweitens weil wir uns nicht mit
irgendeiner Partei identifizieren lassen wollen und drittens weil
solche Reden sowieso ausreichend Publizitaet besitzen. Dennoch machen
wir einmal eine Ausnahme: Gregor Gysi, Fraktionsvorsitzender der
Linken, hielt am 7.September 2011 im deutschen Bundestag eine
beeindruckende Rede, die so klar, wie sonst selten zu hoeren, die
Euro-Politik von links kritisiert.
Natuerlich sind seine Gysis Statements stark von deutscher Politik
gepraegt, allerdings ist die Kritik ueber weiten Strecken auch fuer
Oesterreich relevant. Gerade aber, weil im hiesigen Nationalrat so
klare Worte nie zu hoeren sind, reproduzieren wir gekuerzt hier die
Rede:
*

Herr Praesident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! (...) Ich komme zu
einer Rede des Bundespraesidenten, die er am 24. August 2011 gehalten
hat. An diesem 24. August hat er gesagt: Politik muss ihre
Handlungsfaehigkeit zurueckgewinnen. Sie muss sich endlich davon
loesen, hektisch auf jeden Kursrutsch an den Boersen zu reagieren. Sie
muss sich nicht abhaengig fuehlen und darf sich nicht am Nasenring
durch die Manege fuehren lassen, von Banken, von Ratingagenturen ...

Eine haertere Kritik eines Bundespraesidenten an einer Regierung und
einer Koalition habe ich selten gehoert. Sie gehen ueberhaupt nicht
darauf ein.

Der Bundespraesident erklaert damit, dass die Demokratie gefaehrdet
ist. Das sagt uebrigens ein Bundespraesident erstmals in der
Geschichte der Bundesrepublik Deutschland seit 1949. Ich sage Ihnen:
Die Demokratie ist nicht nur gefaehrdet; wir haben es wirklich mit
Zerstoerung zu tun. Der fruehere Kanzler Kohl hat eine vernichtende
Kritik an der Kanzlerin und ihrer Koalition geuebt. Er hat gesagt, es
gebe keinen Kompass, also keine Orientierung, keine Grundwerte, keine
Grundueberzeugungen. Verstehen Sie, ich muss immer Ihre Leute
zitieren, weil Sie uns nicht glauben; aber wahr ist es trotzdem.

Wir haben es in Wirklichkeit mit etwas anderem zu tun, Frau
Bundeskanzlerin - ich bitte Sie, das einmal zur Kenntnis zu nehmen -:
Wir haben es mit einer Systemkrise zu tun, mit einer Diktatur der
Finanzmaerkte. Die grossen privaten Banken, Fonds, Versicherungen und
Hedgefonds machen vor nichts Halt, reissen alle noch bestehenden
Daemme nieder und brechen saemtliche Tabus. Sie haben nicht die Kraft
und den Mut, endlich etwas dagegen zu tun. Das ist aber dringend
erforderlich.

Dabei geht es nicht nur um Laender wie Griechenland, Portugal, Spanien
oder Irland; es geht um die Kernlaender des Kapitalismus. Auch die
USA, Frankreich und Italien werden angegriffen. Private amerikanische
Ratingagenturen, die von grossen Banken abhaengig sind, stuften die
USA herunter. Ich bitte Sie! Das macht denen gar nichts mehr aus; so
maechtig sind sie inzwischen geworden. Seit Jahren hoere ich von
Ihnen: "Wir brauchen eine oeffentlich-rechtliche Ratingagentur in
Europa." Wo ist sie denn? Es wird hoechste Zeit, sie zu schaffen.

Es sind nicht die Linken, sondern die Finanzmaerkte, die den
Kapitalismus von innen heraus zerstoeren. Die Ratingagenturen stuerzen
inzwischen sogar Regierungen wie in Irland und Portugal. Niemand regt
sich darueber auf. Frueher gab es einmal ein Wahlrecht der
Bevoelkerung; heute laeuft das voellig anders ab. Wir haben es - auch
wenn Sie das nicht wahrhaben wollen - mit einer Krise der Demokratien
weltweit zu tun, weil wir von den Finanzmaerkten diktatorisch
beherrscht werden.

Nun waren Sie, Frau Merkel, bei Herrn Sarkozy in Paris. - Frau Merkel,
hoeren Sie mir einmal einen Moment zu; ich moechte eine Erklaerung
haben. Sie haben dort mit Herrn Sarkozy ein Papier zur zweiten
Griechenland-Hilfe verabschiedet. Dann hoere ich in der heute-Sendung
im ZDF, dass dieses Papier wortwoertlich, bis zum letzten Komma, von
einem Papier des internationalen Bankenverbandes abgeschrieben ist,
dessen Praesident zufaellig Josef Ackermann heisst, also genau wie der
Chef der Deutschen Bank. Ich finde, das ist der Gipfel. Dafuer muessen
Sie nicht nach Paris fahren; Sie koennen auch am Telefon klaeren, dass
Sie ein Papier nur abschreiben.

Ich finde, das offenbart die Abhaengigkeit. Wir kennen das, es
begleitet uns seit Jahren: Bei der ersten Finanzkrise wurde auf Wunsch
der Banken ein Rettungspaket im Umfang von 480 Milliarden Euro
beschlossen.

Was haben Sie, Herr Roesler - Sie waren dafuer verantwortlich - bei
der Gesundheitsreform gemacht? Sie haben die Wuensche der
Pharmaindustrie und der privaten Krankenversicherungen umgesetzt. Bei
der Atomenergie - wir wissen es - waren es die vier Energiekonzerne,
die sich durchgesetzt haben. Sie zeigen unserer Bevoelkerung, dass
nicht Sie die Macht haben, sondern andere darueber entscheiden. Das
ist wirklich eine Gefaehrdung der Demokratie. Bekommen Sie das endlich
einmal mit!

> Linke Kritik von Kapitalisten

Ich glaube, dass Sie es bei den Banken, Fonds, Versicherungen und
Hedgefonds masslos ueberzogen haben. Deshalb sind wir jetzt in einer
Krise. Wenn Sie mir nicht glauben, zitiere ich jetzt einmal ein paar
andere Leute, also Erzkonservative, Neoliberale, keine Linken. Nehmen
wir einmal Charles Moore, britischer Erzkonservativer, Thatcherist,
der einzige offizielle Autor einer Biografie von Maggie Thatcher. Er
schreibt im Telegraph vom 22. Juli 2011: Die Reichen dieser Welt haben
ein globales System organisiert, das ... allein ihnen nuetzt. Die vielen
Anderen haben zu arbeiten, um die Reichen noch reicher zu machen.
Das sagt Moore, nicht Gregor Gysi. Moore wuerdigt ploetzlich die
Linken und sagt: Die haben recht. Manche haben gedacht, er meint die
Labour Party. Daraufhin hat er sich geaeussert: Nein, er meine auch
nicht die neoliberalen Linken wie Blair, Schroeder oder Fischer, die
die ganze Deregulierung in den letzten Jahren organisiert haben,
sondern er meine die wirkliche Linke.

Der Herausgeber der FAZ, Frank Schirrmacher, schreibt einen Artikel
fuer das Feuilleton mit der Ueberschrift "Ich beginne zu glauben, dass
die Linke recht hat". Warum schreibt er das? Er schreibt das, weil es
plausibel ist. Das ganze politische System nutzt nur den Reichen und
schadet den anderen.

Paul Kirchhof, ehemaliger Verfassungsrichter und einst bei Ihnen, Frau
Merkel, hochgeschaetzter Steuerexperte, beklagte die nahezu
vollstaendige Abhaengigkeit der Politik von den privaten
Finanzmaerkten. Zur Griechenlandkrise bemerkt er, dass nicht
Solidaritaet mit den Griechen herrsche, sondern ausschliesslich mit
den Banken. Das schreibt Herr Kirchhoff. Er sieht die Demokratie
ebenfalls gefaehrdet.

Selbst Wirtschaftswissenschaftler wie Professor Straubhaar, die die
Maerkte bisher vergoetterten, schreiben: Das Marktversagen scheint die
Regel zu sein. Er muss seine ganze wissenschaftliche Theorie
umstellen.

George Soros, Multimilliardaer, Spekulant, Koenig der Hedgefonds - er
befindet sich absolut auf der Gegenseite - schreibt: Der Kapitalismus
ist offenkundig nicht zu Reformen faehig und wird deshalb scheitern
wie der Staatssozialismus.

Warum denken Sie nicht darueber nach, was Sie veraendern muessten,
wenn Sie wirklich in die Geschichte eingreifen wollen? Die
Milliardaere und Superreichen treten jeden Tag im Rundfunk und im
Fernsehen auf und sagen: Wir moechten gerne endlich einmal Steuern
zahlen. Frau Merkel und Herr Roesler, Sie sagen: Ja, wir streichen
gern das Elterngeld von Hartz-IV-Empfangenden, das haben wir ja schon
gemacht, aber von euch Vermoegenden und Millionaeren wollen wir nicht
einmal einen halben Cent. Wissen Sie, warum die Reichen das rufen? Sie
rufen das nicht, weil sie ploetzlich alle solidarisch und altruistisch
geworden sind und nachts wegen der Armen auf der Erde nicht mehr
schlafen koennen - davon mag es eine Handvoll geben, das will ich
nicht ausschliessen - sondern sie rufen das, weil sie eines begriffen
haben: Es geht um ihre Existenz. Es geht um eine Systemfrage. Diese
konservative Regierung ist nicht klug genug, das zu begreifen.

Wenn Sie schlau waeren, wuerden Sie zur Erhaltung der Struktur den
Spitzensteuersatz erhoehen und die Vermoegensteuer wieder einfuehren.
Sie haetten nicht einmal Widerstand von den Vermoegensmillionaeren
nd -milliardaeren zu erwarten, aber Sie machen es nicht, weil Sie in
Ihrer kleinkarierten Ideologie haengen, und nicht begreifen, welche
Fragen auf der Erde und in Europa anstehen.

Wenn Sie mir das nicht glauben, dann nenne ich Ihnen zwei Zahlen. Die
Staatsverschuldung in der Euro-Zone liegt bei 10 Billionen Euro. Die
Millionaere der Euro-Zone haben ein Vermoegen in Hoehe von 10
Billionen Dollar. Erklaeren Sie das einmal den Menschen. In
Deutschland haben wir eine Staatsverschuldung in Hoehe von 2 Billionen
Euro. Die Reichsten der Bevoelkerung - das sind 10 Prozent - besitzen
ein Vermoegen in Hoehe von 3 Billionen Euro. 1 Billion Euro mehr.
Erklaeren Sie den Menschen, warum Sie sagen: Wir wollen von ihnen
keinen halben Cent, keine Steuern, nicht einmal einen Euro. Nichts
wollen Sie von den Reichen haben. So koennen Sie keine gerechten
Verhaeltnisse herstellen. Die Verursacher muessen endlich fuer die
Krise bezahlen, nicht die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die
Rentnerinnen und Rentner und die Arbeitslosen.

> Bayern exportiert nach Schleswig-Holstein?

Es stellt sich noch eine andere Frage. Ich will versuchen, es Ihnen
von der Union und der FDP ganz langsam zu erklaeren. Wie mache ich das
bloss? Der Euro gilt von Griechenland bis Deutschland, das heisst, wir
haben eine Binnenwaehrung. 1998 haben wir im Bundestag darueber
diskutiert. Es gab wie immer vier oberschlaue Fraktionen: SPD, Union,
FDP und Gruene, die sagten, alle Voraussetzungen fuer die Einfuehrung
des Euro liegen vor. Die Einzigen, die davor gewarnt haben, waren wir.
Aber Sie haben uns oberschlau mitgeteilt, Sie wuessten alles besser,
und alle unsere Warnungen seien falsch. Lesen Sie die Reden von
damals. Sie werden sich einigermassen schaemen, wenn Sie das
nachlesen.

Alles, was wir an Gefahren beschrieben haben, ist eingetroffen. Damals
haben Sie immer vom Export nach Spanien und nach Portugal geredet. Ich
habe in meiner Rede darauf hingewiesen: Wenn man eine Binnenwaehrung
hat, dann hat man einen Binnenmarkt, und dann gibt es keinen Export
mehr. Sie haben das bis heute nicht verstanden. Wir exportieren nicht
nach Griechenland, auch nicht nach Spanien, Irland oder Portugal.

Wenn Sie in diesem Zusammenhang von Export sprechen, muessten Sie auch
sagen: Bayern exportiert nach Schleswig-Holstein.

Sie haben es nicht begriffen. Ihr System sieht folgendermassen aus:
Bayern soll erst Schleswig-Holstein ruinieren. Wenn das gelungen ist,
bauen die Schleswig-Holstein finanziell gesehen wieder auf, und dann
ruinieren die es erneut. Erklaeren Sie den Leuten einmal den Sinn
davon. Wenn wir einen Euro haben, dann haben wir eine Binnenwaehrung,
und zwar von Griechenland bis Deutschland, und damit haben Export und
Ihr Gebaren nicht zu tun.

Warum ist Deutschland in Sachen Export aber so erfolgreich? Aus einem
Grund: Weil Sie die Loehne gesenkt haben, weil Sie die Renten gesenkt
haben, weil Sie die Sozialleistungen gesenkt haben, und zwar ganz
erheblich. In den letzten zehn Jahren - das ist uebrigens auch ein
Verdienst von SPD und Gruenen - sind die Realloehne um 4,5 Prozent,
die Realrenten um 8,5 Prozent und die Sozialleistungen um 5 Prozent
gesenkt worden. Das Ergebnis war, dass der Export billiger wurde.
Deshalb koennen wir so viel nach Spanien, Portugal etc. exportieren.

Noch einmal langsam. Dann passiert Folgendes: Nachdem wir die Laender
dadurch ruiniert haben, dass sie weniger verkaufen und nichts nach
Deutschland exportieren konnten, kommen Sie und sagen: Wir muessen
Geld hinschicken. Verstehen Sie, dass die Bevoelkerung das nicht
begreift? Was wir staerken muessen, ist die Binnenwirtschaft. Aus
Gruenden der sozialen Gerechtigkeit, aber auch aus oekonomischen
Gruenden, brauchen wir endlich hoehere Loehne, hoehere Renten und
hoehere Sozialleistungen. Wir brauchen das, damit wir nicht abhaengig
sind vom Export, damit wir unsere eigene Wirtschaft im Lande staerken.

Ich kann Ihnen ganz klar sagen, was uns die Reichtumspflege in den
letzten Jahren kostete: 300 Milliarden Euro. Und was haben wir in den
letzten drei Jahren real fuer die Bankenkrise ausgegeben? 300
Milliarden Euro. Das erklaeren Sie einmal den Leuten, wenn sie
beantragen, dass die Toilette in einer Schule repariert wird, und Sie
sagen: Kein Geld. Aber fuer diese Dinge ist immer genuegend Geld
vorhanden. Das ist nicht nachvollziehbar.

In Bruessel ging es um zwei Dinge: Erstens, wer bezahlt die Kosten?
Das zweite Thema waren die Euro-Bonds. Nun haben die Banken gesagt,
dass sie freiwillig auf 21 Prozent des Wertes ihrer
Griechenland-Anleihen etc. verzichten wollen. Das klingt schon fast
edel. Nun hat Ihr Wirtschaftsweiser, Herr Bofinger, aber ausgerechnet,
dass sie auf gar nichts verzichten. Die Banken haben die Laufzeit der
Anleihen so deutlich verlaengert, dass sie am Ende sogar ein Geschaeft
machen. Darauf kann man sich bei den Banken immer verlassen.

Ausserdem erwaehnen die Banken nicht, dass die Europaeische
Zentralbank das ist eine Bank, die allen Steuerzahlerinnen und
Steuerzahlern der Euro-Zone gehoert, vornehmlich den deutschen,Kredite
fuer 1,25 Prozent an Banken vergibt und diese Banken Griechenland Geld
fuer 11 oder mehr Prozent geben. Das ist abenteuerlich. Die Banken
machen Geld mit einer Ueberweisung, ohne irgendetwas herzustellen,
weder einen Stuhl noch einen Tisch. Nichts ist hergestellt worden. Das
sind reine Spekulationsgewinne, die uns spaeter um die Ohren fliegen
werden.

> "Wir haben die Euro-Bonds"

Nun zu den Euro-Bonds. Ich wuerde gerne auf die Aussagen der Kanzlerin
und der FDP zu sprechen kommen. Sie von der FDP lehnen Euro-Bonds ab.
Wenn ich Sie richtig verstanden habe, dann hat die FDP den Mut von 40
Jahren zusammengenommen und gesagt: Wenn die Kanzlerin Euro-Bonds
einfuehren sollte, verlassen wir die Regierung. Ich habe Sie richtig
verstanden? Gut. Jetzt muss ich Ihnen Folgendes sagen: Wir haben die
Euro-Bonds.

Euro-Bonds heisst, dass man gemeinsam fuer die Schulden haftet. Dass
das vertragswidrig ist, ist etwas ganz anderes. Ich sage nur, dass wir
sie haben. Warum? Weil die Europaeische Zentralbank, die all unseren
Steuerzahlerinnen und Steuerzahlern gehoert, Staatsschulden von
Griechenland, Portugal, Irland, Italien und Spanien aufgekauft hat,
und zwar im Wert von 129 Milliarden Euro. Den privaten deutschen
Banken und Versicherungen hat sie ein Drittel dieser Staatsschulden
abgekauft. Meine erste Frage ist: Wer hat das eigentlich der
Europaeischen Zentralbank genehmigt?

Es war doch klar, dass das nichts mehr wert ist. Ist das nicht ein
eindeutiger Fall von Untreue? Der zweite Punkt ist: Jetzt haften wir
gemeinsam dafuer. Das bekommen Sie gar nicht weg. Die
Lidl-Kassiererin, Herr Ackermann, wir alle haften fuer diese
Staatsschulden; denn sie gehoeren jetzt der Europaeischen Zentralbank.
Damit haben wir indirekt die Euro-Bonds eingefuehrt. Jetzt gibt es nur
noch zwei Moeglichkeiten fuer Sie von der FDP: Entweder Sie treten
heute aus der Regierung aus, weil Sie ja gesagt haben, dass Sie das in
diesem Fall machen wuerden, oder Sie hoeren mit Ihrem Geschwaetz auf.
Eine andere Moeglichkeit gibt es nicht; das will ich ganz klar sagen.

Nun soll morgen eine Debatte zum Rettungsfonds stattfinden, und zwar
dergestalt, dass dieser auf 780 Milliarden Euro erhoeht werden soll.
Sagen Sie den Buergerinnen und Buergern der Bundesrepublik Deutschland
bitte, dass sie nicht mehr fuer Schulden in Hoehe von 123 Milliarden
Euro haften, sondern dann fuer Schulden in Hoehe 211 Milliarden Euro.
Das sind 88 Milliarden Euro mehr. Das ist doch wohl nicht nichts. Sie
koennen nicht ernsthaft behaupten, dass Sie damit rechnen, dass das
Geld nicht in Anspruch genommen wird. Ich sagte es schon: In den
letzten drei Jahren wurden bereits 300 Milliarden Euro in Anspruch
genommen. Warum koennen Sie darauf nicht hoffen? Sie koennen nicht
darauf hoffen, weil Sie einen voellig falschen Weg gehen, und zu dem
komme ich noch. Was muss jetzt also geschehen? Die Linke wird Ihnen
jetzt erklaeren, was Sie eigentlich zu tun haetten.

> Wozu sind Banken gut?

Das Erste, was passieren muss, ist dies: Die Banken muessen auf ihre
eigentlichen Funktionen zurueckgefuehrt werden. Sie sind
Dienstleistungsunternehmen fuer Unternehmen und fuer Privatpersonen
und nichts anderes. Wir brauchen keine Leerverkaeufe, wir brauchen
keine Hedgefonds. Sie muessen das endlich regulieren. Haben Sie einmal
den Mut, sich Ackermann gegenueberzustellen und zu sagen: Schluss, wir
machen das jetzt anders. Wir sind die demokratisch gewaehlten
Volksvertreterinnen und Volksvertreter.

Wir muessen die grossen privaten Banken dezentralisieren und
oeffentlich-rechtlich gestalten. Ich weiss, dass Sie sagen: Die
Landesbanken haben auch nicht funktioniert. Das stimmt, und die
Landesbanken, die pleitegingen, waren alles Banken aus CDU-regierten
Laendern. Davon einmal abgesehen, kann ich Ihnen den Fehler nennen.
Sie sind pleitegegangen, weil man den Landesbanken gesagt hat: Ihr
muesst spekulieren wie die grossen privaten Banken. Daran sind sie
zugrunde gegangen. Erst regulieren, dann oeffentlich-rechtliche
Institutionen schaffen.

Die Sparkassen sind nicht unser Problem. Ganz im Gegenteil, in
Bruessel hat man immer ueber die Sparkassen gemeckert. Jetzt sagt man
dort kein Wort mehr, weil die Sparkassen in der Krise tapfer und gut
standen; eben weil sie oeffentlich-rechtlich waren und nicht weltweit
spekuliert haben.

Wir brauchen in der Euro-Zone eine Bank fuer oeffentliche Anleihen,
die zu guenstigen Zinsen Kredite an Staaten vergibt. Dort koennen dann
auch die Euro-Bonds, ueber die ich gesprochen habe, gehalten werden.
Euro-Bonds wuerden den Euro natuerlich stabilisieren. Sie koennen
keine Binnenwaehrung einfuehren. Wir haben dagegen gestimmt. Sie
wollten die Binnenwaehrung von Griechenland bis Deutschland. Nun haben
wir sie, jetzt muessen wir sie auch retten, aber nicht dadurch, dass
wir das - wie Sie - nicht zur Kenntnis nehmen, sondern dadurch, dass
wir ernst nehmen, dass es sich um eine Binnenwaehrung handelt.

> Wozu sparen?

Die ganze Welt steht vor einer tiefen Rezession. Die Boersen spielen
verrueckt, und Ihr einziges Rezept ist Sparen. Was machen Sie mit
Griechenland? Was machen Sie mit den anderen Laendern? Sie fordern
Lohnkuerzungen und die Kuerzungen von Renten und Sozialleistungen
sowie eine Erhoehung des Renteneintrittsalters. Das ist all das, was
Sie in Deutschland schon eingefuehrt haben. Sie fordern die Streichung
von Investitionen und Billigverkaeufe von oeffentlichem Tafelsilber.
Das ist Ihr Rezept. Sagen Sie mir einmal, wie Griechenland auf diese
Art und Weise Steuern einnehmen soll. Sie fuehren dort alles zurueck.
Die Griechen duerfen nichts mehr investieren.

Sie setzen dadurch all das Geld in den Sand. Das ist albern. Wir
haetten nach dem Zweiten Weltkrieg lernen muessen. Der Marshallplan
war richtig. Man muss aufbauen, dann fliessen auch wieder
Steuereinnahmen. Es gilt also: Hoch mit den Loehnen, hoch mit den
Renten, hoch mit den Sozialleistungen, mehr Investitionen. Das ist das
Rezept fuer Griechenland und fuer Deutschland.

Frau Bundeskanzlerin, wenn ich etwas zu entscheiden gehabt haette,
dann haette ich den Griechen auch Bedingungen gesetzt. Das muss man
auch. Wenn man denen Geld gibt, dann darf man das. Ich haette aber
ganz andere Bedingungen gesetzt. Ich haette erstens gesagt: Ab jetzt
erhalte ich von euch immer richtige Zahlen. Das darf man verlangen.

Zweitens haette ich gesagt: Die taegliche Steuerhinterziehung ist
wirksam zu bekaempfen. Wenn wir uns hierfuer ein System ausgedacht
haben, dann koennen wir es auch in Deutschland einfuehren.

> Ruestungsausgaben

Dann haette ich gesagt - das ist mir jetzt ganz wichtig: Vom
Bruttoinlandsprodukt, von der wirtschaftlichen Leistung her hat
Griechenland den groessten Anteil an Ausgaben fuer Ruestung. Die
Griechen geben 2,8 Prozent ihrer Wirtschaftsleistung fuer Ruestung
aus. In Deutschland liegt dieser Anteil bei 1,3 Prozent. Auch
Frankreich und Grossbritannien liegen in diesem Bereich. Frau
Bundeskanzlerin, warum haben Sie von Griechenland nicht verlangt, die
Ruestungsausgaben sofort zu halbieren? Das waere wichtig gewesen.

Ich glaube, den Grund zu kennen. Deutschland ist der drittgroesste
Waffenexporteur der Welt. Wir verkaufen unsere Waffen nach
Griechenland und, wie wir wissen, nicht nur nach Griechenland.
Die 2000 reichsten Familien Griechenlands besitzen 80 Prozent des
Vermoegens in Griechenland. Ich bitte Sie, das ist noch ueberzogener
als in Deutschland. 2000 Familien, also weniger als 0,1 Prozent der
Bevoelkerung, besitzen 80 Prozent des Vermoegens. Ich haette die
Bedingung gestellt, fuer diese 2000 Familien eine drastische
Vermoegensteuer einzufuehren. Das machen Sie aber nicht.

Ich habe schon gesagt, was mit den Loehnen, Renten und
Sozialleistungen passieren muss. Ausserdem brauchen wir eine
Finanztransaktionsteuer. Nun sagen auch Sie und Sarkozy das. Aber wir
brauchen kein Gerede, wir brauchen endlich diese Steuer. Fuehren Sie
sie zumindest in Deutschland ein; Schritt fuer Schritt werden wir sie
in ganz Europa bekommen. Anders kann man Spekulationen nicht
bekaempfen.

Wir brauchen auch die europaeische Vermoegensteuer, ueber die sprach
ich bereits. Uebrigens ist interessant: Sarkozy beginnt, es zu
begreifen. Berlusconi - er ist sowieso ein voellig eigener Typ - hat
sie wieder gestrichen. Jetzt gibt es einen Generalstreik in Italien.
Dies ist in Deutschland leider verboten; ein Generalstreik sollte auch
in Deutschland erlaubt werden.

Wieso duerfen wir eigentlich weniger als die Italienerinnen und
Italiener? Davon einmal abgesehen, wir haben nun die Reaktion, dass
Sie das einfach ablehnen. Sie begreifen nicht, dass Sie mit einer
Vermoegensteuer sogar das System retten koennen, das Sie so lieben.
Das ist nicht nachvollziehbar. Wir brauchen auch Investitionen in
Infrastruktur, Umwelt und Bildung.

> "Wir akzeptieren Krieg auf keinen Fall"

Nun komme ich zu einem anderen Thema: Libyen. Es stoert mich
ungeheuer, wie selbstverstaendlich auch von SPD und Gruenen nach
Bomben gerufen wird. Sie haben immer gesagt: Im Sicherheitsrat haette
man der Bombardierung Libyens zustimmen muessen. Ihre Theorie lautet
doch: Bomben verjagen Gaddafi und helfen den Demokratie- und
Freiheitskaempfern. Ich sage Ihnen: Das ist die groesste Differenz
zwischen den Linken und Ihnen. Wir akzeptieren Krieg als Mittel der
Politik auf gar keinen Fall. Hier unterscheiden wir uns diametral.

Ich moechte Ihnen das auch begruenden. Ich bin jetzt in der Situation,
Aussenminister Westerwelle verteidigen zu muessen, was ihm
wahrscheinlich gar nicht recht ist. Trotzdem sage ich es; da muessen
Sie durch, Herr Westerwelle. Ihre Stimmenthaltung war zwar nicht
voellig richtig - ein Nein im Sicherheitsrat waere besser gewesen -
aber auf jeden Fall war die Stimmenthaltung viel besser als das Ja,
das SPD, Gruene und in Wirklichkeit auch CDU/CSU und immer mehr Teile
der FDP verlangt haben. Warum ist es denn so falsch? Wir haben so
viele Diktatoren auf der Welt. Wollen Sie die alle wegbomben? Was ist
Ihr Massstab? Erklaeren Sie das einmal der Bevoelkerung.

Jetzt hoere ich: Fuer 83 Millionen Euro hat die Regierung
Waffenlieferungen an Gaddafi genehmigt, und dann bombt sie ihn weg.
Der amerikanische, der britische und auch der deutsche Geheimdienst
haben mit Gaddafi zusammengearbeitet. Deutsche Polizisten haben dort
in ihrer Freizeit ausgebildet. Das alles wurde mit Gaddafi gemacht.
Eines Tages aendern Sie ploetzlich Ihre Meinung und sagen: Er ist ein
Schurke, und jetzt : wir bomben ihn weg. Das ist nicht
nachvollziehbar. Das ist verlogen. Das ist nicht glaubwuerdig. Das ist
das Entscheidende.

Jetzt hoeren wir, dass Gaddafi sogar G-36-Sturmgewehre hatte; deren
Export ist nie erlaubt worden. Ich frage die Bundeskanzlerin: Wie sind
die dahin gekommen? Herr Kauder, wenn Sie das nicht wissen, dann haben
Sie keine Kontrolle ueber den Export von Ruestungsguetern. Das ist
unverantwortlich. Ich moechte wissen, wer wann wohin Waffen verkauft.

Nun bleibe ich einmal bei der Theorie der Gruenen und der SPD, dass
das den Demokratie- und Freiheitsbewegungen hilft und den Diktatoren
schadet. Erklaeren Sie mir zwei Sachen: Warum haben Sie noch nie
Bomben auf Bahrain gefordert, und warum haben Sie noch nie Bomben auf
Syrien gefordert?

Ich kann es Ihnen sagen: In Bahrain ist der groesste amerikanische
Stuetzpunkt, in Bahrain sind die Saudi-Araber einmarschiert, an die
Sie alle zusammen Waffen fuer 700 Millionen Euro verkauft haben, und
die Saudi-Araber schiessen auf die Freiheits- und
Demokratiedemonstranten. Deshalb kommen Sie gar nicht auf die Idee,
dort zu bombardieren.

Bei Syrien gibt es auch eine einfache Begruendung. Syrien hat nur ein
bisschen Erdoel, und Libyen hat ganz viel. Ich sage Ihnen - und das
kotzt mich wirklich an -: Seit Tausenden Jahren stecken hinter
Kriegen - das sieht man, wenn man genau hinschaut - immer oekonomische
Interessen.

An Saudi-Arabien verkaufen wir jetzt auch noch 200 Panzer. Eines darf
ich noch sagen: Al-Qaida - das ist nun wirklich eine
Terrorausbildungsorganisation - wird ausschliesslich von Saudi-Arabien
finanziert. Die besten Beziehungen der US-Regierung und der deutschen
Regierung bestehen zu Saudi-Arabien. Es ist voellig unglaubwuerdig, zu
sagen, dass man fuer Demokratie bombt, wenn man mit den Terroristen
und den Diktatoren zusammenarbeitet. Das geht nicht auf. Das sage ich
hier ganz klar.

> McJobs das Verdienst aller Regierungen

Sie haben gesagt, Sie haetten die Arbeitslosigkeit erfolgreich
bekaempft. Es gibt immer den Streit, dass Union und FDP meinen, es
laege an ihnen, und SPD und Gruene meinen, es laege an ihnen. Ich kann
Sie beruhigen: Sie alle haben Ihren Anteil daran, und zwar, weil in
Wirklichkeit die Vollzeitbeschaeftigungsplaetze in den letzten zehn
Jahren um 1,8 Millionen abgebaut wurden. Die Zahl der Geringverdiener
und der prekaer Beschaeftigten hat zugenommen. Darauf sind Sie auch
noch stolz. Sie auf der einen Seite sagen immer, es sei Ihr Werk, und
Sie auf der anderen Seite sagen, es sei Ihr Werk. Es ist leider Ihr
gemeinsames Werk. Aber Geringverdiener und prekaer Beschaeftigte sind
nicht die Loesung fuer unser Land. Wir brauchen wieder Vollzeitjobs.

Frau Bundeskanzlerin, Sie sagten, Sie seien stolz, dass die
Jugendarbeitslosigkeit halbiert wurde. Sie kommen aus
Mecklenburg-Vorpommern, ich war gerade dort. 75 Prozent der Menschen
bis 25 Jahre, die eine Beschaeftigung haben, sind Geringverdienerinnen
und Geringverdiener. Das ist doch keine Loesung. Das ist ein
zunehmendes Problem.

Was glauben Sie, wie sauer die sind? Leider gehen manche dazu ueber,
die NPD zu waehlen, was wir alle nicht wollen. Also muessen wir diese
Probleme so schnell wie moeglich loesen, und zwar im Bildungsbereich
genauso wie auf dem Arbeitsmarkt. (...)

Eines sage ich Ihnen zum Schluss: Ihre Regierung, Frau
Bundeskanzlerin, ist am Ende. Sie laufen den Banken nur noch
hinterher. Sie haben nicht die Kraft, die Diktatur der grossen
privaten Banken, Fonds, Versicherungen und Hedgefonds, also des
Finanzmarktes zu brechen, um Frieden, soziale Gerechtigkeit,
oekologische Umgestaltung und Demokratie zu erkaempfen, was wir
dringend brauchen. (...) ###

*

Kürzungen und Zwischentitel von der Redaktion

Die halbstuendige Rede ist ungekuerzt auch im Web nachhoerbar:
http://www.youtube.com/watch?v=HxfF_CRfoLQ



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