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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Dienstag, 21. Juni 2011; 23:22
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Debatte/Linke:

> Einige grundsaetzliche Ueberlegungen

Zur politischen Situation in Europa und in Oesterreich
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Vorbemerkung: Ziel dieser Zeilen ist es eine Art "Epochenbestimmung"
vorzunehmen (Schlagwort: "Ende der buergerlichen Normalitaet") und so
einen bescheidenen Beitrag zum "Aufwachen" der kleinen, dahindoesenden
oesterreichischen Linken zu leisten.

Die politische Situation Europas spitzt sich zunehmend zu. Was
vordergruendig als "Euro-Krise", "Bankrott Griechenlands" etc.
abgehandelt wird, ist in Wirklichkeit eine tief sitzende oekonomische
und politische Strukturkrise der (europaeischen) spaetkapitalistischen
Gesellschaft.

Alles oberflaechliche Gerede von "vorwiegend Finanzkrise" zeigt sich
heute als gegenstandslos. Die schwere Wirtschaftskrise aeusserte sich
zuerst als "Immobilienblase", dann als "Bankenkrise" und zeigte sich
schliesslich zunehmend in der sog. Realwirtschaft. Wie etwa Winfried
Wolf in seinem hervorragenden Buch "Sieben Krisen -- Ein Crash"
buendig dargelegt hat, gibt es tief sitzende oekonomische, soziale,
politische und oekologische Krisenstraenge, die nunmehr, oft
kumuliert, zum Ausbruch kommen.

Die enormen staatlichen Stuetzungsmassnahmen haben zwar kurzfristig
dem Kapital aus dem schlimmsten Dilemma geholfen, die Krisenfaktoren
jedoch in keiner Weise beseitigt. Sie sind weiter voll praesent und
aeussern sich in vielfaeltigster Weise:

- Griechenland ist bekanntlich nur die Spitze des Eisbergs. Portugal,
Spanien, aber auch Italien stehen vor aehnlichen Problemen. In allen
Faellen geht es nicht vorrangig um Korruption, obwohl diese
zweifelsohne massenhaft vorhanden ist: Den schwachen Oekonomien hat
der Staat kraeftig unter die Arme gegriffen, was u.a. zu extremer
Verschuldung fuehrte.

- die harten Sanierungsforderungen (Griechenland ist heute de facto
ein Protektorat wie Oesterreich nach dem Ersten Weltkrieg) sind nicht
Ausdruck "boesen Willens", sondern entsprechen den entscheidenden
Interessen des europaeischen Grosskapitals: die Verwertungsbedingungen
sollen erhoeht werden und nicht alle geliehenen Gelder sollen den Bach
runtergehen

In diesem Sinne ist der "Neoliberalismus nicht am Ende" -- er wird
vielmehr massiv erweitert.

Dieser Umstand hat in einigen Laendern unglaubliche Massenproteste
ausgeloest (mit den Bildern von Tunesien, Aegypten,... im Hinterkopf),
ein klassisches Beispiel ungleichzeitiger und kombinierter
Entwicklung. Und die buergerliche, indirekte Demokratie ist in den
Augen vieler schwerst diskreditiert Ob Syntagma-Platz, Puerta del Sol
etc. ueberall ertoent der Ruf "Wir wollen nicht fuer Eure Krise
bezahlen". "Haut ab" schallt es den buergerlichen und
sozialdemokratischen Politikern entgegen.

Das sind Entwicklungen, die vor einigen Jahren noch fuer ganz
unmoeglich gehalten wurden -- siehe das Geschwaetz vom "Ende der
Geschichte". Im Gegenteil: Jetzt geht es erst richtig los!

Bei aller Begeisterung ueber die Proteste in Europa gilt es die
Bodenhaftung nicht zu verlieren. Die Kaempfe sind oft fragmentiert,
spielen sich bislang vorrangig im nationalen Rahmen ab: gut 15
Generalstreiks in Griechenland und kaum wirksame internationale
Solidaritaet.

Auf parlamentarischer Ebene hat bis jetzt die Rechte und was besonders
schlimm ist, die extreme Rechte profitiert.

All das zwingt zu GRUNDSAeTZLICHEN Ueberlegungen:

- die Sozialdemokratie spielt eine selbstmoerderische Rolle. Wo sie
noch die Regierungsgeschaefte fuehrt, treibt sie die Sparpolitik voran
und wird schliesslich von den Konservativen abgeloest. Gleichzeitig
steigt die Woge des internationalen Rechtspopulismus und
Rechtsextremismus.

- eine ernsthafte Loesung der Schuldenkrise kann nur ein Streichen der
Schulden sein! Dies weist aber angesichts der in Frage stehenden
Summen weit ueber die buergerliche Gesellschaft hinaus.

- die EU legt Griechenland eiserne Ketten an -- alle Spekulationen auf
einen "New deal fuer Europa", "Schaffung neuer, gruener Arbeitspaetze"
etc. sind Schall und Rauch

- die EU wird sich in keiner Weise "demokratisieren"(lassen): die
Entwicklung geht vielmehr in die andere Richtung- immer autoritaerer,
sich nach aussen abschottend, militaristisch und offen
imperialistisch.

Vor diesem Hintergrund ist es REALISTISCH zu sagen, dass sich einige
Laender in Richtung einer "vorrevolutionaeren" Situation bewegen.
Wohlgemerkt: es gibt eine Tendenz -- nicht mehr(!) und selbst diese
Laender sind von einer "revolutionaeren" Situation weit entfernt.

Klar ist jedoch, dass die Zeit, wo halt so das "linke
Alltagsgeschaeft" besorgt wird, vorbei ist. In allen Laendern gilt es
sich fuer scharfe politische Wendungen zu ruesten und inhaltliche und
organisatorische Positionen zu entwickeln, die der aktuellen
Krisen-Epoche adaequat sind: z.B. fuer die entschaedigungslose
Ueberfuehrung der Banken in oeffentliches Eigentum (bei strengster
demokratischer Kontrolle) einzutreten und sich voll dessen bewusst zu
sein, dass damit ein aeusserst konfliktreicher antikapitalistischer
Weg eingeschlagen wird; bzw. alle illusionaeren Hoffnungen zu
begraben, die Sozialdemokratie koennte sich entscheidend aendern,
"wieder zu ihren Wurzeln zurueckkehren" etc. Vielmehr gilt es --
pluralistische -- Organisationen und Parteien links von der
Soziademokratie aufzubauen bzw. zu staerken.

UND IN OeSTERREICH?

Der Umstand, dass in Oesterreich die Krisen noch nicht so entwickelt
sind, darf nicht als Ruhekissen dienen. Oesterreich ist von den oben
skizzierten Prozessen betroffen bzw. Akteur! Und weil den beiden
Regierungsparteien ausser Dahinwursteln nix einfaellt und sie vor den
realen Problemen fliehen bzw. sich ausschweigen, kann Strache zulegen
und zulegen!!

An dieser mehr als gefaehrlichen Entwicklung wird sich aller
Voraussicht nach nichts aendern.

Die oesterreichische Linke sollte sich voll dessen bewusst sein und
endlich dementsprechend VERANTWORTUNGSBEWUSST handeln: sich nicht
weiter in internen Grabenkaempfen verlieren und auf den Aufbau von
Kleinorganisationen und Mini-Parteien zu setzen. Zwei Aufgaben sind
m.E. nach heute zentral:

- alles was sich in Oesterreicht "bewegt", also bereit ist gegen
Sozial- und Demokratieabbau bzw. oekologische Desaster zu kaempfen,
zusammenzufassen (z.B. Organisierung eines "Widerstands-Kongresses")

- Buendelung der linken Kraefte in einem politischen Projekt, das
ueber die "Bewegungs-Ebene" hinausgeht- also eine allgemeine
politische Alternative darstellt. So eine Alternative kann NICHT
voluntaristisch dekretiert werden. Sie ist das Ergebnis eines
vorsichtigen Aufbauprozesses. Aber BEGONNEN sollte jetzt damit werden:
der ins Auge gefasste "LINKE RATSCHLAG" im Oktober in Wien sollte ein
wichtiger Schritt in diese Richtung sein.
*Hermann Dworczak*

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> Linker Ratschlag im Oktober

Am Samstag den 18.Juni trafen sich auf Einladung der LINKE-Steiermark
rund 25 FreundInnen und GenossInnen in Graz , um einen "Linken
Ratschlag" im Oktober vorzubereiten. Die TeilnehmerInnen kamen aus
sieben Bundesländern (ca. 20 Mails gab es von FreundInnen und
GenossInnen, die mitmachen werden, aber diesmal keine Zeit hatten).

Die wichtigsten Ergebnisse des Grazer Treffens in Kurzform:

- der Ratschlag wird Mitte Oktober in Wien stattfinden. Er wird
politisch breit ausgerichtet sein. Internationale Gäste sollen präsent
sein (Griechenland, Spanien, Deutschland,...).

- der Ratschlag soll zeigen was sich alles in Österreich "bewegt" und
die Möglichkeiten der politischen Kooperation der verschiedenen
Initiativen, Gruppen und Organisationen ausloten

- um den Ratschlag inhaltlich und organisatorisch vorzubereiten hat
sich eine -offene! - Vorbereitungsgruppe gebildet.
*Hermann Dworczak* (0676 / 972 31 10)



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