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akin-Pressedienst.
Aussendungszeitpunkt: Mittwoch, 18. Mai 2011; 01:40
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Glosse:

> Die Geschichtsbewaffneten

Fuer die einen ist es der Gruendungstag des israelischen Staates, fuer
die anderen die "Nakba", die Katastrophe. Und anlaesslich dieses Tages
eskalieren immer wieder die Auseinandersetzung im historischen Gebiet
von Palaestina in diesem seit Jahrzehnten waehrenden Konflikt, in
diesem Dauerbuergerkrieg "geringer Intensitaet", wie das die
Militaerwissenschaftler nennen. Angefeuert werden diese
Auseinandersetzungen durch eine "geistige Landesverteidigung", die auf
beiden Seiten vor allem auf die jeweils eigene Geschichtsschreibung
setzt. Egal, ob auf der einen Seite von der Kriegserklaerung der
arabischen Staaten gegen das neu gegruendete Israel die Rede ist oder
von der Vertreibung der Palaestinenser aus ihren Heimstaetten auf der
anderen Seite. Und dann werden noch die Geschehnisse in der britischen
Mandatszeit, der Holocaust, der UN-Teilungsplan, die
Balfour-Deklaration und so weiter bis hin zur Zerstoerung des Tempels
von Jerusalem im 1.Jh. in Stellung gebracht. Nur: Wem nuetzt das?

Geschichte ist in politischen Fragen extrem wichtig. George Santayana
praegte den beruehmten Satz: "Wer sich nicht an die Vergangenheit
erinnern kann, ist dazu verdammt, sie zu wiederholen." Nun, auch wenn
das in dieser Strenge vielleicht nicht unbedingt immer zutrifft, so
wuerde ich doch sagen, dass, wer die Geschichte nicht kennt, die
Gegenwart nur schwerlich verstehen kann. Darum sollte es bei der
Nutzung von Geschichte gehen, sie herzunehmen, um verstehen zu
koennen, wie ein Konflikt, der heute noch existiert, entstanden ist
und wo Beweggruende und Interessen der Beteiligten am Beginn dieses
Konfliktes gelegen haben. Eventuell kann man dann noch beurteilen, wie
legitim diese Interessen damals waren, aber man muss vermeiden, die
Nachfahren fuer das Handeln ihrer Ahnen zur Rechenschaft zu ziehen.
Denn es nuetzt nichts, herzugehen und (in Anlehnung an ein Gedicht
Erich Frieds) zu sagen: "Mein Geschichtsschreiber wird deinem
Geschichtsschreiber den Schaedel einschlagen." Es nuetzt den Menschen,
die heute in der Konfliktzone sitzen nichts -- ausser, dass sie sich
immer wieder selbst versichern koennen, dass sie in der richtigen
Konfliktpartei sind und recht haben. Es muss ein faires Miteinander
der Menschen in diesem Gebiet geben. Die Vernuenftigen dort machen auf
beiden Seiten bereits eine grosse Zahl aus. Das sind diejenigen, die
diese Auseinandersetzung satt haben, aber eben nicht mit einem
"Siegfrieden" beenden wollen, die jedoch in der israelischen wie
arabischen Oeffentlichkeit nur eine leise Stimme haben. Diese Menschen
muessen wir unterstuetzen, das ist unsere Verantwortung in diesem
Konflikt. Stattdessen wird hierzulande und weltweit, nicht zuletzt in
der Linken, genauso mit kontroversiellen Geschichtserzaehlungen
herumgeworfen, anstatt zu fragen, wo es denn heute hakt.

Es geht mir nicht um einen naiven Aufruf zum friedlichen
Zusammenleben. Die intellektuelle Auseinandersetzung muss gefuehrt
werden und man muss fragen, wer heute dem Frieden entgegensteht und
welche Interessen diese Protagonisten haben. Es gibt wenig nutzbares
Land in diesem Wuestengebiet und ziemlich viele Menschen, die es
nutzen wollen. Und es gibt Machteliten, die von diesem Konflikt
profitieren. Das muss man benennen, sonst werden sich die "Falken" mit
ihrer idealistischen Kriegstreiberromantik auch weiterhin durchsetzen.
Diese Debatte ist schon schwer genug zu fuehren und noch viel
schwerer, die Hetzer aus ihren Machtpositionen zu vertreiben. Da
braucht es wirklich nicht auch noch rabiate Geschichtslehrer.

Was vor 63 Jahren war, sollte man nicht vergessen. Aber man sollte die
Kenntnis der Geschichte fuer den Frieden nutzen und nicht fuer den
Krieg. Das Nutzen der Geschichte als indirekt todbringende Waffe ueber
die Jahrzehnte hinweg ist bereits selbst Teil der Historie dieses
Konflikts. Dass das aber kein Weg zur Loesung von Konflikten ist, ist
eine Erkenntnis aus der Geschichte, die wir auch bei anderen
Auseinandersetzungen ziehen sollten.
*Bernhard Redl*


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