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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 14. September 2011; 01:46
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Europa/Asyl:
> Eindruecke vom No Border Camp 2011
Offiziell fand das No Border Camp 2011 vom 25.-29. August im
bulgarisch-tuerkisch-griechischen Grenzgebiet statt. Das Camp wurde in
Siva Reka, einem kleinen Dorf nahe der beiden Staedte Svilengrad und
Lyubimetz aufgebaut. Schon tage vor dem offiziellen Beginn fanden sich
viele Menschen unterschiedlichster Herkunft im Camp ein und halfen
gemeinsam an dessen Aufbau. Sanitaeranlagen wie Duschen und WCs
mussten gebaut werden und die wohl wichtigste Aufgabe war der Bau von
moeglichst vielen Schattenplaetzen. Die Bauarbeiten fanden unter
Planung einer eigens aus Griechenland angereisten anarchistischen
Construction-Gruppe bei Temperaturen von bis zu 45°C statt. Bis zum
offiziellen Beginn des Camps waren gut 300 Menschen aus Deutschland,
Oesterreich, Schweiz, Daenemark, Belgien, Schweden, Frankreich,
Spanien, Griechenland, Tschechien, Australien, England, USA, Kanada,
Kroatien, Ukraine, Bulgarien, Italien uvm. angereist um gemeinsam
antirassistische Arbeit voranzutreiben und Aktionen gegen Grenzen zu
planen.
Am 26. August fand die erste Aktion statt. In der nahegelegenen Stadt
Svilengrad fanden dezentrale Aktionen (Strassentheater, Bannerdrops,
Verteilung von "Global Passports", Gespraeche mit der lokalen
Bevoelkerung, Sprayaktionen, Fotoausstellungen, uvm.) von einzelnen
Bezugsgruppen statt, die sich nach ca 2 Stunden zu einer grossen
Demonstration mit ca. 300 Teilnehmer_innen (hauptsaechlich aus dem
Camp) zusammenfanden. Die Demo gab sich friedlich aber trotzdem
aeusserst kaempferisch und hinterliess sichtbar (groesstenteils
positiven) Eindruck bei der lokalen Bevoelkerung die wahrscheinlich
zum ersten mal seit Jahrzehnten mit aktivem, kritischen politischen
Aktivismus konfrontiert war.
Am Abend kamen einige Bewohner_innen aus Siva Reka und Svelingrad zum
Essen ins Camp und es fand ein spannender Austausch zwischen
Aktivist_innen und Bewohner_innen des Grenzgebietes statt.
Am 27. August fanden sowohl an der bulgarisch-tuerkischen, als auch an
der bulgarisch-griechischen Grenze Aktionen statt.
Diese Aktionen wurden tagszuvor am abendlichen Plenum heftig
diskutiert. Die Gewaltfrage flammte erstmals auf, da viele
Camp-Teilnehmer_innen mit der Weisung der bulgarischen
Organisationsgruppe, sich bedingungslos an die Vorgaben der Polizei zu
halten, nicht einverstanden waren und zivilen Ungehorsam und
friedliche, aber direkte Aktionen an der Grenze nicht als Gewalt
empfanden. So haengte sich z.B. eine Diskussion lange an dem Beispiel
auf, ob es nun Gewalt waere, die Grenze zu blockieren, oder nicht.
Eine konkrete Einigung gab es nicht, wohl aber wurden konstruktive
Kompromisse gefunden, wie etwa direkte Aktionen an der Grenze, die
nicht dem Konsens des non-violent-protest entsprechen, erst nach dem
Camp durch zu fuehren. Hierbei muss erwaehnt werden, dass derartige
Aktionen nicht allein aus dem Grund problematisch waren, dass sich
mensch nicht mit derartigen Aktionen solidarisieren konnte, sondern
vor allem die bulgarische Organisationsgruppe schon im Vorhinein stark
von Repression betroffen war. Es gab Drohanrufe und Jobkuendigungen.
Die Aktionen an den Grenzen waren aber trotz aller Diskussion ein
voller Erfolg. Eine kurze Blockade der bulgarisch-girechischen Grenze
durch ein "die-in" der Theatergruppe sorgte fuer Aufmerksamkeit, die
bulgarisch-griechische Grenze wurde ebenfalls bis zur Raeumung durch
die Polizei blockiert und nebenbei unwirksam gemacht: Anfangs 20 und
am Ende an die 150 Aktivist_innen nervten die Grenzbeamten in dem sie
pausenlos aus Bulgarien auscheckten und kurz darauf wieder
eincheckten. Irgendwann wurde es den Grenzbeambten zu bloed und
mehrere Menschen schafften es, die Grenze ohne Pass, oder aber mit dem
"Global-Passport" zu passieren. Somit wurde eine der wohl am
schaerfsten kontrollierten Grenzen Europas (trotz EU-Grenze!)
zumindest fuer kurze Zeit deaktiviert. Ausserdem wurde dabei eine
schockierende Kampagne der EU aufgedeckt. Diese Kampagne, die unter
dem Titel "You are just a shaddow!" laeuft, raet Fluechtlingen zur
Umkehr und versucht sie mit Argumenten wie "dein Heimtland ist
mittlerweile schon sehr gut entwickelt" dazu zu bewegen, die
Rueckreise anzutreten.
Am 29. August fand dann noch eine Aktion bei einem im Mai eroeffneten
Detentioncenter in der nahe gelegenen Stadt Lyubimetz statt. Die
Aktivist_innen bekamen Unterstuetzung fuer ihren Protest von einer
nahegelegenen Roma-Siedlung. Ca 60 Roma nahmen am Protest direkt vor
dem Detention-Center teil. Mit Sprechchoeren und Transparenten wurde
die Freiheit der im Detention-Center gefangengehaltenen Fluechtlinge
gefordert sowie diesen die Unterstuetzung durch No Border Arbeit
mitgeteilt. Ein grosser Erfolg war es, dass mensch es geschafft hat
mit den Menschen hinter den Beton- und Stacheldrahtmauern zu
kommunizieren und ihnen durch ein Transparent eine Telefonnummer fuer
gratis Rechtsbeistand zukommen zu lassen. Auch ihre Rechte wurden
ihnen in mehreren Sprachen via Megaphon mitgeteilt und einige gaben
durch die vergitterten Fenster Zeichen der Verstaendnis. Fuer viele
Aktivist_innen war es schwierig nach ca 4 Stunden Protest und ein
wenig Kommunikation mit den gefangenen Fluechtlingen einfach wieder zu
gehen und zu wissen, dass sich fuer diese Menschen auch in Zukunft
nichts aendern wird, solange sich im Gedankenprozess der Herrschenden
und vor allem auch im Gedankenprozess jedes einzelnen Menschen nichts
aendert. Was mensch jedoch bestaerkte war die Freude, die den
gefangengehaltenen Menschen mit einem kurzen Besuch und Protest
gemacht werden konnte. Was es fuer diese Menschen bedeutet, zu sehen,
dass sie nicht von allen Vergessen werden, sobald sie hinter den 6
Meter hohen Mauern verschwinden, kann sich wohl kaum jemand
vorstellen.
Das Camp an sich war im grossen und ganzen sehr positiv. Trotz
kultureller Unterschiede auch in der Art der Protestkultur und
Aktionsform gelang trotzdem eine breite Kommunikation und
Sensibilisierung der lokalen Bevoelkerung. Das Camp und die
Aktivist_innen wurden von einem Grossteil der Bevoelkerung mit
Interesse aufgenommen. Der Bevoelkerung von Siva Reka gilt wohl
besonderer Dank fuer die zahlreichen Essenseinladungen und Schenkungen
von kiloweise Obst und Gemuese fuer die Volxkueche.
Schade war auch, dass das Camp hauptsaechlich von westeuropaeischen
Aktivist_innen besucht wurde. So war knapp die Haelfte der anwesenden
Personen deutschsprachig.
Zusammenfassend bleibt wohl zu sagen, dass das No Border Camp 2011
viel Platz fuer Vernetzung und Austausch bot, erfolgreich
Aufmerksamkeit geschaffen hat und viel Anstoss zur weiteren
antirassistischen Arbeit, Aufbau von No Border-Strukturen und zum
widerstaendigen Leben gegeben hat.
(Anonym auf Indymedia/gek.)
Quelle: https://at.indymedia.org/node/21155
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