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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. Juni 2011; 15:55
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Glosse:

> Ein guter Platz fuers WEF

Linker Protest in Wien ist derzeit eher eine virtuelle Angelegenheit

"Eines muss man der Polizei lassen: Sie sind gut im mobilisieren!" --
Gallbitterer Humor auf der Anti-WEF-Demo in Wien am 7.Juni. 300-500
Demonstrierende standen einer Uebermacht an Polizisten gegenueber.
Zeitweilig war die Demo ein wandernder Kessel. Die Polizei war fuer
Buergerkrieg ausgeruestet, aber bis auf einige kindische Schikanen
(Fahrzeugkontrolle am Fahrrad, Anzeige wegen eines Halstuchs als
Vermummung) und einem Routendiktat, das die Demo nur in Seitengasserln
zuliess, wenig provokativ. Fast hat man den Eindruck, dass es dem
Innenministerium wichtig war, Wien als eine Stadt zu verkaufen, wo es
keinerlei Probleme gibt, wenn eine Konferenz wie das WEF hier
stattfindet -- und deswegen eine Randale unerwuenscht ist.

Tatsaechlich: Waehrend es in Europa kaum mehr eine Grossstadt gibt, wo
derartige Konferenzen (WEF, Bilderberger, G8 etc.) problemlos
stattfinden koennen, ist in Wien der Protest einzig in seiner
Ueberschaubarkeit extrem. Mit Fahnen und Transparenten vertreten waren
die KPOe, die KJOe, einige sonstige K-Gruppen, die SJ und die ATIGF.
Einem KPOe-Vertreter war es sichtlich peinlich, wie stark seine Partei
mit ihren Fahnen vertreten war - denn man hatte eher mit einer Demo
gerechnet, wo die KPOe in der Masse untergeht. Dem war leider nicht
so. Die Gruenen beispielsweise setzten voellig aus, sie waren selbst
als Einzelpersonen nirgendwo zu orten. Ausser einer kleinen Abordnung
der SJ war aber auch die Sozialdemokratie nicht praesent.

Natuerlich war die Mobilisierung chaotisch und alles andere als breit.
Auch der Zeitpunkt fuer den Demobeginn (15h an einem Wochentag) war
eher suboptimal.

Dennoch: Haetten sich nicht die Vertreter des Grosskapitals und deren
Politiker in der Hofburg getroffen, sondern wieder einmal ein paar
laeppische Burschenschafter, waere das Interesse weitaus groesser
gewesen. Das Symptom Faschismus ist sexy, die Ursache Kapitalismus
interessiert nicht -- eine bedenkliche Linke ist das.

Am naechsten Tag ging das Mobilisierungschaos weiter: Es gab Aufrufe
zu einer Art Besetzung fuer den Sigmund-Freud-Park und fuer den
Resselpark. Niemand wusste genau, wohin sich wenden und ob hinter
diesen Aufrufen mehr steht als eine vage Idee einzelner. Immerhin
duerfte es dann doch noch -- trotz der Probesintflut an diesem Tag --
zumindest zu einer kleinen Aktion gekommen sein. Eine Gruppe "kochte
vor Wut" und zwar buchstaeblich und es gab eine Volxkueche im
Jonas-Reindl beim Schottentor -- die Polizei war laut Erzaehlung der
Beteiligten etwas ratlos und liess die Protestkocherei gewaehren.

Austrian Revolution

Generell war in den letzten drei Wochen oft Protest angesagt --
allerdings ohne eine echte Bewegung. In Anlehnung an die "Spanische
Revolution" wollte man auch hier zentrale Plaetze besetzen. Das ganze
fiel nur eher traurig aus. Hier zeigte sich die Schwaeche eines
facebook-basierenden Aktivismus -- ein paar Leute trafen sich im
Resselpark, ein paar am Stephansplatz und ein paar campierten im
hintersten Hof des alten AKHs. Diese Aufrufe waren nicht nur sehr
kurzfristig, sondern auch widerspruechlich und alles andere als breit.
Niemand wusste genau, warum man sich da jetzt engagieren sollte, man
wollte einfach nur das spanische -- und vielleicht das arabische --
Muster, die "Bewegung der Plaetze" kopieren. Doch wer mitmachen
wollte, musste sich damit abfinden, dass so mancher Treffpunkt zwar
von irgendwem angekuendigt war, dort dann aber genau gar nichts
stattfand.

Fazit

"Revolution will not be facebooked" lautete eine Parole der
Uni-Bewegung 2009. Und das ist genau der Punkt. Facebook und andere
Internet-Plattformen sind gute Moeglichkeiten, sich zu vernetzen. Aber
es braucht eben auch echte inhaltliche Fokussierungen, klare Worte,
klare Forderungen und auch Organisationarbeit. Dazu passt auch die
Absage der diesjaehrigen Freeparade -- auf deren Homepage kann man
nachlesen, dass die Absage einfach daraus resultiere, dass sich kaum
jemand an der Vorbereitung beteiligen wollte.

Wenn einmal eine Bewegung im Laufen ist, dann kann und soll sogar das
ganze eine ordentliche Portion Chaos und Pluralismus beinhalten. Aber
derzeit gibt es keine Bewegung fuer Demokratie und soziale
Gerechtigkeit und das liegt auch an der Nichtorganisiertheit der
Linken. Wir brauchen dazu keine tollen Parteien, aber die Kleinarbeit
der organisatorischen Absprachen, das Mobilisieren im eigenen Bereich,
das Bewusstmachen von Missstaenden einerseits und von
Protestmoeglichkeiten andererseits ... -- all das, diese klassischen
Arbeitsauftraege einer ausserparlamentarischen Opposition sind auch in
Zeiten der Internet-Kommunikation nicht verzichtbar. Einfach nur in
irgendeinem hinteren Winkel des Internets zu posten, dass man jetzt
bitteschoen dort und dort gern einen machtvollen Protest haette, ist
einfach zuwenig.
*Bernhard Redl*



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