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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 15. Juni 2011; 15:49
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Glosse:

> Stuetzen des Vaterlands

Empfindungen nach einem Nazi-Angriff

Rechtsradikale haben mich am 29.5. in einer Hundezone im 21. Wiener
Gemeindebezirk zusammengeschlagen. Ein weiterer Hundebesitzer wurde
ebenfalls Opfer des unprovozierten Angriffs. Eine Faust hat mich von
oben getroffen, als ich am Boden lag. Zusammengekauert, hoffend, dass
es moeglichst schnell vorbeigeht. Der Schuh, der mich mit
schmerzhafter Wucht am Brustbein getroffen hat, in der gleichen
Position, wird sich gluecklicherweise nicht auf meiner Haut
abzeichnen. Groesseren Schaden am sensiblen Knochen duerfte der Tritt
nicht angerichtet haben. Erstaunlich angesicht der Groesse und des
Gewichts des Angreifers. Ich bin froh, dass er quasi nur
Nebenschlaeger war. Den Grossteil der Schlaege hat mir ein wesentlich
schmaechtigerer Mann beigebracht.

Der Hundebesitzer neben mir erwischt es nicht so gut. Er wurde von
einem grossen Mann bearbeitet, dem dritten Schlaeger im Bunde, und
wahrscheinlich von einem vierten. Ich habe bei meinem Mitleidenden
nach den Angriffen mehrere beginnende Haematome am Kopf gesehen. Ich
hoffe, es geht ihm gut. Ich habe ihn spaeter nicht mehr gesehen. Er
hat auf eine Anzeige verzichtet und sich nicht untersuchen lassen.

"Wir haben zu viele Kanaken bei uns"

Warum die Maenner aufgehoert haben, uns zu pruegeln ist ebenso unklar,
wie warum sie ueberhaupt auf uns losgegangen sind. Wir wollten gerade
die Hundezone verlassen. Unsere Hunde hatten sich dort gefunden und
wir plauderten ganz nett. Wir hatten beschlossen, die Plauderei in der
U-Bahn fortzusetzen. Kurz vor dem Ausgang auf einmal der Ruf: "Wir
haben schon zu viele Kanaken bei uns" in unsere Richtung. Der Besitzer
von Naomi (komisch: Hundenamen merkt man sich einfacher als
Menschennamen) fragte zurueck: "Meint ihr mich"?

Auf einmal waren wir umringt von mehreren Maennern, die sich den
ganzen Nachmittag ueber im Schatten eines Baumes in Eingangsnaehe
besoffen hatten. Der juengste und schmaechtigste Mitte oder Ende 20,
die anderen eher um die 40. Typen, die eher an Motorradgangs erinnern.
Einer trug auch eine Motorradjacke aus Leder, auf der "Wotan" stand.

Sie gestikulierten wild, pflanzten sich bedrohlich nahe vor uns auf.
Ich wusste sofort: Die waren darauf aus, einzuschuechtern. Es folgten
einige eher wirre Tiraden ueber die "Kanaken", die man umbringen
sollte (oder so aehnlich) verbunden mit Drohungen, etwa in meine
Richtung: "Wenn du nicht bald schleichst, stopf ich dir deine
Sonnenbrille in den Arsch."

Deeskalation unmoeglich

Ich denke, das war die Reaktion auf meinen Versuch zu beruhigen. "Wir
wollen eh gehen, kein Grund, dass wir uns aufregen". Wer mich kennt,
kann abschaetzen, wie bedrohlich ich die Situation einschaetzte.
Rassistische Kommentare lasse ich normalerweise selbst bei
Einschuechterung nicht unwidersprochen. Nur: bei einer Gruppe
betrunkener und leider kraeftiger Rechtsradikaler hat das keinen Sinn
mehr.

Wir hatten den Ausgang noch nicht erreicht, als die ersten Schlaege
fielen. Meinen Begleiter, groesser und kraeftiger als ich, griffen sie
zuerst und am haertesten an. Zu dritt. Ich fand mich auf einmal am
Boden wieder und rappelte mich kurz wieder auf. Habe ich den
Schmaechtigen, der auf meinen liegenden Begleiter einpruegelte,
absichtlich heruntergerissen? Ist das unabsichtlich passiert, als ich
unter einem neuerlichen Schlag zu Boden ging? Oder torkelte er einfach
nur aufgrund seines Alkoholpegels herunter? Keine Ahnung. Es ging
ziemlich schnell.

Waere ich nicht von der Brutalitaet ueberfordert gewesen,
eingeschuechtert von der Ueberzahl und waere ich selbst ein wenig
brutaler -- der Schmaechtige waere der einzige gewesen, den ich
schlagen haette koennen, als er auf dem Boden lag. Das waere sich,
denk ich, noch irgendwie ausgegangen. Zumindest hatte ich das Gefuehl.
Ich versuchte es nicht einmal. Und dann lag ich endgueltig am Boden.
In Foetalstellung. Der Versuch, die moeglichen Verletzungen zu
minimieren. Das alles zu ueberstehen. Wie in einem Traum. Als waere
ich neben mir. Nur die Schmerzen, die ich fuehlte, waren real.

Warum sie von uns abgelassen haben - wer weiss das schon. Vielleicht
wurde ihnen langweilig. Vielleicht wurde es zu anstrengend. Ich
vergewisserte mich, dass mein Begleiter noch lebte und zumindest nicht
blutete -- und fluechtete so schnell ich konnte. Die Hunde waren
wohlauf und schwer verstoert. Die Hunde der Angreifer hatten sie
verwirrt und sie davon abgehalten, uns zu verteidigen.

Ich rief die Polizei an. Die selbst ernannten Stuetzen des Vaterlands
ergriffen die Flucht, als sie das Handy an meinem Ohr sahen.

Zeugen von der Brutalitaet ueberfordert

Die anderen Besucher waren nicht eingeschritten. Sie waren genauso von
der Brutalitaet der Bande ueberfordert wie ich. Wenn in so einer
Situation nicht zufaellig die richtigen, beherzten Menschen
zusammenkommen, hat man auch keine Chance, einem der Betroffenen zu
helfen. Man wird bestenfalls selbst Opfer. Das kann man von niemandem
verlangen.

Einige duerften ueberhaupt von den Maennern eingeschuechtert gewesen
zu sein. Mir haben danach mehrere Zeugen erzaehlt, die Bande
terrorisiere die Hundezone seit laengerem. Meistens mit rassistischen
Poebeleien und Drohungen. Einer, Gary genannt, soll seinen Hund auf
das Kommando "Hol den Scheiss-Kanaken" trainieren. Die selbst
ernannten Stuetzen des Vaterlands betrinken sich laut diesen Aussagen
regelmaessig am Nachmittag, gelegentlich soll es zu
Handgreiflichkeiten kommen.

Was bleibt, ist die Angst

Mir bleiben Angst und ein Ohnmachtsgefuehl. Die Angst kommt
zwischendurch. Sekundenweise. Ich fuehle, wie mir die Traenen kommen.
Wenn ich darueber rede oder schreibe, ist sie weg. Vielleicht gibt mir
das das Gefuehl, irgendwie selbst ueber das Geschehene bestimmen zu
koennen.

Mein Stolz ist verletzt. Ich ertappe mich bei dem Gedanken, ich haette
auf den Schmaechtigen eintreten sollen, als ich die Chance hatte. Das
sind sicher auch Rachegefuehle. Und der Versuch, mir einzureden, es
sei meine autonome Entscheidung gewesen, nicht zuzuschlagen. Dass es
nicht der Schock war, mich mehreren brutalen Maennern
gegenueberzusehen, die auf mich einpruegelten, der mich wehrlos
machte.

Spielen hier die Maennlichkeitsideale eine Rolle, von der unsere
Kultur so durchdrungen ist? Wahrscheinlich. Ich kann nicht bestreiten,
mir zwischendurch wie ein Feigling vorzukommen. Dann sagt mir der
Verstand: Du haettest keine andere Moeglichkeit gehabt.

Die Erfahrung schmerzt. So wie die Ohrfeige, die ich ich vor wenigen
Jahren auf offener Strasse in St. Poelten kassierte. Ich hatte damals
einem Mann widersprochen, der gefordert hatte: "Haengt alle Tuerken
auf". Die Polizei weigerte sich damals, meine Anzeige
entgegenzunehmen. Der Vorfall jetzt wird von der Polizei
weiterverfolgt. Niemand ist gerne Opfer. Das tut weh. Sehr weh sogar.
Ich hoffe, der Schmerz geht vorbei. Schneller als der Schmerz in
meiner Schulter.
*Christoph Baumgarten*
(politwatch.at / gek.)



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